Ein Juwel der Aufklärung

Karlheinz Deschner ist tot. Der "größte Kirchenkritiker aller Zeiten" (Dieter Birnbacher) starb am vergangenen Montag im Alter von 89 Jahren in seiner Heimatstadt Haßfurt. Ein Nachruf von Michael Schmidt-Salomon.

Ein Juwel der Aufklärung

Foto: Evelin Frerk

"Aufklärung ist Ärgernis, wer die Welt erhellt, macht ihren Dreck deutlicher." Mit diesem Aphorismus formulierte Karlheinz Deschner das eigene Lebensmotto. Denn Deschner war die Personifikation des aufklärerischen Ärgernisses, ein Stachel im Fleisch der Zeit, an dem sich die Diskussion immer wieder entzünden musste.

Schon sein erstes Werk, der 1956 veröffentlichte Roman "Die Nacht steht um mein Haus" war eine literarische Sensation, ein atemberaubend schonungsloses Buch, das den Leser wie eine Lawine überrollt. Helmut Uhlig versuchte die Besonderheit dieses "Romans" (eher ein Stück radikaler Autobiographie) so zu fassen: "Deschners Aufzeichnungen liegen jenseits des Selbstmords, so wie Gottfried Benns spätere Gedichte jenseits des Nihilismus liegen ... Dieses Buch wird schockieren ... Genau besehen, ist es nichts anderes als die Krankengeschichte unserer Zeit."  Diese "Krankengeschichte unserer Zeit", die von der Brutalität des Krieges, des verächtlichen Umgangs des Menschen mit seinen Artgenossen und der Natur erzählte, war zugleich eine Krankengeschichte des Autors, der, von der steten Gefahr des Nervenzusammenbruchs bedroht, sich schreibend selbst therapierte.

Die Schreibblockaden, die ihn zuvor gequält hatten, waren auf einen Schlag verschwunden. Bereits ein Jahr später erschien Deschners berühmte Streitschrift "Kitsch, Konvention und Kunst", die einer ganzen Generation den Zugang zur Literatur eröffnete und unterschätzte Autoren wie Robert Musil erstmals einer breiten Leserschaft  bekannt machte. Noch im selben Jahr gab er das Buch "Was halten Sie vom Christentum?" heraus, das Pro- und Contra Meinungen verschiedener Autoren, aber keine Positionierung des Herausgebers, enthielt. Kritiker missdeuteten dies als Ausdruck fehlender Courage, was ein radikaler Denker wie Karlheinz Deschner natürlich nicht auf sich sitzen lassen konnte. Und so zog er sich nach der Veröffentlichung des zweiten Romans "Florenz ohne Sonne" mehrere Monate lang zurück, um ausführliche Studien zur Geschichte des Christentums zu betreiben.

Dies war, wie wir heute wissen, ein wahrer Glücksfall für die säkulare Emanzipationsbewegung, denn 1962 kam "Abermals krähte der Hahn", das Grundlagenwerk der modernen Kirchenkritik, auf den Markt. Auch wenn Deschner in der Folgezeit keineswegs nur religionskritische Bücher veröffentlichte (beispielsweise erschien mit "Talente, Dichter, Dilettanten" eine weitere literarische Streitschrift, mit "Der Moloch" eine kritische Geschichte der USA und mit "Für einen Bissen Fleisch" ein Plädoyer für den Vegetarismus), so wurde der Autor nach dem sensationellen Erfolg des "Hahns" fortan hauptsächlich als Kirchenkritiker wahrgenommen.

Welch befreiende Wirkung Deschners religions- und kulturkritische Schriften entfalteten, wird deutlich, wenn man einen Blick in die Abertausende von Leserbriefen wirft, die der Autor über die Jahre hinweg erhielt. Deschner hat – wie kaum ein anderer – ausgesprochen, was andere vielleicht ahnten, aber nicht zu formulieren wagten. Wer das mulmige, indifferente Gefühl hatte, dass da irgendetwas Grundlegendes nicht stimmt, an dieser Religion, diesem Staat, dieser Gesellschaft, dieser Kunst, der fand in Karlheinz Deschner einen, der es prägnant auf den Punkt brachte.

Als Deschner 1984 seinen 60. Geburtstag feierte, konnte er auf ein wahrhaft imposantes Werk zurückblicken – und doch sollte das Wesentliche erst noch kommen. 1986 brachte Rowohlt den ersten Band der "Kriminalgeschichte des Christentums" heraus. In einem Alter, in dem die meisten an den Ruhestand denken, begann Deschner mit der Niederschrift einer der größten Anklageschriften, die jemals verfasst wurden. Mehr als ein Vierteljahrhundert später war es dann tatsächlich vollbracht: In den 10 Bänden der "Kriminalgeschichte" mit ihren nahezu 6000 Seiten und mehr als 100.000 Quellenbelegen hat Deschner eine Generalabrechnung mit der "Religion der Nächstenliebe" vorgelegt, die in der Weltliteratur ihresgleichen sucht.

