Der unmögliche Präsident

Die neue Potenz der Wissenschaft traf im vergangenen Jahrhundert auf den alten Fanatismus, und der Schock, der uns davon geblieben ist, hat zumindest die Idee von der Gleichheit aller Menschen verbreitet. Aber ohne ein klares Bekenntnis zur Vernunft liefern gute Absichten oft fragwürdige Resultate.

Der unmögliche Präsident

Ein gläubiges Elternhaus hat mir gezeigt, was Parallelwelten sind. Heute unterrichte ich an einer katholischen Grundschule Deutsch und sehe erneut diese Gewissensbisse und Denkgrenzen in den jungen Köpfen. Eine geistige Freiheitsberaubung, die allein schon inakzeptabel wäre. Es ist noch viel deutlicher, wenn wir vorgeben, Familien hätten kein Problem mit Indoktrination, deren Frauen ausnahmslos ihr Haupt bedecken. Das wollen wir genauso wenig sehen wie das Elend in der islamischen Welt oder die religiöse Motivation des Terrorismus.

Was haben wir gelernt, wenn wir „Toleranz“ zelebrieren und nicht dafür kämpfen, dass alle die Rechtssicherheit genießen, die wir in Anspruch nehmen?

Das Narrativ

Zwischen den Kriegen wurde am Institut für Sozialforschung in Frankfurt eine jetzt berühmte Kritik entworfen. Nach ihr sind „wahre Erkenntnisse“ unmöglich, ohne eine „Totalität gesellschaftlicher Verhältnisse“ hergestellt zu haben. Der Krieg, der danach kam, hat keine Verankerung rationaler Standards im Öffentlichen inspiriert—sondern einen Relativismus wie den der Frankfurter Schule.

Immer deutlicher rächt sich diese Abkehr von der Aufklärung. Wird das Verdrängen der Tatsachenwahrheit (das postfaktische Zeitalter) uns zu Füßen gelegt, die wir mit dem Internet aufgewachsen sind, sage ich: Das Internet ist ein Megaphon. Soweit ich zurück denke, und meine ersten Weltereignis-Erinnerungen handeln von den Trauerfeiern für Lady Diana und Mutter Teresa, hat ein Kitsch die Medien regiert, den zu kritisieren man ein schlechter Mensch war. Das Internet macht laut.

Der Islamismus führt unsere Scheinheiligkeit seit fünfzehn Jahren völlig ad absurdum. Wirklichkeit und Narrativ könnten weiter nicht auseinanderliegen als in dieser Darstellung von Obama: Islamisten, sagt der scheidende 44. Präsident, seien verwirrte Menschen, die den Namen einer friedlichen Religion missbrauchen. Verwirrte Menschen und verwirrte Gruppen, mit denen wahre Muslime nichts zu tun haben.

Gerade diese Unaufrichtigkeit schürt derzeit das Misstrauen im Westen—sowohl gegen die Medien, als auch gegen Muslime als Menschen.

Atheisten wissen mehr

Es löst (sollte lösen) die ärgsten Vorurteile gegen Menschen und Menschengruppen zu verstehen: Unser Handeln basiert auf dem, was wir den Bruchteil einer Sekunde vorher wirklich geglaubt haben. Zu verstehen: Wir glauben entweder denkend oder dogmatisch. Und in Staaten, Gruppen und Familien, in denen das Dogma herrscht, ist amoralisches Verhalten (es beginnt mit dem Belügen der Kinder) normal. Nicht wegen einer Schlechtigkeit der Menschen, sondern wegen einer Schlechtigkeit des Glaubens.

Ideologieanteile einer Religion werden sehr wohl, was man „programmiert” nennen könnte. Gang und gäbe ist die Abwehr: Religion ist etwas Gelebtes, Amorphes, das einzig Anhänger des Glaubens verstehen können. Doch sind Anhänger eines Glaubens tendenziell Dogmatiker. Moderate zeichnet eine schrittweise Abkehr vom Glauben aus, und Glaubens-Gelehrte sind nur keine Dogmatiker, wenn sie, wenigstens in Debatten, Atheisten sind.

In jedem Fall verdienen Urteile wie „Der Koran entlarvt den Islamischen Staat als antiislamisch“ (zeit.de 21. Mai 2015 12:45) Skepsis.

