Im Jemen kämpft ein Mädchen gegen die Praktik der Kinderheirat

„Lasst Mädchen Mädchen sein, und nicht Bräute“ - Ban Ki-Moon, Generalsekretär der Vereinten Nationen

Sanaa, Jemen, 26. März 2014. Eines Nachmittags kehrte Leila aus der Schule zurück, bereit, ihrer Mutter zu erzählen, was sie gelernt hat, und welche Spiele sie mit ihren Freundinnen gespielt hatte. Die Dreizehnjährige fand ihre Mutter jedoch im Bett liegend und weinend vor. Irgendetwas musste wohl nicht stimmen, dachte Leila.

Im Jemen kämpft ein Mädchen gegen die Praktik der Kinderheirat

Leilas Vater Nasser stürmte ins Haus und rief ihren Namen. Leila fragte sich, was sie wohl angestellt habe.  „Mein Vater sagte mir, dass ich in zwei Wochen heiraten würde“, erinnert sich Leila. „Ich hielt das erst für einen Scherz. Ich versuchte, etwas zu sagen, aber aus meinem Mund kamen keine Worte. Es war nicht mehr diskutierbar oder verhandelbar; der Deal war schon zugesagt.“

„Ich begann zu weinen, und während meine Mutter versuchte, mich einzufangen, drohte mein Vater damit, mich zu schlagen oder gar zu töten, sollte ich mich widersetzen. Ich war hilflos. Es schien mir, als sei um mich herum ein Albtraum ausgebrochen, und als würde mein bisheriges Leben in Scherben liegen. Ich wünschte mir damals, der Albtraum wäre vorbei, und ich könnte wieder mit meinen Freundinnen in der Schule spielen.“

Eine weitverbreitete Vorgehensweise mit katastrophalen Folgen

Heirat in der Kindheit ist eine fundamentale Menschenrechtsverletzung und hat weitreichende Folgen für das Leben der Opfer. Kinderheirat verweigert den Opfern ihre Kindheit, unterbricht ihre Erziehung, limitiert ihre Zukunftschancen, erhöht ihr Risiko, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt zu werden, gefährdet ihre Gesundheit und ist somit ein Hindernis für das Erreichen jedes Milleniumsplans und für die Entwicklung gesunder Gemeinschaften.

Im Yemen, wo Kinder schon mit 8 Jahren verheiratet werden, ist Kinderheirat weitverbreitet. Die neue Studie zur Überwachung von sozialem Schutz im Yemen zeigte, dass 13 Prozent aller Mädchen, die jünger als 18 Jahre sind, bereits verheiratet sind, und dass beinahe die Hälfte aller Frauen im Alter von 20-49 Jahren bereits vor Abschluss ihres achzehnten Lebensjahrs verheiratet waren.

Es gibt im Yemen kein einheitliches Heiratsalter, und nur wenige Regelungen stehen einer frühzeitigen Heirat im Wege. Dies steht im Kontrast zu der Tatsache, dass der Yemen Unterzeichnernation der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen ist.

„Traurig und schmerzvoll ist es, dabei zuzusehen, wie junge Mädchen durch Zwangsheirat ihre Kindheit und ihre Bildungschancen verlieren“, sagt Abdou Mansub, ein religiöser Führer seiner Region, der ein Berufszentrum für Frauen betreibt.

Zusätzlich zur Wirkung auf die betroffenen Personen gibt es auch schleichende, aber drastische Auswirkungen auf das ganze Land.

Die frühzeitige Fernhaltung von Frauen vom öffentlichen Leben hat Effekte, die sich kreiswellenförmig ausbreiten, besonders in den Bereichen Wirtschaft und Bildung. „Wenn man die Mädchen zu früh verheiratet, sorgt man im Grunde dafür, dass ein riesiger Teil der Arbeitskraft der Bevölkerung wegfällt, und somit, dass die Wachstumsmöglichkeiten des Landes eingeschränkt werden“, erklärt Jeremy Hopkins, der stellvertretende Repräsentant UNICEFs im Jemen.

Kinderheirat entgegentreten

Um der Kinderheirat entgegenzutreten, muss man einen Ansatz wählen, der sich über verschiedene Bereiche erstreckt, denn diese Praxis hat tiefere und weitreichendere Wurzeln als das Gesetz oder religiöser Konservatismus. Verschlimmerungen der sozioökonomischen Bedingungen und die höheren Lebenshaltungskosten verstärken weiterhin Effekte wie Ungleichheit, Verwundbarkeit und Schwund der Belastbarkeit der Gemeinden, besonders bei ohnehin schon gefährdeten Bevölkerungsschichten. Diese Probleme führen dann wiederum zum Anstieg negativer Kompensationsversuche, wie zum Beispiel Kinderheirat.

Aber es gibt auch Hoffnung. Es gibt Zeichen, dass sich die yemenitische Gesellschaft der Folgen von Kinderheirat bewusst wird. Abgeordnete der Konferenz des Nationalen Dialoges – ein Eckpfeiler der Transformation des politischen Systems des Yemen, welcher eine inhomogene Gruppe Yemeniten enthält, die versuchen, die Zukunft des Landes zu schmieden – hat sich über das Problem beraten. Ein erster Schritt des Gremiums war es, alle Menschen, die jünger als 18 Jahre sind, als „Kinder“ einzustufen. Dies ist ein größerer Meilenstein für den Yemen bei der Inangriffnahme von Problemen wie Kinderarbeit, Todesstrafe für Kinder, Kinderschmuggel und Kinderheirat.

Laila

Für Laila war die Familie die Rettung. Ihre Onkel versuchten, Nasser dazu zu überreden, Laila den Abschluss ihrer Ausbildung zu ermöglichen. Jedoch: Beim Heiratshandel wurden feste finanzielle Zusagen gemacht – und Laila wurde zwangsverheiratet.

Mit der Hilfe einiger Familienmitglieder gelang es Leila, in der Nacht ihrer Hochzeit zu fliehen. Sie zog in das Haus ihrer Großmutter, welches sich am anderen Ende der Stadt befindet. Sie musste nie mit ihrem Mann zusammenleben und wurde nie gezwungen, die Ehe zu „vollziehen“.

Nach den Gesetzen Jemens bleibt Laila weiterhin verheiratet. Ihr Ehemann verlangt nun, dass sie entweder zu ihm zurückgebracht werde oder er finanzielle Entschädigung erhalte. Laila kämpft für eine Scheidung.

Während sich der wahrscheinlich langatmige Prozess dahinzieht, möchte Laila zur Schule zurückkehren. Aber ihre Familie fürchtet, dass sie entführt werden könnte. Darum ist ihr Leben momentan in Wartestellung.

„Ich bin mir unsicher, ob ich diesem Albtraum jemals entkommen kann“, sagt Laila. „Ich bete für meine jüngeren Schwestern, dass sie diese Probleme nicht haben werden.“


Übersetzung von: Adrian Fellhauer, Daniela Bartl

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