Die Karikatur des Atheismus

Der Bischof von Bradford sieht aus wie ein netter Mann, was die meisten anglikanischen Bischöfe auch sind. Aber er ist auch genauso konfus wie jeder von ihnen, was bereits eine Menge aussagt.

Übersetzung von Daniela Bartl

Die Karikatur des Atheismus

Ruth Gledhill, der unermüdlich ernsthafte „The Times“ – Korrespondent in Religionsangelegenheiten, berichtet, dass Bischof Baines für eine Konferenz der Konrad-Adenauer-Stiftung in Deutschland einen Vortrag vorbereitet (Nebenbei möchte ich ihm zu seinen linguistischen Fähigkeiten gratulieren). Die Konferenz bringt Politiker und Theologen Deutschlands zusammen, um über den „öffentlichen Bereich in Europa“ zu diskutieren. Bischof Baines wurde ersucht, darüber zu referieren, wie die Anglikanische Kirche mit „Nicht-Glauben“ und der „Entfernung vom Gottvertrauen“ umgeht. Ruth Gledhill führt dazu Folgendes aus:

Er wird zwischen Atheisten und „neuen Atheisten“ differenzieren. Bischof Baines sagte: „Leute wie Richard Dawkins sind missionarisch mit einer Aggressivität, die viele vernünftige, rationale Atheisten befremdlich finden. Ich habe keine Probleme mit Atheismus, doch nun gibt es die neuen Atheisten, die missionieren und ihren eigenen Glauben propagieren. Allen Menschen mit religiösem Glauben jeglichen Zutritt zum öffentlichen Bereich zu verweigern wäre sowohl gefährlich als auch irrational.

Er fügte hinzu, dass es eine Gegenbewegung gegen diese „Karikatur des Atheismus“ gebe in Richtung eines „vernünftigeren“ Atheismus, der auch religiösen Stimmen ihren Platz zugestehe.

Das ist ein gutes Beispiel dafür, womit wir es zu tun haben: Religiöse Apologeten, die Zitate anderer religiöser Apologeten wiederkäuen, die sich ihrerseits darauf stützen, was wiederum andere religiöse Apologeten sich ausgedacht haben darüber, was „neue Atheisten“ sagen und wofür sie stehen.

Natürlich habe ich nie versucht, „allen Menschen mit religiösem Glauben jeglichen Zutritt zum öffentlichen Bereich zu verweigern“. Die freie Meinungsäußerung ist kostbar, und selbstverständlich verteidige ich das Recht jedermanns, auf einen öffentlichen Platz oder dergleichen zu gehen und über seine Religion zu sprechen, zu predigen und zu missionieren. Ebenso verteidige ich mein eigenes Recht, und das meiner atheistischen Weggefährten, zu demselben öffentlichen Platz zu gehen und die Worte des Predigers zu kritisieren. Und ich verteidige sein Recht, im Gegenzug zu versuchen, meine Worte zu kritisieren. Nebenbei gesagt, einer der effektivsten Wege, religiöse Glaubensinhalte lächerlich zu machen, ist, sie zu zitieren, wörtlich und ohne Kommentar.

Also, kein Problem mit freier Meinungsäußerung für religiöse Apologeten. Wogegen ich bin ist das Zugestehen eines privilegierten Zutritts zum öffentlichen Bereich für religiöse Menschen, nur weil sie religiös sind: Privilegierter Zutritt für Priester, Imame und Rabbis, der anderen Menschen mit größerer – wenn auch nichtreligiöser – Qualifikation nicht ebenso bereitwillig gewährt wird. Und es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass in Großbritannien und Amerika und, wie ich vermute, auch sonst in den meisten Ländern der Welt religiöse Vertreter in der Tat einen privilegierten Zutritt genießen. Der notorisch geistlose „Gedanke zu Tag“ der BBC ist nur die Spitze eines riesigen Eisbergs. Diskussionsformate zu moralischen, sozialen und sogar politischen Fragen laden fast immer einen Vertreter der christlichen Kirchen (und neuerdings vermehrt auch solche anderer Glaubensrichtungen) ein. Konfessionelle Schulen erhalten öffentliche Fördergelder trotz ihrer diskriminierenden Anstellungs- und Zulassungspolitik. Im Parlament sitzen noch immer 26 anglikanische Bischöfe, und auch Vertreter anderer Glaubensrichtungen werden häufig ins House of Lords berufen. Der Titel „Hochwürden“ allein garantiert noch keinen Zugang zur Leserbriefseite landesweiter Zeitungen, aber wer bezweifelt, dass er doch hilfreich ist!

