Die Kunstfeindlichkeit des Christentums (3/8)

Die unsubtile Art, Bücher zu verbrennen, Teil 1: Cisneros und die Mauren

Ab dem siebenten Jahrhundert erwuchs dem Christentum eine höchst unliebsame und bedroh­liche Konkurrenz in Gestalt des aufstrebenden Islam. Während im nordöstlichen Mittelmeer­raum das byzantinische Reich seine Expansion behinderte, wurden der nahe Osten und die af­rikanischen Küstenregionen zügig erobert. In den Jahren 711-719 fiel auch der größte Teil der iberischen Halbinsel unter islamische Herrschaft.

Das maurische Spanien (oder al-Andalus, wie es die Eroberer nannten, wovon sich heute noch der Name der Landschaft Andalusien ableitet) entwickelte sich bald zu einem der bedeutends­ten Gelehrtenzentren der arabischen Welt. In diesen Zentren fand das goldene Zeitalter des Is­lam statt, die ungeheure kulturelle Blüte im Frühmittelalter, die sich umso stärker vom Verfall in Westeuropa und – in geringerem Grad – Byzanz während derselben Epoche abhebt; wobei an letzterem der Islam nicht ganz unschuldig war.

Die Kunstfeindlichkeit des Christentums (3/8)

Cisneros als Kardinal. Quelle: wikimedia.org

Während in Westeuropa selbst die Könige Analphabeten waren (und sogar Mönche, die Ikone christlicher Gelehrsamkeit, konnten oft weder lesen noch schreiben) forderte der Koran seine Anhänger dazu auf, die Worte des Propheten eigenhändig zu lesen, was zu einem völlg ande­ren Stellenwert der Bildung als im Christentum führte.1 Während die Christen auf Pergament angewiesen waren und für eine Kopie der Bibel etwa 200 Schafshäute benötigten, kannten Muslime das Papier, von ihren Kontakten mit dem chinesischen Reich. Und im Gegensatz zu den christlichen genossen die islamischen Länder die ökonomische Kraft und politische Stabi­lität für herausragende kulturelle Leistungen.

Zu einer Zeit, als eine Klosterbibliothek des christlichen Westeuropa maximal einige tausend Bücher enthielt, enthielten maurische Bibliotheken hunderttausende. Und es war auf dem Um­weg über Spanien, daß die abendländischen Christen zum ersten Mal wieder mit vergessenen griechischen Autoren wie Aristoteles, Hippokrates und Euklid in Kontakt kamen – nachdem das Griechische, einst die Zweitsprache jedes gebildeten Römers, und mit ihm die griechische Literatur, Jahrhunderte zuvor aufgegeben worden waren. Die Muslime hatten deren Schriften entweder bei ihren Eroberungen, oder durch Austausch mit dem byzantinischen Reich an sich gebracht.

Obwohl der kulturelle Austausch bereits vor der ersten Jahrtausendwende einsetzte, begann er so richtig erst mit der christlichen Rückeroberung Spaniens und der maurischen Bibliotheken im elften bis dreizehnten Jahrhundert. "Aneignung" ist für diese Phase wohl der bessere Aus­druck. Die christlichen Gelehrten standen vor einer ungeahnten Fülle neuen oder neuentdeck­ten Materials, und diesmal war das geistige Klima anders, sodaß sie gewillt waren, sich damit auseinanderzusetzen. Die Scholastik nahm hier ihren Anfang (hauptsächlich), und der später entstandene Humanismus profitierte ebenfalls enorm.

 

Im Jahr 1265 war die gesamte iberische Halbinsel von Christen besetzt – mit Ausnahme eines kleinen unbeugsamen (nun ja, tributpflichtigen in Wahrheit) Emirates im äußersten Süden, das sich etwa zweihundert Jahre länger halten konnte: Dem Emirat von Granada.

