Mythen der Physik 2: Gravitation ist viel schwächer als Elektromagnetismus

Diesen Mythos hört man in den Physikstunden und liest man in Physik-Lehrbüchern. Er scheint auch eine alltägliche Erfahrung zu sein. Die magnetische Abstoßungskraft zwischen gleichnamigen Polen von zwei Magneten ist viel größer als ihre gegenseitige Massenanziehungskraft.

Mythen der Physik 2: Gravitation ist viel schwächer als Elektromagnetismus

Aber sowohl Sonne als auch Erde haben auch magnetische Felder, und ihre gegenseitige Massenanziehung überwiegt bei Weitem ihre magnetische Wechselwirkung. Als Newton seine Theorie von Keplers Gesetzen der Planetenbewegung ableitete, benötigte er dazu nur seine Gravitationsgesetze und musste nicht magnetische und elektrische Felder der Sonne und der Planeten berücksichtigen.

Das ist also nicht so offensichtlich. Elektromagnetismus überwiegt im atomaren und subatomaren Bereich, aber im planetarischen Maßstab ist es genau anders herum.

Magnetische Felder werden von elektrischen Strömen verursacht. Elektrischer Strom ist nichts anderes als sich bewegende elektrische Ladungen. Das ist ein Teil des gleichen Phänomens wie statische Elektrizität und wird als Elektromagnetismus bezeichnet. Wenn sich eine Ladung im Bezugssystem des Beobachters nicht bewegt, misst er Elektrizität, wenn sie sich im Bezugssystem bewegt, misst er Magnetismus.

Die elektrostatische Anziehungskraft zwischen zwei geladenen Körpern folgt dem coulombschen Gesetz, das aussagt, dass die Anziehungskraft zwischen zwei Punktladungen direkt proportional des Produkts beider Ladungen und umgekehrt proportional zu dem Quadrat der Entfernung der Körper ist.

Die Massenanziehungskraft folgt dem newtonschen Gesetz, das aussagt, dass die Anziehungskraft zwischen zwei Massen direkt proportional dem Produkt der Massen und umgekehrt proportional zu dem Quadrat der Entfernung der Massen ist.

Die elektrostatische Anziehung und die Massenanziehung sinken beide mit dem Quadrat der Entfernung. Wenn man also das Verhältnis der beiden Kräfte berechnet, hebt sich die Abhängigkeit von der Entfernung auf. Für Elektron und Proton ist die Gravitationskraft um 39 Größenordnungen kleiner als die elektrostatische Anziehungskraft. Das ist der Grund für den Mythos, Massenanziehungskraft sei viel kleiner als die elektrostatische Anziehungskraft.

Wieso soll man die Abschätzung der relativen Stärke von Massen und elektrostatischer Anziehung speziell auf diese beiden Teilchen beziehen? Das Proton ist noch nicht einmal elementar, sondern es besteht aus kleineren Teilchen namens Quarks.

In Wirklichkeit gibt es keine allgemeingültige Methode, wie wir die absolute Stärke der Massenanziehung bestimmen können. Newtons Gravitationskonstante G ist nicht dimensionslos und deshalb kein guter Maßstab für die Stärke der Massenanziehungskraft, weil sie davon abhängt, welche physikalischen Einheiten zur Berechnung herangezogen werden.

Die absolute Stärke der elektromagnetischen Kraft wird spezifiziert durch einen dimensionslosen Parameter Alpha, der aus historischen Gründen als „Feinstrukturkonstante“ bezeichnet wird. Genau genommen ist er keine Konstante, sondern variiert mit der Energie. Diese Variabilität ist jedoch sehr gering, und man kann in den meisten praktischen Fällen den Wert 1/137 verwenden.

Herkömmlicherweise wird ein dimensionsloser Parameter Alfa-G definiert, um die Stärke der Gravitationskraft anzugeben. Er ist proportional zum Quadrat der Protonenmasse und hat einen um 23 Größenordnungen kleineren Wert als Alfa. Also ist „offiziell“ die Massenanziehungskraft viel kleiner als der Elektromagnetismus.