In meinem Aufsatz „Dolly und die Tuch-Köpfe“ aus dem Jahr 1997 erörterte ich die Frage des privilegierten Zutritts zum öffentlichen Bereich.

 

Dolly und die Tuch-Köpfe

Auf eine Nachricht wie die über das geklonte Schaf Dolly folgt immer ein großer Medienrummel. Zeitungskolumnisten äußeren sich ernst- oder scherzhaft, bisweilen auch intelligent. Radio- und Fernsehproduzenten greifen zum Telefon und trommeln Gesprächsrunden zusammen, um über die moralischen und rechtlichen Aspekte zu diskutieren. Manche dieser Diskussionsteilnehmer sind Experten aus dem Bereich der Wissenschaft, so wie man es erwarten würde und was auch angemessen ist. Ebenso angemessen ist die Teilnahme von Gelehrten der Moral- und Rechtsphilosophie. Vertreter dieser beiden Kategorien werden aufgrund ihres Spezialwissens oder ihrer ausgewiesenen Fähigkeit, klar zu denken und zu formulieren, eingeladen. Die Debatten, die sie miteinander führen, sind üblicherweise aufschlussreich und lohnend.

 

Dies kann jedoch nicht von der dritten, pflichtgemäß geladenen, Kategorie von Studiogästen behauptet werden: die religiöse Lobby. Ich sollte von Lobbys im Plural sprechen, da alle Religionen repräsentiert werden müssen. Dies vervielfacht in der Folge die schiere Anzahl an Studiogästen und verbraucht, um nicht zu sagen verschwendet, mehr Zeit.

 

Aus Anstand werde ich keine Namen nennen, aber während Dollys Ruhmeswoche nahm ich gemeinsam mit einigen prominenten Religionsvertretern an Radio- und Fernsehdiskussionen zum Thema Klonen teil, und es war nicht erbaulich. Einer der bedeutendsten dieser Wortführer legte einen fulminanten Start hin, indem er sich weigerte, den im Fernsehstudio anwesenden Frauen die Hand zu schütteln, anscheinend aus Angst, dass sie gerade menstruieren könnten oder ansonsten „unrein“ wären. Sie nahmen diese Beleidigung gnädiger entgegen als ich es getan hätte, und zwar mit dem „Respekt“, der religiösen Vorurteilen - jedoch nicht Vorurteilen anderer Art - immer entgegen gebracht wird. Als die Diskussionsrunde in Schwung kam, ersuchte die Vorsitzende diesen bärtigen Patriarchen, mit dem sie sehr rücksichtsvoll umging, darzulegen, welche Gefahren vom Klonen ausgingen, und er antwortete, Atombomben seien gefährlich. So ist es, hier sind wir einer Meinung. Aber sollte das Thema der Diskussion nicht das Klonen sein?

 

Da er die Diskussion bewusst auf Atombomben lenkte, wusste er ja vielleicht mehr über Physik als über Biologie? Doch nein, nachdem er die kühne Unwahrheit, Einstein hätte das Atom gespalten, geäußert hatte, wechselte der Weise selbstsicher ins Fach Geschichte. Er gab den aufschlussreichen Hinweis, dass Gott sechs Tage gearbeitet und am siebten geruht hatte, und daher auch Wissenschaftler wissen müssten, wann die Zeit gekommen sei, mit etwas aufzuhören. Nun glaubte er entweder tatsächlich, dass die Welt in sechs Tagen erschaffen worden war; in diesem Fall bewahrt ihn allein seine Ignoranz davor, ernst genommen zu werden. Oder wollte er, wie die Vorsitzende wohltätig vorschlug, seine Wortmeldung nur als Gleichnis verstanden wissen – in diesem Fall war es ein miserables Gleichnis. Manchmal im Leben ist es eine gute Idee, mit etwas aufzuhören, manchmal ist es eine gute Idee, etwas fortzuführen. Die Herausforderung ist, zu entscheiden, wann man aufhört. Das Gleichnis von Gott, der am siebten Tag ruht, sagt uns - für sich genommen - nicht, wann wir in einer bestimmten Situation den richtigen Punkt erreicht haben, um aufzuhören. Als Gleichnis ist die Sechs-Tage-Schöpfungsgeschichte hohl. Als historische Tatsache ist sie falsch. Also warum sollte man sie überhaupt ansprechen?

