Die Kunstfeindlichkeit des Christentums (2/8)

Die subtile Art, Bücher zu verbrennen, Teil 2: Paulus, Augustin und Co.

 

Die Kunstfeindlichkeit des Christentums (2/8)

Papyrusfragment mit verschollenem Werk des altgriechischen Philosophen Empedokles. Quelle: wikimedia.org

 

Denn es steht geschrieben: "Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Ver­stand der Verständigen will ich verwerfen."

Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weltweisen? Hat nicht Gott die Weisheit dieser Welt zur Torheit gemacht?

Paulus, 1. Korintherbrief, 1:19-20

 

Von da aus geht man weiter, die Geheimnisse der Natur, die außer uns liegt, zu ergründen, was zu wissen nichts nützt und nichts anderes ist, als Neugier der Leute.

Augustin, Confessiones 10.35.55

 

Wir wollen uns nicht zwischen Christus und der Welt gleichmäßig aufteilen. Statt der kurzen und hinfälligen Güter soll uns vielmehr ewiges Glück zuteil werden.

Hieronymus, Epistulae 107, 4.9

 

Nach Jesus Christus bedürfen wir des Forschens nicht mehr. Wenn wir glauben, verlangen wir über den Glauben hinaus weiter nichts.

Tertullian, De praescriptione haereticorum 7.14

 

Von allen Schriften der Heiden halte dich fern; denn was willst du mit den fremden Worten oder den Gesetzen und falschen Prophezeiungen, die junge Leute sogar vom Glauben abbrin­gen? Was fehlt dir denn an den Worten Gottes, daß du auf diese Geschichten der Heiden dich stützt?

Katholische Lehre der zwölf Apostel und heiligen Jünger unseres Erlösers (3. Jahrh.), c.2

 

Das frühe Christentum haßte alles und mißtraute allem, was mit Bildung zu tun hatte. Selbst hochgebildete Männer wie Hieronymus und Augustinus kokettierten mit ihrer vorgeblichen Ignoranz.

Es gab mehrere Gründe für diese Einstellung: Einmal war Bildung etwas weltliches, und die Welt war ohne Belang. Hatte Jesus nicht versprochen, daß sie bald enden, und durch das Para­dies auf Erden ersetzt werden würde?1 Später, als das Reich Gottes auf Erden auf sich warten ließ, wandten sich Hoffnung und Erwartung stattdessen dem Himmelreich, dem nächsten Le­ben zu – die Verachtung der Bildung blieb bestehen. Sie war im günstigsten Fall eine Ablen­kung, im schlimmsten Fall eine Bedrohung.2

Die Kirchenväter verabscheuten ganz besonders Philosophie und Theater – oder wandten sich zumindest, was nicht ganz dasselbe ist, in Streitschriften dagegen – welche, respektive, den Glauben und die Moral ihrer Mitgläubigen unterhöhlten (und, im Falle des Theaters, vom Be­such des Gottesdienstes abhielten; es konnte sogar vorkommen, daß eine Kirche sich plötzlich vor dem Prediger leerte, wenn währenddessen irgendwo eine Vorstellung begann).

Zweitens war die Bildung in der griechisch-römischen Antike eng mit der heidnischen Reli­gion verknüpft. Während die Geschichten von Zeus, Athena und Etcetera für heutige Leser, selbst für christliche, nur noch amüsante Lektüre sind, hatten die frühen Christen keine so ent­spannte Einstellung – für sie war diese Religion der Todfeind, im übertragenen und bis zum Beginn der konstantinischen Wende im frühen vierten Jahrhundert oft auch im wortwörtlichen Sinne.

Drittens rekrutierte sich das frühe Christentum überwiegend aus dem, was man heute bildungs­ferne Schichten nennen würde: Sklaven, Handwerker, Tagelöhner. Bildung war ein Privileg der Wohlhabenden und die entscheidende Hürde für jede Art sozialen Aufstiegs (ungefähr wie heute). Der saure-Trauben-Effekt kam also noch hinzu.

Ohne die Bildung ging es allerdings auch nicht. Die Kirche brauchte den Werkzeugkasten an logischen und rhetorischen Methoden, um eine funktionierende Theologie zu entwickeln und mit den diversen internen Glaubensstreitigkeiten fertig zu werden. Sie brauchte eine ethische Lehre, die Jesus' "Sorgt nicht für den andern Morgen"3 ersetzte, was nur unter der Annahme eines baldigen Weltuntergangs Sinn ergab: Wenn der Tag des Gerichts bevorsteht ist es sinn­voll, seine Seele nicht mit kleinlichen Dingen wie Geschäftemacherei und Erwirtschaften des Lebensunterhalts zu beflecken; wenn der Weltuntergang dann aber nicht kommt, ist es inprak­tikabel. Zuguterletzt schließlich: Für die nötige Lobbyarbeit brauchte die Kirche Männer in hohen Positionen, und solche waren nur Gebildeten zugänglich.

