Die entkleidete Postmoderne

Der folgende Text von Richard Dawkins beschäftigt sich mit der Philosophie der sogenannten Postmoderne, erschien erstmals  1998 in Nature (394, 141-3)  und wurde 2003 in seinem Buch „A Devil’s Chaplain – Selected Essays“ unter dem Titel „Postmodernism disrobed“  veröffentlicht.

Übersetzung von Jens Bathmann

 

Die entkleidete Postmoderne

Nehmen wir an, Sie wären ein intellektueller Hochstapler, der nichts zu sagen hat, aber mit großen Ambitionen,  im akademischen Bereich Erfolg zu haben, einen Haufen andächtiger Schüler um sich zu sammeln und Studenten zu veranlassen, Auszüge Ihrer Texte ehrfurchtsvoll mit gelbem Textmarker hervorzuheben. Welchen literarischen Stil würden Sie kultivieren? Sicher nicht einen verständlichen, klaren Stil, denn Verständlichkeit würde ihren Mangel an Gehalt  offenbaren. Es könnte sein, daß Sie etwas wie das folgende produzieren würden:

Es läßt sich klar erkennen, daß es je nach Autor, keine umkehrbare Eindeutigkeit zwischen linearen Gliedern eines Wortgeplänkels oder Arche-Schrift und dieser  multireferentiellen, mehrdimensionalen maschinischen Katalyse gibt. Die Symmetrie des Maßstabs, die Transversalität, der pathische nicht-diskursive Charakter ihrer Ausdehnung: all diese Dimensionen entfernen uns von der Logik der ausgeschlossenen Mitte und bestärken uns in unserer Ablehnung  des zuvor kritisierten ontologischen Binarismus.

Dies ist ein Zitat des Psychoanalytikers Felix Guattari, einer von vielen trendigen französischen Intellektuellen, die von Alan Sokal und Jean Bricmont in ihrem ausgezeichneten Buch “Eleganter Unsinn - Wie die Denker der Postmoderne die Wissenschaften missbrauchen“  bloßgestellt wurden, ein Buch, das eine Sensation auslöste, als es letztes Jahr in  Frankreich veröffentlicht wurde und das nun in einer aktualisierten  und  überarbeiteten Version in  englischer Sprache erschienen ist. [1] Guattari fährt  ewig in dieser Manier fort und offenbart, nach Meinung von Sokal und Bricmont, „die brillanteste Mischung aus  wissenschaftlichem, pseudo-wissenschaftlichem und philosophischem Jargon, die uns jemals untergekommen ist“. Guattaris enger Mitarbeiter, der späte Gilles Deleuze, verfügte über ein ähnliches Talent zum Schreiben:

Zunächst entsprechen die Singularitäts-Ereignisse heterogenen Serien, die sich in einem weder stabilen noch instabilen, sondern „metastabilen“ System organisieren, das über eine potentielle Energie verfügt und in dem sich die Differenzen zwischen Serien verteilen…Zweitens erfreuen sich die Singularitäten eines stets beweglichen und in dem Maße verschobenen Selbstvereinheitlichungsprozesses, in dem eine paradoxes Element die Serien durchläuft und in Resonanz versetzt, das die entsprechenden singulären Punkte im selben Zufallspunkt und alle Ausstreuungen, alle Würfe  in einem einzigen Werfen umhüllt.

Die erinnert an Peter Medawars Charakterisierung eines bestimmten, bei französischen Intellektuellen  verbreiteten Stils (und bitte beachten Sie nebenbei den Unterschied zu Medawars eleganter und klarer Prosa):

Stil ist zu einem Gegenstand größter Bedeutung geworden, aber was ist das für ein Stil! Er hat etwas paradierendes, tänzelndes, voller Selbstgefälligkeit, ohne Frage irgendwie hoch oben, aber wie beim Ballett  von Zeit zu Zeit  in einstudierten Posen innehaltend und scheinbar den Ausbruch des Beifallssturms kurz abwartend. Er hat die beklagenswertesten Auswirkungen auf das moderne Geistesleben…

Das gleiche Ziel von einer anderen Seite aufs Korn nehmend, fährt er fort:

