Fukushima - 3 Jahre nach dem Desaster

Am 11. März 2011 um 14:46:23 Uhr Ortszeit erschütterte ein Seebeben den Meeresgrund vor der japanischen Küste, ca. 130 Kilometer vor Sendai in der Präfektur Miyagi. Das Hypozentrum wurde in einer Tiefe von ca. 32 Kilometern verortet. Die Stärke des Bebens betrug nach Angaben der United States Geological Survey 9,0 M Momenten Magnitude (Japan Meteorological Agency 9,0 M bzw. 8,4 Mjma). Damit gilt das Beben als stärkstes Beben seit dem Beginn der Aufzeichnungen in Japan.

In Folge des Bebens und des anschließenden Tsunami (jap. 津波, wörtlich ‚Hafenwelle) kamen über 18.000 Menschen ums Leben. Die Zerstörungen an der japanischen Küste waren verheerend. 375.000 Gebäude wurden dabei teilweise, oder vollständig zerstört. Rund 470.000 Menschen mussten in den darauf folgenden Tagen in Notunterkünften untergebracht werden. Erschwerend kam hinzu, dass die Infrastruktur der Region stark in Mitleidenschaft gezogen wurde und die Menschen den winterlichen Bedingungen in der Region trotzen mussten. Eine zusätzliche Katastrophe in Folge der im Durchschnitt 10 Meter hohen Welle, welche die Küste traf, war die Zerstörung, die sie am Kraftwerkskomplex Fukushima Daiichi hervorgerufen hat.

Der Kraftwerkskomplex bestand aus Siedewasserreaktoren der Typen BWR3 Mark I und BWR4 Mark I. Sie gehörten mit Nettoleistungen zwischen 439 und 760 MW zu den leistungsstärksten Reaktoren Japans. Die Konstruktion geht auf die amerikanische Firma General Electric zurück. Der Bau erfolgte durch eben diese Firma in Kooperation mit den japanischen Firmen Toshiba und Hitachi. Das Beben selbst unterbrach die Stromversorgung des Kraftwerks von außerhalb. Für diesen Fall sind Kraftwerke dieses Typs mit autarken Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung ausgestattet, die die Kühlung sichern sollen. Sowohl die Reaktoren selbst als auch die Abklingbecken erfordern eine permanente Versorgung mit Kühlwasser.

Durch Fehlplanung seitens der Erbauer und Fehler bei der Umsetzung des Baus der Reaktoren wurden die Notstromaggregate jedoch durch den Tsunami vollständig zerstört, Dies zog einen vollständigen Verlust der Kontrolle über die Kühlung der Kraftwerke und im Anschluss zur Zerstörung der Blöcke 1 – 3 und einer kritischen Situation im Block 4 des Kraftwerks nach sich.

Die Blöcke 1 bis 3 waren zum Zeitpunkt des Bebens in Betrieb, was zu einer programm-gemäßen Abschaltung der Reaktoren führte. Block 4 war wegen Wartungsarbeiten außer Betrieb und der gesamte Inhalt des inneren Sicherheitsbehälters befand sich im Abklingbecken.

Im Gegensatz zum Reaktorkern, der durch zwei Sicherheitsbehälter geschützt ist, sind die Abklingbecken in der dritten bis vierten Etage der Reaktorgebäude relativ ungeschützt. In Block 1 befanden sich zum Zeitpunkt der Katastrophe 400 Brennelemente im Reaktorkern, 292 im Abklingbecken. 100 Elemente lagerten ungenutzt in einem separaten Becken. In den Blöcken 2 und 3 befanden sich 548 Brennelemente in den Reaktorkernen und 578 bzw. 514 Elemente in den Abklingbecken. Hinzu kamen noch 80 unbenutzte Brennelemente in diesen beiden Blöcken. Im Abklingbecken des Blocks 4 befanden sich 1.331 von ihnen zur Lagerung während der Wartungsarbeiten. Ein Brennelement der dort verwendeten Typen hat je nach Reaktor ein Gewicht von 170 bis 173 kg und besteht aus 63 Brennstäben mit je 3685 mm Länge. 1

Kritik an den Konstruktionen des Kraftwerkstyps Mark I kam schon aus den Reihen der Ingenieure der Firma General Electric. Drei von ihnen kündigten bereits Mitte der 70er Jahre, da ihrer Kritik keine Beachtung geschenkt wurde. Sie bezog sich auf die ungenügenden Kapazitäten des Reaktortyps zur Kompensation von übermäßigem Druckaufbau innerhalb des Reaktors. Zudem wurde der innere Sicherheitsbehälter im Falle einer Kernschmelze durch die NRC (National Regulatory Commission) für unzureichend befunden. Man ging für diesen Fall von nur wenigen Stunden Haltbarkeit aus.