Daher wurde, in einem Copy-und-Paste-Verfahren, bei dem jedem Verteidigungsminister der Mund offengestanden hätte, alles für die Kirche brauchbare aus dem heidnischen Bildungs­fundus übernommen, insbesondere philosophische Lehren der Platoniker und Stoiker; Leute wie Augustin, die gleichzeitig hinausschrien, wie sehr sie die Bildung haßten, wirkten hier als Pioniere.

Diese Übernahme geschah im Osten des römischen Reiches, aus dem sich etwa zur gleichen Zeit das byzantinische Reich formte, sehr viel bereitwilliger und umfassender als im Westen. Doch ob Osten oder Westen: Während die Anhänger der alten Religion Bildung als Selbst­zweck sahen und ihr beinahe kultische Verehrung entgegenbrachten, war sie für die Christen in erster Linie Mittel zum Zweck und etwas, zu dessen Annahme sie mühsam überredet wer­den mußten. Im westlichen Teil des römischen Reiches und damit für den lateinischen Zweig seiner Literatur hatte dies verheerende Folgen, als während der Spätantike die staatliche Infra­struktur zusammenbrach und die Kirche als einzige wissensbewahrende Organisation übrig­blieb:

Wenn es überhaupt noch einen Platz gab, wo geistiges Leben eine Stätte finden konnte, so mußte es ihn in den Mauern der Kirche suchen, und hier fand nur so viel Aufnahme, als kirch­lichen Bedürfnissen und kirchlichen Vorstellungen und Vorurteilen entsprach, das heißt, es mußte sich auf Theologie und Erbauung beschränken. – Dannenbauer 1962, Band 2, p.70.

Ab dem fünften Jahrhundert etwa begann das antike Bildungswesen im Zuge von Kriegen und gesellschaftlichen Verwerfungen zu erlöschen. Im achten Jahrhundert konnten nur noch Geist­liche lesen oder schreiben – alle Texte mußten nun vollständig (besser gesagt unvollständig) diesen engen Filter der Kirche passieren.

Ein weiteres, sehr einfaches Problem kam im kriegsverwüsteten, politisch und wirtschaftlich zerrütteten Westen hinzu: Mangel an Schreibmaterial. Wenn jede Seite kostbar und schwer zu beschaffen ist, was kopiert man da, als gläubiger Mönch: Die heilige Schrift, das Wort Gottes, oder einen unerquicklichen Theaterautor? Einen Kirchenvater, oder einen heidnischen Philo­sophen, dessen Ansichten vielleicht noch im Widerspruch zur christlichen Lehre stehen? Sol­che rein pragmatischen Erwägungen verstärkten die ideologische Auslese.

In der Osthälfte verlief die Entwicklung ein wenig glimpflicher: Das Wissen wurde nicht nur mehr geschätzt, es blieb auch, von einer langen Unterbrechung Ende des sechsten bis Anfang des neunten Jahrhunderts abgesehen, die nötige Stabilität erhalten, es zu pflegen. Aber auch hier gab es Einschränkungen, die mit den Befindlichkeiten der christlichen Religion zu tun hatten. Die Philosophie zum Beispiel blieb immer das schwarze Schaf in der Familie – ge­duldet, weil benötigt, aber nicht hoch geschätzt. Es war einer von vielen Bereichen, wo sich Symptome einer tiefergehenden kognitiven Dissonanz zeigten; dieselben Symptome, an denen schon Augustin und seine Kollegen litten:

Die Christen hatten immer ein zwiespältiges Verhältnis zu dem heidnischen Gedankengut, das sie sich notgedrungen zu eigen gemacht hatten. Es erschien, im tiefsten Kern, fremd. Tausend Jahre später während der Renaissance sollte sich diese Einschätzung bestätigen, als es in die Hände von säkularen Humanisten und Forschern geriet und zu einer bedeutenden Waffe ge­gen die geistige und gesellschaftliche Vorherrschaft der Religion wurde.

