Neil deGrasse Tyson bombardiert von kreationistischer Gegenreaktion, weil er erklärte, das Universum sei viele Milliarden Jahre alt

Im Fahrwasser des Erfolgs der Fernsehserie „Cosmos“, die Anfang der Woche vier Emmys gewann, sprach Neil deGrasse Tyson in einem aktuellen Interview mit AlterNet über Politik, Religion und Wissenschaft.

Neil deGrasse Tyson bombardiert von kreationistischer Gegenreaktion, weil er erklärte, das Universum sei viele Milliarden Jahre alt

Auf meine Frage, ob ihn der Erfolg von „Cosmos“ überrascht habe, sagte Tyson, er habe nicht damit gerechnet, dass Unterhaltungsseiten und Blogs der Serie so viel Aufmerksamkeit schenken würden. Aufgrund der Unterstützung durch einen großen Sender und der Ausstrahlung zur Prime-Time sei über „Cosmos“ genauso berichtet worden wie über jede andere TV-Show, erklärte er. Dadurch seien viele Entertainment-Journalisten gezwungen gewesen, über alle möglichen Wissenschaftsthemen zu schreiben, mit denen sie sich normalerweise nicht beschäftigen, was der Serie ein neues – und möglicherweise gar nicht anvisiertes – Publikum verschafft habe.

Schockiert hat Tyson die heftige Reaktion einiger religiöser und politischer Gruppen – überwiegend Kreationisten, die Anstoß an seinen Aussagen über die Evolution, den Urknall und die Geschichte der Wissenschaft nahmen – auf die Serie nicht. Ihre Kritik beeindruckt Tyson nicht im Mindesten. „Man sollte sich fragen, wie viele Menschen denn eigentlich hinter solchen Behauptungen stehen. Jemand wie Ken Ham [der Eigentümer des Creation Museum] glaubt Dinge, die auch viele Christen für verrückt halten.“

Hams Kritik prasselte in Form einer wöchentlichen Rezension auf der Website seiner kreationistischen Organisation Answers in Genesis (AiG) herein. Seine Kommentare erregten einige Aufmerksamkeit bei den Medien und wurden vielfach von Wissenschaftsautoren aus jeder Ecke der Netzgemeinde beantwortet.

Doch Tyson wundert sich, wie es Ham überhaupt gelingen konnte, irgendjemandes Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Wie er vermutet, könnte es etwas mit Hams Kreationismus-Debatte mit Bill Nye, dem Moderator der TV-Show „Bill Nye the Science Guy“, zu tun haben.

„Jeder kennt Bill Nye, aber kaum jemand hat je etwas von Ken Ham gehört“, sagte Tyson. „Nach der Debatte bemerkte Ham wohl, dass er Medieninteresse erregt hatte. Man muss sich fragen, ob er die Serie überhaupt behandelt hätte, wenn diese Debatte nicht gewesen wäre.“

Tyson sagte, er habe kein Interesse daran, sich mit den Vorwürfen der AiG gegen ihn oder die Sendung auseinanderzusetzen.

„Was ich präsentiere, ist keine Meinung“, meint er. „Das Leben ist zu kurz, um über Meinungen zu diskutieren. Laut einem alten Sprichwort haben beide Seiten in einer Debatte verloren, wenn diese länger als fünf Minuten dauert.“

Auf diesem Grund debattiere er nicht, sagt Tyson. „Mein Presseagent hätte gerne eine Reihe von Diskussionsrunden über Pluto mit mir arrangiert, aber das interessiert mich nicht wirklich – man kann Pluto einen Planeten oder einen Planetoiden nennen, es ist mir egal. Wie auch immer man ihn nennt, es kommt darauf an, dass man es auf Grundlage der vorliegenden Informationen tut.“

Wenn er als Pädagoge tätig sei, so Tyson, wolle er den Menschen nicht beibringen, was sie denken sollen, sondern wie man denkt, und sie mit wissenschaftlichen Tatsachen vertraut machen. Es hänge von den Leuten selbst ab, was sie mit dem Wissen tun. „Ich bin keiner Totalitarist und will Ihnen nicht erzählen, was sie glauben sollen. Ich will Ihnen die Instrumente und Fakten an die Hand geben, die Sie brauchen, um sich einen eigenen Standpunkt zu erarbeiten. Wenn Sie dann anderer Meinung sind als ich, ist das in Ordnung, solange Ihr Widerspruch anderen nicht schadet.“

Tyson schien nahe daran, über Politik sprechen zu wollen, lüftete das Geheimnis um seine politischen Neigungen letztendlich jedoch nicht. „Ich habe meine Meinungen und neige einer Seite mehr zu als der anderen, aber ich bin nicht hier, um meine Meinungen mitzuteilen oder jemandem zu sagen, wen oder was er wählen soll“, sagte der Wissenschaftler. Er befürchtet außerdem, seine Fans könnten sich seine Ansichten einfach deswegen zu Eigen machen, weil er sie geäußert habe, und nicht, weil sie selbst zu dem gleichen Schluss gekommen sind.

Tysons Weigerung, öffentlich eine politische Partei zu unterstützen, hat Tradition. Er hält die Wissenschaft selbst für unpolitisch und meint, die Politik sollte den Rat von Wissenschaftlern einholen, wenn es um Fragen des Gemeinwohls geht. „Was mich richtig traurig macht, ist, wenn eine an sich unpolitische wissenschaftliche Entdeckung in einer Weise politisiert wird, die die Leute dazu bringt, einfach Partei zu ergreifen statt in einen wissenschaftlichen Diskurs einzutreten.“

 

Übersetzt von Maria Handy und Martin Uhlenbrock
 

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