Die Kunstfeindlichkeit des Christentums (4/8)

Die unsubtile Art, Bücher zu vernichten, Teil 2: Die Maya – eine Nationalliteratur in drei Bänden

Die Kunstfeindlichkeit des Christentums (4/8)

 

Was gut war schrieb man ins Gebot

Die dummen Heiden schlug man tot

Die machten zuviel Ärger nur

Mit ihrer eigenen Kultur.

 

Robert Long: Jesus führt

 

Auch wenn Jiménez de Cisneros sich alle Mühe gab, eine fremde Kultur auszutreten, reicht er doch nicht an seinen Kollegen Diego de Landa heran.

Landa war ab 1561 Ordensprinzipal der Franziskanermönche in Guatemala und dem fünfzehn Jahre zuvor eroberten Yucatán. Als solcher übte er, da noch kein Bischof eingetroffen war, die höchste religiöse Autorität in der Region aus, die er dazu gebrauchte, rigoros gegen "Götzen­diener" vorzugehen, das heißt Ureinwohner, die an ihrer alten Religion festhielten. Seine Ver­folgungen gipfelten in einem Autodafé am 12. Juli 1562, das in der Ortschaft Maní stattfand. Diesen Teil kann uns Landa selbst erzählen:

 

Als diese Leute in der Religion unterrichtet […] waren, wie wir gesagt haben, wurden sie von den Priestern verführt, die sie in ihrem Götzendienst hatten, und auch von den Häuptlingen, so daß sie abermals Götzen anbeteten und Opfer brachten, die nicht nur aus Räucherwerk, sondern auch aus Menschenblut bestanden [Anm.: Es geht nicht hervor, ob Landa rituelles Abzapfen von Blut oder Menschenopfer meint – dazu gleich mehr]; hierüber stellten die Mönche eine kirchliche Untersuchung an und baten den Oberrichter [Anm.: Das heißt, den weltlichen Arm] um Hilfe, sie setzten viele gefangen und führten Prozesse gegen sie durch; und es wurde ein Auto­dafé abgehalten, bei dem sie viele auf Schaugerüste setzten, sie auspeitschten, sie kahlschoren und einigen für eine gewisse Zeit das Büßerhemd anzogen; andere, die vom Teufel getäuscht wurden, erhängten sich aus Trübsinn, und gemeinsam zeigten alle große Reue und den Willen, gute Christen zu werden. – Landa, ca. 1566 (1990), p. 44.

 

Und weiterhin:

 

Diese Leute gebrauchten auch bestimmte Schriftzeichen oder Buchstaben, mit denen sie in ih­ren Büchern ihre alten Geschichten und ihre Wissenschaften aufschrieben, und durch sie, die Bilder und einige Zeichen an den Bildern verstanden sie ihre Angelegenheiten, machten sie anderen begreiflich und lehrten sie. Wir fanden bei ihnen eine große Zahl von Büchern mit diesen Buchstaben, und weil sie nichts enthielten, was von Aberglauben und den Täuschun­gen des Teufels frei wäre, verbrannten wir sie alle, was die Indios zutiefst bedauerten und be­klagten. – ebd., p. 135.

 

Künstlerische Reproduktion eines Details aus dem Dresdener Maya-Kodex. Quelle: wikimedia.org.

 

Die harsche Reaktion Landas und der Franziskaner erklärt sich damit, daß es sie selbst über­rascht hatte, wie lebendig der alte Glauben trotz ihrer Missionierungsversuche noch war. Sie waren schockiert. In Yucatán hatten sie faktisch ein religiöses Monopol, Maní und die dazuge­hörige gleichnamige Provinz waren ihr Hauptquartier und ihre vermeintliche Erfolgsstory, sie hatten geglaubt, die Ureinwohner nähmen ihre Lehren bereitwillig an; nun fühlten sie sich be­trogen, verunsichert und enttäuscht.

