Nachdenken über Gut und Böse

Sam Harris argumentiert gegen das weitverbreitete Vorurteil, die Wissenschaft könne nichts über Fragen der Ethik und Moral aussagen. Er wehrt sich gegen die Vorstellung, dass Moral relativ und kulturabhängig sei. Er sieht vielmehr das Wohlergehen und das Elend  bewusster Wesen als Gipfel und Täler einer "moralischen Landschaft".

Nachdenken über Gut und Böse

Was ich heute sagen wollte, wurde schon ein wenig herumgereicht, durch das was schon gesagt wurde und durch einige Nebengespräche. So sollte es zweifellos auch sein. Wenn meine Ausführungen aber weniger geradlinig sind als ich mir wünschen würde, liegt es daran — und am Jet-Lag.

Ich denke, wir sollten zwischen drei Projekten unterscheiden, die, wie mir scheint, allzu leicht vermischt werden, die aber unterschiedlich sind und deshalb unabhängige Bemühungen verdienen:

Das erste Projekt ist, zu verstehen, was Leute im Namen der „Moral“ tun. Wir können uns die Welt anschauen und all die verschiedenen Verhaltensweisen betrachten, wie Regeln, kulturelle Artefakte, und moralisch herausragende Gefühle wie Empathie und Abscheu, und wir können studieren, wie sich diese Dinge in menschlichen Gemeinschaften zeigen, sowohl in unserer Zeit, als auch historisch. Wir können alle diese Phänomene so wenig wertend wie möglich untersuchen und bestrebt sein, sie zu verstehen. Wir können sie auf evolutionäre Art verstehen, und wir können sie, so wie sie heute auftreten, auf psychologische und neurobiologische Art betrachten. Und wir können die gewonnenen Daten und das ganze Bestreben „Moral-Wissenschaft“ nennen. Dies wäre eine rein beschreibende Wissenschaft in der Weise, die Jonathan Haidt empfiehlt.

Für die meisten WissenschaftlerInnen scheint dieses Projekt alles auszuschöpfen, was Berührungspunkte zwischen Wissenschaft und Moral — also zwischen Wissenschaft und Werturteilen über Gut und Böse und richtig und falsch, rechtfertigt. Aber ich denke, es gibt zwei andere Projekte, mit denen wir uns befassen könnten, die wohl wichtiger sind.

Das zweite Projekt wäre, sich klarer darüber zu werden, was wir unter dem Begriff „Moral“ verstehen — und verstehen sollten —, wenn wir bedenken, wie er mit dem ganzen menschlichen Wohlergehen zusammenhängt; und wir sollten diese neue Disziplin verwenden, um intelligenter darüber nachzudenken, wie wir das menschliche Wohlergehen maximieren könnten. Natürlich könnten Philosophen denken, dass wir so wichtige Antworten vorwegnehmen — darauf werde ich zurückkommen. Aber ich denke, das ist ein eigenes Projekt, das nicht nur beschreibend ist. Es liefert eine Richtschnur. Die Frage ist: Wie können wir über moralische Wahrheit im wissenschaftlichen Zusammenhang nachdenken?

Das dritte Projekt ist Überzeugungsarbeit: Wie können wir all die Leute, die sich im Namen der „Moral“ zu törichten und schädlichen Dingen bekennen, davon überzeugen, ihre Bekenntnisse zu ändern und ein besseres Leben zu führen? Ich denke, das dieses dritte Projekt im Grunde das wichtigste ist, dem die Menschheit im jetzigen Zeitpunkt gegenübersteht. Es fasst alles zusammen, um das wir uns kümmern sollten — vom Aufhalten des Klimawandels bis zum Stoppen der nuklearen Proliferation, der Heilung von Krebs und der Rettung der Wale. Jede Anstrengung, die verlangt, dass wir uns gemeinsam über unsere Prioritäten im Klaren sind und unsere Zeit und Ressourcen organisieren, gehört in den Bereich dieses Projekts. Um eine lebensfähige globale Zivilisation aufzubauen, müssen wir anfangen uns den gleichen ökonomischen, politischen und ökologischen Zielen anzunähern.

