Alles eine Charakterfrage?

BERLIN. (hpd) Lange galt von Charakteren bei nichtmenschlichen Affen zu sprechen als eine unzulässige Vermenschlichung. Schon deshalb, weil wir Charaktere mit Sprache beschreiben. Doch ist das wirklich so, fragte sich Jana Uher, Psychologin an der FU Berlin. Sie sucht nach Möglichkeiten, Charaktere statistisch zu erfassen, und untersucht, inwiefern auch nichtmenschliche Affen eine Persönlichkeit haben.

Alles eine Charakterfrage?

Kapuziner - Alle Fotos: © Simone Guski

Jana Uher leitet an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie die Arbeitsgruppe Psychologische Diagnostik und Differentielle und Persönlichkeitspsychologie. Sie hinterfragt nicht nur, wie weit Menschen im Umgang miteinander Charaktere an ihren Mitmenschen ausmachen und mit bestimmten Charaktereigenschaften rechnen. Sie erforscht, international gut vernetzt, auch, inwieweit Menschen Charaktere bei Tieren erkennen, und die Persönlichkeit von Menschenaffen, Java-Makaken und Kapuzinern.

Auf den ersten Blick erscheint alles ganz anders. Man betrachte nur die Unruhe, die in einer Gruppe von Schimpansen entsteht, wenn man ihr ein neues Mitglied hinzugesellt. Der Stress für den Neuling und die Gruppenmitglieder ist gewaltig. Aufkommende langanhaltende Aggressionen bereiten den Pflegern in Zoos oder in Wiederauswilderungsprogrammen in Übergangsstationen erhebliche Schwierigkeiten. Selbst Menschenaffen können sich eben – und das ist wörtlich zu nehmen - keinen Begriff von den zu erwartenden Handlungen und Reaktionen einzelner Artgenossen machen. Das unterscheidet sie von den Menschen.

Trotzdem gibt es Konstanten im Verhalten einzelner Individuen, die irgendwann in die Handlungserwartung ihrer Artgenossen einbezogen werden. Jana Uher und ihr Team versuchen, sie nach statistischen Gesichtspunkten zu analysieren. In den Zoos, erst dem von Leipzig und dann in Berlin, registrierten sie über einen langen Zeitraum das Verhalten nach Kriterien wie Neugier oder Ängstlichkeit, Freundlichkeit gegenüber Jüngeren, Artgenossen im Allgemeinen oder Menschen, Interesse an Nahrung, Sexualität oder Körperpflege, Bewegungsdrang, Impulsivität oder Konzentrationsfähigkeit. Sie erstellten entsprechend dieser Kriterien für jedes untersuchte Individuum Persönlichkeitsprofile, die sie auch fotografisch und in Filmaufnahmen dokumentierten.

Bei Untersuchungen an Kapuzineraffen im Zoo von Rom konnten Mitarbeiter der Arbeitsgruppe sogar nachweisen, dass sich die einzelnen Individuen unabhängig von Geschlecht und Alter sehr voneinander unterschieden: Keineswegs sind immer die stärkeren Männchen aktiver oder mutiger als die Weibchen oder die Jüngeren die Neugierigeren.

Doch in welchem Verhältnis stehen Rangordnung und individuelle Verhaltensprofile zueinander? Sind Ranghöhere mutiger oder macht Mut sie zu Ranghöheren? Macht Underdog zu sein ängstlich oder bringen es Kapuziner mit anhaltender Konzentrationsfähigkeit in der Rangordnung weiter nach oben? Jana Uher weist gegenüber dem hpd darauf hin, dass der Charakter eines Individuums sich nie solitär bestimmen lässt, sondern sich grundsätzlich aus einem Zusammenspiel der Interaktionen innerhalb einer Gruppe ergibt und selbst das Alter oder das Geschlecht wie beim Menschen auch bei nichtmenschlichen Affen einen sozialen Aspekt hat. “Bei Alter und Geschlecht kommt beim Menschen eine soziale Komponente hinzu: Allein das biologische Alter widerspiegelt heutzutage selten, wie alt sich Personen tatsächlich fühlen. Beim Geschlecht wird neben dem chromosomalen Geschlecht auch das hormonelle und vor allem das psychosoziale Geschlecht unterschieden, Gender genannt. Bei Affen muss man soweit nicht gehen, aber auch da gibt es biologisch alte Individuen, die noch sehr fit und agil sind, und umgekehrt. Auch gibt es sehr maskulin wirkende und agierende Weibchen und umgekehrt.”

Genauso ergibt sich die Rangordnung nicht nur aus den Charaktereigenschaften des einzelnen Individuums, sondern hängt davon ab, mit welchen anderen es interagiert. Dennoch wird der Platz innerhalb einer Rangordnung als Teil des Charakters erfasst. Mehr noch: Die Persönlichkeit entsteht grundsätzlich nur innerhalb eines sozialen Gefüges mit seinen Interaktionen und kann sich nur hier als ein solche erweisen. Ohne Interaktion wüssten wir nicht von ihr. Oder: Was jemand kann, das zeigt sich, möchte man mit dem britischen Philosophen William van Orman Quine sagen. Jana Uher führt weiter aus: “Ein hoher Rang ist nichts genuin im Individuum Liegendes, etwa wie sein chromosomales Geschlecht. Ein Individuum wird erst zu einem Alpha-Individuum, indem es sich in bestimmter Weise verhält und wenn dieses Verhalten durch seine Art- und Gruppengenossen anerkannt wird. Sicher gibt es individuelle Unterschiede in der körperlichen Kraft, in der psychischen Widerstandsfähigkeit und Durchsetzungsfähigkeit, der Aggressivität, Ängstlichkeit, sozialen Kompetenz und ähnlichem. Aber erst im komplexen Zusammenspiel dieser Verhaltensmerkmale miteinander und mit denen der anderen Individuen in einer sozialen Gemeinschaft wird ein Individuum zu einem Alpha und anerkannten Gruppenführer.”

Unter Einäugigen ist der Blinde König gilt cum grano salis auch bei den nichtmenschlichen Affen. “In einer Gruppe von ‘Angsthasen’ kann sich ein mittelmäßig aggressives und nervenstarkes Individuum wesentlich leichter durchsetzen, als wenn die anderen ebenso oder noch stärker durchsetzungsfähig und aggressiv sind.”

Und gemeinsam ist man stark. “Nicht nur die Aggressivität und Durchsetzungsstärke spielt eine Rolle. So gibt es viele Berichte über recht aggressive Alpha-Schimpansen, aber auch über körperlich eher schwächere, die es aber geschafft haben, sich sozial gut zu vernetzen und so die Unterstützung der Gruppe zu erhalten. Was von der Gruppe akzeptiert wird, hängt viel von den Individuen in der Gruppe ab und ihren bisherigen Erfahrungen. Daraus wird deutlich, dass der soziale Status Teil eines komplexen Zusammenspiels im Verhalten vieler Individuen wird - er ist daher Teil dessen, was wir Persönlichkeit nennen, auch wenn sich dieser Teil durch Veränderungen des Verhaltens der anderen Gruppenmitglieder schneller ändern kann als andere Verhaltensbereiche, die weniger stark mit dem Verhalten anderer Individuen in Zusammenhang stehen.”

Seite 2 ...

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

Neuer Kommentar

(Mögliche Formatierungen**dies** für fett; _dies_ für kursiv und [dies](http://de.richarddawkins.net) für einen Link)

Ich möchte bei Antworten zu meinen Kommentaren benachrichtigt werden.

* Eingabe erforderlich