Hinzu kam die bekannte Sorge um das Seelenheil der Missionierten, verstärkt durch die Tat­sache, daß jene reihenweise an importierten Seuchen starben. Jede Verzögerung beim Durch­setzen des Glaubens verdammte eine große Zahl Menschen zur Hölle.

Diese und wohl noch andere Faktoren wirkten zusammen und erklären die exzessive Gewalt­anwendung der Mönche: Im Zeitraum Juni bis August 1562 wurden über 4500 Personen unter der Folter befragt – Befragungen wurden oft nicht dokumentiert, was eine hohe Dunkelziffer nahelegt – von denen 158 starben, mindestens 13 Selbstmord begingen, um der Folter zu ent­gehen, und etliche weitere lebenslang verkrüppelt wurden (eine der am meisten gebrauchten Verhörmethoden bestand darin, das Opfer über ein Seil an den hinter dem Rücken zusammen­gebundenen Händen hinaufzuziehen, was zur Zerstörung der Schultergelenke führen konnte). Verurteilte wurden, außer zu Peitschenhieben, zu Geldstrafen und Zwangsarbeit verurteilt, in beliebiger Kombination.

Die erfolterten Geständnisse berichteten auch von Menschenopfern. Sie kamen, wohlgemerkt, erst ab dem 11. August zustande und können somit nicht das Autodafé oder die Brutalität der Mönche erklären, dienten aber zur nachträglichen Rechtfertigung. Wenn es die Falschen taten, war Menschen zu Tode foltern natürlich schlecht. Ob Menschenopfer tatsächlich noch prakti­ziert wurden, wie vor der Eroberung, bleibt ungeklärt und hängt davon ab, inwieweit diese Art Geständnisse zuverlässig waren. Landa glaubte jedenfalls daran (und es gibt gute Argumente, daß sein Glaube Vater der Geständnisse war; Selbsthinterfragung war nicht unbedingt Landas Stärke).

 

Das Autodafé war ein Akt der psychologischen Kriegsführung. Es sollte die Ureinwohner ein­schüchtern und zum Gehorsam zwingen, und es war eine Machtdemonstration gegenüber den nichtgeistlichen Spaniern, Siedler und Verwaltungsbeamte, die Landas Vorgehen kritisiert hat­ten (es bestand ein systemischer Konflikt zwischen Verwaltungsbeamten, die die Ureinwohner ruhig halten wollten, um sie besser ausbeuten zu können, und den Missionaren, die sie um jeden Preis bekehren wollten, auch den der öffentlichen Ruhe). Es ging um die Wiederherstellung der Autorität.

Verbrannt wurden über 20.000 Götterbilder und rituelle Gerätschaften, und etwa 40 Codices. Letzteres mag nicht so schlimm klingen, im Vergleich mit den zehntausenden Büchern, die in Granada verbrannt wurden. Doch das Autodafé in Maní war groß, die vorherige Untersuchung war umfassend und betraf eine bedeutende Provinz, und Codices waren ihrerseits heilige Ob­jekte, keine Alltagsgegenstände. Die Maya waren außerdem lange, schon vor der Invasion der Spanier, nicht mehr auf ihrer einstigen zivilisatorischen Höhe. Man kann davon ausgehen, daß es insgesamt nicht sehr viele Codices gegeben hat, und daß ein signifikanter Anteil in diesem einzigen Feuer zerstört wurde.

Es muß auch bedacht werden: Das Autodafé war lediglich ein markanter und exemplarischer Vorfall; natürlich bestand Unterdrückung des "Götzendienstes" schon davor, und ging danach weiter.