Offensichtlich ist das Projekt der moralischen Überzeugung sehr schwierig — aber es erscheint mir besonders schwierig, wenn man nicht herausfinden kann, in welchem Sinn überhaupt irgendjemand bei Fragen der Moral oder menschlicher Werte Recht oder Unrecht haben kann. Richtig oder falsch im universellen Sinn zu verstehen ist Projekt Zwei, und darauf konzentriere ich mich.

Es gibt Hindernisse beim Nachdenken über Projekt Zwei: hauptsächlich, weil die meisten vernünftigen, gebildeten und wohlmeinenden Leute — sicher die meisten WissenschaftlerInnen und öffentlichen Intellektuellen und, wie ich vermute, die meisten Journalisten — davon überzeugt sind, dass uns etwas in den letzten 200 Jahren intellektuellen Fortschritts verunmöglicht hat, überhaupt über „moralische Wahrheit“ zu sprechen. Nicht weil menschliche Erfahrung so schwer zu untersuchen, oder das Gehirn zu komplex ist, sondern weil angenommen wird, dass es keine intellektuelle Basis gibt, aus der heraus man sagen könnte, dass irgendjemand bei Fragen von Gut und Böse jemals Recht oder Unrecht hat.

Es ist mein Ziel, diese Annahme, die nun die allgemeine Meinung in Wissenschaft und Philosophie ist, zu untergraben. Ich denke, sie beruht auf mehreren Trugschlüssen, auf Doppelmoral und, ehrlich gesagt, auf schlechter Philosophie. Als Erstes sollte ich zeigen, dass diese Sicht Konsequenzen hat, ganz abgesehen davon, dass sie nicht wahr ist.

Als die Vereinten Nationen 1947 versuchten, eine allgemeine Erklärung der Menschenrechte zu formulieren, trat die American Anthropological Association hervor und sagte, dies sei unmöglich – weil es lediglich dem Rest der Menschheit eine regionale Auffassung der Menschenrechte aufzwingen würde. Jede Auffassung der Menschenrechte sei das Produkt einer Kultur und es sei intellektuell unzulässig, ein universelles Konzept der Menschenrechte zu deklarieren. Das war das Beste, was unsere Sozialwissenschaften zustande brachten, während das Krematorium von Auschwitz noch rauchte.

Aber natürlich ist es seit langem offensichtlich, dass wir uns als globale Zivilisation in unseren Vorstellungen, wie wir einander behandeln sollten, annähern müssen. Dazu brauchen wir ein universelles Konzept über Recht und Unrecht. Ich denke also, dass Skeptizismus gegenüber moralischer Wahrheit nicht nur schlicht unwahr ist, sondern darüber hinaus Konsequenzen hat, über die wir uns Sorgen machen sollten.

Definitionen sind bedeutsam. Und in der Wissenschaft haben wir immer die Aufgabe, Gespräche zu strukturieren und Definitionen abzugeben. Nichts in diesem Prozess verdammt uns zu erkenntnistheoretischem Relativismus oder dazu, Wahrheitsbehauptungen für nichtig zu erklären. Wir definieren „Physik“, einfach gesagt, als unsere beste Bestrebung, das Verhalten von Materie und Energie im Universum zu verstehen. Dieses Fach wird in Bezug auf das Ziel definiert, das Verhalten der Materie zu verstehen.

Natürlich ist jedermann frei, „Physik“ auf eine andere Art zu definieren. Ein kreationistischer Physiker könnte in diesen Raum treten und sagen, „Nun, das ist nicht meine Definition von Physik. Meine Physik muss mit dem Buch Genesis übereinstimmen.“ Aber wir sind frei, einer solchen Person zu antworten, „Wissen Sie was, Sie gehören nicht zu dieser Konferenz. Wir sind nicht an dieser ‚Physik‘ interessiert. Sie verwenden das Wort anders. Sie spielen nicht unser Sprachspiel.“ Eine solche Geste des Ausschlusses ist sowohl legitim als auch notwendig. Die Tatsache, dass der Physik-Diskurs nicht genügt, eine solche Person zum Schweigen zu bringen, oder sie in unsere Konversation einzubeziehen und unter unseren Bedingungen zu bändigen, untergräbt nicht die Physik als Domäne objektiver Wahrheit.