Bis dahin jedoch wurde es, selbst im verhältnismäßig aufgeschlossenen Osten, stiefmütterlich behandelt. Philosophie, Literatur oder was auch immer: Was man nicht zu brauchen meinte, wurde nicht weiterkopiert. Denn auch im byzantinischen Reich waren Bücher teuer, und auf­wendig herzustellen; selbst in den besten Zeiten, und wie erwähnt machte Byzanz ebenfalls einige Härten durch.

Auf diese Weise geriet allmählich alles in Vergessenheit, was nicht in den neuen christlichen Bildungskanon passte. Ungeschätzte Autoren fielen beim Einsatz der begrenzten Ressourcen leicht hinten runter, zumal christliche Texte natürlich Priorität besaßen, und auch wenn die by­zantinische Gelehrsamkeit im Vergleich zur westlichen sehr hochstand, fehlte doch so einiges: Die philosophischen Schulen der Epikureer, Kyniker und Vorsokratiker; alle Theaterautoren außer Äschylos, Sophokles, Euripides und Aristophanes; alle ionischen Dichter, mit Sappho als der berühmtesten Vertreterin; die gesamte lateinische Literatur, nachdem Latein nicht mehr als Zweitsprache in Gebrauch war; usw.

Die Christen haben keine Bibliotheken angezündet und keine Büchervernichtung betrieben – meistens jedenfalls.4 Aber sie waren schlechte Staffelträger für das antike Wissen, und ihre Bildungsfeindlichkeit hat ihren Teil zu den antiken Bücherverlusten beigetragen. Sie haben uns, mit Unterstützung der islamischen Länder, den Teil überliefert, den wir heute besitzen – zögerlich und (je nach West und Ost in verschiedenem Maße) ohne besonders traurig zu sein, wenn etwas verloren ging. Wir hätten mehr, wäre das Christentum an der Welt interessiert ge­wesen, anstatt sie zu verachten.

 

Quellen:

Dannenbauer, H.: Die Entstehung Europas. Stuttgart, W. Kohlhammer GmbH, 1962.

Deschner, K. H.: Kriminalgeschichte des Christentums, Band 3: Die Alte Kirche. Reinbeck, Rowohlt, 1990.

(Die Quellenangaben hinter den Anfangszitaten verweisen auf die jeweiligen Originale. Die Übersetzungen wurden den obenstehenden Publikationen entnommen.)

Lutherbibel, revidierte Ausgabe 1912, im Projekt Gutenberg.

Laiou, A. E. (ed.): The Economic History of Byzantium, From the Seventh through the Fifteenth Century. Vol. 1. Washington, D.C., Dumbarton Oaks Research Library and Collection, 2002.

 

1 "Wahrlich, ich sage euch: Es stehen einige hier, die werden den Tod nicht schmecken, bis sie den Menschen­sohn kommen sehen in seinem Reich." – Matthäus 16:28.

2 "Bildung ist ein Stück von der Welt, die der Asket um Gottes Willen verlassen hat, sie ist für den um sein Seelenheil besorgten überflüssig, ja schädlich, wenn nicht gar Teufelswerk, das ihn von dem Einen, das not ist, ablenkt und auf sündhafte Gedanken bringt." – Dannenbauer 1962, Band 2, p.69.

3 Matthäus 6:34

4 Es gab zwar über die Jahrhunderte etliche einzelne Vorfälle, aber als generellen Wesenszug läßt es sich nicht bezeichnen. Was sie jedoch tatsächlich systematisch vernichteten, sobald sie die Macht dazu hatten, waren fremde religiöse Texte (z.B. heidnische Orakelbücher oder manichäische Schriften) und heidnische Tempel.

Kommentare

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    calippus

    Sehr gut!

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      DB

      Ich habe mich schon auf die Fortsetzung dieser spannenden Reihe gefreut. Ein wichtiges Stück Aufklärungsarbeit, danke!

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        Max Ostermeier

        klingt hochwissenschaftlich. Was mir zu denken gibt: wenn Ihr recht habt, is das für die Christen nicht weiter schlimm, die meisten, die ich kenne führen ein glückliches Leben. Wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass wie die Christen behaupten die Wahrheit in der Bibel zu finden ist könnts am Ende für Dawkins und seine Jünger ziemlich ungemütlich werden. Ich finde ehrlich gesagt dieses Zusammenkratzen von Argumenten gegen Christen/ Gott/Bibel und die damit verbundene Stimmungsmache genauso daneben wie das energische Höllengerede der Evangelikalen. Aus meiner Sicht sollte jeder für sich selbst den richtigen Weg finden, ohne sich unüberlegt auf die ein oder andere Seite ziehen zu lassen.

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