Eine Geschichte der Theorie der Plattentektonik (Teil 3/7)

Trotz der allgemeinen Feindseligkeit, die Alfred Wegener entgegenschlug, wurde seine Driftthese vielerorts wohlwollend aufgenommen.

Eine Geschichte der Theorie der Plattentektonik (Teil 3/7)

Quelle: Bakersfield College.

Zum Zeitpunkt seines Todes hatte er bereits eine Reihe von Anhängern, die seine Arbeit fortsetzten. Einige hatten schon zu seinen Lebzeiten damit begonnen.

Teil 3: Die Epigonen

Ein Österreicher

Im Jahr 1925 legte Otto Ampferer (1875-1947), ein österreichischer Geologe, einen Artikel vor, der wohl das erste Modell einer durch Konvektionsströme getriebenen Kontinentaldrift enthielt (Wege­ner hatte, falls die Stelle überhaupt so interpretiert werden kann, diese Möglichkeit nur äußerst kurz in seinem Artikel von 1912 angesprochen und danach nicht mehr vertreten). Ampferers Titel lautete lapidar: „Über Kontinentalverschiebung“.

Ampferer war Begründer der „Unterströmungstheorie“. 1906 hatte er die These aufgestellt, dass es plastische Strömungen im Erdinneren geben könnte, die zur Gebirgsbildung beitragen. Als Ursache dachte er an temperaturbedingte Volumenänderungen des Gesteins, sowohl durch Abküh­lung als auch durch Wärmezufuhr aus tieferen Bereichen der Erde.

Bis 1925 hatten er und andere Pioniere der Unterströmungstheorie, insbesondere sein Lands­mann Robert Schwinner (1878-1953), sie in eine Form gebracht, die weitgehend heutigen Theorien von der Mantelkonvektion entspricht – eine Zirkulation, bei der erhitzte Gesteinsmassen aufsteigen, sich abkühlen, und wieder absinken.

Ein Ire und drei Engländer

Auch die Idee von Konvektionsströmen im Erdinnern war nicht völlig neu: Schon Osmond Fisher hatte etwas Ähnliches vorgeschlagen. Er ging jedoch von einem glutflüssigen Erdinnern aus (der Begriff „Erdkruste“ stammt aus einer Zeit, als man sich diese wie die Schlackeschicht auf einem Schmelztiegel vorstellte). Dieses Konzept wurde von Lord Kelvin (damals noch William Thomson, 1824-1907) widerlegt, indem er darauf hinwies, dass in diesem Fall auch die Kontinente Gezeiten haben müssten, und die Gezeiten des Ozeans dann nicht zu beobachten wären, weil alle Teile der Erdoberfläche dieselbe Bewegung ausführten. Osmond Fishers Idee wurde zusammen mit der eines flüssigen Erdmantels beerdigt. Fortan wurde die Erde als starr angesehen.

1895 erschien ein Artikel des irischen Ingenieurs John Perry (1850-1920), einem ehemaligen Assistenten Kelvins, mit dem er sich gegen Kelvins dreißig Jahre zuvor vorgelegte Berechnung des Erdalters wandte. Dieser war von dem Wärmefluss ausgegangen, der heute vom Erdinneren an die Oberfläche abgegeben wird, und hatte bestimmt, wie lange die Erde von einem glutflüssigen Urzu­stand aus brauchen würde, um zu diesem Wert abzukühlen. Er gelangte zu einem Alter von höchs­tens ein- bis zweihundert Millionen Jahren, was in Widerspruch zur Geologie stand: Bereits Élisée Reclus z.B. war 1868 von über drei Milliarden Jahren ausgegangen. Auch Darwins Evolutionstheo­rie wurde von Kelvin in Verlegenheit gebracht, weil die Zeit zur Entwicklung so vieler einander ab­lösender Arten, wie sie in geologischen Profilen zu sehen waren, zu knapp schien.

Ein gängiges Missverständnis lautet, dass Lord Kelvins Berechnung deshalb nicht stimmte, weil er die zu der Zeit noch unentdeckte Radioaktivität nicht berücksichtigte. Tatsächlich ändert sich das Ergebnis aber nicht stark, wenn man sie einbezieht. Der Fehler beruht auf Nichtbeachten der Konvektion, die Wärme aus dem Erdmantel stärker nach oben befördert, als es in einem starren Gesteinskörper der Fall wäre. Geht man von einem starren Mantel aus, wird man deshalb eine ge­ringere Abkühlung und ein jüngeres Alter annehmen.

