In unserer Branche verbrauchen wir eine Menge Mäuse. Sie sind im Allgemeinen das erste Tier, an dem ein potentielles Medikament getestet wird: In fast jedem Fall verabreicht man Mäusen das Medikament, um dessen Pharmakokinetik zu erforschen (Aufnahme in die Blutbahn und Wirkdauer), und in vielen Bereichen dienen Mäuse auch als Krankheitsmodelle.
Der Grund dafür ist, dass wir eine Menge über das Genom der Mäuse wissen (verglichen mit anderen Tieren), und wir über eine große Palette an natürlichen Mutanten und gentechnisch veränderten Knockout-Mäusen (was mit anderen Tieren schwierig oder unmöglich wäre) verfügen sowie über Chimärenstämme, in denen verschiedene Proteine durch die menschliche Variante substituiert wurden. Ich würde es nicht wagen, eine Vermutung darüber anzustellen, wie viele Arten von Mäusen in den vergangenen Jahren in biomedizinischen Laboren entwickelt wurden; ihre Anzahl ist groß und spiegelt die enormen Anstrengungen, die in diesem Gebiet unternommen werden, wider.
Aber geben uns Mäuse immer die richtige Antwort? Ich habe schon früher von diesem Problem geschrieben, und es ist mit Sicherheit nicht verschwunden. Das Wichtigste, das man bei Thema Tiermodell nicht übersehen sollte, ist, dass es 1.) ein Modell ist und 2.) in einem Tier erfolgt. Nicht in einem Menschen. Aber es ist mitunter überraschend schwer, diese Dinge im Gedächtnis zu behalten, da es für einen Stoff keinen anderen Weg gibt, zu einem Medikament zu werden, als den Abläufen zu folgen, die bei Mäusen, Ratten etc. ihren Anfang nehmen. Keine Regulierungsbehörde der Welt (mit der möglichen Ausnahme von Nordkorea) wird einen Stoff zulassen, bevor er zahlreiche methodisch korrekte Tierversuche durchlaufen hat – das absolute Minimum sind kurz- und langfristige Toxizitätstests.
Der Anlass zu all diesen Gedanken ist eine interessante und besorgniserregende wissenschaftliche Arbeit, erschienen in PNAS [PNAS ist die (wöchentlich erscheinende) offizielle, multidisziplinäre Forschungszeitschrift der National Academy of Sciences der USA, Anm. d. Übers.]: „Das genomische Ansprechen des Mausmodells ahmt Entzündungskrankheiten des Menschen nur mangelhaft nach.“ Das ist die zentrale Aussage, die umfassend und mit Blick auf die Details belegt wird.
„Mausmodelle wurden in den vergangenen Jahrzehnten in großem Umfang dazu verwendet, in der Entwicklung befindliche Arzneimittel zu identifizieren und zu testen, bevor damit Versuche an Menschen durchgeführt werden. Trotzdem stellt sich nur bei wenigen dieser Tests an Menschen ein Erfolg ein. Die Erfolgsrate ist bei Tests zu Entzündungen, die mit vielen menschlichen Erkrankungen einhergehen, sogar noch schlechter. Bislang gab es annähernd 150 klinische Tests von Kandidaten für Arzneien, die bei schwerkranken Patienten die Entzündungsreaktion hemmen sollen. Trotz Einwänden, die die Vorzüge des blinden Vertrauens auf die Verwendung von Tiermodellen bei Forschungen zur menschlichen Immunologie in Frage stellen, gehen Prüfer und Regulierungsbehörden in Ermangelung systematischer Beweise davon aus, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen menschliche Erkrankungen tatsächlich wiederspiegeln. Bisher gab es keine Studien, die auf der Molekularebene systematisch evaluierten, wie gut das klinische Mausmodell menschliche Entzündungskrankheiten abbildet.“
Dieses große, multizentrische Team fand folgendes heraus: Während verschiedene Entzündungsreize (Verletzungen, Verbrennungen, Endotoxine) beim Menschen im Großen und Ganzen demselben Muster folgen, trifft dies auf Mäuse nicht zu. Sie zeigen nicht nur andere Reaktionen als der Mensch (messbar u.a. anhand der Genregulation), sie zeigen auch verschiedene Reaktionen auf die unterschiedlichen Reize. Menschen und Mäuse unterscheiden sich darin, welche Gene aktiviert werden, sie unterscheiden sich in Zeitpunkt und Dauer der Genexpression und darin, wo diese Genprodukte letztlich auffindbar sind. Mäuse sind gänzlich ungeeignet dafür, als Modell für das Studium menschlicher Entzündungen zu dienen.
