Zwingen Sie Ihre religiösen Ansichten nicht Ihren Kindern auf

Letzte Woche wurde in der Islington Gazette berichtet, dass der lokale Regierungsrat des Londoner Stadtteil Islington Schweinefleisch-Produkte aus dem Essen der Grundschule verbannt hat. Das Gerücht eines völligen Verbots wurde seitdem bestritten, und die Wahrheit ist unklar. Es gäbe in der Tat ein gutes Argument für ein Verbot, aus humanitären Gründen. Es gibt nach wie vor überzeugende Beweise dafür, dass Schweine ein Level von Intelligenz und Bewusstsein haben, welches mit unseren geliebten Haustieren vergleichbar ist. Aber solche humanen Überlegungen wurden hier nicht aufgeführt. „Durch den Verzicht auf Schweinefleisch auf der Speisekarte in unseren Schulen können wir Kosten senken und Lebensmittelabfälle reduzieren, um das Budget für das Schulessen unter finanziell schwierigen Umständen maximal zu verwerten“, wurde Stadtrat Joe Caluori, exekutives Mitglied des Rates für Kinder und Familien, in der Gazette zitiert.

Zwingen Sie Ihre religiösen Ansichten nicht Ihren Kindern auf

Der eigentliche Grund wurde von einem anderen Sprecher des Rates verdeutlicht, wie in der Gazette zitiert und in der The Independent, eine von Großbritanniens renommiertesten nationalen Zeitungen wiedergegeben wurde: „Kleine Kinder, einige nicht älter als vier Jahre alt, mit verschiedenen religiösen und ethnischen Hintergründen können nicht wissen, welche Lebensmittel Schweinefleisch enthalten oder nicht die Bedeutung erkennen, dies aufgrund ihrer Kultur oder ihres Glaubens zu meiden.“

Was auch immer wahr oder falsch an dem ursprünglichen Bericht über das Verbot ist, es steht etwas in diesem Zitat, was heraus sticht und einem ins Auge springt. „Ihr“ Glaube? Der „Glaube“ von vierjährigen Kindern? Kam es den Sprechern nicht in den Sinn, dass Kinder, die zu jung sind, die Bedeutung „ihres“ Glaubens zu erkennen, auch zu jung sein könnten um denselben Glauben ursprünglich zu besitzen? Wie kann der „Glaube“ für ein vierjährigen Kindes „wichtig“ sein, wenn es nicht einmal weiß, was sein Glaube ist?

Würden Sie jemals von den politischen Überzeugungen von Vierjährigen sprechen? Hannah ist eine sozialistische Vierjährige, Mark ein Konservativer. Wer würde im Traum daran denken, so etwas zu sagen? Was würden Sie sagen, wenn Sie einen demografischen Artikel lesen, der etwas in dieser Art aussagt: „Eines von drei Kindern, das heute geboren wird, ist ein kantsches neuplatonisches Kind. Wenn sich der Trend in der Geburtenrate fortsetzt, werden existentialistische Positivisten bis zum Jahr 2030 in der Unterzahl sein“. Vergessen Sie die unsinnigen Namen der philosophischen Denkschulen, die ich nur erfunden habe. Ich wählte bewusst surreale Namen, um nicht vom tatsächlichen Punkt abzulenken. Religion ist die einzige Ausnahme, die wir von der Regel machen: Kinder nicht nach den Ansichten ihrer Eltern zu kennzeichnen.

Und wenn sie eine Ausnahme für religiöse Ansichten machen möchten und behaupten, es sei weniger absurd von „christlichen Kinder“ oder „muslimischen Kinder“ zu sprechen, dann sollten Sie besser ein gutes Argument parat haben.

Wie könnte so ein Argument aussehen? Zunächst werden einige sagen, dass die Bezeichnung eines Kindes als muslimisch oder katholisch nicht schlechter ist, wie es als französisch oder schwedisch zu bezeichnen. Aber das ist kein guter Vergleich. Die Staatsbürgerschaft eines Landes, ob es uns gefällt oder nicht, hat rechtliche Folgen. Ihr Land gibt ihnen ihren Pass, sie dürfen an Wahlen teilnehmen, sie könnten sogar zum Kriegsdienst eingezogen werden. Aber wie sie wissen, sagt Jemandes Nationalität rein gar nichts über dessen Ansichten aus. Dieser Franzose könnte dem linken oder rechten Flügel angehören, pazifistisch oder kriegerisch, für oder gegen Abtreibung, Todesstrafe, Vegetarismus, Windows, Macintosh oder Linux sein.

Anders als nationale Bezeichnungen, bringen religiösen Bezeichnungen ein Bündel an persönlichen Auffassungen mit sich. Katholiken glauben, dass Jesus von einer jungfräulichen Mutter geboren wurde, die nie starb, aber von der „angenommen“ wird, dass sie leibhaftig im Himmel ist. Mormonen glauben, dass Jesus Amerika besuchte, und dass die Indianer aus Israel einwanderten. Es ist selbstherrlich und vermessen, einem Kind eine metaphorische Bezeichnung anzuheften und daraufhin festzulegen, „dieses Kind glaubt, Jesus sei von den Toten auferstanden“, ebenso gelassen, wie Sie vielleicht „Blutgruppe AB“ schreiben. Nicht zuletzt negiert es das wertvolle Ideal aller ehrbaren Pädagogen, dass Kinder lernen sollten, für sich selbst zu denken.