Wir haben jedoch bereits festgestellt, dass das Proton noch nicht einmal ein fundamentales Teilchen darstellt, also macht es auch keinen Sinn, mit ihm die Stärke der Massenanziehung zu definieren. Die einzige natürliche Masse, die aus grundlegenden Konstanten der Physik gebildet werden kann, ist die plancksche Masse, die makroskopisch groß ist. Sie beträgt etwa 22 Mikrogramm, während ein Staubteilchen eine Masse von 1 Mikrogramm hat. Wenn man die dimensionslose Stärke über die Plancksche Masse definiert, erhält man genau 1. In diesem Fall ist die Gravitation 137mal stärker als der Elektromagnetismus.

Die Gravitation ist im atomaren und subatomaren Bereich so klein, weil die Massen von atomaren und subatomaren Teilchen so klein sind. Sie ist im planetarischen Maßstab groß, weil die Massen der Planeten so groß sind.

Eine gute Frage ist jedoch: Wieso sind die Massen von Elementarteilchen so klein im Vergleich zur planckschen Masse? Das ein großes Rätsel und wird „Hierarchieproblem“ genannt, das bisher von den Physikern nicht gelöst wurde. Dazu ist anzumerken, dass im Standardmodell die Massen der Elementarteilchen praktisch die Masse Null haben und diese Massen eine kleine Korrektur durch das Higgs-Feld und andere Prozesse erfahren. Das Hierarchieproblem kann zu der Frage umformuliert werden, wieso diese Korrekturen nicht die Größenordnung der planckschen Masse haben.

Auch wenn eine Definition für die absolute Stärke der Gravitation fehlt, bedeutet das nicht, dass ihre Stärke im Vergleich zu anderen Kräften nicht wichtig ist. Wenn man die Definition der Stärke ändert, ändert das nichts am Verhältnis der Kräfte zwischen zwei Körpern in irgendeinem konkreten Fall.  Der Punkt ist aber, dass dieses Verhältnis der Kräfte nicht in allen Fällen dasselbe ist. Eigentlich kann das Verhältnis fast jeden beliebigen Wert annehmen, weil es von den Massen und der elektrostatischen Ladung der Körper abhängt, die miteinander verglichen werden. Kurz gesagt: Es macht keinen Sinn, überhaupt nach der relativen Stärke von Massenanziehung und elektromagnetischer Anziehung zu fragen.

 

Übersetzt von Erwin Nüßler, Günter Dantrimont

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Kommentare

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    Lothar friedrichs

    Das ist sehr genau und verständlich beschrieben. L. Gr.

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      Josua Kylie

      Nun - er macht es sich ein wenig sehr einfach da oben.

      Selbstverständlich ist die Elektromagnetische Kraft (EM) a priori sehr viel größer als die Gravitationskraft (G). Die Aussage EM sei vorwiegend auf atomaren und subatomaren Skalen wirksam ist falsch. Ein EM-Feld kann(!) bezogen auf die Quellmasse IMMER eine um viele Größenordnungen stärkere Kräfte bewirken als ein G-Feld - und das ist vollkommen skalenunabhängig, weil beide dem gleichen Entfernungsgesetz (1/r²) gehorchen.

      Es gilt zunächst, die völlig unterschiedliche Charakteristik beider Kräfte zu beachten. Das G-Feld ist unipolar - d.h. es wirkt nur in eine Richtung. So entfaltet es stets nur anziehende Wirkung zwischen Massen und kann nicht abgeschirmt werden. Das EM Feld ist bipolar - d.h. es kann sowohl anziehende wie auch abstoßende Kräfte entfalten und es ist abschirmbar.

      Der Sonnenwind z.B. hat mit GK nichts zu tun - breitet sich aber bis etwa 120 AE(!) durch das gesamte Sonnensystem aus - und da gibt es noch ganz andere Phänomene in wesentlich höheren Größenordnungen.

      Richtig ist, dass G sich über große, dichte Massen stark aufsummiert (wg. unipolar kann sie sozusagen gar nicht anders...) wohingegen EM sich da wegen Durchmischung entgegengesetzt gepolter Felder meist deutlich schwächt oder fast aufhebt.

      Aus diesem Grunde kann man die Bewegung großer kompakter Massen auch so gut nur mit G beschreiben, ohne EM zu berücksichtigen.

      Im Sonnensystem funktioniert das wunderbar - da auch unsere Sonne relativ kompakt ist (was aber eher eine Ausnahme darstellt). Viele Sterne weisen ein weitaus geringere Dichte als unsere Sonne auf (z.B. Extremfall Mira A...) und in deren Systemen könnte sich das dann schon deutlich anders darstellen - eben weil dort EM-Kräfte nicht mehr vernachlässigbar sind.