Die Unterbrechung der externen Stromversorgung und die – in Folge der Zerstörung der Notstromaggregate ausgefallene Kühlung – hat dann auch zu den bekannten Ereignissen in Fukushima geführt. Der Ausfall der Kühlung, führte zu einem teilweise Trockenfallen der Brennelemente, sowohl in den Reaktoren als auch in den Abklingbecken. Durch die daraufhin ansteigenden Temperaturen verdampfte das noch vorhandene Kühlwasser teilweise wodurch große Mengen Wasserstoff entstanden, welche sich mit der vorhandenen Umgebungsluft zu Knallgas vermischte.

In mindestens zwei Reaktorgebäuden war dies die Ursache, für Explosionen, die die Gebäude stark beschädigten. Bei der Explosion in Block 3 wird bis heute von Experten (z. B. Arnold Gundersen und anderen) vermutet, dass es eine Explosion auf Basis einer prompten Überkritikalität war, d. h. einer nuklearen Explosion jedoch weit unterhalb der Intensität dessen was bei einer Atombombenexplosion geschieht.

Die Explosion in Block 3 hat das Gebäude stark beschädigt. Das führte dazu, dass neben großen Teilen des Daches die fahrbare Brücke, mit der normalerweise die Brennstäbe zwischen Reaktorkern und Abklingbecken hin und her transportiert werden aus ihren Schienen gehoben wurde und in das Abklingbecken stürzte. Es handelt sich hier um eine massive, mehrere Tonnen schwere Stahlkonstruktion. Die Bergung dieser Brennelemente wird in Zukunft zu einem großen Problem werden.

In den ersten Tagen und Wochen nach der Katastrophe haben Arbeiter unter Einsatz ihrer Gesundheit und ihres Lebens versucht die Kühlung der Anlagen wieder in Gang zu bringen und dies wohl auch teilweise geschafft. Dennoch wird heute von drei Kernschmelzen auf dem Kraftwerksgelände ausgegangen.

Besonders beunruhigend ist die Tatsache, dass sowohl die japanische Regierung, als auch die Betreiberfirma TEPCO ganz offensichtlich mit der Situation überfordert waren – und sind! Die Maßnahmen zur Eindämmung des Schadens an der Umwelt und zum Schutz der Menschen wirken sehr improvisiert. Das ist auch darauf zurückzuführen, dass es weder Prozedere noch Gerätschaften gibt, die für einem solchen Fall entwickelt wurden. Arnold Gundersen ein ehemaliger Kraftwerksingenieur und Mitglied der Gruppe Fairwinds Energy Education spricht in diesem Zusammenhang von der Unzulänglichkeit der P-R-A Methode (Probability Risk Analysis = Risiko-Wahrscheinlichkeits-Einschätzung) bei den Verantwortlichen und dem dieser Methode innewohnenden Wunschdenken. Dieser Methode der Risikoeinschätzung nach dürften Unfälle in Kraftwerken nur ca. alle 2500 Jahre geschehen, was sich nach den drei großen Unfällen in Harrisburg Three Mile Island, Tschernobyl und Fukushima als blanker Unsinn erwiesen hat. A. Gunderson weist ganz zu Recht darauf hin, dass ein AKW 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr für die gesamte Dauer seiner Laufzeit unbedingt fehlerfrei betrieben werden muss. Er kannte die Kraftwerksfahrer in Harrisburg persönlich, hat einige von ihnen ausgebildet und verbürgt sich für deren Integrität und deren hohes Sicherheitsbewusstsein. Dennoch ereignete sich der Unfall dort ebenso wie in Tschernobyl und Fukushima Auch deren Bedienungsmann-schaften hat er nach den jeweiligen Havarien ebenfalls teilweise kennen gelernt. Im Videomitschnitt einer seiner Vorträge in New York City spricht er dann auch von 40 guten Jahren und einem sehr schlechten Tag. Als anerkannter Experte rät er entschlossen zur Abschaffung der Nukleartechnologie im Rahmen der Energieerzeugung.

