Vom Wiedererstarken fundamentalistischer und radikaler Ideen

Beobachtet man die Entwicklung der letzten Jahre so ist festzustellen, dass bestimmte Formen des Denkens, die auf Ideologien oder Mythen beruhen fröhlich Urständ feiern. Das erstaunliche dabei ist die Tatsache, dass dies sich nicht vor allem auf Entwicklungsländer bezieht (obwohl dies dort sicher in größerem Maße gilt, was als ein deutlicher Hinweis auf den Zusammenhang von Bildung und Aberglaube angesehen werden kann), sondern das starke Anwachsen solcher Gedanken eben auch in den Industrieländern eine Rolle spielt.

Ursachenforschung in diesem Zusammenhang ist schwierig. Die Beteiligten gehen auf keinen Diskurs bezüglich ihrer Haltung ein. Sie sind in ihren Ansichten starrsinnig, obwohl sie nicht die Sicherheit aus ihnen ziehen können, welche ihnen eine offene Diskussion mit Andersdenkenden erlauben würde.

Fundamentalistische Vorstellungen wie die des Kreationismus und Ideologien wie Faschismus und Nationalismus sind auf den ersten Blick nicht miteinander verbunden. Untersucht man diese Konstruktionen jedoch auf ihre Hintergründe, so gelangt man schnell zu der Einsicht, dass sie auf den gleichen menschlichen Defiziten beruhen.

Zum einen ist da die Problematik des Wissens des Menschen um die Begrenztheit seines Verständnisses für die ihn umgebenden Realität zu nennen. Diese Kombination aus Nichtwissen und dem Bewusstsein des Nichtwissens ist ein Paradoxon. Eine mögliche Auflösung des Problems besteht in der Konstruktion einer höheren Entität, die alles Seiende willentlich und nach Plan erschaffen hat. Die andere besteht in der Abgabe der eigenen Verantwortung an eine vermeintlich kompetentere Person oder Institution. Die damit verbundenen Gefahren sind bekannt, die implizite Selbstentmündigung wird dabei unbewusst in Kauf genommen.

Ein anderer Aspekt welcher im Zusammenhang mit Ideologien in Betracht gezogen werden muss, ist die Verbindung aus der Art und Weise wie der Mensch seine Persönlichkeit bildet und definiert, mit der Tatsache, dass Ressourcen aller Art knapp sind. Die klassische Reaktion auf diese Kombination aus Grundbedingungen ist der Anschluss an die stärkste Gruppe oder Gemeinschaft.

Unter Berücksichtigung der Knappheit des Raumes, werden auch nationalistische Verhaltensweisen verständlich. Die Einteilung in „DIE und WIR“ erleichtert den Umgang mit dem Alltag. Vor allem aber ist sie eine Art „Shortcut“ um komplexe Probleme zu erklären. Komplexitätsreduktion als zentrales Mittel des Überlebens in einer durch ihr Übermaß an Informationen potentiell feindlichen Umwelt, zeigt sich hier wieder deutlich als grundlegende Strategie des menschlichen Geistes. Wie der Mensch seine Persönlichkeit konstruiert, die Aufteilung in eine innere Sicht und eine äußere Sicht, also der Antizipation der Sicht anderer von der eigenen Person, zwingt ihn sein Verhalten auch nach wirklichen, oder vermeintlich von anderen gewollten Maßstäben zu richten.

Die genannten Aspekte sind eine Erklärung dafür, dass die Umwelt, speziell die soziale, einen großen Einfluss auf das Verhalten des Einzelnen hat. Was allerdings noch nicht geklärt ist, ist das Maß in dem sich dies abspielt. Es scheint offensichtlich, dass es diesbezüglich große Schwankungen von Individuum zu Individuum gibt, soll heißen, es gibt Menschen, die ihr soziales Umfeld weniger zur Strukturierung und Determination des eigenen Handelns heranziehen und Menschen die dies in verstärktem Maße tun.

Spielt das soziale Umfeld jedoch eine große Rolle, ist also der Faktor Fremdwahrnehmung von großer Bedeutung, so besteht tatsächlich eine höhere Gefahr sich extremistischen Gruppierungen anzuschließen, als bei größerer Eigenständigkeit.

Soll die Betrachtung einen Sinn haben, gilt es Theorien zu formulieren, anhand derer Prognosen des menschlichen Verhaltens gemacht werden können. Eben jene Prognosen bergen aufgrund der Komplexität des Betrachtungsobjekts große Unsicherheiten.

