Weltanschauliche Wörterkunde

Als Freund von sprachlicher Präzision pflegen ich und eine Vielzahl weiterer Menschen in Diskussionen und Erörterungen, egal ob auf schriftliche oder sprachliche Weise, auch in weltanschaulichen oder philosophischen Themengebieten gerne eindeutige Fachformulierungen zu verwenden. Da die allermeisten dedizierten Humanisten mit diesem Vokabular vertraut sind, stellt das auch in aller Regel kein Problem dar und ist allgemein für die inhaltliche Klarheit von Vorteil. Hin und wieder kommt es jedoch vor, dass diese semantische Vorgehensweise als zu theoretisch wahrgenommen wird und einige Diskussionspartner, die mit religionskritischer und philosophischer Literatur nicht so eng vertraut sind darin gar eine Art der Verwirrungstaktik ausmachen wollen. Das ist auch alles andere als unverständlich, denn die Vielfalt charakterisierender Begrifflichkeiten und weltanschaulicher Definitionen ist groß und nicht immer leicht zu durchschauen. Zudem klingen die Worte recht ähnlich und unterscheiden sich sowohl inhaltlich, als auch schriftlich nur in Nuancen. Ein kompakter Überblick über weltanschauliche Definitionen und Charakteristika ist daher gewiss hilfreich.

Weltanschauliche Wörterkunde

Spektrum der Glaubensintensität

In seinem berühmten Werk „Der Gotteswahn“, herausgegeben im Jahre 2006 liefert der international bekannte Biologieprofessor, Religionskritiker und Aufklärer Clinton Richard Dawkins die Formulierung einer theistischen Glaubensskala in 7 absteigend angeordneten Punkten. Sie reichen vom fundamentalistischen Glauben an übernatürliche Wesen oder Welten bis zum solide begründeten Atheismus. Besondere Begrifflichkeiten werden dort für die einzelnen Abstufungen nicht verwendet, stattdessen erklärt ein einzelner Satz die jeweilige Stufe der Intensität genauer. Im Sprachgebrauch bietet es sich aber besser an genaue Begriffe an Stelle von Zahlen zu verwenden, die außerdem ausgiebiger definiert sind. Abgestuft von stark gläubig nach in keiner Weise gläubig sind das die folgenden:

1.) Theismus/Der Theist: Unter Theismus (Götterverehrung) versteht man den Glauben an eindeutig und fest definierte übernatürliche, man kann auch sagen „magische“ Kreaturen, Wesenheiten oder jenseitige Welten. Ihre Definition erhalten diese übernatürlichen Dinge bei organisierten Religionen in der Regel in „heiligen“ Büchern oder besonderen Regelwerken (Evangelien, Katechismen), oder im Falle anderer Phantasievorstellungen durch einfache Niederschrift oder kulturelle/rituelle Übereinkunft. Der Begriff leitet sich vom griechischen Theos (dt.: Gott) ab und bezeichnet ursprünglich nur die Verehrung von einer oder mehrerer Gottheiten. Man spricht entsprechender Weise dann von Polytheismus oder Monotheismus. Die abrahamitischen Religionen Islam, Christentum und Judentum sind monotheistisch, der Glaube der antiken Ägypter, Griechen und Römer, sowie der Hinduismus sind polytheistisch. Von einem wissenschaftsphilosophischen Gesichtspunkt aus fällt in die Kategorie des Theismus aber auch der Glaube an andere definierte und unbewiesene „Dinge“, wie Einhörner, Feen, Elfen, Trolle, Kobolde, Orks, Zwerge und Russels schwebende Teekanne, sowie der Weihnachtsmann und das fliegende Spagettimonster. Sogar der Glaube an eine Seele, einen metaphysischen freien Willen, das Leben nach dem Tod, Himmel und Hölle oder ähnliches ist auch für sich allein genommen ohne die zusätzliche Annahme eines oder mehrerer in die Naturgesetze und das Leben der Menschen eingreifender Götter ein Teil des Theismus.

2.) Deismus/Der Deist: Dem gegenüber ist der Deismus (Gottgläubigkeit) bereits ein großer Fortschritt an Rationalität. Ein Deist geht keineswegs davon aus, dass Götter oder andere Zauberwesen in die Naturgesetze eingreifen würden oder sich in irgendeiner Art und Weise für die Menschheit oder gar einzelne Individuen dieser interessierten. Bekannte Vorstellungen der Offenbarungsreligionen hegt er überhaupt nicht. Im Deismus gibt es keine Charaktergötter oder andere übernatürliche „Spezies“ wie eierversteckende Osterhasen oder die Zahnfee. Dennoch spielt der inflationär gebrauchte Begriff „Gott“ eine wichtige Rolle im nicht vollständig wissenschaftlichen Weltbild des einfach Gottgläubigen, nämlich beim so gedachten Schöpfungsprozess. Gott ist an dieser Stelle also eine handelnde Entität, die das Universum erzeugt hat und danach keine weitere Rolle mehr spielt. Ein Deist glaubt folglich auch an eine Form von Metawelt, innerhalb oder außerhalb des Universums, wo dieses Wesen seither heimisch (und arbeitslos oder tot?) ist.