Wenn man es ernst meint mit Toleranz und Integration, scheint mir, sollte man mit etwas wie dieser Befragung israelischer Muslime beginnen.  1. Was halten Sie von Atheisten? 2. Wäre es für Sie in Ordnung, wenn Ihr Bruder/Ihre Schwester Ihnen erzählt, dass er/sie Atheist/Atheistin ist? Dabei ist Gespür für das Dogma und eine vollständige Erfassung der Reaktionen wichtig. Die Antwort, ich würde sie umbringen, ist kein Scherz. Auch nicht, wenn die Befragte abwiegelt, ich würde nicht mehr mit ihr reden. Das sind Welten, für die uns die Wahrnehmung fehlt.

Love trumps hate

Zu Jahresbeginn schrieb Zeit-Herausgeber Josef Joffe: Eines darf man heute schon prophezeien, ohne Gewähr: Donald Trump, der front runner der Republikaner, dem die Umfragen jeden Blödsinn verziehen haben, wird nicht der 45. Präsident sein. (DIE ZEIT Nr. 5/2016, 28. Januar 2016)

Was Trump von sich gibt, ist Blödsinn nur per Nennwert. Auf jedem Schritt seiner Kampagne sahen die Medien (einschließlich, die längste Zeit, der erzkonservative Sender Fox News) sein Ende unmittelbar bevorstehen. (Doch gewann er als Außenseiter gegen sechzehn Kontrahenten zum Schluss erdrutschartig die republikanische Nominierung.) Nach der ersten Präsidentschaftsdebatte gestern spielte sich das gleiche Szenario ab. Paul Middelhoff berichtete für ZEIT ONLINE: „Trump geht die Puste aus ... Ist die Wahl gelaufen?“ Wer sich auf das verlassen hat, was am 27. September morgens geschrieben wurde, muss gedacht haben, dass Trump so gut wie erledigt ist.

Später am Tag gaben die ersten seriösen Umfragen Bericht: Der Vorsprung von Clinton war von fünf auf unter zwei Punkte gesunken (RealClearPolitics).

Wer die Debatte gesehen hat weiß, dass genannter Blödsinn im Mittelpunkt stand: Dinge, die Trump einmal gesagt hat, entweder im Rennen um die republikanische Nominierung oder vorher als Privatperson in einem Radio-Interview. Clinton stellt Trump als Irakkrieg-Enthusiasten dar und als Befürworter der Polizeimaßnahmen, die ihr Mann in New York befürwortet hat. Die Welle der Begeisterung für Hillary war zwanghaft. Nein, ich glaube, der graue Wähler wird Trump wählen: Mehrheitlich, insofern seine letzten Auftritte den Eindruck verwischen, dass er ein Diktator ist. Middelhoffs Wort, ihm sei die Puste ausgegangen, ist irreführend. Bis jetzt hat er dazugewonnen.

Typisch für die Clinton-Kampagne, der fünfhundert Millionen Dollar zur Verfügung stehen, ist ihr zentraler Slogan Love trumps hate. Korrekt und altklug, Spiegel der Welt schöngeistiger Fakultäten. Zugleich eine Ohrfeige, aus eigener Sicht, für den Bauarbeiter Trump und eine Demonstration moralischer Überlegenheit. Aber ganz abgesehen von der Scheinheiligkeit der Hass-Liebe-Dialektik: Wer in der Werbung gearbeitet hat, nicht in staatlichen Stiftungen—wer in der echten Welt Werbung gemacht hat weiß, die semantische Bedeutung nutzt wenig. Ob Bauarbeiter oder egal welches Semester: Unbewusst mitgenommen wird das Wort Trump. Love Trump, idealerweise. Oder Love Trump's hate.

Trump ist kein Hasser, er ist ein großer Geschäftsmann und ein Menschenkenner, wie die wenigsten seiner Kritiker es sind. Dazu ist er narzisstisch und viel zu oberflächlich, um eine Demokratie zu leiten. Ein werdender Diktator, wenn nicht alles täuscht. Gerade deshalb sollten wir von ihm lernen.

Kommentare

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    Vít Zgažar

    Gesinnungstest Frage 1) Was denken Sie über Atheisten? 2) Wie reagieren Sie, wenn Ihr Bruder/Ihre Schwester...

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      Michał Rusin

      "semantische Bedeutung" redundant?

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