Mit Eintreffen des Bischofs Francisco de Toral im August 1562 wurde zwar der Gebrauch der Folter untersagt, verhängte Strafen umgewandelt oder zurückgezogen und verbliebene Unter­suchungshäftlinge freigelassen (Toral stand den Berichten über Menschenopfer skeptisch ge­genüber und legte sie nach eingehender Untersuchung als unbewiesen zu den Akten); Landa selbst wurde von Toral beschuldigt, sich durch die Ermittlung bischöfliche Kompetenzen an­gemaßt und mit einer Grausamkeit gehandelt zu haben, welche die legalen Grenzen übertrat – Ersteres zu unrecht, Letzteres zu recht – und mußte Ende April 1563 nach Spanien zurückkeh­ren, um sich dort den Anschuldigungen zu stellen. Auch unter Toral wurde aber zum Teil hart gegen den alten Glauben vorgegangen, und zum Teil hatte er seine Untergebenen, die loyal zu Landa standen, auch gar nicht im Griff.

 

Landas Prozeß zog sich bis ins Jahr 1569, endete aber mit Freispruch. Im Jahr 1571 trat er die Nachfolge des verstorbenen Francisco de Toral an, und erreichte Yucatán im Oktober 1573. In den nächsten vier Jahren folgte eine landesweite Kampagne gegen die angestammte Religion, welche Landas Aktionen in Maní in den Schatten stellte. Landa und seine Stellvertreter folter­ten, inhaftierten und bestraften erneut tausende von Ureinwohnern wegen sogenannter Götzen­anbetung.

Das Religionsmonopol der Franziskaner wurde bald nach Landas Tod gebrochen, aber auch danach blieben die Umstände für das Überleben eines Kodex' nicht die besten – jahrhunderte­lang. Es mußte schon, nach Ansicht der Missionare wortwörtlich, mit dem Teufel zugehen. Wir wissen nicht genau, wie viele Maya-Codices es vor Ankunft der Spanier gab, aber wir wissen genau, wie viele es heute noch sind: drei.

Neben diesen existiert noch das Popol Vuh oder "Buch des Rates", unsere Hauptquelle für die Religion der Maya, das möglicherweise die Transkription eines Kodex' in lateinische Schrift darstellt, und verschiedene Aufzeichnungen mündlicher Überlieferung, die jedoch mehr oder minder starke christliche Einflüsse zeigen. Unverfälschten Einblick in die vor-kolumbianische Zeit geben nur die originalen Codices. Die erhaltenen sind ritueller und prophetischer Natur, doch es gab nach Landas eigener Auskunft auch solche, die Geschichten und Mythen enthiel­ten. Es ist schwer zu sagen, was durch ihn und andere Kirchenmänner alles verloren gegangen ist.

Die Maya-Religion selbst dagegen überlebte, und profitierte ironischerweise sogar von Landas Verfolgung: Diese zementierte die bestehenden Autoritätsstreitigkeiten und Interessenskonflik­te zwischen weltlicher und geistlicher Regierung, und führte dazu, daß beide Seiten sich lieber gegenseitig in den Arm fielen, als bei der Unterdrückung der Ureinwohner zusammenzuarbei­ten. Die Maya ihrerseits verstanden es, beide Seiten gegeneinander auszuspielen, und sich so vor den gröbsten Übergriffen zu schützen. Den teilweisen Erhalt ihrer Kultur verdanken sie dem Machtkampf der Eroberer untereinander.

 

Quellen:

Landa, D. de: Bericht aus Yucatán. Leibzig, Reclam, 1990.

Clendinnen, I.: Ambivalent Conquests: Maya and Spaniard in Yucatan, 1517-1570. Cambridge Latin American Studies 61. Cambridge University Press, 1987.

Chuchiak IV, J. F.: In Servitio Dei: Fray Diego de Landa, the Franciscan Order, and the Return of the Extirpation of Idolatry in the Colonial Diocese of Yucatán, 1573-1579. The Americas 61:4, pp. 611-646, 2005.

(Clendinnen und Chuchiak widersprechen einander teilweise in zeitlichen Angaben: Clendinnen zufolge kam To­ral im August 1562 in Yucatán an, Chuchiak zufolge im April 1563. Landa kehrte Clendinnen zufolge 1573 nach Yucatán zurück, Chuchiak zufolge 1572. In beiden Fällen wurden die plausibleren Angaben Clendinnens über­nommen.)

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