Perry schlug vor, dass der Mantel zwar fest, aber plastisch verformbar ist. Es zirkuliert kein geschmolzenes Magma, sondern das feste Gestein fließt, vergleichbar mit einem Gletscher. Seine Beweise reichten allerdings nicht aus, um sich gegen Lord Kelvin durchzusetzen, und erst als die Plastizität des Mantels anerkannt war, wurde der Gedanke an Konvektionsströme wieder aktuell.

Isostatische Hebung Skandinaviens in mm/Jahr. Durch die Auflast der während der letzten Eiszeit gebildeten Gletscher war die kontinentale Kruste hinabgepreßt worden, seit deren Abschmelzen kehrt sie langsam in den früheren Zustand zurück. Dieses Phänomen wurde im frühen 20. Jahrhundert erkannt und diente als einer der Beweise für die Plastizität des Erdmantels – und dafür, dass Kontinente nicht versinken können. Quelle: Gutenberg (1941)

Zurück zum Österreicher (1)

Für Ampferer waren Unterströmungen die Antriebskraft der Kontinentaldrift. Wegener kannte seine und Schwinners Arbeiten und zitierte sie 1929 in der vierten Auflage von „Die Entstehung der Kon­tinente und Ozeane“, war allerdings skeptisch: Er hielt ihre Ausführungen für zu wenig untermauert. Statt einer ausführlichen Besprechung fällt seine Reaktion äußerst knapp aus, und es besteht sogar die Möglichkeit, dass er in Ampferer einen Rivalen sah, der sich hier in der Tat auf der richtigen Spur befand (wahrscheinlicher ist, dass Wegener bei seiner Arbeit an der vierten Auflage zu sehr durch die Vorbereitung seiner zwei letzten Grönlandexpeditionen in den Jahren 1929 und 1930 in Anspruch genommen war, um sich angemessen mit Ampferers Ideen zu beschäftigen). Immerhin glaubte er nun (wieder?), dass Konvektionsströme als Antriebskraft denkbar waren.

Ampferers Thesen gingen noch weiter. 1911 hatte er als vermutlich Erster die Existenz von „Verschluckungszonen“ postuliert, Bereiche, wo Gesteinsmaterial in das Erdinnere abtaucht – heute bezeichnet man diese als Subduktionszonen. In seinem Artikel von 1925 identifizierte er nun die seit dem 19. Jahrhundert bekannten, in ihrer Natur immer noch rätselhaften Tiefseegräben als Ver­schluckungszonen und bot damit sowohl eine Erklärung für deren Entstehen an, als auch einen Me­chanismus, über den die Ozeankruste heranrückenden Kontinenten Platz machen konnte. Mit bei­den Details konnte Wegener nie recht ins Reine kommen, weshalb er sich immer nur verhältnismä­ßig vage zu ihnen äußerte. Leider sollte Ampferer, ähnlich wie Wegener, die weitgehende Bestäti­gung seiner Hypothese nicht erleben.

Gebirgsbildung durch Kontinentkollision. Die auf der subduzierten Platte reitende kontinentale sowie bei der Kollision eingezwängte ozeanische Kruste wird bei der Subduktion ein Stück weit mitgezerrt und so „verschluckt“. Anzeichen für dieses Phänomen beobachtete Ampferer an den Alpen, und nahm später korrekt an, dass Tiefseegräben durch denselben Prozess entstehen. Quelle: Nikolaus Froitzheim.

Noch ein Engländer

Die nächste Entwicklung erfolgte durch Arthur Holmes (1890-1965), im Jahr 1931 (ein Entwurf erschien bereits 1928).

Man hatte herausgefunden, dass die kontinentale Kruste über einen hohen Anteil radioakti­ver Elemente verfügt. Holmes nahm deshalb an, die Abwärme aus dem Zerfall dieser Elemente füh­re unterhalb der Kontinente zu Konvektionsströmen im Mantel. Heißes Gestein bewege sich vom Zentrum zu den Rändern des Kontinents, wo es die ozeanische Kruste aufheize und schwäche. Der Kontinent werde durch den selbstgenerierten Konvektionsstrom angetrieben; in seiner Bewegungs­richtung werde die ozeanische Kruste herabgedrückt, während sie sich in seinem „Kielwasser“ von Neuem bildet.

