Gott, Darwin und meine Biologieklassen

Jedes Jahr um diese Zeit, zu Beginn des College Jahres, halte ich für meine Schüler „Die Ansprache“. Sie handelt nicht, wie Sie annehmen könnten, von Sex, sondern von Evolution und Religion und wie sie miteinander klarkommen. Eher davon, wie sie nicht miteinander klarkommen.

Gott, Darwin und meine Biologieklassen

Mike McQuade

Ich bin Biologe, und zwar Evolutionsbiologe, obwohl natürlich kein Biologe und kein Biologiekurs umhin kommt, evolutionistisch zu sein. Mein Unterricht über tierisches Verhalten, mit 200 Schülern, baut auf einem Gerüst der Evolutionsbiologie auf.

Und an dieser Stelle kommt die „Die Ansprache“ ins Spiel. Es ist unverantwortlich, Biologie ohne Evolutionslehre zu unterrichten, und dennoch machen sich viele Schüler Sorgen, wie sie ihren Glauben mit der Evolutionswissenschaft vereinbaren können. Ebenso wie viele Amerikaner die Tatsache nicht erfassen, dass Evolution nicht nur eine „Theorie“ ist, sondern die Untermauerung aller biologischen Wissenschaft, bereitet es einer bedeutende Minderheit meiner Schüler Sorgen, wenn sie herausfinden, dass ihr Glaube im Widerspruch zum Kursmaterial steht.

Bis vor kurzem, habe ich dieses Unbehagen größtenteils ignoriert, in der Annahme, dass es ihr Problem sei, nicht meines. Biologie ohne die Evolution wäre wie Chemie ohne Moleküle, oder Physik ohne Masse oder Energie. Aber anstatt dass die Schüler mit der Spannung zwischen Evolution und Religion mit der Zeit besser klar kommen, schien das Gegenteil zu passieren. Deshalb die „Die Ansprache.

Es gibt nur wenig Möglichkeiten, über Evolution und Religion zu sprechen; so beginne ich. Die am wenigsten kontroverse ist, anzudeuten, dass sie faktisch kompatibel sind. Stephen Jay Gould nannte sie „nicht überlappende Lehrbereiche“, kurz NOMA (nonoverlapping magisteria; Anm. d. Übers.), wobei sich ersterer mit Fakten, letzterer mit Werten befasst. Er und ich waren uns darüber uneinig (in der Öffentlichkeit und zuletzt eher lautstark); er behauptete, ich würde aggressiv eine schmerzvolle und unnötige Entscheidung fordern, während ich darauf beharrte, dass er in seinem Eifer, entgegenkommend zu sein, beides verfälschen würde, Wissenschaft und Religion.

Auf gewisse Weise hatte Steve gewonnen. NOMA ist die allgemein akzeptierte Weisheit des wissenschaftlichen Establishments, einschließlich des „National Center for Science Education“, das einiges für die Förderung des Verständnisses und der Akzeptanz der Evolutionslehre in der Öffentlichkeit geleistet hat. Seiner sich verbreitenden Sichtweise zufolge könnte Gott die Evolution durch natürliche Auslese dazu benutzt haben, um seine Schöpfung hervorzubringen.

Das ist unbestreitbar. Wenn Gott existiert, dann kann er alles unter der Sonne – und darüber hinaus – herangezogen haben, seinen Willen umzusetzen. Deshalb gibt es nichts in der Evolutionslehre, dass notwendigerweise Religion ausschließt, ausgenommen die meisten religiösen Fundamentalismen (alles, was wir über Biologie und Geologie wissen, weist darauf hin, dass die Erde nicht an einem Tag erschaffen wurde).

So weit, so beruhigend für meine Schüler. Aber hier kommt die Wendung: Diese Lehrbereiche sind nicht annähernd so nicht-überlappend, wie es sich einige von ihnen wünschen würden.

So wie die Wissenschaft vorangeschritten ist, hat sich der Raum für religiösen Glauben verengt: Sie hat zwei ehemals mächtige Säulen des religiösen Glaubens eingerissen und den Glauben an einen allmächtigen und gütigen Gott unterminiert.

Die zweifache Beschädigung beginnt bei der Bezwingung dessen, was moderne Kreationisten das Argument der Komplexität nennen. Das erschien einst überzeugend, am besten bekannt durch William Paleys Behauptung aus dem 19. Jahrhundert, dass ebenso wie die Existenz einer komplexen Struktur, wie die einer Uhr, einen Uhrmacher voraussetzt, die Existenz komplexer Organismen die Existenz eines übernatürlichen Schöpfers voraussetzt. Seit Darwin haben wir jedoch ein Verständnis dafür entwickelt, dass ein völlig natürlicher und ungerichteter Prozess, namentlich zufällige Variation und natürliche Auslese, alles enthält, um außergewöhnliche Ebenen der Nicht-Zufälligkeit zu erzeugen. Lebende Dinge sind in der Tat wundervoll komplex, aber alle zusammen innerhalb des Wirkungsbereichs eines statistisch mächtigen, durch und durch mechanischen Phänomens.

