Antitheismus: Vernunft oder Bigotterie?

„Islamophobie“ ist ein Wort, das polarisiert wie wenig andere. Befürworter des Multikulturalismus sehen es als Beschreibung xenophobischer Tendenzen, während viele Nationalisten diese Definition unbeirrbar mit bigotten Meinungen über nicht-native Kulturen füllen. Die, die den Multikulturalismus vorziehen, labeln anti-religiöse, „Dawkins-esque“ Argumente häufig als solche von „Islamophoben“.

Antitheismus: Vernunft oder Bigotterie?

Das führt zu allen möglichen interessanten Fragen: Ist es richtig zu sagen, dass Antitheismus Islamophobie ist? Steht Antitheismus im allgemeineren Sinne im Widerspruch zu Multikulturalismus? Und wie können wir ethisch gesprochen eher bigotte faschistische Ansichten von Antitheismus trennen? Diese Bereiche würde ich mir gerne kurz ansehen.

Was ist „Islamophobie“?

Islamophobie ist ein relativ einzigartiges Wort in der modernen Welt. Als Rationalist habe ich einige Zeit damit verbracht, gegen die Doktrin des Glaubens, die in allen Religionen vorhanden ist, zu argumentieren; ich bin bisher jedoch noch nicht beschuldigt worden, „christianophobisch“, oder „judaismusphobisch“ zu sein, so wie ich als islamophobisch bezeichnet wurde.
Das alleine sagt schon etwas über den Fokus aus: Den Leuten ist es viel weniger unwohl dabei, „einheimische“ Religionen zu kritisieren, als „ausländische“ Religionen, die sie erleben, oder sie sind vielleicht viel vorsichtiger mit Vorurteilen gegenüber Muslimen, in Folge des im vergangenen Jahrzehnt ständig gewachsenen islamischen Terrorismus. Ich kann dafür sicherlich Verständnis aufbringen; im Grunde stimme ich nicht mit der spirituellen Sichtweise des Islam überein, aber ich denke sicherlich nicht, dass Unsinn zu glauben jemanden allgemeinen Vorurteilen aussetzen sollte.

Ignoriert man die Herkunft ihrer fast schon einmaligen kulturellen Existenz, könnte Islamophobie richtiger als Angst, Vorurteil oder Hass auf den Islam oder Muslime beschrieben werden.

Ist Antitheismus islamophobisch?

Ich werde die Dinge vereinfachen, wenn ich Antitheismus als den Bezug auf eine Bewegung definiere, die den rationalen und ethischen Problemen mit Religion entgegen steht. Von dieser Basis aus gibt es zwei mögliche Antworten.

Zuerst einmal, ja, Antitheismus ist in dem Sinn islamophob, dass er die Effekte fürchtet, die nicht hinterfragter islamischer Glaube in der Gesellschaft haben würde. Antitheismus entstammt einer Grundlage der Vernunft und des kritischen Denkens – überzeugt davon, dass beides notwendig ist um eine Gesellschaft als moralische und technische Angelegenheit voran zu bringen. Diese positiven geistigen Charakteristiken zugunsten absoluten Vertrauens in einen Glauben, über den sich die Wissenschaft im günstigsten Fall unsicher ist, aufzugeben, ist kein guter Zug.

Eine umfassendere Antwort, jedoch, wäre ein schallendes „nein“. Antitheismus ist so wenig islamophob, wie Demokratie „faschistophob“ ist. Antitheismus wirbt für Vernunft als ein Gegengift für Religion: Er ist das Gegenteil von Religion, kann sich also logischerweise nicht vor ihr fürchten. Die, die für Antitheismus werben, mögen die Auswirkungen weitverbreiteten islamischen Glaubens fürchten, aber sie fürchten oder hassen Muslime nicht aus ihrem Antitheismus heraus und ebenso wenig heben sie den Islam vor anderen Religionen hervor. Wenn der Glaube das wirkliche Problem ist – was laut Antitheismus wahr ist – dann scheint Islamophobie kein akkurater Begriff um es zu beschreiben.
Hervorzuheben Antitheismus sei islamophob wäre absichtlich zu ignorieren, dass er in gleichem Maß auch gegenüber anderen religiösen Glaubensformen phobisch ist. Legt man diese kulturell tiefer gehende Definition von Islamophobie zugrunde, erscheint es unpassend Antitheismus anzuklagen.

Steht Antitheismus zu Multikulturalismus im Widerspruch?