Zerfall eines Kontinents und Bildung eines neuen Ozeanbeckens durch Konvektionsströme, laut Holmes. Schraffiert: Lithosphäre. Gepunktet: Kontinentale Kruste. Ozeanische Kruste angedeutet. Quelle: Holmes (1929/1931)

Das entsprach Ampferers Vorstellung, wobei die Entwicklung aller Wahrscheinlichkeit nach unabhängig von ihm geschah – Ampferers Arbeit war im englischsprachigen Raum praktisch un­bekannt. Doch Holmes setzte sich ausführlicher damit auseinander, welche Vorgänge im Detail dem Kontinent seine Bewegung ermöglichen könnten, und erkannte als Erster Radioaktivität als eine der Ursachen der Mantelkonvektion (anders als er glaubte ist es nicht die einzige – hinzu kommen die von der Entstehung der Erde übriggebliebene Restwärme, und Kristallisationswärme, die frei wird, während der flüssige äußere Erdkern allmählich zum festen inneren Kern erstarrt).

Bei der Besprechung seiner Ideen muß auf einen Unterschied zwischen der modernen und damaligen Terminologie hingewiesen werden: Obwohl Holmes den Begriff „Kruste“ verwendet, meint er in Wahrheit das, was heute als Platte bezeichnet wird. Eine tektonische Platte besteht nicht nur aus der ozeanischen oder kontinentalen Kruste, sondern auch aus einer darunterliegenden, we­sentlich dickeren, starren obersten Schicht des Erdmantels, der sogenannten Lithosphäre. Die Exis­tenz der Lithosphäre und die Zweiteilung der Erdoberfläche in Kruste und Lithosphäre ging aus Analysen der Ausbreitungsgeschwindigkeit von Erdbebenwellen hervor und war um 1930 bereits seit einigen Jahrzehnten weitgehend akzeptiert, obwohl man noch nicht wusste, dass sie in getrennte Platten zerfiel.

Wegener hatte das Konzept einer Lithosphäre 1912 noch angezweifelt, war aber spätestens ab der vierten Auflage von „Die Entstehung der Kontinente“ dabei, es zu berücksichtigen. Holmes' Modell vermittelt eine Ahnung, wie Wegener seine These weiterentwickelt haben könnte, hätte er die Zeit gehabt. Bei Holmes bewegt sich der Kontinent mitsamt der darunterliegenden Lithosphäre, sodass man von Plattentektonik sprechen könnte. Anders als in heutigen Modellen glaubte Holmes zunächst nicht, dass die überfahrene Lithosphäre als Ganzes in den Mantel absinkt, sondern dass Teile von ihr beständig „abbröckeln“. Bis zum Jahr 1944 allerdings hatte er diese Aussage revidiert und nahm eine im Ganzen absinkende Lithosphäre an. Wie Wegener und Ampferer aber konnte sich Holmes nicht durchsetzen.

Frühe Modelle der Mantelkonvektion, wie Holmes' und Ampferers, unterscheiden sich in einem be­deutenden Detail von unseren heutigen: Sie gehen davon aus, dass die Platten von der Konvektions­strömung getrieben werden, etwa wie Eisschollen von einer Bewegung des Wassers. Nach heutigem Wissensstand ist es richtiger davon auszugehen, dass Lithosphäre und ozeanische Kruste selbst ein Teil der Konvektion sind – erst bilden sie sich aus dem Mantel, und sinken an anderer Stelle wieder in ihn zurück.

Tatsächlich ist die Mantelkonvektion immer noch nicht ausreichend verstanden, was sich an einer Vielzahl unterschiedlicher Modelle – und Illustrationen – zeigt. (Ausführlicher in Teil 7.)

Ein Südafrikaner

Ein anderer Jünger Wegeners war der Geologe Alexander L. du Toit (1878-1948). 1937 veröffentlichte er das Buch „Unsere wandernden Kontinente“, das auf einer früheren Arbeit, „Ein geologischer Vergleich zwischen Südamerika und Südafrika“ aus dem Jahr 1927 aufbaute.