1469 wurden durch die Heirat zwischen Isabella von Kastilien und Ferdinand von Aragón die zwei Herrschaftsgebiete vereinigt2 und somit de facto das Königreich Spanien geschaffen (da beide trotz der gemeinsamen Regierung ihre jeweilige Krone behielten, war erst ihr Erbfolger Karl V. König eines vereinten Reiches). Nachdem sie ihre Länder innenpolitisch geordnet hat­ten, stand als wichtiger Punkt der Tagesordnung die Eroberung Granadas an:

 

[…] durch Erhöhung des allgemeinen Wohlstands, durch Vergrößerung der königlichen Ge­walt und Einkünfte, sowie durch Beilegung der verderblichen Fehden des Adels für größere Unternehmungen befähigt, gedachte Isabella mit Hülfe ihres kriegskundigen Gemahls ein Werk zu vollführen, welches der christlichen Kirche wie der spanischen Krone Ehre und Ge­winn in reichlichem Maaße bringen sollte. – Hefele 1851, p. 22.

 

Daß, wie Hefele hier impliziert, Isabella die treibende Kraft hinter den Eroberungsplänen war, ist durchaus glaubwürdig. Sie war eine fähige und entschlossene Herrscherin – die "verderb­lichen Fehden des Adels" hatte sie beigelegt, durch den Aufbau einer ebenso wirksamen wie erbarmungslosen Polizeitruppe – und außerdem eine strenggläubige Christin.

Die Kämpfe um Granada begannen im Jahr 1481. Dessen Kapitulationsurkunde wurde am 25. November 1491 unterzeichnet, und am 2. Januar rückten spanische Truppen in die Hauptstadt ein. Der letzte maurische Herrscher ging ins Exil. Die Eroberung wurde von den christlichen Staaten Europas mit Jubel aufgenommen ("[…] die weltlichen Throne wetteiferten mit dem heiligen Stuhl in prachtvollen Festen […]" – Hefele 1851) und der Papst verlieh Isabella und Ferdinand den Ehrentitel "katholische Könige".

Eine Kapitulationsbedingung war, daß die maurische Bevölkerung weiterhin frei ihre Religion ausüben durfte. Von spanischer Seite her wurde diese Bedingung zunächst eingehalten, auch wenn die katholischen Könige sich das Recht zur friedlichen Mission vorbehielten. Granada wurde zu einem Erzbistum erklärt (bereits vor der islamischen Eroberung Spaniens war es ein Bischofssitz gewesen) und Hernando de Talavera als Erzbischof eingesetzt, der nun mit einem Gouverneur zusammen das Gebiet verwaltete. Talavera setzte auf Debatte und Geduld und er­warb sich großen Respekt bei den Mauren; angeblich lernte er sogar Arabisch, um sich besser mit ihnen zu verständigen. Trotz seiner milden Methoden war er ein recht erfolgreicher Be­kehrer – inwieweit er die Menschen tatsächlich überzeugte, oder inwieweit sie sich aus oppor­tunistischen Gründen selbst um Anpassung bemühten, sei dahingestellt.

 

1499, sieben Jahre nach der Eroberung, besuchte das Königspaar erneut Granada. Mit ihnen reiste Jiménez de Cisneros (nach alter Schreibweise Ximenes), Erzbischof von Toledo und in Nachfolge Talaveras Beichtvater der Königin Isabella. Beides machte ihn zu einer der einfluß­reichsten Personen am Hof.

Das Bekehrungswerk ging Cisneros oder vielleicht auch Isabella zu langsam; bei Abreise der Herrscher blieb er in Granada, um neben Talavera die Missionsarbeit zu leiten und wenn mög­lich zu beschleunigen. Dies tat er auf ausgesprochen pragmatische Weise: Er lud die obersten Priester und Gelehrten der Stadt zu einer Konferenz ein und bestach sie, den neuen Glauben anzunehmen.

Die Maßnahme hatte den gewünschten Erfolg: Viele Mitglieder der religiösen Oberschicht be­kehrten sich, und die einfache Bevölkerung folgte ihrem Beispiel. An der folgenden Massen­taufe nahmen angeblich 4000 Personen teil, die Cisneros mit einem nassen Tuch besprengen mußte, statt jeden individuell zu übergießen.

Der Triumph scheint Cisneros zu Kopf gestiegen zu sein: Nicht nur bekehrte er jetzt einen der wichtigsten maurischen Führer gewaltsam, in Übertretung des Abkommens – um den Islam endgültig zu vernichten ließ er sämtliche arabischen Texte, deren man habhaft werden konnte, einsammeln, auf einem Haufen zusammentragen und verbrennen.