Einige meiner Schüler beginnen unruhig auf ihren Sitzen herumzurutschen. Ich fahre fort. Das nächste, das weichen muss, ist die Illusion der Zentralität. Vor Darwin konnte man glauben, dass der Mensch sich von allen anderen Lebensformen unterscheidet, ein Splitter der göttlichen Einheit. Jetzt nicht mehr. Die gewichtigste Botschaft, die wir von der Evolutionslehre mitnehmen können, ist der nicht ganz so einfache Umstand, dass, obwohl Spezies identifizierbar sind (gerade so, wie es Individuen grundsätzlich sind), es eine grundlegende Verbindung zwischen ihnen gibt – sprichwörtlich und phylogenetisch, durch verfolgbare historische Verbundenheit. Darüber hinaus wurde noch nie eine sprichwörtlich göttliche Eigenschaft beim Menschen gefunden; wir sind vollkommen tierisch, so natürlich, wie wir nur sein können, und ununterscheidbar vom Rest der lebendigen Welt, ebenso auf der Ebene der Struktur wie auf der physiologischer Vorgänge.

Zur momentanen religiösen Unsicherheit gesellt sich noch eine dritte Konsequenz der evolutionären Einsicht: Eine heftige Kritik an der Theodizee, der wissenschaftlichen Bemühung, den Glauben an einen allgegenwärtigen, gütigen Gott mit der Tatsache unverdienten Leidens in Einklang zu bringen.

Theologische Antworten reichen von der Behauptung, dass Leiden die Möglichkeit des freien Willens bietet, bis dahin, anzuerkennen, dass Gott so groß und wir so unbedeutend sind (wie im Buch Hiob), dass wir kein Recht haben, Fragen zu stellen. Aber nur ein winziger biologischer Einblick macht klar, dass, obwohl die natürliche Welt wunderbar sein kann, sie ebenso mit ethischen Fürchterlichkeiten gefüllt ist: Fressen und gefressen werden, Parasitismus, Brudermord, Kindsmord, Krankheit, Schmerz, Alter und Tod – und dass das Leiden (wie die Freude) der Natur der Dinge innewohnt. Je mehr wir über Evolution wissen, desto unvermeidbarer wird der Schluss, dass lebende Dinge, einschließlich des Menschen, von einem natürlichen, völlig amoralischen Prozess hervorgebracht werden, ohne Anzeichen für einen gütigen kontrollierenden Schöpfer.

Ich schließe „Die Ansprache“ mit der Bemerkung, dass sie, obwohl sie ihren Glauben nicht ablegen müssen, um sich über Biologie zu informieren (oder auch nur, um meinen Kurs zu bestehen), wenn sie darauf bestehen, beides zu erhalten und zu respektieren, einige herausfordernde mentale gymnastische Übungen machen müssen. Und während ich ihren Glauben respektiere, ist es der zentrale Punkt der Ansprache, klar zu stellen, dass zumindest für diesen Biologen (David P. Barash, Anm. d. Übers.) es nicht mehr akzeptabel ist, das es die Wissenschaft ist, die diese Turnübungen vollführen soll, wie es auf Geheiß von Professor Gould und NOMA hin der Fall war.

Trotz dieser drei Streiche der Evolutionslehre ist Gott nicht notwendigerweise aus dem Feld geschlagen. Am Ende der Filmversion von „Wer den Wind sät“, die auf dem berühmten „Monkey trial“ basiert, eine Verhandlung bezüglich eines Gesetzes in Tennessee, welches das Unterrichten von Evolution verbat, steht die von Spencer Tracy gespielte Figur, die nach dem Anwalt der Verteidigung Clarence Darrow geschaffen wurde, alleine im leeren Gerichtssaal, nimmt eine Bibel in die eine Hand, Charles Darwins „Von der Entstehung der Arten“ in die andere, lächelt wissend, und klappt sie zusammen, bevor er sie unter den Arm klemmt. Wenn es doch nur so einfach wäre.

Korrektur: 29. September 2014
Eine frühere Version dieses Artikels vertauschte zwei Wörter in Bezug auf einen Gedanken des Biologen Stephen Jay Gould. Er glaubte, dass Religion sich mit Werten befasst und Evolution mit Fakten, nicht dass Religion sich mit Fakten und Evolution mit Werten befasst.


Übersetzung: Joseph Wolsing und Manuela Lindkamp

 

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Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    Tja, die logische Demontage Gottes - respektive einer Gottesnotwendigkeit.

    Vielleicht wäre dies ein Ansatz in solchen Diskussionen (von denen ich gerade wieder eine hinter mich gebracht habe), dass nicht Gott infrage gestellt wird, sondern die Gottesnotwendigkeit. In der Eisenzeit (die Bronzezeit war in Kanaan früher, die hebräische Bibel entstand erst während der Eisenzeit) war der Tanach das Non plus Ultra der "Weltanschauung". So, wie beschrieben, stellte man sich Entstehung und Werdegang der Welt vor. Das heißt, für die Menschen vor 2.500 Jahren war die Welt ohne Gott nicht vorstellbar, er war also notwendig.