Außerdem wird es Menschen geben, die argumentieren, wenn man die religiöse Doktrin beiseite lässt, ein Kind dennoch so behandeln sollte, als wenn es der kulturellen Tradition der Eltern angehöre. Jüdische Familien halten einen Kalender von Festen und Ritualen ein, die sich von denen der Christen, Muslime oder Hindus unterscheiden. Es ist sinnvoll, dass die Kinder an den traditionellen Mahlzeiten am Freitagabend teilnehmen, zu Weihnachten die Strümpfe aufhängen, helfen den Diwali Kuchen an dem entsprechenden Tag zuzubereiten. Ich verstehe das, und wäre traurig zu sehen, wenn viele alte Traditionen sterben würden (obwohl ich eine Grenze ziehen würde, wenn man Kinder fasten lässt oder Säuglingen die Vorhaut abschneidet). Viele meiner jüdischen Freunde (fast alle sind Atheisten) sehen keinen Schaden darin traditionelle Feste zu feiern, und ich genieße eine Weihnachtsmesse in einer großen Kathedrale oder die Abendandacht auf einem Erntedankfest in einer Landkirche.

Aber es besteht wirklich ein wichtiger Unterschied zwischen der Einbindung seiner Kinder in harmlose Traditionen und ihnen unbewiesene Ansichten über die Natur des Lebens und des Kosmos aufzuzwingen. Tradition ist in Ordnung, wenn sie Lieder oder Literatur, Kleidungsstile oder Architektur umfasst. Aber Tradition ist eine schreckliche Grundlage für Ethik oder Vorstellungen über die Entstehung des Universums und die Entwicklung des Lebens.

Seine Ansichten in die verletzlichen Köpfe seiner Kinder zu indoktrinieren ist schlimm genug. Vielleicht noch schlimmer ist die defätistische Annahme, die fast überall in der Gesellschaft gemacht wird, einschließlich der säkularen Gesellschaft, dass Kinder tatsächlich automatisch den Glauben ihrer Eltern erben und sich dies in unserer Sprache widerspiegeln sollte. Nicht-religiöse sowie religiöse Menschen teilen die Ansicht, dass Kinder mit dem einen oder anderen religiösen Namen bezeichnet werden sollten.

So wird man sogar für das Leben festgelegt: wenn sie in das Krankenhaus oder in die Armee gehen füllen Sie ein Formular aus, in dem sie ihre Religion angeben müssen (es kann auch „keine“ sein).

Wir lesen regelmäßig demografische Prognosen wie: „Bis zum Jahr so und so wird Frankreich zu 50 Prozent muslimisch sein.“ Eine solche Vorhersage kann nur auf der Annahme beruhen, dass alle Kinder, die ein muslimisches Paar geboren hat, kleine Muslime sind, die aufwachsen um zu gegebener Zeit ihre eigenen kleinen Muslime aufziehen.

Scheidungsgerichte könnten aufgefordert werden, um zu entscheiden, ob ein Kind aus einer zerrütteten Ehe „katholisch“ oder „protestantisch“ aufwachsen soll. Niemand hat je ein Scheidungsgericht gebeten, ob ein Kind mit „Fußball“ oder  „Rugby“, als „Ornithologe“ oder „Briefmarkensammler“, „liberal“ oder „ konservativ“; „Macintosh“ oder „Windows“ aufwachsen soll.

Feministinnen haben erfolgreich unser Bewusstsein für geschlechtlich voreingenommene Sprache erweitert. Niemand spricht heutzutage über „one man one vote“ für Wahlgleichheit oder „the rights of man“ für Rechte des Menschen. Der Einsatz von „man“ (Mann) in einem solchen Kontext lässt einen sofort die Haare zu Berge stehen. Selbst diejenigen, die bewusst sexistische Sprache verwenden, wissen, dass sie es tun, vielleicht tun sie es sogar um bewusst zu ärgern. Der Punkt ist, dass unser Bewusstsein erweitert wurde. Unsere Sprache hat sich verändert, weil wir uns der versteckten Annahmen bewusst geworden sind, die wir zuvor übersehen haben.

Lassen Sie uns alle unser Bewusstsein und das Bewusstsein der Gesellschaft über die religiöse Kennzeichnung von Kindern erweitern. Lassen Sie uns alle auf unsere religiöse Sprache achten, so wie wir es gelernt haben, sexistische Sprache zu überwinden. „Katholiken Kind“, „Muslimen Kind“, „Hindu-Kind“, „Mormonen Kind" - alle diese Ausdrücke sollten uns erschaudern lassen. Immer, wenn Sie jemand von einem „katholischen Kind“ sprechen hören, sollten sie ihm Einhalt gebieten: So etwas wie ein katholisches Kind gibt es nicht. Möchten Sie von einem „postmodernistischen Kind“ oder „Bundesstaaten Rechte Kind“ sprechen? Was Sie sagen wollten war, ein „Kind katholischer Eltern“. Und das gleiche gilt für „muslimisches“ Kind etc.