Du Toit hatte sich intensiv mit den geologischen und paläontologischen Übereinstimmungen zwischen Südafrika und Südamerika und mit der permo-karbonischen Eiszeit beschäftigt. Anders als Holmes oder Ampferer konzentrierte er sich weniger darauf, tektonische Modelle der Verschie­bung zu entwerfen oder über die verschiebenden Kräfte zu spekulieren. Stattdessen suchte er nach Beweisen, dass Verschiebungen wirklich geschehen waren.

Schon Wegener hatte das zu seiner Hauptstrategie gemacht, und du Toit präsentierte nun sol­che Beweise in noch nie dagewesener Menge. Er konnte zeigen, dass für den Zeitraum Devon bis Tertiär (etwa zweihundert Millionen Jahre) die gesamte geologische Schichtenfolge der gegenüber­liegenden Küstenregionen identisch war. Es waren nicht nur Fossilien: Es waren die gleichen Ge­steine gebildet worden, durch identische Prozesse, zur selben Zeit, in derselben zeitlichen Reihen­folge. Das konnte nicht funktionieren, wenn die beiden Gebiete tausende von Kilometern ausein­ander gelegen hatten. Du Toit untermauerte auch Wegeners Argument, wonach die heute in ganz un­terschiedlichen Erdteilen liegenden Ablagerungen der permo-karbonischen Eiszeit eine unmöglich weite Eisdecke verlangten, hätten die Kontinente damals schon ihre heutige Position eingenommen.

Permo-karbonische Vereisung. Wegener und du Toit wiesen darauf hin, dass die glazialen Ablagerungen dieser Eiszeit sich in heute weit verstreuten Erdteilen befinden. Wollte man diese in ihrer heutigen Lage unter eine gemeinsame Eis­decke bringen, ergäbe das eine sehr weitreichende Vereisung, die ihre Spuren an fast jedem Punkt der Erdoberfläche hinterlassen hätte – was nicht der Fall ist. Der Widerspruch legt sich, rückt man die ehemals vereisten Gebiete nahe an­einander. Quelle: Tasa Graphic Arts, Inc.

Zurück zum Österreicher (2)

Im Jahr 1941 erschien ein neuer Beitrag von Ampferer. Von 1925 bis 1927 hatte das deutsche For­schungsschiff Meteor Echolotkartierungen im Atlantik durchgeführt, die erstmals ein deutlicheres Bild des mittelatlantischen Rückens vermittelten.

Wie in seinem Artikel von 1925 nahm Ampferer an, eine Unterströmung habe zum Zerriss des Urkontinents und der Entstehung des Atlantiks geführt, und fügte nun die Vermutung hinzu, der mittelatlantische Rücken sei der Ort, an dem der neue Ozeanboden gebildet wird. Diesen Gedanken hatte zwar Wegener 1912 bereits geäußert, später aber nie wieder vertreten. Ampferer führte ihn von Neuem ein, kombinierte ihn mit der Idee der Unterströmungen und der Verschluckungszonen, und hätte damit fast das spätere Modell der Plattentektonik vorweggenommen. Im Gegensatz zu Holmes glaubte er jedoch, dass die Wurzeln der Kontinente in den konvektierenden Teil des Mantels hinab­reichen, dass keine Lithosphäre dazwischenliegt, und die Kontinente selbst sich bewegen.

Auch blieb sein Artikel leider so gut wie unbeachtet. Dass er während des Krieges erschien, hat wahrscheinlich nicht geholfen. Ampferers herausragende Beiträge sind heute fast vergessen und erfahren erst seit kurzem, rückblickend, die verdiente Würdigung – zur historischen Debatte jedoch haben sie nur wenig beigetragen. Wenn es um die Verfechtung und Popularisierung der Driftthese geht, tritt Ampferers Wirkung weit gegenüber der von Holmes oder du Toit zurück.