Ich könnte Belege anführen für die Anfänge der Flüsterpropaganda gegen die Tugenden der Klarheit. In einem Artikel zum Strukturalismus, der im ‘Times Literary Supplement‘ erschien, forderte der Autor dazu auf, Gedanken, die aufgrund ihrer Tiefgründigkeit verwickelt und verschlungen sind, am besten in einer Prosa auszudrücken, die absichtlich unklar ist. Was für ein lächerlicher, dummer Vorschlag! Er erinnert mich an einen Luftschutzwart in Oxford zu Kriegszeiten, der uns empfahl, wenn helles Mondlicht den Effekt der Verdunkelungsmassnahmen gefährdete, schwarze Brillen zu  tragen.  Das war damals allerdings als Scherz gemeint.

Dies stammt aus Medawars  Vorlesung über “Wissenschaft und Literatur” [2]. Die Stimmen der Flüsterpropaganda sind seit Medawars Zeiten deutlich lauter geworden. Deleuze und Guattari haben gemeinsam verschiedene Bücher geschrieben und veröffentlicht, die vom gefeierten Michel Foucault als „das großartigste vom Großartigen… eines Tages wird unser Jahrhundert als deleuzianisch gelten“  beschrieben werden . Sokal und Bricmont stellen allerdings fest:

Diese Texte enthalten eine Handvoll  verständlicher Sätze – manche banal, manche fehlerhaft – und wir haben einige in Fußnoten kommentiert. Was den Rest angeht, überlassen wir dem Leser das Urteil.

Aber das verlangt dem Leser einiges ab. Ohne Frage gibt es Gedanken, die so tiefgründig sind, daß es den meisten von uns schwerfallen wird, die Sprache zu verstehen, in der sie ausgedrückt wurden. Auf der anderen Seite gibt es unzweifelhaft auch eine Sprache, die absichtlich verwickelt  und unverständlich daherkommt, um einen Mangel an echtem und aufrichtigem Inhalt zu verschleiern. Aber wie sollen wir den Unterschied feststellen? Was tun, wenn es eines geschulten Auges bedarf, um festzustellen, ob der Kaiser Kleider trägt? In unserem Fall: Wie sollen wir unterscheiden, ob es sich bei der modischen französischen Philosophie, deren Anhänger und Sprachrohre große Teile des US-amerikanischen akademischen Wissenschaftsbetriebes eingenommen haben, um etwas genuin tiefgründiges oder die leere Rhetorik von Marktschreiern und Scharlatanen handelt?

Sokal und Bricmont sind Professoren der Physik an der New York University bzw. der Universität von Leuven.  Sie haben ihre Kritik auf Bücher beschränkt, in denen erstere es gewagt haben,  sich auf  grundlegende  Konzepte  aus der Physik und Mathematik zu berufen. Hier wissen Sokal und Bricmont, wovon sie reden und ihr Urteil ist eindeutig. Zum Beispiel bezüglich Lacan, dessen Name von vielen geisteswissenschaftlichen Fakultäten  an britischen und amerikanischen Universitäten ohne Zweifel auch deshalb  hoch gehandelt  wird, da er profunde Kenntnisse der Mathematik vorgibt:

Lacan verwendet zwar einige Schlüsselwörter aus der mathematischen Theorie der Kompaktheit, doch wirft er damit willkürlich und ohne jede Rücksicht auf ihre Bedeutung um sich. Seine „Definition“ der Kompaktheit ist nicht nur falsch: Sie ist dummes Geschwätz.