 

Der Vertreter einer rivalisierenden Religion in derselben Diskussionsrunde war offen gesagt verwirrt. Er äußerte die häufig vorgebrachte Befürchtung, ein menschlicher Klon habe keine Individualität. Er sei kein komplettes, separates menschliches Wesen, sondern nur ein seelenloser Automat. Als ich ihn warnte, dass seine Worte beleidigend für eineiige Zwillinge seien, sagte er, eineiige Zwillinge seien doch ein ganz anderer Fall. Warum?

 

In einer anderen Gesprächsrunde, dieses Mal im Radio, war ein anderer religiöser Diskutant ähnlich ratlos angesichts eineiiger Zwillinge. Auch er hatte „theologische“ Gründe für die Befürchtung, dass ein Klon kein separates Individuum sei und daher keine „Würde“ habe. Er wurde umgehend über die unstrittige wissenschaftliche Tatsache informiert, dass eineiige Zwillinge Klone voneinander sind, mit denselben Genen, so wie Dolly – nur dass Dolly der Klon eines älteren Schafes ist. Wollte er wirklich sagen, dass eineiigen Zwillingen (und wir alle haben welche in unserem Bekanntenkreis) die Würde der separaten Individualität fehlt? Sein Grund dafür, die Relevanz dieses Vergleichs mit eineiigen Zwillingen abzustreiten, war in der Tat sehr seltsam. Er habe großes Vertrauen, wie er uns informierte, in die Macht der Umwelt über die Anlage. In der Lebensumwelt liegt der Grund dafür, warum eineiige Zwillinge in Wirklichkeit unterschiedliche Individuen seien. Wenn man ein solches Zwillingspaar besser kennen lerne, so folgerte er triumphierend, würden sie sogar ein wenig unterschiedlich aussehen.

 

Äh, in der Tat. Und wenn zwischen zwei Klonen fünfzig Jahre liegen, wären ihre Lebensumwelten nicht sogar noch unterschiedlicher? Haben Sie sich nicht soeben selbst ins theologische Bein geschossen? Er verstand es einfach nicht – aber er war ja auch nicht wegen seiner Fähigkeit, einer Argumentationskette zu folgen, eingeladen worden. Ich möchte nicht lieblos klingen, aber doch vorbringen, dass es möglicherweise nicht genug ist, nur der Wortführer eines gewissen „Brauchtums“, eines „Glaubens“ oder einer „Gesellschaft“ zu sein.

 

Religiöse Lobbys und Wortführer von „Brauchtümern“ und „Gesellschaften“ erfreuen sich eines privilegierten Zutritts nicht nur zu den Medien, sondern auch zu einflussreichen Kommissionen an den Schalthebeln der Macht sowie zu Regierungen und Schulausschüssen. Ihre Meinungen werden von Parlamentsausschüssen regelmäßig eingeholt und mit übertriebenem „Respekt“ gehört. Man kann sicher sein, wenn eine beratende Kommission eingerichtet wird, um Richtlinien zum Klonen oder zu jedem beliebigen anderen Aspekt der Fortpflanzungstechnologie zu erörtern, werden religiöse Lobbys darin gewichtig vertreten sein. Vertreter der Religionen verfügen über einen direkten Draht zu Einfluss und Macht, den sich andere erst durch eigene Fähigkeit und fachliche Kompetenz verdienen müssen. Wie wird das gerechtfertigt?