Wenn ihnen nichts ins Auge gesprungen ist, als sie das Zitat des Pressesprechers des Islington Rats das erste Mal gelesen haben, tun Sie es bitte noch einmal. Ist Ihr Bewusstsein nun erweitert?

Übersetzung: Jörg Elbe

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

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    marstal08

    Natürlich zwingen wir unserem Kind unsere religiösen Ansichten (d.h. unsere Ansichten über Religion) auf, indem wir ihm unser Wissen und unsere Erfahrungen zu vermitteln suchen.

    Es lebt in einem naturwissenschaftlich geprägten sozialen Umfeld, wo absolut niemand die tatsächliche Existenz irgendwelcher religösen Märchenfiguren für möglich hält. In scherzhaften Gesprächen wird "Religiosität" ganz selbstverständlich als die Steigerungsform von "Dummheit" benutzt, und in ersthafteren als eine weltweit leider sehr häufige Fehlfunktion des menschlichen Gehirns erklärt.

    marstal08

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      klafuenf

      Also ich habe meine Kinder gedrillt auf die Frage »bist du katholisch oder evangelisch« zu antworten: »ich bin eine Kommunistensau«. Kommt immer lustig, und das finden die kleinen Scheisser auch.

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        Bernd Kammermeier

        Der Artikel ist richtig. Natürlich ist er das. Aus dem Uterus einer menschlichen Frau kommt ein menschliches Kind. Das ist alles, was mit Gewissheit festgestellt werden kann.

        Doch es gibt ein paar mehr Unterschiede, die Beachtung finden müssen: Das Kind kommt in eine bestimmte Zeit, in ein bestimmtes Land in ein bestimmtes Milieu. Das alles bestimmt massiv seine Chancen, sich frei entfalten zu können. Dazu gehört zunächst aus Sicht des Kindes nicht, welcher Religion es angehört, weil es in diesem Punkt, wie im Fall der Zeit, des Landes und des Milieus, kein Mitspracherecht hat. Doch dies ist aus Sicht religiöser Eltern auch nicht von Belang. Wenn ein Vierjähriger kein Schwein essen soll, weil er zufällig muslimische Eltern hat, dann darf er dies aus Gründen des Wohlergehens seines Vaters nicht. Der Patriarch einer muslimischen Familie hat nur eine Chance ins Paradies zu gelangen: Er muss alle seine Kinder und seine Frau halal halten. Sie müssen im Sinne des Islams rein bleiben. Die Tochter darf keinen Kuffar zum Freund haben, sich nicht westlich kleiden, nicht alleine ausgehen und muss den vorgesehenen Mann heiraten. Der Sohn muss beschnitten sein und darf kein schwules Weichei werden. Die Frau muss ihm zu Diensten sein und darf kein Widerwort ohne seinen Widerspruch erwidern. Gerade deshalb achtet er (und in Vertretung die Mutter oder andere Verwandte) penibel darauf, dass sich seine Familie anständig verhält. Falls der kleine Sohn Schwein essen würde, käme ER nicht ins Paradies, weil er als Patriarch versagt hat.

        Und hier ist die Krux: Es nutzt nichts, die Kinder als religionslos zu bezeichnen. Das wäre dem Kind bis zu einem gewissen Alter sowieso egal. Es nutzt nichts, sie religionslos zu behandeln, ihnen von mir aus Schwein zum Essen zu geben. Oder die Töchter am Sexualkunde- oder Schwimmunterricht teilnehmen zu lassen, ihnen das Kopftuch in der Schule zu verbieten, keine Gebetsräume zur Verfügung zu stellen. Das wird den Vater und die ganze erwachsene Familie nur in furchtbare Rage versetzen, wird die Wut auf die westliche Dekadenz verstärken.

        Das einzige, was aus meiner Sicht hülfe: Die Politik und die Medien müssten unisono die Sinnlosigkeit schädlicher, religiöser Riten darlegen. Die Nichtexistenz von Jenseits, Paradies und göttlichen Geboten. Nur so könnten über einen langen Zeitraum muslimische Väter begreifen, dass ihnen nichts Schlimmes geschieht, wenn sie ihren Kindern bisher ungeheuerliche Freiheiten lassen. Doch wie wahrscheinlich ist das, dass unsere Politiker religiöse Dogmen als schädlich und obsolet erklären?

        Es geht wohl nur in kleinen, mühsamen Schritten. Und es beginnt damit, dass muslimische Väter begreifen lernen, dass sie in erster Linie Väter sind, die das "muslimisch" nur von ihrem Vater geerbt haben. Sie sollten es symbolisch in eine schönes Tuch verpacken und mit allem Respekt dem eigenen Vater zurückgeben - und wenn sie es zu seinem Grab bringen. "Danke für den Islam, Vater, aber ich brauche ihn nicht mehr - in Interesse meiner Kinder, im Interesse deiner Enkel!"

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