Die Schätzungen, wie viele Bücher verbrannt wurden, gehen weit auseinander, von 5000, was sicher zu wenig ist, zu phantastischen einer Million. Eine bessere Annahme liegt vermutlich in der Größenordnung von einigen zehn- bis etwa hunderttausend.

Die meisten dieser Bücher waren Koranhandschriften und religiöse Texte, aber es waren auch philosophische und wissenschaftliche Werke dabei. Inhalt, oder Schönheit, zählten nicht. War es islamisch, mußte es zerstört werden.

Granada war das letzte Zentrum der maurischen Gelehrsamkeit in Spanien, und auch wenn es keinesfalls solche Bedeutung hatte wie die großen Bibliotheksstädte früherer Jahrhunderte, oder sie jemals besessen hatte, bestand hier erstens eine weit zurückreichende Bildungstradi­tion, und zweitens war es während und nach Eroberung des übrigen maurischen Herrschafts­gebiets ein Sammelbecken für alles, was aus diesem angeschwemmt wurde. Wir können daher nur raten, was Cisneros alles vernichtete.

Die Verbrennung, und Zwangs-Rückbekehrungen von zum muslimischen Glauben übergegan­genen Christen, führten zu einer Revolte, in der Cisneros beinahe sein Leben verlor. Talavera und der Gouverneur konnten sie friedlich beilegen, die Vergeltung der Krone allerdings brach­te ein Ende der Religionsfreiheit, Zwangsbekehrung oder Auswanderung für die Mauren. Das hatte kulturelle Folgen, die über die unmittelbare Bücherverbrennung hinausgingen:

 

Auf diese Weise wurde die arabische Literatur eine Seltenheit in den Bibliotheken gerade des Landes, aus dem sie stammte; und arabische Gelehrsamkeit, einst so blühend in Spanien, und das in wesentlich unschöneren Zeitaltern, geriet langsam in Verfall aus Mangel an Nahrung. – Prescott 1872, p. 415.3

 

Nun, aber warum ist das relevant? Früher brannten Bibliotheken regelmäßig von selber ab. Es gab Kriege, Plünderungen und so weiter. Und obwohl die katholische Kirche gerne und häufig Bücher anzündete, richtete sich dies in der Regel nur gegen bestimmte Autoren und Schriften. Eine Zerstörung ganzer Bücherbestände, wie Cisneros sie beging, kam selten vor. Geht seine Tat nicht einfach im Hintergrundrauschen der Geschichte unter?

Hierauf läßt sich zunächst erwidern, daß es darum geht, was die Religion getan hat, nicht was alle anderen taten. Kriege und Unfälle mögen auf der Welt mehr Kulturgut vernichtet haben, die Religion ist für ihren Teil verantwortlich. Und genau wie Kriege oder Unfälle sollte Reli­gion möglichst vermieden werden, auch wenn es niemals vollständig gelingt.

Cisneros Handlungen sind aber noch aus einem anderen Grund interessant: Die meisten seiner Biographen, kirchliche und säkulare, sprechen von der Bücherverbrennung in Granada als von einer unglücklichen Entgleisung, und sprechen sonst sehr positiv von ihm. Er war eigentlich ein Freund des Wissens, gründete zu dieser Zeit eine Universität (für welche er einige hundert medizinische Texte vor der Verbrennung aussortierte) und wurde später zu einem bedeutenden Förderer des spanischen Literaturbetriebs. Auch mußte er wissen, was die Kultur des christli­chen Abendlandes den Mauren und ihren Bibliotheken verdankte. Was konnte einen solchen Mann zu einer solch barbarischen Tat bewegen?

 

Die Hoffnungen des Ximenes auf ein baldiges Ende des Islam in Granada wurden hiedurch [die Massentaufe und Zwangsbekehrung eines maurischen Führers] immer stärker, so daß er nicht mehr auf den Rath derer hören mochte, die – minder eilig – den völligen Sieg des Glau­bens von der Zukunft erwarten wollten. Im Gegentheil meinte er, das Säumen und Warten sei eine Versündigung am Seelenheile der Mauren, und die gute Sache fordere eher beschleunigt, als zurückgehalten und verzögert zu werden. – Hefele 1851, p. 57.