Sie fahren mit dem Zitat des folgenden bemerkenswerten Vernunftaktes Lacans fort:

S (Signifikant)/ s (Signifikat) = s (die Aussage)

Setzt man S = (-1), ergibt das: s=√-1 

Man muss kein studierter Mathematiker sein, um zu erkennen, daß das lächerlich ist. Es erinnert mich an einen Charakter von Aldous Huxley, der die Existenz Gottes bewies, indem er eine Zahl durch Null dividierte und hierdurch bei der Unendlichkeit landete. In einem weiteren Akt der Vernunft, der absolut typisch für das ganze Genre ist, folgert Lacan schließlich, daß das erektionsfähige Organ:

auch der √-1 der oben produzierten Bedeutung gleich zu setzen ist, des Genießens, den es durch den Koeffizienten seiner Aussage der Mangelfunktion des Signifikanten wiedererstattet (-1).[3]

Es bedarf nicht der mathematischen Expertise von  Sokal und Bricmont, um zu erkennen, daß der Autor ein Spinner ist. Vielleicht ist er ja ernst zu nehmen, wenn es um nicht-wissenschaftliche Themen geht? Aber ein Philosoph, der sich nicht entblödet, das erektionsfähige Organ mit  √-1  gleichzusetzen, hat zumindest bei mir sein Pulver verschossen, wenn es dann um Dinge geht, von denen ich keine Ahnung habe.

Die feministische Philosophin Luce Iragary ist eine andere, der Sokal und Bricmont ein ganzes Kapitel widmen. In einer Passage, die an eine notorisch feministische Beschreibung von Newtons Principia erinnert (eine „Anleitung zur Vergewaltigung“), behauptet Irigary, daß e=m X c2 eine „sexistische Gleichung“ ist.  Warum das? Weil sie „die Lichtgeschwindigkeit  gegenüber anderen  Geschwindigkeiten, die für uns elementarer notwendig  sind, privilegiert“ (meine Hervorhebung von etwas, das ich gerade als ‚in-word‘  kennenlerne). Genauso charakteristisch für die gerade untersuchte Geistesrichtung  ist Irigarys These zur  Hydromechanik. Flüssigkeiten, so lernen wir, wurden diskriminiert. Die „männliche Physik“ privilegiert feste, solide Körper. Ihre amerikanische Vertreterin Katherine Hayles hat den Fehler gemacht,  Irigarys Gedanken in (vergleichsweise) klarer Sprache wiederzugeben. Und dieses Mal  bekommen wir  einen unverstellten Blick auf den Kaiser und, tatsächlich, er trägt keine Kleider:

Die Bevorzugung der Festkörpermechanik gegenüber der Hydromechanik wie auch die Unfähigkeit der Wissenschaft, mit turbulenter Strömung umzugehen, schreibt sie der Assoziation von Flüssigkeit mit Weiblichkeit zu. Während Männer Geschlechtsorgane haben, die vorstehen und hart werden, haben Frauen Öffnungen, die Menstruationsblut und Vaginalflüssigkeit absondern….Aus dieser Perspektive ist es nicht verwunderlich, daß die Wissenschaft nicht in der Lage war, geeignete Modelle der Turbulenz zu entwickeln. Das Problem turbulenter Strömung ist nicht zu lösen, weil die Vorstellung von Flüssigkeit (und von Frauen) so formuliert wurden, daß zwangsläufig Unartikuliertes bestehen blieb.

Man muß kein Physiker sein, um die dämliche Absurdität der Argumente zu riechen (und den Ton, der uns nur allzu bekannt vorkommen dürfte, zu erkennen), aber es hilft, Sokal und Bricmont als Hilfe an der Hand zu haben, die uns den wahren Grund nennen, warum turbulenter  Fluss eine harte Nuss für Physiker ist ( es hängt mit der  schwierig zu lösenden Navier-Stokes-Gleichung zusammen).  In gleicher Weise führen Sokal und Bricmont Bruno Latours Vermischung von Relativitätstheorie und Relativismus, Lyotards „postmoderne Wissenschaft“ und den  weitverbreiteten und vorhersagbaren Mißbrauch von Gödels Theorem, Quanten-Theorie und Chaos-Theorie vor. Der vielgerühmte Jean Baudrillard ist nur einer von vielen, die Gefallen daran finden, die Leser mit Hilfe der Chaos-Theorie zu verwirren. Wieder einmal helfen uns Sokal und Bricmont, die Tricks, mit denen gespielt wird,  zu durchschauen. Der folgende Satz, „obgleich aus  wissenschaftlicher  Terminologie zusammengesetzt, ist sinnlos, wenn man ihn von einem wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet“:

Vielleicht muß man die Geschichte selbst als eine chaotische Formation betrachten, bei der die Beschleunigung der Linearität ein Ende macht und wo die von der Beschleunigung geschaffenen Turbulenzen die Geschichte endgültig von ihrem Ende entfernen, so wie sie die Wirkungen von ihren Ursachen entfernen.

