Aufstand der Nobelpreisträger

Zwei frischgebackene Nobelpreisträger sorgen für Aufsehen. Der Mediziner Randy Schekman ruft zu einem Boykott der wichtigsten Fachzeitschriften auf. Der Physiker Peter Higgs glaubt: Wäre der akademische Betrieb schon in den 60er Jahren so gelaufen wie heute, hätte er, Higgs, das nach ihm benannte Elementarteilchen nie gefunden.

Aufstand der Nobelpreisträger

Das Higgs-Boson hatte er bereits 1964 theoretisch vorhergesagt, im Vorjahr war es vom Teilchenbeschleuniger CERN in Genf erstmals gemessen worden - auch wenn die endgültige Bestätigung dafür noch fehlt.

Heute würde er an einer Universität als "zu unproduktiv" gelten, meintePeter Higgs in einem Interview mit der britischen Tageszeitung "The Guardian". Nach seiner bahnbrechenden Vorhersage über jenes Teilchen, das den anderen Teilchen ihre Masse verleiht, habe der theoretische Physiker weniger als zehn Studien veröffentlicht. "Ich würde heute keinen akademischen Job mehr bekommen. So einfach ist das."

Boykott von "Nature", "Science" und Co.

In der heutigen Forschungslandschaft dominieren vermeintlich objektive Leistungskriterien wie Projektbewilligungen, Drittmittel und Anzahl der Veröffentlichungen. Letztere sind der Angriffspunkt eines weiteren Nobelpreisträgers 2013: Randy Schekman von der University of California in Berkeley hat Gene entdeckt, die für den Proteintransport in Zellen wichtig sind, und erhält deshalb die Auszeichnung in Medizin.

Einige seiner wichtigsten Arbeiten dafür hat er in Topzeitschriften wie "Nature", "Cell" und "Science" veröffentlicht. Am Tag seiner Ehrung ruft er in einem Kommentar, der ebenfalls im "Guardian" erschienen ist, dennoch zum Boykott dieser Zeitschriften auf.

Sie würden den wissenschaftlichen Prozess verzerren, lautet seine Begründung. So wie Bonuszahlungen in der Finanzwelt riesigen Schaden angerichtet hätten, würden dies auch die "Luxuszeitschriften" in der Wissenschaft tun.

Gegen Impact Factor und Verknappung

Der Hauptvorwurf des Mediziners: "Nature" und Co. wären mehr an ihren Verkaufszahlen interessiert als am Fortschritt der Wissenschaft. Wie Modedesigner, die die Anzahl von Produkten beschränken, würden auch sie ihr Angebot künstlich verknappen. Nur dass sie nicht mit Handtaschen handeln, sondern mit akzeptierten Studien.

Den Impact Factor - das Maß für die Qualität einer Zeitschrift, die auf der Anzahl von Zitationen ihrer Studien beruht - hält Shekmann ebenfalls für "schwer fehlerhaft" und zum Selbstzweck verkommen. Gute Wissenschaft werde nicht automatisch öfter zitiert; Zitate können auch folgen, weil eine Arbeit falsch, schlecht oder einfach nur auffällig ist.

"Die Herausgeber der Luxuszeitschriften wissen das. Sie akzeptieren deshalb Studien, die Wellen schlagen werden, weil sie sexy Themen behandeln oder zweifelhafte Behauptungen aufstellen", schreibt er. Das habe Auswirkungen auf die Forscher selbst: Statt wichtige Wiederholungsstudien zu machen, würden sie sich jenen Bereichen zuwenden, die gerade in Mode sind. In Extremfällen fördere das Fälschungen und andere Formen von Fehlverhalten.

Gegenmittel Open Access

Als Gegenmittel empfiehlt Schekman Open-Access-Zeitschriften im Internet. Bei ihnen gebe es keine Begrenzung in Anzahl und Umfang der Studien, jeder könne sie kostenfrei lesen und die Qualität werde durch die wissenschaftlichen Herausgeber garantiert - so wie er selbst einer ist. Schekman steht der Lebenswissenschaftszeitschrift "eLife" vor, die 2012 gegründet wurde, ausschließlich von aktiven Wissenschaftlern geführt und u.a. von der deutschen Max-Planck-Gesellschaft finanziert wird.

Open-Access-Zeitschriften würden "jede Woche Weltklasse-Wissenschaft veröffentlichen", betont er. Die Studien seines eigenen Labors würden nicht mehr in "Nature", "Science" oder "Cell" publiziert werden.

Für den Nobelpreisträger ist dies karrieretechnisch sicher kein Problem. Für jüngere Forscher und Forscherinnen, deren Karriere u.a. von Studien in Journals mit hohem Impact Factor abhängt, schon eher. Deshalb fordert Schekman auch ein Umdenken im gesamten akademischen Betrieb - von den Unis bis zu den Förderstellen. "Die Qualität der Wissenschaft zählt, nicht der Name der Zeitschrift."

Topzeitschriften verlieren an Einfluss

Wenig einverstanden mit der Kritik zeigen sich die Gescholtenen. "Nature"-Herausgeber Philip Campbell meinte gegenüber dem "Guardian", dass seine Zeitschrift ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien veröffentliche. Das könne zu Aufmerksamkeit der Massenmedien führen, sei aber weder das Ziel noch vorhersehbar. Seine Kollegin Monica Bradford von "Science" ergänzt: "Unser professionelles Peer Review entscheidet, wer bei uns erscheint. An unserer Akzeptanzrate ist nichts Künstliches, sondern sie spiegelt die Ziele unserer Zeitschrift wider."

Vielleicht löst sich das Problem aber ohnehin von "alleine". Laut einerbisher noch unveröffentlichten Studie verlieren die "Luxuszeitschriften", wie sie Schekman nennt, zunehmend an Einfluss. Das gilt zumindest für den obersten Bereich der ein bis fünf Prozent meistzitierten Studien.

Durch neu entstandene Forschungsrichtungen, entsprechende Publikationsorgane sowie Internet-Zeitschriften sinkt der Anteil von "Science", "Nature, "PNAS", "Cell" und anderen Topjournalen in diesem Spitzensegment. Andere, die später gegründet wurden, - wie das Open-Access-Megajournal "PLOS ONE" - werden hingegen immer häufiger zitiert. Allerdings: Der Abstand zwischen "alt" und "neu" ist nach wie vor deutlich.

 

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