Ihrer Natur nach können speziell religiöse Erfahrungen – auch entgegen anders lautender Behauptungen - nicht gemacht werden, sondern müssen übernommen werden. Dies geschieht in dem meisten Fällen durch Indoktrination, dem Obtruieren der religiösen Glaubensinhalte in der Kindheit. Dabei ist die Verankerung im Denken so tief, dass der Eindruck entstehen kann, es sei eine selbst gemachte Erfahrung.

Es zeigt sich, dass dergestalt verfestigte Strukturen nur schwer überwunden werden können – mit den bereits oben erwähnten Unterschieden von Individuum zu Individuum. In diesem Zusammenhang spielt die Homogenität des Umfeldes eine entscheidende Rolle. Das zeigt sich schon dadurch, dass wirklich fundamentalistische Gruppen keine Individuen in ihrer Mitte dulden, die die jeweilige Ideologie in Frage stellen.

Menschen, die in solchen Situationen von Zweifeln erfüllt werden, die sich nicht durch simples „ich glaube also ist das schon richtig“ überwinden lassen haben häufig nur die Möglichkeiten ihren Lebenskreis zu verlassen, also auch den Ort an dem sie leben zu ändern, wollen sie sich nicht ständiger heftiger Ausgrenzung und Anfeindung aussetzten.

Die eingangs erwähnte Tendenz, die Überforderung des menschlichen Geistes durch die Annahme eines, wie auch immer gearteten übernatürlichen und übergeordneten Schöpferwesens zu kompensieren, nimmt in unseren Tagen eher zu, als ab. Die Ursache hierfür ist sehr leicht benannt. Die Welt des Menschen wird mit steigendem Wissen eher komplexer, als simpler, während die menschliche Fähigkeit mit diesem Anwachsen der Komplexität umzugehen ganz offensichtlich nicht im selben Maße wächst.

Da sich auf jede Antwort mindestens zwei neue Fragen stellen lassen, (Qualität und Quantität) ist die wachsende Wissensmenge für viele Menschen extrem bedrohlich. Sie verstehen schlicht die Welt immer weniger. Viele von ihnen – ein intergeneratives Problem – entstammen noch aus einer Gesellschaft, in der die Erklärungsvariante Gott, fraglos akzeptiert wurde und eine Art universellen Anker darstellte. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte hat dieses Erklärungsmodell jedoch in immer stärkere Bedrängnis gebracht.

Die daraus folgenden Reaktionen sind offensichtlich. Während ein Teil der Menschheit dem Übernatürlichen gegenüber schlicht immer gleichgültiger oder skeptischer wird, kapselt sich der andere Teil immer mehr ab und wird in seiner Vorstellung immer starrsinniger. Das geschieht schon deshalb, weil praktisch täglich Erkenntnisse gewonnen werden, die die bisherigen auf Göttern basierenden Erklärungsmodelle ad absurdum führen.

Und wie jedes Lebewesen, dass sich in seiner Existenz bedroht fühlt, ist die Reaktion darauf extrem. Sie reicht von grundsätzlicher Ignoranz der Gegebenheiten bis hin zu blanker Gewalt gegenüber allen Andersdenkenden. Und jede Reaktion von außen auf solches Verhalten wird als Bestätigung der eigenen Vorstellungen interpretiert.

So sehen wir uns einer Realität gegenüber gestellt, in der Aberglaube und Ignoranz eher zunimmt, als zu verschwinden. Leider hat dies Auswirkungen auf unser aller Leben, da die entsprechenden Gruppierungen nicht bereit sind, ihre Vorstellung als für sich selbst gültig, aber für andere optional zu betrachten, sondern jede Abweichung von ihren Doktrinen als Bedrohung empfinden und entsprechend reagieren.

 

Gibt es einen realistischen Ausweg aus diesem Dilemma? Einen bei dem nicht eine Gruppe die andere mit Gewalt, die letztlich das Problem auch nicht löst, zwingt ihre eigenen Vorstellungen zu überdenken und letztlich aufzugeben?

Kommentare

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    Bernd Kammermeier

    Gibt es einen realistischen Ausweg aus diesem Dilemma? Einen bei dem nicht eine Gruppe die andere mit Gewalt, die letztlich das Problem auch nicht löst, zwingt ihre eigenen Vorstellungen zu überdenken und letztlich aufzugeben?

    Es gibt einen hypothetischen Ausweg, der allerdings wie ein komplexes Uhrwerk viele ineinandergreifende Rädchen benötigt, um die Welt richtig ticken zu lassen. Wesentliches Rad wäre die Neubewertung von Religion als gesellschaftlicher Komponente bei politischen Gruppierungen und Regierungen. Stichworte: Säkularisierung, Religion als Privatsache. Gleichzeitig Aufgabe aller -Ismen zugunsten einer ergebnisoffeneren Gesellschaftsform, die sich evolvierend weiterentwickelt. Dies erzeugt ständiges Beantworten von Fragen - sowohl die Notwendigkeit, als auch die Möglichkeit dazu.