Und doch, wenn es um Moral geht, scheinen wir zu glauben, die Möglichkeit abweichender Meinungen bringe jede Einigung zum Scheitern. Die Tatsache, dass jemand hervortreten und sagen könne, seine Moral habe nichts mit menschlichem Gedeihen zu tun — sie hänge z.B. von der Befolgung der Scharia ab — schon nur der Umstand dass eine solche Position ausgedrückt werden könne, beweise dass es keine moralische Wahrheit gäbe. Moral müsse deshalb eine menschliche Erfindung sein. Doch dies ist ein Trugschluss.

Wir haben eine intuitive Physik, aber vieles davon ist falsch in Bezug auf das Ziel, das Verhalten von Energie und Materie in diesem Universum zu verstehen. Ich sage, wir haben auch eine intuitive Moral und vieles davon mag falsch sein in Bezug auf das Ziel, menschliches Gedeihen zu maximieren — und allgemein bezüglich der Fakten, die das Wohlergehen bewusster Wesen beherrschen.

Also werde ich behaupten, kurz, dass der einzige Bereich legitimer moralischer Belange das Wohlergehen bewusster Wesen sei. Ich werde ein paar Worte zur Verteidigung dieser Behauptung sagen, aber ich denke, die Idee, sie müsse verteidigt werden, ist das Produkt verschiedener Fehlschlüsse und einer Doppelmoral, welche wir nicht wahrnehmen. Ich glaube nicht, dass ich Zeit habe, alles aufzudecken, aber ich werde einiges erwähnen.

Bis hier habe ich zwei Dinge eingeführt: Das Konzept des Bewusstseins und das des Wohlergehens. Ich behaupte, dass Bewusstsein der einzige Zusammenhang sei, in dem wir über Moral und menschliche Werte sprechen können. Warum ist das Bewusstsein kein willkürlicher Ausgangspunkt? Nun, was ist die Alternative? Man stelle sich vor, jemand behauptet, eine andere Quelle von Werten zu haben, die nichts mit der wirklichen oder potentiellen Erfahrung bewusster Wesen zu tun hat. Was immer dies ist, es muss etwas sein, das die Erfahrung von irgendetwas im Universum nicht beeinflussen kann, in diesem oder einem anderen Leben.

Würde man diese eingebildete Quelle von Werten in einen Kasten stecken, würde man, wie ich denke,  in diesem Kasten — nach Definition —  das am wenigsten interessante Ding des Universums haben. Es wäre — wiederum nach Definition — etwas, das wir nicht wichtig nehmen könnten. Jede andere Quelle wird irgendeine Beziehung zur Erfahrung bewusster Wesen haben. Ich denke also nicht, dass das Bewusstsein ein willkürlicher Ausgangspunkt ist. Wenn wir über Recht und Unrecht, über Gut und Böse und über wesentliche Folgen sprechen, sprechen wir notwendigerweise über wirkliche oder potentielle Änderungen im menschlichen Bewusstsein.

Ich würde weiter hinzufügen, dass das Prinzip „Wohlergehen“ alles erfasst, was uns im Bereich Moral wichtig ist. Die Herausforderung ist es, eine Definition des Wohlergehens zu haben, die wahrhaftig offen ist und alles aufnehmen kann, das uns wichtig ist. Deshalb neige ich nicht dazu, mich als „Konsequentialist“ oder „Utilitarist“ zu bezeichnen, weil diese Positionen traditionell die Auffassung von Konsequenzen auf eine Art begrenzen, die sie als sehr brüchig und andere Belange ausschliessend erscheinen lässt – und damit eine Art Opferzahl-Berechnung hervorbringt, die nur jemand mit Asperger-Syndrom übernehmen könnte.

Man betrachte das Trolley-Problem: Wenn es wirklich einen Unterschied gibt, zwischen dem Herabstossen einer Person auf die Gleise und dem Umlegen eines Schalters – vielleicht bezüglich der emotionalen Folgen dieser Handlungen — nun, dann muss dieser Unterschied berücksichtigt werden. Oder Peter Singers Seichter-Teich-Problem: Wir alle wissen, dass eine Person, die, aus Sorge, ihre Kleider könnten nass werden, an einem Kind, das in einem seichten Teich ertrinkt, vorbeigeht, ganz anders geartet ist, als jene, die einen Aufruf der UNICEF ignoriert. Es sagt viel über Sie aus, wenn Sie an diesem Teich vorbeigehen. Wenn wir alle diese Art von Person wären, hätte das schreckliche Auswirkungen, soweit das Auge reicht. Die Herausforderung scheint mir deshalb darin zu bestehen, sich über die wirklichen Konsequenzen einer Handlung klar zu werden und darüber, welche Veränderungen in der menschlichen Erfahrung möglich sind und welche davon eine Rolle spielen.