3.) Panentheismus/Der Panentheist: Eine noch stärker abgespeckte Form des Glaubens ist der Panentheismus (alles in Gott). Dieser Begriff wird wegen seiner eng umgrenzten Zwischenrolle im Gegensatz zu den anderen hier genannten so gut wie nie benutzt. Der Panentheist glaubt schlicht und einfach an irgendetwas völlig undefiniertes „Höheres“ im Kosmos, das sich angeblich dem menschlichen Verstand auf alle Ewigkeit entziehe und über das mittels der wissenschaftlichen Methode prinzipiell niemals Gewissheit erlangt werden könne. In Anlehnung an ein geflügeltes Wort des deutschen Mediziners Emil Du Bois-Reymond aus dem 19. Jahrhundert kann man den Panentheismus daher auch als Ignorabimus-Glaube („Wir werden nicht wissen!“) bezeichnen. Ein historisches Beispiel für eine panentheistische Vorstellung wären die Annahmen sogenannter Vitalisten von einer unergründlichen Lebenskraft (Vis vitalis) oder der Glaube an eine freie Energie der Anhänger von Nikola Tesla. Auch viele moderne esoterische Gespinste und allgemein pseudowissenschaftliche Annahmen könnte man als panentheistisch (oft aber auch deistisch) einordnen.

Widerlegbar oder nicht?

Bekannt ist sicher, dass viele Religionskritiker und Naturwissenschaftler freimütig zugeben, dass man religiöse Vorstellungen beziehungsweise die physikalische Existenz von Gottheiten nicht widerlegen könne. Das ist aber ein wenig missverständlich formuliert. Was stimmt, ist der Sachverhalt, dass sich theistische, deistische und panentheistische Vorstellungen nicht durch empirischen Erkenntniserwerb widerlegen lassen, was – wie an dieser Stelle stets umgehend hinzugefügt wird – gemäß der Regeln des Wissenserwerbs auch nicht notwendig ist. Denn derjenige, der eine Behauptung (eine Hypothese) formuliert, ist in der Pflicht sie zu beweisen, nicht umgekehrt. Was ohne Beweise behauptet werden kann, kann auch ohne Beweise verworfen werden (Hitchens Razor Prinzip). Der unkompliziertesten Erklärung eines Sachverhalts ist stets Vorzug zu geben (Occam´s Razor Prinzip).

Innerhalb der Erkenntnistheorie ist der Wissenserwerb über ein Objekt gemäß dem Fallibilismus allerdings erst der zweite Schritt der Untersuchung. Wenn ein Untersuchungsobjekt bereits an logischer Konsistenz scheitert, braucht man sich um empirische Untersuchungen keine Gedanken mehr zu machen. Denn während nur ein Bruchteil aller logisch konsistenten Dinge auch real existent ist, ist die Existenz eines logisch unmöglichen Dinges unmittelbar ausgeschlossen. Gegen die präzise definierten Konzepte des Theismus und Deismus lassen sich mit Leichtigkeit Widerspruchsbeweise durch Logik führen (Reductio ad absurdum), was alle weiteren Überlegungen überflüssig macht. Bei Panentheismus funktioniert das allerdings aufgrund zu schwammiger und absichtlich diffuser Vorstellungen häufig nicht. „Irgendwas Höheres“ ist kein Begriff, mit dem man vernünftig arbeiten könnte. Widerlegen lässt sich dieser Minimalglaube (und nur dieser!) daher nicht.

4.) Pantheismus/Der Pantheist: Ein Pantheist wiederum ist etwas gänzlich anderes als ein „Irgendwas-Gläubiger“. Oft bezeichnet man diese bereits vollständig naturalistische Auffassung der Welt auch nach ihrem berühmtesten Vertreter als Einstein-Glaube, oder kosmische Spiritualität. Einen transzendenten Gott gibt es in dieser Weltsicht nicht, weder als Erlöser, oder einfache Schöpferfigur, noch als geisterhafte Unergründlichkeit. Auch alle anderen übernatürlichen Erfindungen fallen damit weg. Pantheismus ist eine vollständig atheistische und damit naturalistische Weltanschauung, innerhalb derer der Begriff „Gott“ hin und wieder als bloße Metapher für die Gesamtheit der Naturgesetze, das Universum oder die Welt beziehungsweise die belebte Natur gebraucht wird. Richard Dawkins beschreibt den Pantheismus daher auch als aufgepeppten Atheismus. Viele Naturwissenschaftler und Philosophen bemühen sich besonders intensiv um eine poetische und ästhetisch ausgeschmückte Artikulationsform wissenschaftlicher Erkenntnisse, die dadurch für die Allgemeinheit manchmal leichter verständlich werden und nennen sich nicht zuletzt im Zuge dessen Pantheist.

