Wie man seinen Glauben stärkt – Ein Brief an einen religiösen jungen Menschen

Vor Kurzem erhielt ich einen Brief eines sehr religiösen und offenkundig sehr intelligenten und gebildeten jungen Menschen aus Pakistan, in dem ich nach meinen persönlichen religiösen Ansichten gefragt wurde. Das war meine Antwort:

 

Lieber X,

 

Ich werde hier nicht über meine eigenen religiösen Ansichten reden, sondern über Ihre. Es belastet Sie anscheinend ein wenig, dass ich Ihre religiösen Ansichten womöglich nicht teile. Ich möchte Ihnen daher eine vernünftige, wissenschaftliche, logische und narrensichere Methode vorschlagen, mit der Sie Ihren eigenen Glauben stärken können.

Es ist im Grunde egal, welcher Strömung welcher Religion auch immer Sie angehören– Sie müssen nur Folgendes tun: Wählen Sie zwei oder drei weithin bekannte Religionen mit großer Anhängerschaft aus, die sich möglichst von Ihrer Religion unterscheiden. Von Ihrem Standpunkt aus gesehen irren sich die Menschen, die diesen Religionen angehören, in sehr vielen Dingen, auch wenn Sie ihnen in manchen Bereichen ihres Glaubens vielleicht  zustimmen. Lassen Sie die Bereiche, in denen Sie ihnen zustimmen, jetzt beiseite. Konzentrieren Sie sich stattdessen auf ihre falschen Überzeugungen. Je lächerlicher sie Ihnen erscheinen, umso besser. Und jetzt überlegen Sie, warum derart viele Menschen diese Überzeugungen nicht nur für vernünftig, sondern oft auch für selbstverständlich halten. Sie sollten sich ernsthaft damit befassen, die Antwort auf diese Frage zu finden. Zum Schluss sollten Sie eine Liste all der schlechten Gründe, an diese Religionen zu glauben, vor sich haben.

Wenn Sie darüber nachdenken und sich mit der Frage auseinandersetzen, werden Sie herausfinden, dass es generell keine großen Unterschiede in der durchschnittlichen Intelligenz zwischen den Anhängern Ihrer Religion und den Menschen gibt, die ganz anderen Religionen angehören. Immerhin gab und gibt es unter den Angehörigen aller großen Religionen versierte und äußerst kluge Künstler, Wissenschaftler, Musiker, Mathematiker, Autoren, Philosophen etc. (natürlich findet man auch bei jeder Religion Schwachköpfe, aber das hat nichts mit der Sache zu tun). Ebenso zählen sowohl hochmoralische Menschen als auch Betrüger, Lügner und bösartige Psychopathen zu den Anhängern unterschiedlichster Religionen.

In vergleichbaren Lebensumständen handeln Angehörige diverser Religionen auf vergleichbare Art und Weise. Zum ersten Mal fiel mir dies auf, als ich in Amerika an der Universität studierte und Studenten aus der ganzen Welt begegnete, die allen möglichen religiösen Richtungen angehörten: Mormonen, Buddhisten, Muslime, Juden, Katholiken, Hindus, Atheisten usw. Doch in den Kursen, die ich belegte, etwa „Partielle Differentialgleichungen“, waren keine Unterschiede in den Leistungen der einzelnen Gruppierungen erkennbar. Natürlich führte ich keine statistische Analyse durch, um dies zu beweisen; andere haben dies jedoch sehr wohl getan. Es stimmt also einfach nicht, dass alle Menschen, die geradezu lächerlich falsche religiöse Überzeugungen haben, dumm sind. Sie sind nur dumm in Bezug auf ihre Religion; davon abgesehen stehen sie anderen in nichts nach. Aber woran liegt es sonst? Warum glauben sie an offensichtlich falsche Dinge?

Eine eklatante Tatsache wird Ihnen sofort aufgefallen sein: Die meisten dieser irregeführten Menschen (in der Tat fast alle von ihnen) glauben an dieselbe Religion wie ihre Eltern, also besteht hier wahrscheinlich ein Zusammenhang. Kinder vertrauen ihren Eltern für gewöhnlich, wollen ihre Anerkennung und Führung. Und meistens stellt sich das, was die Eltern ihren Kindern sagen, als wahr heraus. Aber nicht immer. Hat sich erst einmal ein lächerlich falscher Glaube durchgesetzt (aus welchem Grund auch immer), ist es leicht vorstellbar, dass er von Generation zu Generation weiter gegeben wird. Vielleicht glauben diese Menschen deswegen an etwas, das Ihnen geradezu dumm erscheint. Man darf auch nicht die Furcht außer Acht lassen, dass das Ablehnen des Glaubens die elterlichen Gefühle verletzen könnte, und die Furcht vor Ausgrenzung von der Familie und der Gemeinschaft, in der man lebt. Dies ist also unser erstes sehr gutes Beispiel eines schlechten Grundes, einer Religion anzugehören: Weil es die Religion der Eltern ist. Zumindest falls einem etwas daran liegt, das Wahre zu glauben. Beginnen Sie nun also mit Ihrer Liste an schlechten Gründen für einen bestimmten Glauben, und nehmen Sie diesen an erster Stelle. Beachten Sie, dass ich nicht gesagt habe, dass man notwendigerweise falsch liegt, wenn man an dieselbe Religion wie seine Eltern glaubt. Ich sage nur, dass Sie bedenken müssen, dass die Tatsache, dass Ihre Eltern an eine bestimmte Religion glauben, keinen Grund für Sie darstellt, an dieselbe Religion zu glauben.  Sie müssen sich unabhängig davon Klarheit darüber verschaffen, ob die Religion Ihrer Eltern wahr ist.