Ich werde keine weiteren Zitate anführen, denn Baudrillards Text fährt, wie Sokal und Bricmont bemerken,  „in einem allmählichen Crescendo von Unsinn fort“. Sie erinnern uns noch einmal an  „die hohe Dichte wissenschaftlicher und pseudowissenschaftlicher Terminologie, die in Sätze gepresst werden, die, soweit wir herausfinden konnten, frei von jeder Bedeutung sind“.  Ihre Zusammenfassung von Baudrillard kann für jeden der hier kritisierten und in den USA umschwärmten Autoren stehen:

Zusammenfassend lässt sich sagen, daß Baudrillards Arbeiten ein Fülle wissenschaftlicher Ausdrücke enthalten, die unter völliger Mißachtung ihrer Bedeutung und, vor allem, in einem Kontext verwendet werden, in dem sie eindeutig irrelevant sind. Unabhängig davon, ob man sie als Metaphern interpretiert oder nicht, läßt sich kaum erkennen, welche Funktion sie haben könnten, außer trivialen Beobachtungen über Soziologie oder Geschichte den Anstrich der Tiefgründigkeit zu verleihen. Darüber hinaus vermischt Baudrillard die wissenschaftliche Terminologie mit einem nichtwissenschaftlichen Vokabular, das er mit derselben Lässigkeit verwendet. Am Ende fragt man sich, was von Baudrillards Denken noch übrigbleibt, wenn man hinter die Wortfassade blickt.

Aber nehmen die postmodernen Denker  für sich nicht in Anspruch, nur Spiele zu spielen? Ist es nicht der Kern ihrer Philosophie, daß alles möglich ist (‚anything goes‘), daß es keine absolute Wahrheit gibt, daß alles geschriebene den gleichen Status hat, wie alles andere, daß es keine privilegierte Sichtweise gibt.  Ist es nicht, gemessen an ihrem eigenen Glaubensbekenntnis der relativen Wahrheit, unfair, wenn wir Sie dafür in Haft nehmen, Wortspiele zu machen und kleine Scherze mit ihren Lesern zu treiben?  Vielleicht- aber man wundert sich dann doch, warum ihre Schriften so unglaublich langweilig sind. Sollten Spiele nicht wenigstens unterhaltsam sein statt grimmig,  bierernst und prätentiös. Oder – und vielleicht noch bezeichnender – warum reagieren sie, wenn sie doch nur herumscherzen, so erschrocken, wenn jemand mal einen kleinen Scherz auf ihre Kosten macht.

Der Ursprung  des Buches „Eleganter Unsinn“ war ein brillianter Scherz von Alan Sokal und der unglaubliche Erfolg seines coups, wurde nicht mit der vor Freude  schüttelnden Begeisterung begrüßt, die man nach all den Festen dekonstruktiver Spiele der Postmodernen  hätte erwarten können. Anscheinend nimmt die Lustigkeit ab, wenn man Teil des Establishments geworden ist und jemand eine Nadel in den etablierten Luftballon sticht.

Wie mittlerweile bestens bekannt ist, reichte Sokal 1996 bei der amerikanischen Zeitschrift ‘Social Text‘ einen Artikel mit dem Titel  ‘Die Grenzen überschreiten: Auf dem Weg zu einer transformativen Hermeneutik der Quantengravitation‘ ein. Dieser Artikel bestand vom Anfang bis zum Ende nur aus Unsinn. Es handelte sich um eine sogfältig konstruierte Parodie von postmodernem Metagequassel. Sokal wurde hierzu durch  das Buch ‘Higher Superstition : the academic left and its quarrels with science‘  von Paul Gross und Norman Levitt  inspiriert, ein wichtiges Buch, dem in Großbritannien eine genauso weite Verbreitung wie in den USA zu wünschen wäre. Nachdem er kaum glauben konnte, was er hier las, überprüfte er die Referenzen postmoderner Literatur und fand heraus, daß Gross und Levitt nicht übertrieben hatten. Er beschloss, etwas zu unternehmen. In den Worten von Gary Kamiya:

Jeder der sich eine Weile durch die frömmelnd-obskurantistischen, jargontriefenden Niederungen der Geheimsprache bewegt hat, die in den Geisteswissenschaften heute als fortschrittlich gilt, wusste, daß es früher oder später passieren würde: Irgendein intelligenter Akademiker, ausgerüstet mit den nicht so geheimen Losungwörtern (hermeneutisch, transgressiv, lacanisch, Hegemonie,  um nur einige zu nennen) würde einen völlig fingierten Fachartikel schreiben, ihn an eine angesehene Zeitschrift schicken und ihn dort unterbringen….Sokals Werk verwendet alle richtigen Ausdrücke. Er zitiert die  besten Autoren. Er prügelt die Sünder( weiße Männer, die reale Welt) applaudiert den Tugendhaften (Frauen, metaphysischer Blödsinn) ….Und es ist kompletter, kindischer Schwachsinn – eine Tatsache die den mächtigen Herausgebern von ‘Social Text‘ irgendwie entgangen ist und die jetzt die mulmige Empfindung haben müssen, welche die Trojaner hatten, nachdem  sie dieses schöne geschenkte Pferd in ihre Stadt gezogen hatten.

Sokal’s Artikel muß den Herausgebern in der Tat wie ein Geschenk erschienen sein, denn da war endlich ein Physiker, der all die Dinge sagte, die sie hören wollten und  die ‘postaufklärerische Hegemonie‘ und so uncoole Dinge wie die reale Welt attackierte. Sie ahnten nicht, daß Sokal seinen Artikel mit ungeheuerlichen wissenschaftlichen Heulern einer Art, die jeder Physikstudent erkennen würde, vollgepackt hatte. Der Artikel wurde zu keinem solchen Sachverständigen geschickt. Der Herausgeber, Andrew Ross und andere, waren damit zufrieden, daß der Artikel ihre eigene Ideologie bestätigte und vielleicht auch durch Verweise auf ihre eigenen Schriften gebauchpinselt. Diese schmachvolle Stück Herausgebertums brachte ihnen  1996 zu Recht den Ig Nobelpreis für Literatur ein.

Ungeachtet ihrer Tölpelhaftigkeit und ihrer feministischen Ansprüche sind diese Herausgeber Alpha-Männchen in der akademischen Balzarena. Andrew Ross hat die  aus unkündbarer Stellung gespeiste Sicherheit rüpelhafte Sachen zu sagen wie: ‘Ich bin froh, die Englisch-Fakultäten los zu sein. Ich hasse Literatur und diese Fakultäten sind voll von Menschen, die Literatur lieben‘. Und er besitzt die unverfrorene Selbstgefälligkeit, ein Buch über ‘Wissenschaftliche Studien‘ mit diesen Worten zu beginnen: „Dieses Buch ist all den wissenschaftlichen Lehrern gewidmet, die ich nie hatte. Es konnte nur ohne sie geschrieben werden.“ Er und seine Mit-Barone  sind keine harmlosen Exzentriker an drittklassigen Universitäten. Viele haben Professuren auf Lebenszeit an einigen der besten Universitäten der USA. Viele sitzen in Berufungskommissionen und üben Macht über junge Akademiker aus, die möglicherweise heimlich auf eine fundierte akademische Karriere, sagen wir in Literaturwissenschaft oder Anthropologie, hoffen. Ich weiß – denn viele haben mir davon berichtet – daß es dort aufrichtige Wissenschaftler gibt, die sich gerne öffentlich äußern würden, aber eingeschüchtert wurden und schweigen. Ihnen wird Alan Sokal als Held erscheinen und niemand mit einem Sinn für Humor oder Gerechtigkeit wird anderer Meinung sein. Es sei nebenbei angemerkt, wenngleich es für die Frage nicht relevant ist, daß Sokals eigener linker politischer Hintergrund außer Zweifel steht.