Wenn ich über eine universelle Rahmentheorie der Moral nachdenke, denke ich darüber in Form einer „Moral-Landschaft“ nach. Vielleicht gibt es einen Platz in der Hölle für jemanden, der ein Klischee auf diese Art zweckentfremdet, aber der Begriff „Moral-Landschaft“ erfasst wirklich, wonach ich suche: Ich stelle mir einen Raum mit Gipfeln und Tälern vor, wobei die Gipfel den Höhen entsprechen, die für ein blühendes bewusstes System möglich sind und die Täler den tiefsten Tiefen des Elends.

Um im Moment spezifisch über menschliche Wesen zu sprechen: Jede Änderung, die eine Änderung im menschlichen Bewusstsein bewirkt, würde zu einer Verschiebung entlang der Moral-Landschaft führen. Also würden Änderungen an unserem Genom und an unserem ökonomischen System — und Änderungen, die auf irgend einer Ebene dazwischen auftreten wo sie menschliches Wohlergehen im Guten oder Schlechten beeinflussen — in Bewegungen innerhalb dieses Raums möglicher menschlicher Erfahrung übersetzt.

Einige interessante Dinge ergeben sich aus diesem Modell: Natürlich ist es möglich, oder sogar wahrscheinlich, dass es in der Moral-Landschaft viele Gipfel gibt. Um spezifisch von menschlichen Gemeinschaften zu sprechen: Vielleicht gibt es einen Weg, das menschliche Gedeihen zu maximieren, auf dem wir so weit wir können Peter Singer folgen und uns irgendwie zwingen, Familie und Freunden gegenüber wirklich leidenschaftslos zu sein, ohne das Wohlergehen unserer Kinder stärker zu gewichten, als das anderer Kinder, und vielleicht gibt es einen anderen Gipfel, wo wir, innerhalb bestimmter Grenzen, eine Vorliebe für die eigenen Kinder behalten, während wir diese Vorliebe mit einem fairen Sozialsystem ausgleichen. Vielleicht gibt es Tausend verschiedene Wege, die Variable zwischen Egoismus und Altruismus einzustellen, um auf einem Gipfel der Moral-Landschaft zu landen.

Dennoch, es wird viel mehr Arten geben, nicht auf einem Gipfel zu sein. Und es ist natürlich möglich, dass wir uns darüber täuschen, wie wir von unserer gegenwärtigen Position zum nächsten erreichbaren Gipfel kommen. Dies folgt direkt aus der Beobachtung, dass alle uns möglichen bewussten Erfahrungen eine Folge davon sind, wie das Universum funktioniert. Unsere bewusste Erfahrung entsteht aus den Naturgesetzen, dem Zustand unseres Gehirns und unserer Vernetzung mit der Welt. Deshalb gibt es richtige und falsche Antworten auf die Frage, wie das menschliche Gedeihen in jedem Moment maximiert werden soll.

Dies ist unglaublich leicht zu sehen, wenn wir uns vorstellen, es gäbe nur zwei Menschen auf der Erde: Wir können sie Adam und Eva nennen. Fragen Sie sich, gibt es richtige und falsche Antworten auf die Frage, wie Adam und Eva ihr Wohlergehen maximieren könnten? Klar gibt es die. Falsche Antwort Nummer Eins: Sie können sich gegenseitig einen grossen Stein ins Gesicht schmettern. Dies wird nicht die beste Strategie sein, ihr Wohlergehen zu maximieren.
Natürlich, es gibt Nullsummenspiele, die sie spielen könnten. Und ja, sie könnten Psychopathen sein, die beim Zusammenarbeiten total versagen könnten. Aber natürlich wird die beste Antwort auf ihre Umstände keine Nullsumme sein. Die Aussichten auf ihr Gedeihen, und darauf, tiefere und beständigere Quellen der Befriedigung zu finden, werden nur durch eine Form der Kooperation ans Licht gebracht. Alle Bedenken, die die Leute in solche Diskussionen einbringen — wie deontologische Prinzipien oder Rawls Bedenken zur Fairness — können im Kontext unseres Fragens betrachtet werden, wie Adam und Eva den Raum möglicher Erfahrungen durchqueren können,  um einen echten Gipfel menschlichen Gedeihens zu finden, gleichgültig, ob es nur einen Gipfel gibt. Nochmal, mehrere, gleichwertige, aber sich ausschliessende Gipfel ergeben immer noch einen realistischen Raum, wo es richtige und falsche Antworten auf moralische Fragen gibt.