5.) Atheismus/Der Atheist: Eine Person die sich stattdessen lieber als Atheist bezeichnet wird auf solch für viele gläubige Menschen sehr missverständliche Formulierungen lieber ganz verzichten und sich schlicht Atheist (ohne Gott) nennen. Insbesondere Theisten haben nämlich die Angewohnheit Pantheisten unredlicherweise als religiöse Personen zu deklarieren. Atheismus bezeichnet die Nichtannahme, respektive Verwerfung jeder logikwidrigen oder empirisch mutwilligen Hypothese über die physikalische Existenz einer supernaturalistischen Entität oder Metawelt. Eine Person die zwar nicht an einen Offenbarungsgott glaubt, dafür aber an die Existenz der Zahnfee, ein Leben nach dem Tod oder die Wirksamkeit von Zauberwasser lässt sich kaum als Atheist bezeichnen.

Bright oder Super?

Nach einer Nomenklatur des britischen Philosophen Daniel Dennet lassen sich die ersten drei Definitionen dem Supernaturalismus zurechnen, da in Theismus, Deismus und Panentheismus Elemente des Übernatürlichen in verschieden starker Ausprägung zu Geltung kommen. Menschen die in ihrer Weltsicht auf logikwidrige oder gänzlich unbelegte Vorstellungen zurückgreifen müssen, werden demnach oft unter der Bezeichnung Supernaturalisten zusammengefasst. Pantheisten und Atheisten, deren Weltbild hingegen einzig und allein auf der wissenschaftlichen Erkenntnismethode und rationalen Überlegungen fußt gelten im Gegensatz dazu als Naturalisten. Mit Ökologie oder Umweltschutz hat dieser Begriff nichts zu tun und um Verwirrungen vorzubeugen schlug Dennet darum die Alternativbeschreibung Bright (hell, klar, schlau) vor, die sich allerdings bislang nicht wirklich durchgesetzt hat (vermutlich weil sie als zu selbstgefällig wahrgenommen wird). Da Wissen niemals Endgültigkeit beanspruchen kann und stets im Zuwachs begriffen ist, ändern sich mit der Zeit die Kriterien und Anforderungen, nach denen sich ein Mensch als Naturalist bezeichnen lässt. Ein weit verbreiteter Kenntnisstand kann beispielsweise ohne weiteres vor 10 Jahren hochaktuell und wissenschaftlich bestens abgesichert gewesen sein, in der Gegenwart jedoch vollendet als Widerlegt und daher falsch gelten. Ein weiteres Festhalten daran wider besseres Wissen würde je nach der weltanschaulichen Relevanz des Themas eine Definition als Naturalist erschweren. Bei einer solch engen Begriffsverwendung wären jedoch weltweit immer nur wenige führende Naturwissenschaftler und Universalgelehrte überhaupt in der Lage sich dieser Kategorie zuzuordnen, was die Einteilung wenig sinnvoll machen würde. Man muss an dieser Stelle schlicht akzeptieren, dass eine Person die sich als Pantheist oder Atheist bezeichnet auch dann noch als Naturalist gilt, wenn sie stellenweise veraltete Elemente in ihrer Weltanschauung führt, solange diese nur eine Nebenrolle spielen und (ganz wichtig!) Korrektur- und Fortbildungsbereitschaft besteht.

Humanismus/Der Humanist

Atheismus und Pantheismus als Gattungsformen des Naturalismus sind beide naturphilosophisch isolierten Positionen. Wie die Vorsilbe A- (weg, ab, ohne) bereits verdeutlicht handelt es sich insbesondere beim Atheismus um eine reine Verneinungsform, aus der im Gegensatz zu institutionellen Glaubenssystemen keinerlei weitere Ansprüche oder Ansichten außer der Ablehnung des Supernaturalismus erkenntlich werden, auch nicht in ethischer Hinsicht. Das macht diese Personengruppe ausgesprochen heterogen in ihrer Beurteilung aller nicht-metaphysischen Themen und sonstigen philosophischen und politischen Positionen. Ein Humanist ist daher in Abgrenzung dazu ein Atheist oder Pantheist mit einer spezifischen ethischen Agenda, welcher die historisch von der Antike über die Renaissance hin zur Neuzeit entwickelten und mühsam gegen den Supernaturalismus erkämpften Werte der Aufklärung vertritt. Dazu zählen unter anderem Demokratie (Bürgerrechte und Beteiligung an der politischen Willensfindung), Rechtsstaatlichkeit (Gleichheit vor dem Gesetz) und Individualrechte (Menschenrechte und Meinungsfreiheit), sowie eine utilitaristische Ethikkonzeption ohne metaphysische Bezugspunkte (Gut und Böse) und der allgemeine Einsatz der wissenschaftlichen Erkenntnismethode in Technologie und Gesellschaft. Der moderne Humanismus des 21. Jahrhunderts basiert dabei mittlerweile nur noch in Minderheitsanteilen auf den Ideen und Konzepten der Antike und Renaissance und hat sich derer stellenweise veralteten Ansichten entledigt. In seiner heutigen Form ist der moderne Humanismus ein evolutionärer Humanismus, der gemeinsam mit dem später entwickelten Transhumanismus auf die Agenda des Biologieprofessors Julian S. Huxley, dem ersten Generaldirektor der UNESCO zurückgeht und insbesondere in Deutschland durch den HVD, die Giordano-Bruno-Stiftung und die Partei der Humanisten vertreten wird.

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