      Überhaupt funktioniert die reine Gravitationskosmologie auf großen Skalven nicht mehr so recht. Und das beginnt schon bei unserer eigenen Galaxie, deren Arme deutlich schneller um das GZ kreisen, als es nach G sein dürfte. Dies beobachten wir bei den meisten (aber nicht allen...) Galaxien.

      Daher haben Graviations-Kosmologen ja nun eigens ihre eigene "Zaubermaterie" erfunden - eine ominöse Dunkle Materie, die die eigentlich zu schwache Gravitation im Außenbereich von Galaxie um genau das aufpeppen soll, was ihr fehlt, um das Phänomen zu beschreiben. Davon mag man halten was man will...

      Ich halte nichts davon. Für mich ist es der Beweis, das unser Kosmos eben nicht nur allein durch GK geprägt ist, sondern eben AUCH von EMK - also einer allgegenwärtigen Überlagerung beider makroskopischen Kräfte, deren Resultat sich aus den jeweiligen lokal vorliegenden Bedingungen für beide Kräfte ergeben.

      Und weil beide eine grundverschiedene Charakteristik aufweisen, wird so eine beträchtliche Anzahl an Phänomenen möglich, die man mit keiner von beiden allein erklären könnte.

      In Sachen Galaxie z.B. wissen wir inzwischen, das praktische jede Galaxie von gigantischen Gasansammlungen umgeben ist. Hier gelten ganz andere Zustände als im Falle kompakter astronomischer Objekte, in denen dazu noch hochdynamische Prozesse ablaufen. Fast alle dieser kosmischen Medien liegen zwar extrem ausgedünnt vor - sind als aus Sicht der G eher unbedeutend, aber sie sind fast immer auch eines: Elektrisch geladen, eben weil sie als Plasma vorliegen.

      Große Durchmischung oder dynamische Prozesse gibt es dort nicht (deswegen sehen wir auch wenig davon...) - was aber genau bedeutet, als sich dort enorme EM-Felder aufbauen können, eben weil die EM so viel stärker ist als die G, die mit dieser Strukturform wenig anfangen kann.

      Mithin ist es imho sehr viel wahrscheinlicher, dass die zu schnelle Rotation der Galaxiearme auf Effekte dieser Art zurückgeht, als auf G. Denn hierfür braucht es keine exotische Materie, deren Nachweis trotz jahrzehntelanger Bemühungen partout nicht gelingen will - was hiermit en passant gleich mit erklärt wäre.

      Zurück zum Hauptthema: Die Stärke der EM gegenüber K ist kein Mythos. Sie ist physikalisch unumstößliche Tatsache. Wenn man aber fragt WAS sehen wir da oder dort - heißt die Antwort: es kommt drauf an - wir sehen Konstellation, wo die G dominiert - und wir sehen auch solche wo es ganz offensichtlich die EM tut - zumindest solange wie wir die Finger von Nebelkerzen wie DM lassen.

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        Lis

        Von mir ganz großen Dank an Josua Kylie.
        An den Autor meinen hierzu relativierten großen Dank!

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          Miles Dyson

          Das ist eine höchst anthrophische Diskussion/Fragestellung/Vergleich. Ähnlich dem „Welche Welle ist welliger - Lichtwelle oder Schallwelle?“

          Es handelt sich um 2 vollkommen eigenständige und auf 2 voneinander entkoppelten Quantenfeldern/Quantenfeldgruppen beruhende Effekte.

          Gravitation ist ein Effekt, verursacht von Intensität and Frequenz der Inteferenz der jeweils lokalen Energiepotenziale des Masse-Quantenfeldes (Higgs).

          Elektromagnetismus ist ein (wie von Josua Kylie richtig benannt) bipolarer Fluß (sehr anthrophische Vereinfachung) in der Gruppe der elektromagnetischen Quantenfelder.

          Und deshalb kann deren „Stärke“ nicht miteinander verglichen werden - wie auch die Stärke im rechen Arm nicht mit Kartoffelstärke quantifiziert werden kann.
          Wie der Autor richtig darstellt, gibt es für das Eine kein klares Maß und für das Andere keine fixe Skala, weil die Stärke (oder besser 'der Effekt') mit der Menge zugeführter Energie variiert.

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