 

Bücherverbrennung, Zwangsbekehrungen, die Inquisition (deren spanische Zweigstelle eben­falls von Isabella und Ferdinand eingerichtet wurde) – nichts von alledem ergibt Sinn, wenn man sich nicht vor Augen hält, daß die Menschen tatsächlich an dieses Dogma glaubten: Wer die falsche Religion hat ist zur Hölle verdammt, und ihn vor diesem Schicksal zu bewahren (oder andere, durch das abschreckende Beispiel) rechtfertigt alles, was man ihm in dieser Welt antut.

Apropos: Daß die "spanische Inquisition" heute ein Synonym für die Organisation an sich und in der Regel sie gemeint ist, wenn jemand von der Inquisition und ihren Greueln spricht, hat seinen Ursprung ebenfalls in der islamischen Vergangenheit Spaniens: Wegen ihr gab es eine große Menge zum Christentum konvertierter Mauren und Juden im Land – die unter der isla­mischen Herrschaft sehr viel freier waren als in christlichen Ländern, und sich zu einer bedeu­tenden Bevölkerungsgruppe entwickeln konnten – gegen die sich der Verdacht richtete, heim­lich ihren alten Glauben weiter auszuüben. Die spanische Inquisition betraf in der Regel sie und war vor allem aufgrund dieser besonderen demographischen Umstände, die besonderen Anlaß zu religiösem Eifer gaben, so widerwärtig.

Eine Religion mit Missionsauftrag ist darauf programmiert, schädlich zu sein – auch für die Kunst.4

 

 

Almansor:

Wir hörten daß der furchtbare Ximenes,

Inmitten auf dem Markte, zu Granada –

Mir starrt die Zung im Munde – den Koran

In eines Scheiterhaufens Flamme warf!

 

Hassan:

Das war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher

Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.

 

Heinrich Heine: Almansor. Eine Tragödie.

 

 

Quellen:

Hefele, C. J.: Der Kardinal Ximenes und die kirchlichen Zustände Spaniens am Ende des 15. und Anfange des 16. Jahrhunderts. Insbesondere ein Beitrag zur Geschichte und Würdigung der Inquisition. Tübingen, Verlag der H. Laupp'schen Buchhandlung, zweite verbesserte Auflage 1851.

Prescott, W. H.: History Of The Reign of Ferdinand And Isabella The Catholic. Philadelphia, J. B. Lippincott Company, 1872. (Übersetzung durch den Autor.)

Lyell, J. P. R.: Cardinal Ximenes. Statesman, Ecclesiastic, Soldier And Man Of Letters. With An Account Of The Complutensian Polyglot Bible. London, Grafton & Co., 1917.

Merton, R.: Cardinal Ximenes And The Making Of Spain. London, Kegan Paul, Trench Trubner & Co., Ltd., 1934.

Prince, C.: The Historical Context of Arabic Translation, Learning, and The Libraries of Medieval Andalusia. Li­brary History, Vol. 18, No. 2, pp. 73-87, 2002.

Der Koran. Stuttgart, Kohlhammer, 2010.

 

1 "Trag [Worte der Schrift] vor! Dein Herr, edelmütig wie niemand auf der Welt ist es ja, der den Gebrauch des Schreibrohrs gelehrt hat [oder: der durch das Schreibrohr gelehrt hat], den Menschen gelehrt hat, was er [zuvor] nicht wußte." – Sure 96, Vers 3-5.

2 Zum Zeitpunkt der Heirat waren beide noch Thronfolger; Isabella erbte 1474, Ferdinand 1479.

3 "Thus Arabian literature became rare in the libraries of the very country to which it was in-digenous ; and Arabic scholarship, once so flourishing in Spain, and that too in far less polished ages, gradually fell into decay from want of aliment to sustain it."

4 Und ja, das schließt den Islam mit ein, wie wir kürzlich an der Bibliothek von Timbuktu feststellen konnten: http://archaeologik.blogspot.de/2013/01/ausgetrickst-timbuktu-manuskripte.html

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