Es ist sehr leicht, zu glauben, dass wenn jemand nicht mit Religion einverstanden ist, er auch nicht mit der Kultur einverstanden sein kann, die diese hervor bringt; so ist es verführerisch Antitheismus und die Ablehnung des Multikulturalismus miteinander zu verknüpfen. Ich denke, dass dieser Schluss logisch widersprüchlich ist, und hier ist der Grund dafür:

Multikulturalismus nimmt keinen Bezug auf Religion, er bezieht sich auf eine Gemeinschaft, die mehr als eine Kultur beinhaltet. Das führt zu Diversität, die ein außerordentlich wertvolles Gut in jeder Gesellschaft ist. Was Multikulturalisten oftmals durcheinander bringen ist, dass die Vermischung von Kulturen und selbst die Mischung verschiedener Glaubensrichtungen eine andere Sache ist, wie die Mischung auf fatale Weise gegensätzlicher Glaubensformen. Wenn Kirchen und Moscheen nur einfach Treffpunkte wären, Orte für gemeinschaftliche Veranstaltungen, gäbe es kein moralisches Problem mit ihnen. Ebenso, wenn Kinder in heterogene Gemeinschaften hinein getauft würden oder Teppiche dafür benutzen würden neben jemanden auf  Gemeinschaftsveranstaltungen zu sitzen anstatt auf ihnen zu beten, dann wäre es leicht einzusehen, dass die Kulturen vieler Religionen überhaupt nicht schädlich wären.

Es ist dieser spezielle Aspekt von Religion – die jeweiligen spirituellen Glaubensvorstellungen und die Einstufung von Glauben als vernünftigen Weg Entscheidungen in der realen Welt zu treffen – der die Probleme verursacht. Kulturen mögen als Mittel verwendet werden, Menschen indoktriniert zu halten, aber in fernen Zeiten könnten diese kulturellen Veranstaltungen auch ganz anders, als gemeinschaftliche Veranstaltungen genutzt werden. Antitheismus ist steht zu allgemeinen Aspekten des Multikulturalismus nicht im Widerspruch und ein informierter Antitheist sollte sich der sozialen, politischen und ökonomischen Vorteile, die die Diversität jeder Gesellschaft bringt, sehr wohl bewusst sein.

Die Verwirrung entsteht durch die kulturellen Ereignisse, die ausschließlich für religiöse Zwecke nutzbringend sind. Gebet, die Eucharistie, religiöse Predigten u.s.w. Antitheismus wendet sich gegen den Schaden, den diese anrichten, indem sie Menschen erlaubt dummes Zeug zu glauben, im selben Sinn, wie Befürworter von Demokratie die kulturelle Anbetung der Heldenhaftigkeit von Diktatoren anprangern. Dies ist kein Zeichen für die Ablehnung des Multikulturalismus. Antitheismus glaubt an die Vernunft, aber Vernunft diktiert nicht, dass jeder das gleiche kulturelle Umfeld gut finden muss.

Die Trennung von Antitheismus und Faschismus

Wenn wir von der Bigotterie des Faschismus sprechen, sehen ihn wir oft unter dem Deckmantel des Nationalismus. Großbritannien ist ein hervorragendes Beispiel mit der British National Party als der stärksten anti-islamischen Partei – eine Gruppe, der Debatten über Rassismus und Xenophobie im allgemeineren Sinn nicht fremd ist.

Es gibt keine Gemeinsamkeiten zwischen Antitheismus und Parteien wie der BNP. Die BNP hat keinen guten Grund gegen den Islam zu sein – tatsächlich sind sie sehr für das Christentum, sie mögen nur einfach grundsätzlich die Vorstellung jedweder Einwanderung oder von jemandem der in ihrem Land lebt und dort nicht geboren wurde nicht.

Dies sind unglaublich irrationale Ansichten, die auf der unscharfen Grenzziehung bezüglich dem basiert, was einen richtigen 'Briten' ausmacht und was „dazugehören“ bedeutet. Dies erscheint wie eine ziemlich schwache Philosophie, die aus der Angst vor Verschiedenheit heraus geboren ist – die gleiche Angst vor Verschiedenheit, die viele Vorurteile unterstützt.

Antitheismus dagegen erwächst aus Vernunft. Vernunft würde praktisch jeder Politik entgegen stehen, die die BNP unterstützt, einschließlich der anti-islamischen Politik, die auf nicht stichhaltiger Argumentation beruht. Tatsächlich unterstützt Vernunft die Wissenschaft, die wiederum auf Bewertung der Methode aufgebaut ist: Es spielt keine Rolle, zu welchen Schlüssen Du gekommen bist, wenn Du sie nicht mit einer soliden Methode bewiesen hast, hast Du keine gute Wissenschaft betrieben. Antitheismus stimmt mit dem Islam bezüglich dessen, was er heute beinhaltet nicht überein, nicht bezüglich des Landes aus dem er stammt – und in Folge dessen beinhaltet er keine der Vorstellungen, die nationalistische Gruppen haben.

Es ist eine Aufgabe für jeden, diesen großen Unterschied zu verstehen und zu diskutieren. Es ist sehr leicht, sich im Gefühl eines kulturell einfühlsamen Wortes wie „Islamophobie“ zu verstricken, aber lasst uns nicht Vernunft mit Bigotterie verwechseln. Nationalismus und Antitheismus scheinen eine Abneigung gegen den Islam zu teilen, aber selbst das ist schon von sehr unterschiedlichem Charakter. Rationalisten dürfen nicht durch die gelegentlich ansprechenden Schlussfolgerungen des Nationalismus verführt werden, ebenso wie Befürworter des Multikulturalismus nicht darin versagen dürfen zu bemerken, wenn die Gemeinsamkeiten, die sie auszumachen glauben, auf den beiden gegenüberliegenden Seiten eines intellektuellen Grand Canyon liegen.