In einer detallierten post-mortem Analyse seines berühmten Scherzes, die er an ‘Social Text‘ sandte, wo sie dann, wie zu erwarten, abgelehnt und schließlich an anderer Stelle publiziert wurde, führt Sokal aus, daß  sein Originalartikel zusätzlich zu einigen Halbwahrheiten,  falschen Behauptungen und non-sequitur Fehlschlüssen “einige syntaktisch korrekte Sätze enthielt, die allerdings keinerlei irgendwie geartete Bedeutung hatten “. Er bedauert hier, nicht mehr von dieser Sorte verwendet zu haben: “Ich habe mich sehr angestrengt, aber abgesehen von wenigen Ausbrüchen von Inspiration fehlte mir einfach das Geschick“. Würde er seinen Artikel heute schreiben, hätte er sicher Hilfe gefunden bei einem virtuosen Stück Programmierarbeit, welches von Andrew Bulhak aus Melbourne stammt. Jedes Mal, wenn Sie es  auf : http://www.elsewhere.org/pomo/ besuchen, wird es für Sie einen völlig neuen, grammatikalisch einwandfreien postmodernen Diskurs produzieren. Ich habe die Website gerade besucht und sie hat für mich einen 6000 Wort-Artikel mit dem Titel “ Capitalist theory and the subtextual paradigm of context“ von  “David I.L. Werther and Rudolf du Garbandier of the Department of English, Cambridge University“ hergestellt (Gerechtigkeit der Computerpoesie in diesem Fall, schließlich war es Cambridge, welches  Jacques Derrida eine Ehrendoktorwürde verliehen hat). Hier ein typischer Satz aus diesem beeindruckend gelehrten Werk:

If one examines capitalist theory, one is faced with a choice: either reject neotextual materialism or conclude that society has objective value. If dialectic desituationism holds, we have to choose between Habermasian discourse and the subtextual paradigm of context. It could be said that the subject is contextualized into a textual nationalism that includes truth as a reality. In a sense, the premise of the subtextual paradigm of context states that reality comes from the collective unconscious. [4]

Besuchen Sie den ‘Postmodernism Generator‘. Er ist eine literarisch unerschöpfliche Quelle von zufällig generiertem syntaktisch korrektem Unsinn, vom Original nur dadurch zu unterscheiden, daß die Lektüre viel lustiger ist. Sie können tausende von Artikeln am Tag herstellen, jeder einzigartig, fertig zur Publikation und mit nummerierten Literaturverweisen. Die Manuskripte sollten an das Herausgeberkollektiv  von ‘Social Text‘ gesendet werden, mit doppeltem Zeilenabstand und in dreifacher Ausfertigung.

Was die schwierigere Aufgabe betrifft, die sozialwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fakultäten für echte Wissenschaftler zurückzugewinnen, haben Sokal und Bricmont, zusammen mit Gross und Levitt,  eine freundliche und sympathische Hilfestellung aus der Welt der Naturwissenschaft gegeben. Es bleibt zu hoffen, daß sie angenommen wird.

 

[1] In deutscher Übersetzung veröffentlicht 1999 bei CH. Beck (Anm. d.Ü.)

[2] Veröffentlicht in 'Pluto's republic' Oxford University Press 1982

[3] Sokal und Bricmont ergänzen hier: „Wir gestehen, daß es uns bedrückt, wenn unser erektionsfähiges Organ mit √-1 gleichgesetzt wird. Dies erinnert uns an Woody Allen, der sich in „Der Schläfer“ gegen die Umprogrammierung seines Gehirns wehrt: ‚Sie dürfen mein Gehirn nicht anrühren, das ist mein zweitliebstes Organ.‘“ (Anm. d.Ü.)

[4] Die Übersetzung bleibe hier dem geneigten Leser überlassen (J. B.)

 

 

Kommentare

  1. userpic
    calippus

    Toll das wir solche Sachen jetzt auch auf Deutsch lesen können. Herzlichen Dank an den (freiwilligen) Übersetzer!

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    1. userpic
      Adrian Fellhauer

      Peter Sloterdijk, Deepak Chopra :-P

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