    Doch nach und nach wurden bestimmte "Leistungen" Gottes durch andere Prozesse, durch natürliche Prozesse, erklärbar. Gott verlor schließlich den Nimbus des Weltenschöpfers, des Tierschöpfers und des Menschenschöpfers. Die heutigen Rettungsversuche seiner Notwendigkeit gehen in zwei Richtungen: 1. den Kreationismus, indem wissenschaftliche Erkenntnis schlicht geleugnet oder als Verschwörung "verteufelt" wird, 2. indem die Bedeutung Gottes für die Entstehung allen Sein minimiert wird, bis er "nur" noch eine moralische Instanz ist, an der wir uns transzendent orientieren sollen. Diese Instanz hat den Vorteil, mit einem nur wegen der nicht möglichen Verifizierung falsifizierten Jenseits auszukommen. Würden gläubige Menschen naturalistisch denken (können würden sie es schon), würde ihnen die fehlende Verifizierung eines Jenseits ausreichen, um Gott auch diesen Wirkungsbereich streitig zu machen. Somit würde er aber jede Notwendigkeit vermissen lassen, denn in der Theodizee-Frage hat er schon auf ganzer Linie versagt, wie jüngst auch der Erzbischof von Canterbury zugeben musste.

    Wie winzig und lächerlich klein soll denn Gott noch werden, diese allmächtige, allwissende, überragende Lichtgestalt des Universums, bis sich die Wissenschaft mit ihm zufrieden gibt?

    Ich habe am Samstag geschimpft! Da war wieder einer, der an Gott glaubte und damit auch an die Schöpfung. Für ihn war das ganz klar miteinander verknüpft. Wenn es keine Schöpfung gibt, dann gibt es auch keinen Gott. Also ist Urknall und Evolution Mist. Ich habe ihn direkt gefragt, ob er ein naturwissenschaftliches Fach studiert hätte. "Nein", kam nach einem Zögern zur Antwort. Ich habe ihm wieder sehr direkt gesagt, dass Gläubige doch von Atheisten Respekt für ihren Gottesglauben beanspruchen. Warum bringen Gläubige dann nicht den gleichen Respekt tausenden von Wissenschaftlern weltweit entgegen, die ihr Leben lang studiert und geforscht haben, um zu verstehen, wie die Welt funktioniert, woher wir stammen etc.? Da war er einigermaßen verblüfft. Offenbar hatte er darüber noch gar nicht nachgedacht, dass diese selbstsichere Ablehnung der Evolution gleichzeitig die größten Koryphäen auf ihren Gebieten beleidigt. Gerade so, als seien sie die größten Deppen, die lustlos in der Erde herumstochern und jeden amerikanischen Plastikmüll für ausgestorbene Lebensformen halten.

    Das hat wirklich ein Nachdenken in dem Mann ausgelöst und er war wesentlich zugänglicher für andere Gebiete, die bei Religion im Argen liegen: Moral, Ethik, Werte, Gerechtigkeit, Menschenbild, Homophobie, Ausgrenzung Andersdenkender etc. Die ganze Palette halt der göttlichen Unmenschlichkeiten halt. Wenn Gott nämlich erst einmal unnötig ist, um die Welt zu erklären, dann wurde er wohl von Menschen als Schöpfer eingesetzt, um das damals spärliche Wissen mit "Fakten" zu füllen. Und vielleicht, so habe ich weiterargumentiert, haben die Menschen damals folgenden Trugschluss gefunden: Wenn Gott der Schöpfer von allem ist, dann hat er gewisse Rechte, so, wie ein Sklavenbesitzer glaubt, mit seinem Sklaven alles tun und lassen zu können, was ihm beliebt. Sklaverei ist damals nicht nur üblich gewesen, sondern wurde von Gott moralisch nie infrage gestellt. Nach damaliger Logik war also Gott der nicht hinterfragbare Herr über alle Dinge und Lebewesen der Erde. Er durfte sie vernichten oder leben lassen, wie er wollte. Daraus leiten sich seine 10 Gebote ab, daraus leitet sich bis heute die "Notwendigkeit" ab, in einen GottesDIENST zu gehen. Religiös betrachtet sind wir - trotz allem Geschwurbels - noch immer Sklaven Gottes.

    Erst die Wissenschaft hat uns aus diesem Joch befreit. Ob mein Gespräch einen nachhaltigen Effekt bei meinem Gesprächspartner haben wird, weiß ich nicht, aber er hat eingesehen, dass man die Lebensleistung hochmotivierter Wissenschaftler OHNE EIGENE AUSBILDUNG nicht mit Verweis auf ein altes Buch verwerfen DARF! Dass dies letztlich eine schlimmere Beleidigung ist, als wenn ich behaupte, Gott existiere nicht.

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