Aber nicht alle Menschen glauben an dieselbe Religion wie ihre Eltern. Manche Leute treten in eine andere Religionsgemeinschaft über. Manchmal zwingen sie die Umstände dazu. So ist es zum Beispiel in manchen Ländern nicht einfach, einer anderen Religion anzugehören als die Mehrheit der Bevölkerung. Ich bin sicher, dass Ihnen hier in Bezug auf Ihre eigene Religion viele Beispiele einfallen werden. Menschen, die die Lebensumstände dazu zwingen, die Religion zu wechseln, um nicht verfolgt oder unterdrückt zu werden, tun dies nicht aus einem guten Grund. Die Tatsache, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion das Leben vielleicht vereinfacht, bedeutet offensichtlich nicht, dass diese Religion notwendigerweise wahr ist. Dies ist also ein weiterer schlechter Grund für Ihre Liste. Historisch gesehen sind derartige Konversionen nicht unüblich und sind in der Vergangenheit im großen Stil vorgekommen.

Ein anderer Grund dafür, dass Menschen einer gewissen Überzeugung anhängen, ist der, dass sie sich dadurch besser fühlen. So könnte ihnen etwa der Gedanke, dass sie durch den Tod permanent von ihren Eltern oder geliebten Personen getrennt werden, Angst machen; wenn ihnen ihre Religion daher den Glauben an ein ewiges Leben nach dem Tod bietet - was viele Religionen tun -, wo sie mit ihren Freunden und ihrer Familie wieder vereint werden, könnte diese Vorstellung sie beruhigen. Ebenso könnte die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft manchen Menschen ein Gefühl der Solidarität bieten sowie eine Gemeinschaft und eine angenehme Art der gelegentlichen sozialen Interaktion mit anderen. Aber nur, weil etwas ein angenehmes Gefühl auslöst, ist dies noch kein guter Grund, zu glauben, dass es auch wahr ist. Es würde sich für mich sehr gut anfühlen zu glauben, dass ich in Kürze eine große Summe Geld von einem unbekannten Verwandten erben würde, aber nur deswegen wird es nicht wahr werden; und es wäre ziemlich töricht von mir, daran zu glauben – ohne gute Beweise dafür, dass es auch stimmt.

Ihre Aufgabe ist es, über die Menschen nachzudenken, die an - in Ihren Augen – offensichtlich falsche, sogar lächerliche Dinge glauben, und eine Liste der Gründe zu verfassen, warum diese Menschen das tun. Sie können sich in dieses Thema vertiefen, indem Sie Bücher über die Ursprünge der Religionen lesen und über die Schwachstellen der menschlichen Psychologie und emotionalen Veranlagung, die es so vielen eigentlich intelligenten Menschen ermöglichen, derart falsche Vorstellungen zu haben. Es wird Sie überraschen herauszufinden, wie viele der Ihnen verrückt erscheinenden religiösen Überzeugungen sich wohlbekannter Probleme der menschlichen Kognition bedienen, um von einer Generation in die nächste zu gelangen. Alle Menschen weisen anscheinend dieselben mentalen Schwachstellen auf, so wie es sich auch bei den physischen Schwachstellen (etwa den nutzlosen Blinddarm) verhält, und Psychologen konnten beim Studium dieser Phänomene große Fortschritte erzielen. Ich füge unten eine kurze Auswahl an Büchern zu diesem Thema an.

Und  nun sind wir beim letzten, sehr einfachen Schritt angelangt. Sobald Sie meinen, die vielen Gründe, warum diese Anhänger anderer Religionen an derart falsche Dinge glauben können, recht gut zu verstehen, und Sie die Fremdartigkeit ihrer Überzeugungen nicht länger verwundert, müssen Sie nur noch Folgendes tun, um Ihren Glauben zu stärken: Vergewissern Sie sich, dass sich keine dieser schlechten Gründe mit Ihren eigenen Gründen, Ihrer Religion anzugehören, überschneiden. Das war’s. Wenn Sie diese Übung beendet haben, wird Ihr Glaube an Ihre Religion so stark sein wie noch nie, denn Sie werden wissen, dass Sie an das, woran Sie glauben, aus guten Gründen glauben.

 

Alles Gute,
Abbas

 

Ein paar lesenswerte Bücher:

Und Mensch schuf Gott von Pascal Boyer
In Gods We Trust: The Evolutionary Landscape of Religion von Scott Atran
Warum wir (an Gott) glauben: Eine kompakte Einführung in die Wissenschaft der Religion von J. Anderson Thompson
Den Bann brechen: Religion als natürliches Phänomen von Daniel C. Dennett

 

S. Abbas Raza ist Gründer und Herausgeber von 3Quarksdialy.com
Übersetzung von: Daniela Bartl, Adrian Fellhauer

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

Neuer Kommentar

(Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

* Eingabe erforderlich