(http://fairewinds.org/podcast/fukushima-daiichi-nuclear-accident-ongoing-lessons)

Dr. Helen Caldicott, eine australische Ärztin, Kernkraftgegnerin und Friedensaktivistin, die lange Zeit für die WHO tätig war, fragt auch folglich ganz konkret, wie man eine Technologie die derartige Gefahren beinhaltet, einsetzten kann, wenn doch kein Mensch unfehlbar ist. Sie hat mehrere Bücher zum Thema Atomkraft und Atomkrieg verfasst, in denen sie die Themen vor allem von medizinischer Seite aus angeht.

(http://www.helencaldicott.com/)

Auch der Biomediziner Christopher Busby äußerte sich über die Vorgänge in Fukushima sehr besorgt. Seine – wenn auch umstrittenen – Beiträge zur Langzeitwirkung niedriger und mittlerer Strahlendosen auf Organismen lassen ihn zu dem Schluss kommen, dass die Einschätzungen der verschiedenen Sicherheitsinstitutionen in diesem Bereich sehr optimistisch sind. Leider gibt es zu solchen Effekten noch keine ausreichenden Langzeitforschungen.

Welche Schlüsse können aus dem Unfall in Fukushima gezogen werden?

Betrachtet man die bekannten und noch unbekannten Risiken, welche von der Nukleartechnologie im Rahmen der großmaßstäblichen Energieerzeugung ausgehen ist diese Technik im Sinne des Überlebens der Menschheit nicht akzeptabel. Die sich immer wieder zeigende irrationalen Haltung der großen Energiekonzerne, die auch entsprechenden Einfluss auf die jeweiligen Regierungen der Länder haben, in denen Atomkraftwerke betrieben werden, ist dabei von entscheidender Bedeutung. Dummheit und Skrupellosigkeit in Verbindung mit technischen Unzulänglichkeiten und menschlichem Versagen sind geradezu exemplarisch für die menschliche Hybris.

Auf der anderen Seite müssen wir mit den Anlagen, die noch existieren (in einigen Ländern wie den USA, Russland, Finnland und anderen sind sogar neue Anlagen geplant!), umgehen. Wir sind auch nicht in der Lage sie überall einfach sofort abzuschalten, wie dies nach der Katastrophe in Fukushima in Deutschland getan wurde. Versuche großer Konzerne, Nationen wegen Gewinnausfalls auf Schadensersatz vor „unabhängigen“ (eher unkontrollierten, weil unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagenden) Schiedsgerichten zu verklagen, sind ebenfalls nicht hinzunehmen.

Hier in Deutschland wurde die Atomkraft als Brückentechnologie für den Übergang zur Nutzung regenerativer Energien bezeichnet. Mehr darf sie auf der ganzen Welt nicht sein! Der zwar diskutierte, aber unter Fachleuten nicht bestrittene Klimawandel, sollte uns dazu anhalten, diese regenerativen Energiequellen, sowie die im Umfeld notwendigen Technologien, so rasch als möglich zu entwickeln und zum Standard zu machen. Dazu gehören auch Veränderungen in der ökonomischen Kultur, wie ein verstärktes Augenmerk auf Energieeffizienz und der kleinräumigen lokalen Energieproduktion. Gemeinden wie Schopfheim im Südschwarzwald haben vorgemacht, wie das geschehen kann.

http://www.ews-schoenau.de/links/unsere-kunden.html

 