 

Robert Johnson ist ein angewandter Ethiker und Wissenschaftsphilosoph, der sich auf die Überschneidungspunkte von Rationalität und Ethik spezialisiert hat, und ist der Autor von „Rationale Moral: Eine Wissenschaft von Richtig und Falsch“. http://www.robertjohnson.org.uk/. Folge Robert auf Facebook https://www.facebook.com/RationalMorality

Übersetzt von Joseph Wolsing

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Kommentare

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    marstal08

    Die Phobie ist eine unbegründete Angst. Das Wort Islamophobie ist also von vorn herein unsinnig und kann deshalb in sachlichen Texten nicht benutzt werden.

    Schon die heiligen Schriften des Islam erzeugen nämlich eine sachlich begründete Furcht mit ihrem unmißverständlichen Auftrag zur Bekämpfung, Unterdrückung und zum Belügen der Ungläubigen.


    Das Schicksal zahlloser Volksgruppen und Einzelpersonen in den überwiegend islamischen Ländern beweist auch, dass diese Texte nicht nur historische Worte sind (wie bei den Bosheiten des Christentums), sondern dass der Islam eine sehr konkrete Bedrohung aller nicht linientreu islamischer Menschen darstellt - und auch vieler islamischer Menschen, die in den Einflussbereich der jeweils anderen Islamgruppe geraten.

    Der Umstand, dass es auch viele moderate Muslims gibt (nicht zu unterscheiden von denen, die sich nur in göttlichem Auftrag als friedlich verstellen), ändert nichts an der Tatsache, dass eine allgemeine Furcht vor dem Islam gut begründet und deshalb keine Phobie ist.

    marstal08

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      SonnenKlar

      Ein wichtiger Beitrag.
      Gerade in den Medien wird sehr gerne mit diesem Begriff "islamophob" um sich geworfen. Und zwar gerade von theistischen Mitmenschen. Scheinheiliger geht es natürlich kaum.
      Andere lesen dann sowas, glauben es und irgendwann gelten Atheisten/Antitheisten, wie schon in den USA als etwas unmoralisches, schlechtes etc ohne, daß die Meisten überhaupt wissen, was das bedeutet.

      Es ist wichtig, daß die Leute dahingehend aufgeklärt werden. Artikel wie dieser helfen dabei.
      Sollte als offener Brief an die Bundestagsabgeordneten geschrieben werden...

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        Bernd Kammermeier

        Das ist ein sehr guter und wichtiger Beitrag zu Argumenten, die oft von vermeintlich "neutralen" Gruppen - oder eher uninformierten Gruppen - aber auch von Verfechtern eines islamischen Vormarsches benutzt werden. Natürlich gibt es viele Menschen, der vor dem aggressiven Auftreten islamischer Vertreter Angst haben. Das ist ja auch gerade in Phasen der Missionierung durchaus erwünscht. Religionen an sich argumentieren ja mit der Angst vor der Hölle - die sie, folgt man ihnen bedingungslos, vermeiden helfen können.
        Sollte man Religionen deshalb höllophob nennen? Nein, denn Religionen haben dieses "Problem" ja erfunden, um es barmherzig von den verunsicherten Gläubigen wieder wegzunehmen.

        Religionen, speziell der Islam, machen also gezielt Angst.

        So betrachtet wäre also eine Islamophobie bei Christen und Heiden durchaus im Sinne der Muslime. Aber natürlich definieren sie dies völlig anders, es geht nämlich nicht um die Angst, die Religionen gerne machen (nicht nur durch Terrorismus, sondern auch durch Predigten), sondern um ein schlechtes Gewissen, das man gerne der nichtmuslimischen Bevölkerung einreden will.

        Die Gedankenkette: Wer gegen den Islam ist, ist gegen die Kultur der Muslime, der ist gegen die Menschen dieser Kultur, der will diese Menschen nicht haben, ausgrenzen, rausschmeißen. Ähnliches gilt für den Antisemitismus, bei dem am Ende dieser kruden "Beweisführung" steht, dass kein jüdisches Leben erwünscht sei.

        Irgendwo auf dem Weg vom einen Ende (dem Slogan) zum anderen (dem schlechten Gewissen wg. ungerechtfertigter Ausgrenzung) wird man - so die Theorie - jeden erwischen und ihn im Interesse seines sanften Ruhekissens zur Akzeptanz selbst der unmenschlichsten Riten der muslimischen oder jüdischen Glaubenswelt bewegen - um nicht zu sagen: nötigen!

        Es ist reine Propaganda, weil meines Wissens nach noch nie ein Antitheist von sich gesagt hat, er sei islamophob. Stets wird dies von der Seite unterstellt, die durch diese Unterstellung Punkte machen will. Politiker reagieren darauf sehr allergisch, weil heute nur noch nach Meinungsumfragen regiert wird.

        Deshalb ist es wichtig - wie in dem Beitrag geschehen - dass die Islamophobie abgegrenzt wird.

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          Silas

          Sehr guter Beitrag!
          Eine solche schlüssige und rationale Argumentation habe ich bei diesem Thema selten lesen dürfen.
          LG

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