Ampferers Modell einer durch Unterströmung bedingten Kontinentaldrift. Ein Kontinent (schraffiert) wird zerrissen und die Bruchstücke auseinandergetrieben. An der mit „+“ markierten Stelle entsteht ein mittelozeanischer Rücken. Quelle: Ampferer (1941)

Ein Niederländer

Eine gewisse Sonderstellung nimmt der Geophysiker Felix Vening‑Meinesz (1887- 1966) ein, der angeregt durch Holmes' Ideen ein eigenes Modell der Konvektionsströme vorschlug. Vening-Meinesz war eine führende Autorität auf dem Gebiet der Schweremessung. Messungen der Erdschwerkraft waren es, welche die Isostasie der Erdkruste bewiesen:

Die Isostasie hat zur Folge, dass auf einem bestimmten Höhenniveau der Erdoberfläche die Masse im Untergrund überall gleich ist – generell gesehen, wenn auch mit vielen lokalen Ausnah­men und Anomalien. Ein Beobachter auf einem Kontinent hat auf Höhe des Meeresspiegels genau­soviel Masse unter sich und misst daher eine ebenso hohe Schwerkraft, wie ein anderer Beobachter, der sich über einem Tiefseebecken befindet – umgekehrt wird ein auf dem Mount Everest stehender Beobachter dort dieselbe Schwerkraft messen wie einer, der in derselben Höhe in einem Ballon über einer Tiefebene fliegt.

In beiden Fällen wird die geringere Dichte der Wasser- bzw. Luftsäule durch eine höhere Dichte des Materials im Untergrund ausgeglichen. Der Mount Everest etwa hat sehr tiefe „Wurzeln“ aus kontinentalem Krustengestein mit einer verhältnismäßig geringen Dichte, während unterhalb der Tiefebene die Kruste dünner ist, und der Mantel (d.h. Lithosphäre plus unverfestigter Mantel) mit seiner wesentlich höheren Dichte weiter hinaufreicht.

Vening-Meinesz nun hatte ab 1923 Gravitationsmessungen auf den Ozeanen durchgeführt. Entlang der Tiefseegräben fand er starke negative Anomalien – der Meeresboden lag dort viel tiefer, als es bei isostatischem Gleichgewicht hätte der Fall sein sollen. Als ob etwas die Kruste gewaltsam nach unten drückte. Dazu kam eine Aufwölbung unmittelbar vor den Gräben, wo der Boden höher lag als erwartet. Dies zeigte, dass die Kruste dort gegen die benachbarten Landmassen „gestaucht“ wurde. Der Effekt lässt sich simulieren, indem man ein Blatt Papier auf eine flache Unterlage legt und dann gegen einen immobilen Gegenstand schiebt. Dass es sich bei den Tiefseegräben in Wirk­lichkeit um „Verschluckungszonen“ handelte, und die Platten nicht einfach nur gestaucht wurden, sondern abtauchten, ahnte er nicht.

Vening-Meinesz interpretierte seine Erkenntnisse zunächst mithilfe der Kontraktionstheorie. Später allerdings kam er zu der Überzeugung, dass Konvektionsströme für die Stauchung verant­wortlich waren, welche die Kruste mitschleppten. Dies passte ins Bild mit anderen Schwereanoma­lien des Ozeanbodens, die für ihn am Besten mit temperaturbedingten Dichteunterschieden des Erd­mantels zu erklären waren – eine Interpretation, die heute von der Geologie anerkannt wird. Er ent­wickelte seine Idee in verschiedenen Publikationen – die Erste erschien 1934 – über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten.

Zunächst ging er wie Holmes von der stärkeren Radioaktivität der Kontinente als Ursache der Konvektion aus. Während der vierziger und fünfziger Jahre modifizierte er seine Ansicht, und hielt nun zusätzlich Konvektionszellen für möglich, die durch den Temperaturgradienten des Erd­mantels selbst entstehen, was mehr Schwinners als Holmes' Überlegungen entsprach – und nach heutigem Kenntnisstand die bessere Annahme war: Dass die radioaktive Abwärme der Kontinente für die Mantelkonvektion verantwortlich sei, ist falsch (der radioaktive Zerfall im Mantel selbst da­gegen spielt durchaus eine Rolle).

Wie Holmes und Ampferer vor ihm hielt Vening-Meinesz Konvektionsströme für imstande, Kontinente zu zerbrechen und deren Bruchstücke auseinanderzutreiben. Er machte sie für den Zer­fall Pangaeas verantwortlich, identifizierte den mittelatlantischen Rücken als die Spreizungsachse und gelangte zu der Überzeugung, dass alle mittelozeanischen Rücken über den Aufstiegszonen von Konvektionszellen entstanden seien. Diese Vorstellung der Mantelkonvektion und Plattenbewegung ist, wie bereits erwähnt, nur teilweise korrekt.