Joseph Wolsing

1 UCS [Union of Concerned Scientists]; TEPCO Website; Gesellschaft für Anlagen und Reaktorsicherheit

Kommentare

  1. userpic
    Gerhardw

    Antwort auf #3 von Joe Wolsing:
    > Antwort auf #1 von Gerhardw:
    >
    > Da fällt mir ein anderthalb Meter breiter und ziemlich langer Riss in einer 200 Meter hohen Sandsteinwand über dem Bodensee ein. >Ob ein entsprechender Felssturz wohl reichen würde damit eine riesen Flutwelle die Rheinabwärts gelegenen Atomkraftwerke stark >genug für einen GAU beschädigt werden würden...
    >
    >Die Anmerkung, dass es im Rheintal keine Tsunamis geben kann hättest Du dir sparen können (bin selbst Geograph und wohne >hier!), aber die Tatsache, dass wir bei den vier großen Kraftwerkshavarien vier verschiedene Fehlerquellen hatten sollte selbst einem >heiteren und unbefangenem Gemüt wie dir zu denken geben. Es braucht keine Tsunamis und alleine im Umkreis von 100 Km stehen >hier mindestens 2 echt alte und marode Kraftwerke, über die sich jeder der bis 3 zählen kann echt Sorgen machen muss!

    Wie wäre es, wenn du meinen Kommentar noch einmal durchliest. Vielleicht merkst du dann, dass ich eine tsunamiartige Flutwelle, die durch das Rheintal schiesst für möglich halte. Du hast hier offenbar meinen Sarkasmus mit Gleichgültigkeit verwechselt.
    Die beiden schweizer Uraltkraftwerke sind mir durchaus ein Begriff und ich werde wirklich froh sein, wenn sie abgeschaltet werden ohne vorher einen GAU zu produzieren. Doch leider kann das noch einige Jahre dauern. Und eine Häufung an Naturereignissen, die diese AKWs in Gefahr bringen ist zwar kurzfristig gesehen nicht sehr wahrscheinlich aber nicht unmöglich. Und dass alles was nicht unmöglich ist irgend wann passiert, wenn man nur lange genug wartet ist mir durchaus bewusst. Aber im Zweifelsfall bleibt wenigstens mir noch die Hoffnung, dass im Ernstfall gerade Ostwind vorherrscht (ja, das war jetzt wieder sarkastisch gemeint).

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      Joseph Wolsing

      Antwort auf #1 von Gerhardw:
      > Da fällt mir ein anderthalb Meter breiter und ziemlich langer Riss in einer 200 Meter hohen Sandsteinwand über dem Bodensee ein. Ob ein entsprechender Felssturz wohl reichen würde damit eine riesen Flutwelle die Rheinabwärts gelegenen Atomkraftwerke stark genug für einen GAU beschädigt werden würden...

      Die Anmerkung, dass es im Rheintal keine Tsunamis geben kann hättest Du dir sparen können (bin selbst Geograph und wohne hier!), aber die Tatsache, dass wir bei den vier großen Kraftwerkshavarien vier verschiedene Fehlerquellen hatten sollte selbst einem heiteren und unbefangenem Gemüt wie dir zu denken geben. Es braucht keine Tsunamis und alleine im Umkreis von 100 Km stehen hier mindestens 2 echt alte und marode Kraftwerke, über die sich jeder der bis 3 zählen kann echt Sorgen machen muss!

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        marstal08

        Ich denke schon, dass Atomkraftwerke mit gewissenhafter Planung und Handhabung ziemlich sicher betrieben werden könnten. Die Unfälle sind ja nicht auf unvorhersehbares Pech, sondern auf grobes Fehlverhalten zurückzuführen. Was mir Sorgen macht, ist vielmehr die extrem lange Gefährlichkeit des radioaktiven Mülls, für eine beim besten Willen nicht planbare Zeit. Das sofortige Abschalten aller Atomkraftwerke würde mir da gar nicht helfen. Das Zeug in kleinen Portionen in die Sonne zu schießen, übersteigt wohl auf absehbare Zeit die Fähigkeiten der Menschheit....

        marstal08

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          Gerhardw

          Da fällt mir ein anderthalb Meter breiter und ziemlich langer Riss in einer 200 Meter hohen Sandsteinwand über dem Bodensee ein. Ob ein entsprechender Felssturz wohl reichen würde damit eine riesen Flutwelle die Rheinabwärts gelegenen Atomkraftwerke stark genug für einen GAU beschädigt werden würden - na ja, vielleicht in Verbindung mit einer Gleichzeitigen Frühjahrsflut und einem Erdbeben? Aber wer weiss das schon...

          PS: wenn jetzt einer daraus einen Katastrophenfilm macht will ich bares sehen.

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