Die Arbeit am letzten Band war jedoch eine Tortur, die ihm alles abverlangte.  Seine Kraft reichte danach nicht mehr aus, um den inoffiziellen 11. Band, "Die Politik der Päpste", der die Entwicklungen seit dem 19. Jahrhundert auf mehr als 1200 Seiten beschreibt, selbst zu aktualisieren, weshalb ich die Darstellung der zweiten Hälfte des Pontifikats von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. übernahm. Als wir im März 2013 die Vollendung der "Kriminalgeschichte" in Oberwesel und wenige Wochen später am 23. Mai seinen 89. Geburtstag in Haßfurt feierten, war er schon deutlich geschwächt. Sein Zustand verschlechterte sich nochmals dramatisch, als er wegen eines Aneurysmas gleich zweimal operiert werden musste. Letztlich konnte der lebensbedrohliche Riss der Blutgefäße aber nicht verhindert werden. Am Dienstagmorgen um 8.00 Uhr starb Karlheinz Deschner in einer Haßfurter Klinik.

Karlheinz schrieb einmal: "Berühmte sind Leute, die man etwas später vergisst." Wie so häufig traf er auch mit dieser Formulierung ins Schwarze. Unsterblich ist nicht einmal der Ruhm Ludwig van Beethovens. Selbst er – so ungeheuerlich es auch erscheint – wird irgendwann einmal vergessen sein, wie alles, was Homo sapiens je hervorgebracht hat. So sicher es also ist, dass auch das Werk Karlheinz Deschners irgendwann einmal in Vergessenheit geraten wird: Wenn es in der Kultur- und Geistesgeschichte auch nur halbwegs mit rechten Dingen zugeht, dürfte dies in absehbarer Zeit kaum geschehen.

Schon allein aufgrund seiner ungeheuren literarischen Qualität gehört Deschners Werk zu den kostbarsten Juwelen der Aufklärung, ein Juwel, das auch in Zukunft noch funkeln wird, um die Welt zu erhellen und jenen Dreck zu verdeutlichen, der ansonsten liebend gerne wieder unter den Teppich gekehrt würde. Ich bin überzeugt: Der Aufklärer Deschner wird noch lange ein Ärgernis bleiben. Nicht nur, weil die Themen, die er behandelte, aktuell bleiben werden, sondern auch, weil Schriftsteller seines Formats seltene Ausnahmeerscheinungen sind in dem Meer der Mittelmäßigkeit, das uns umgibt.

Mit seiner Sprachgewalt stellte Karlheinz Deschner selbst Nietzsche in den Schatten. Ich wüsste niemanden, der ihm als "Streitschriftsteller" oder Aphoristiker das Wasser reichen könnte.  Es war ein unglaubliches Privileg, ihn kennenlernen zu dürfen. Ich habe ihn außerordentlich geschätzt – nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Mensch, als Freund. Umso schmerzlicher ist der Verlust.

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Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    Gibt es einen zufriedenen Tod?

    Der Tod ist zunächst brutal und rücksichtslos. Brutal zu seinem unmittelbaren Opfer und rücksichtslos zu denen, die Zurückbleiben.

    Der Tod reißt einen vom Leben weg.

    Aber der Tod ist nicht "wer". Es steckt kein Gott dahinter, der uns "wegatmet", kein Sinn. Er ist das Produkt der Evolution, weil es ohne Tod nur schwerlich vorstellbar scheint, wie sich Arten verändern konnten, um schließlich auch uns Menschen hervorzubringen, die wir uns Gedanken über den Tod machen. Wir denken also über den Tod nach, weil es ihn gibt.

    Also hat eine überkommene Denkrichtung aus Unwissenheit die Idee entwickelt, dass es nach dem Tod einfach weitergeht - nicht nur das, viel besser sollte es werden, wenn...

    Nun, dieses "wenn" führte zur Religion und ihren Riten - und den Grundlagen, gegen die Karlheinz Deschner sein Leben lang scharfzüngig anschrieb. Er hat sein Tintenfass nicht nach dem Teufel, nicht einmal nach Gott, sondern nach der Kirche geschmissen.

    Und er hat getroffen!

    Er hat ihre Machenschaften, ihre Verlogenheit aufgespießt, wie kaum einer sonst. Er hat den Finger in die Wunde gesteckt und nie mehr herausgezogen. Dank seiner Bücher sitzt dieser Finger als Stachel tief im Fleisch einer unbarmherzigen Institution, die sich in Teilen dieser Unbarmherzigkeit gar nicht selbst bewusst zu sein scheint. Vielleicht mag also Deschers Werk dem einen oder anderen dabei helfen, seine Augen zu öffnen, damit er sieht, dass sein Glaube gefälscht ist! Mir hat es geholfen! Danke, Karlheinz!

    Das wirkt, wie Aufklärung letztlich immer wirkt, weil sie Menschen mehr hilft, als dummes Geschwätz über einen Gott, der seinen Sohn opferte, damit wir von Sünden befreit würden, welche dieser selbige Gott erst über die Menschen brachte.

    Das wirkt noch lange nach, der Stachel kommt nie mehr raus.

    Lieber Karlheinz Deschner, ich nehme an, dein Tod war für dich persönlich zufriedenstellend, weil er dich von deinem Leiden befreit hat und weil du dank deines Freundes Herbert Steffen dein Lebenswerk vollenden durftest.

    Wir Zurückbleibenden sind traurig und werden den Verlust erst später richtig spüren. Aber mich spornt es an, noch aktiver für die Aufklärung einzutreten.

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    1. userpic
      Gast

      Vielen Dank Michael Schmidt-Salomon für diesen treffenden und warmherzigen Nachruf. Und alles ohne Gottesbezug.

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