Etwas, von dem wir uns nicht verwirren lassen sollten, ist der Unterschied zwischen praktischen und prinzipiellen Antworten. Natürlich, den möglichen Erfahrungsbereich, der Adam und Eva zur Verfügung steht, vollkommen zu verstehen, stellt ein fantastisch kompliziertes Problem dar. Und es wird komplizierter, wenn wir noch 7 Milliarden Leute zum Experiment hinzunehmen. Aber ich würde behaupten, es ist kein anderes Problem; es wird nur komplizierter.
Die Komplexität der Ökonomie würde uns nie dazu verleiten zu sagen, es gäbe keine richtigen und falschen Wege, unsere ökonomischen Systeme zu planen, oder auf Finanzkrisen zu antworten. Niemand wird je sagen, es sei eine Form von Engstirnigkeit, die Antwort eines anderen Landes auf einen Bankenkonkurs zu kritisieren. Man stelle sich nur vor, wie erschreckend es wäre, wenn die klügsten Leute, die es gibt, sich mehr oder weniger  einig wären, wir dürften nicht werten über jedermanns Sicht von Ökonomie und über alle möglichen Antworten auf eine globale Krise.

Und doch ist dies genau der Punkt, an dem die intellektuelle Gemeinschaft zu den wichtigsten Fragen des menschlichen Lebens steht. Ich glaube, man hat das geistige Leben nicht erlebt, bis man einen Philosophen oder Wissenschaftler beobachtet hat, der über die „kontextuelle Legitimität“ der Burka gesprochen hat, über weibliche Genital-Beschneidung, oder über irgendeine dieser barbarischen Praktiken, die bekanntermassen unnötiges menschliches Elend verursachen. Wir haben uns davon überzeugen lassen, Wissenschaft sei irgendwie nach Definition ein wertfreier Raum und wir könnten keine Werturteile über Meinungen und Bräuche abgeben, was unser Bestreben, eine glückliche und gesunde Gesellschaft aufzubauen, unnötigerweise scheitern lässt.

In Wahrheit ist Wissenschaft nicht wertfrei. Gute Wissenschaft ist das Produkt aus dem Bewerten von Evidenz, logischer Widerspruchsfreiheit, Sparsamkeit und anderer intellektueller Tugenden. Wenn man den Wert dieser Dinge nicht schätzt, kann man nicht an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung teilnehmen. Ich sage, wir brauchen uns nicht mit Leuten zu befassen, die menschliches Gedeihen nicht schätzen, oder die es behaupten. Wir müssen nicht auf Leute hören, die zum Tisch kommen und sagen „Wisst ihr, wir wollen in der Halbzeit unserer Fussballspiele Ehebrechern die Köpfe abschlagen, weil wir ein, vom Schöpfer des Universums diktiertes Buch besitzen, das dies verlangt.“ Wir dürfen zur Antwort geben: „Nun, Ihr scheint über alles verwirrt zu sein. Eure ‚Physik‘ ist keine Physik und Eure ‚Moral‘ ist keine Moral.“ Dies sind gleichwertige Züge, intellektuell gesprochen. Sie stammen aus derselben Verstrickung mit realen Fakten über die Natur des Universums. Bei der Moral kann unsere Auseinandersetzung mit Bezug auf Fakten über die sich ändernden Erfahrungen bewusster Wesen weitergehen. Es scheint mir wissenschaftlich ebenso legitim zu sein, „Moral“ auf diese Weise zu definieren, wie „Physik“ durch das Verhalten von Materie und Energie. Aber die meisten Leute, die Moral wissenschaftlich untersuchen, scheinen das nicht einzusehen.

Übersetzung von: Beat Weber

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