Auch wäre es falsch, Vening-Meinesz als Anhänger Wegeners zu bezeichnen. Er glaubte, bei der Drift von Kontinenten handele es sich um einmalige Ereignisse, die nur während bestimmter Abschnitte der Erdgeschichte auftraten; an aktuelle Verschiebungen glaubte er nicht. In das mobilis­tische Lager trat er erst, als die Theorie der Plattentektonik von der Fachwelt akzeptiert war. Aber seine Arbeiten zur Mantelkonvektion sollten eine wichtige Inspiration für denjenigen darstellen, der den Paradigmenwechsel schließlich einleitete. Noch sind wir allerdings nicht soweit.

(Fortgesetzt in Teil 4: In eurem Bunde der Dritte)

Literatur:

Ampferer, O. (1906): Über das Bewegungsbild von Faltengebirgen. In: Jahrbuch Geol. R-A., 56. Verlag der k. k. geol. Landesanstalt, Wien. 539‑622.

Ampferer, O. & Hammer, W. (1911): Geologischer Querschnitt durch die Ostalpen vom Allgäu zum Garda­see. Jb. Geol. R.-A., 61, Heft 3/4, 531‑710.

Ampferer, O. (1925): Über Kontinentalverschiebung. Die Naturwissenschaften, 13, 669‑675.

Ampferer, O. (1941): Gedanken über das Bewegungsbild des atlantischen Raumes. Sitzungsber. Akad. Wiss. Wien, 150, 17‑35.

Bercovici, D. (2010): Mantle Convection. In: Encyclopedia of Solid Earth Geophysics. Gupta, H. K., (ed.) Springer 2011. 1539 Seiten.

Du Toit, A. L. (1927): A Geological Comparison of South America with South Africa. Carnegie Institution of Washington. 158 Seiten

Du Toit, A. L. (1937): Our Wandering Continents: An Hypothesis of Continental Drifting. Oliver and Boyd, London. 366 Seiten.

England, P. C. & Molnar, P. & Richter, F. M. (2007): Kelvin, Perry and the Age of the Earth. Am. Scientist, Vol. 95, 342‑349.

Flügel, H. W. (2004): Die virtuelle Welt des Otto Ampferer und die Realität seiner Zeit. Geo. Alp, Vol. 1, 1‑9.

Frankel, H. R. (2012): The Continental Drift Controversy: Wegener and the Early Debate. Cambridge Uni­versity Press. 520 Seiten.

Gutenberg, B. (1941): Changes in sea level, postglacial uplift and mobility of the Earth's interior. Bull. Geol. Soc. Am., 52, p. 721-772.

Holmes, A. (1931): Radioactivity and Earth Movements. Transactions of the Geological Society of Glasgow, Vol. 18, Part 3, 1929, 559‑606.

Holmes, A. (1944): Principles of physical geology. Thomas Nelson and Sons, Edinburgh. 532 Seiten.

Sullivan, W. (1974): Continents in Motion. McGraw-Hill, New York. 399 Seiten.

Vening-Meinesz, F. A. (1934): Gravity and the Hypothesis of Convection Currents in the Earth. Proceedings Royal Acad. Amsterdam, Vol. 37, 37‑45.

Vening-Meinesz, F. A. (1952): The origin of continents and oceans. Geologie en Mijnbouw, n. ser. Vol. 14, 373‑384

Vlaar, N. J. (1990): Vening Meinesz. Geophysical Monograph 60 IUGG Volume 10.

Wegener, A. (1915/1929): Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Nachdruck der 1. und 4. Auflage, Ge­brüder Bornträger Verlagsbuchhandlung, Berlin/Stuttgart 2005. 481 Seiten.

Erwähnte, nicht direkt zitierte Literatur:

Holmes, A. (1928): Radioactivity and continental drift. Geological Magazine, Vol. 65, 236‑238.

Perry, J. (1895): On the Age of the Earth. Nature Vol. 51. 224‑227, 341‑342, 582‑585.

Schwinner, R. (1919): Vulkanismus und Gebirgsbildung. Ein Versuch. Zeitschrift für Vulkanologie, Nr. 5, 175‑230.

Flickr link für Bilder: http://www.flickr.com/photos/113231223@N05/with/11718228254/

Kommentare

Neuer Kommentar

(Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

* Eingabe erforderlich