Das Kontextargument

Heilige Schriften und grausame Verspassagen

Das Kontextargument

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In den abrahamitischen heiligen Schriften wimmelt es nur so von unsäglich grausamen Verspassagen:

1. Thora bzw. auch Bibel: „So tötet nun alles, was männlich ist unter den Kindern, und alle Frauen, die nicht mehr Jungfrauen sind; aber alle Mädchen, die unberührt sind, die lasst für euch leben.“ (4. Mose 31,17-18)

2. Koran (Schwertvers): „[...] tötet die Ungläubigen, wo (immer) ihr sie findet [...]“ (Sure 9:5)

Die einfachste Form der Glaubenskritik ist die Konfrontation der Gläubigen mit diesen Versen bzw. mit ihrer eigenen Religion. Die Gläubigen entgegnen dann häufig das hier: „Diese Verse muss man im (historischem) Kontext lesen.“

Aber in welchem Kontext soll die Aufforderung, alle Jungfrauen eines Volkes zu versklaven und den Rest umzubringen (4. Mose 31, 17-18), denn bitteschön nicht vollkommen abscheulich sein? Der Einwand der Theisten impliziert doch allen Ernstes, dass es tatsächlich Kontexte gäbe, in denen Sätze wie „tötet die Ungläubigen, wo (immer) ihr sie findet“ (Sure 9:5) irgendwie gerechtfertigt oder gar sittlich sind. Ich bezweifle das.

Ich bezweifele, dass es zu irgendeiner Zeit oder unter irgendwelchen Umständen moralisch vertretbar gewesen sein kann, pauschal alle Menschen umbringen zu wollen, die nicht an den eigenen Gott glauben. Und ich bezweifle, dass die Aufforderung, man solle „keine Hexe am Leben lassen“ (2. Mose 22, 17) unter irgendwelchen Umständen nicht vollkommen lächerlich ist. (Die Liste ließe sich noch ewig fortführen).

Was machen Gläubige, wenn man sie mit dem Umstand konfrontiert, dass ihre heilige Schrift unabhängig vom Kontext an zahlreichen Stellen amoralisch und vollkommen irrational ist? Meiner Erfahrung nach distanzieren sie (allen voran die Muslime!) sich häufig lieber von der humanistischen Ethik oder den modernen Wissenschaften, als vom Koran oder der Bibel. Tribalismus schlägt Menschlichkeit und (gesunden) Menschenverstand! Die Religionsgläubigen fangen plötzlich an, die Tatsache der Evolution zu leugnen, oder die dargestellte Barbarei des geliebten Propheten zu rechtfertigen.

Das Kontextargument funktioniert auch andersherum

Und interessanterweise reißen Religionsgläubigen selbst gerne sakrale Schriftverse aus ihrem Kontext und entfremden somit gezielt deren ursprüngliche Bedeutungen. Hier zwei klassische Beispiele:

a.) Christen: Jesus Christus habe „Friede auf Erden“ gepredigt.

Das Jesus-Zitat in voller Länge: „Glaubt nicht, dass ich gekommen bin um Frieden auf Erden zu stiften. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Matthäus 10.34)

b.) Muslime: Mohammed habe gesagt: „Wer einen Menschen tötet, der tötet die ganze Menschheit. Wer einen Menschen rettet, rettet die Menschheit.“

Das berühmte Mohammed-Zitat geht so weiter: „Der Lohn derjenigen, die Krieg führen gegen Allah und Seinen Gesandten und sich bemühen, auf der Erde Unheil zu stiften, ist indessen (der), dass sie allesamt getötet oder gekreuzigt werden, oder dass ihnen Hände und Füße wechselseitig abgehackt werden, oder dass sie aus dem Land verbannt werden. Das ist für sie eine Schande im Diesseits, und im Jenseits gibt es für sie gewaltige Strafe.“ (Sure 5, 33)

Der moderne Gläubige MUSS viele solche Verse auf dem Kontext reisen (oder hanebüchene Kontexte herbeiphantasieren), wenn er hinter ihnen stehen können und trotzdem noch seine eigentlich humanistisch-ethischen Grundüberzeugungen beibehalten will. Der Glaubenskritiker ist dahingegen auf solch einen Betrug nicht angewiesen. Er kann diese Verse genauso rezitieren, wie sie dastehen und gemeint waren, denn es gibt keine bessere Schriftkritik als die wörtliche Rezitation!

Wie glaubhaft ist das Kontextargument?

1. Entweder Gott wollte, dass seine heilige Schrift gewaltverherrlichend ausgelegt wird und Gewalt in die Welt bringt, dann ist er nicht allgütig.

2. Oder Gott wollte dies nicht, es ist aber offensichtlich trotzdem passiert, dann konnte er es entweder nicht vorhersehen oder er konnte es nicht verhindern. Er ist folglich nicht allmächtig oder nicht allwissend.

Dieses Dilemma steht in der Tradition des Theodizeeproblems und jeder gläubige Mensch steht vor ihm. Da beide Optionen aber die Attraktivität des Gottesbildes massiv schmälern würden, sucht der Gläubige Zuflucht im Kontextargument. Er argumentiert dann: „Gott habe uns eine perfekte Schrift offenbart, wir müssen sie nur im hiesigen Kontext lesen.“ u.ä.

Dieser gerne hervorgebrachte Verweis auf den Schriftkontext vermag das obenstehende Dilemma jedoch nicht aufzulösen:

Ein allwissender Gott sollte wissen, dass sich das gemeine Volk keine abstrakten Gedanken über den Kontext einer heiligen Schriftstelle macht und sie einfach so liest, wie sie dasteht. Er weiß (per definitionem!), dass biblische und koranische Mordaufrufe an Hexen und Ungläubigen zur Inquisition und zu Terror führen werden und trägt deshalb auch Verantwortung an diesen Zeitgeschehnissen!

Ein allmächtiger Gott kann die Lesarten und realiteren Konsequenzen aus einer heiligen Schriftstelle in die von ihm intendierten Bahnen lenken. Er hätte (per definitionem!) verhindern können, dass seine Worte missverstanden oder missbraucht werden und trägt deshalb auch Verantwortung an den Hexenverbrennungen und dem islamistischen Terror.

Ein allgütiger Gott hätte seine Botschaft nie so formuliert, dass sie nur im Kontext und von wenigen Schriftgelehrten verstanden werden kann. Stattdessen hätte er sie klar, allgemeinverständlich und kontextungebunden ausfallen lassen, so dass diese von jedermann verstanden und von Extremisten nicht so einfach missbraucht oder missverstanden werden kann.

Das oberstes (beliebige, aber bequeme) Gebot der Schriftexegeten lautet: Die grausamen Schriftverse sind metaphorisch und im Kontext zu sehen und die schönen wörtlich gemeint. Es geht aber nicht beides: Entweder ihre Schrift ist vor dem Hintergrund des früheren historischen Kontextes ihres Verfassers zu verstehen, dann ist sie für uns normativ irrelevant, oder sie ist von einem Gott allgemeingültig und zeitlos für alle Menschen verfasst wurden, in diesem Fall muss sie literal gelesen werden.

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