 

Warum duldet unsere Gesellschaft so kleinlaut die bequeme Unterstellung, religiöse Ansichten hätten das Recht, automatisch und ohne Nachfrage respektiert zu werden? Wenn ich von jemandem will, dass er meine Ansichten zu Politik, Wissenschaft oder Kunst respektiert, so muss ich mir diesen Respekt durch Argumente, Vernunft, Redegewandtheit oder einschlägiges Wissen verdienen. Ich muss Gegenargumenten standhalten. Aber wenn meine Ansicht Teil einer Religion ist, müssen sich Kritiker respektvoll auf Zehenspitzen entfernen oder aber der Entrüstung der gesamten Gesellschaft ins Auge sehen. Warum sind religiöse Meinungen derart tabu? Warum müssen wir sie respektieren, nur weil sie religiöser Natur sind?

 

Und wie entscheidet man ferner, welcher der vielen widersprüchlichen Religionen dieser unhinterfragte Respekt gewährt wird, dieser unverdiente Einfluss? Wenn wir einen christlichen Wortführer ins TV-Studio oder Beratungskomitee einladen, sollte es ein Katholik oder ein Protestant sein, oder brauchen wir beide, damit es gerecht zugeht? (In Nordirland ist der Unterschied beispielsweise groß genug, um ein eigenständiges Mordmotiv darzustellen.) Wenn wir einen Juden und einen Muslim einladen, brauchen wir dann jeweils einen orthodoxen und einen reformierten, einen Schiit und einen Sunnit? Und warum nicht einen Vertreter der Moon-Sekte, der Scientologen und der Druiden?

 

Die Gesellschaft akzeptiert aus keinem mir ersichtlichen Grund, dass Eltern automatisch das Recht haben, ihre Kinder mit bestimmten religiösen Ansichten zu erziehen und sie etwa von Biologiekursen, die die Evolution behandeln, abzumelden. Doch alle fänden wir es skandalös, wenn Eltern ihre Kinder aus Kursen über Kunstgeschichte abmeldeten, weil die behandelten Künstler nicht dem elterlichen Geschmack entsprächen. Wir stimmen kleinlaut einem Schüler zu, der meint: „Aufgrund meiner Religion kann ich die Abschlussprüfung nicht am vorgegebenen Tag ablegen; egal, welche Umstände es bereitet, ihr müsst für mich einen eigenen Tag festlegen.“ Es ist nicht offensichtlich, warum wir einer solchen Forderung mehr Respekt entgegen bringen als etwa dieser: „Wegen meinem Basketball-Match (oder wegen dem Geburtstag meiner Mutter) kann ich an diesem Tag nicht zur Prüfung antreten.“ Eine solche bevorzugte Behandlung religiöser Ansichten erreicht ihren Höhepunkt in Kriegszeiten. Eine hochintelligente und ernsthafte Einzelperson, die ihren Pazifismus mittels wohlüberlegter moralphilosophischer Argumente rechtfertigt, erlangt nur schwer den Status eines Kriegsdienstverweigerers. Wenn sie jedoch in eine Religion, deren heilige Schriften den Dienst an der Waffe untersagen, hinein geboren worden wäre, hätte es gar keines weiteren Arguments bedurft. Aus ebendiesem unhinterfragten Respekt gegenüber religiösen Wortführern wird die Gesellschaft bei ihnen vorstellig, sobald Themen wie etwa Klonen im Raum stehen. Vielleicht sollten wir stattdessen auf jene hören, deren Worte selbst es rechtfertigen, dass wir ihnen Beachtung schenken.

 

Religiösen Apologeten sollte der privilegierte Zugang zum öffentlichen Raum verweigert werden, und das habe ich schon oft gesagt. Doch was der Bischof von Bradford getan hat, ist, das Wort „privilegiert“ wegzulassen und in Folge ein Zerrbild meines Arguments zu attackieren. „Karikatur des Atheismus“ ist seine eigene Formulierung und überdies genau das, was er selbst begangen hat.

 

Dolly und die Tuch-Köpfe

Erstmalig abgedruckt in The Independent (1997) und neu abgedruckt in A Devil’s Chaplain, 2003, Weidenfeld & Nicolson

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