    Und hier ist das nächste wichtige Rad: Der Öffentlichkeit vermitteln, dass ungeklärte oder neue Fragen Chancen in sich bergen. Zum einen erzwingen sie Antworten, zum anderen aber fordern sie uns Menschen - was letztlich ein positives Gefühl. Wer möchte nicht gebraucht und gefordert werden, wichtig sein? Eine Welt, in der alle Fragen - auch die "letzten Fragen" - beantwortet sind (ob von einem Gott oder sonstigen Geistwesen) ist ähnlich langweilig, wie das Paradies als jenseitige Horrorvorstellung.

    Ich habe oft mit Gläubigen über ihre Jenseitsvorstellung diskutiert und ihnen dabei plastisch vor Augen geführt, was das konkret bedeutet, Trilliarden Jahre lang leben zu MÜSSEN. Eine tödliche Langeweile, die sich breit macht, ohne Chance, ihr durch Freitod entgehen zu können. Die Antworten waren sehr unterschiedlich, bis hin zum Beginn eines Zweifels, ob das wirklich so erstrebenswert ist, für immer im Paradies zu leben.

    Daraus leitet sich aber ab, dass ich (und letztlich auch die Gläubigen) viel lieber in einer begrenzten Welt leben mit einer schier unendlichen Menge an Fragen, die wir und auch die nächsten 1.000 Generationen nie vollständig werden beantworten können. Und hier ist das Bildungswesen gefragt, offene Fragen als etwas Positives zu vermitteln. Schule basiert noch immer zu sehr auf der Vermittlung von Faktenwissen. So entsteht bei jungen Menschen der Eindruck, es gäbe finale Antworten. Würde Schule hier eher ergebnisoffen vorgehen und Lust auf Forschung vermitteln, mehr noch: auf die Lust am Fragen finden, dann könnte ein starres ideologisches System (ob religiös oder politisch) kaum als erstrebenswerte Alternative angesehen werden.

    Ein junger Mensch, der gelernt hat, dass Fragen etwas Wunderbares sind - auch ganz banal, weil sich daraus für ihn spätere Berufschancen ergeben - der wird eher gefeit sein gegen Institutionen - politische wie religiöse - die vorgeben, die letzte Antwort gefunden zu haben, ob aus "Heiligen" Büchern oder Parteiprogrammen.

    Letztlich geht es um eine Verschiebung der Wertigkeit von "gelöste Frage" zu "offene Antwort". Ein Archäologe hat mal, ich glaube es war 1969, im französischen Fernsehen die Meinung vertreten, man könne die Archäologie als Disziplin beenden, weil alles erforscht sei. Es gibt noch mehr solche selbstherrlichen Dummheiten von Wissenschaftlern, die irreleitend sind, weil sie suggerieren, es gäbe finale Antworten. Aber gesetzt den Fall, dies wäre so. Alle Wissenschaftsdisziplinen fänden nach und nach die absolute Wahrheit und lieferten ihre Abschlussberichte ab. Was dann? Dann bräuchte es einen musealen Verwalter dieser endgültigen Bibliothek und sonst nichts. Niemand müsste dieses Wissen mehr lernen - es wäre ja auch so ungeheuer komplex, dass es niemand mehr lernen könnte. Und weil dies frustrierte, würde es die Menschen zu "einfachen" Lösungen ziehen, die Ideologien bieten. Im einen Fall reiche es, wenn man einem Führer vertraue, im anderen Fall reiche es, wenn ich überzeugt sei, dass es Adam und Eva gab, dass diese die Erbsünde über die Menschheit brachten, dass ein gütiger Gott seinen Sohn geschickt hat, um diesen die Erbsünde auf sich nehmen zu lassen und wenn wir den Sohn anerkennen, dann wird alles gut.

    Also: Lasst und die ungelöste Frage zum Helden erklären, zum Ziel der Menschheit, zur immerwährenden Aufgabe. Im Film "2001: Odyssee im Weltraum", der mich als Kind in seinen Bann zog, sind die letzten gesprochenen Worte: "... ist ein ungelöstes Rätsel."
    Seit dem ich dies hörte, sind für mich offene Fragen die Essenz des Lebens. Ich hoffe, dass dieser erquickliche, wunderbare Stoff der Menschheit bis zu ihrem natürlichen Ende erhalten bleibt.

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      ErikaNagl

      Sehr gut genau so ist es.

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