Und es gibt eine Menge potentieller Gründe dafür, warum dies so ist:
„Man muss angesichts unseres Ergebnisses, dass transkriptionelle Reaktionen in Mausmodellen menschliche Krankheiten dermaßen schlecht widergeben, vielerlei Erwägungen in Betracht ziehen: Die der Evolution geschuldete Entfernung zwischen Mäusen und Menschen, die Komplexität menschlicher Erkrankungen, das durch Inzucht erzeugte Mausmodell und oftmals die Verwendung einzelner Prozessmodelle. Weiters können Unterschiede in der Zellzusammensetzung des Gewebes von Menschen und Mäusen zu den Unterschieden, die in der molekularen Reaktion beobachtbar sind, beitragen. Zusätzlich stellen die verschiedenen Zeitspannen der Genesung bei Patienten und Mausmodellen ein inhärentes Problem bei der Verwendung von Mausmodellen dar. Spätere Vorgänge bei der klinischen Versorgung des Patienten (wie etwa die Gabe von Flüssigkeiten und Medikamenten, Operationen, Lebenserhaltungssysteme), die wahrscheinlich die genomischen Reaktionen verändern, werden vom Mausmodell nicht erfasst.“
Trotz all der Variablen, die den menschlichen Daten innewohnen, scheint unsere Entzündungsreaktion bemerkenswert kohärent zu sein. Ganz im Gegenteil zum Mausmodell. Im Laufe der Jahre waren Mäuse ganz anderem evolutionären Druck ausgesetzt wie wir; ihre heterogene Reaktion auf unterschiedliche Arten von Stress hat ihnen, aus welchen Gründen auch immer, gute Dienste erwiesen.
Diese Forschungsarbeit wirft viele gewichtige und hässliche Fragen auf. Alle unter uns, die biomedizinische Forschung betreiben, wissen, dass Mäuse keine Menschen sind (ebenso wenig wie Ratten, Hunde, etc.). Wie oben bereits erwähnt ist es jedoch leicht, dies als Binsenwahrheit zu betrachten – sicher, sicher, wusste ich schon – weil uns all unsere Wege durch die Maus zum Menschen führen. Der Artikel der New York Times über diese Forschungsarbeit verdeutlicht diese Angewohnheit (Hervorhebung von mir):
„Die neue Studie, die 10 Jahre dauerte und an der 39 Forscher aus dem ganzen Land beteiligt waren, begann damit, weiße Blutkörperchen von Hunderten von Patienten mit schweren Verbrennungen, Verletzungen oder Blutvergiftung zu untersuchen, um herauszufinden, welche Genabschnitte aktiviert werden, wenn weiße Blutkörperchen auf Alarmsignale reagieren.
Die Forscher stießen auf interessante Muster und bauten einen umfangreichen, rigoros gesammelten Datensatz auf, der dazu beitragen sollte, dieses Forschungsfeld voranzutreiben, sagte Ronald W. Davis, ein Experte der Genomik an der Stanford University und Erstautor der wissenschaftlichen Arbeit. Manche Muster schienen die Voraussage zu ermöglichen, wer überleben würde und wer in der Intensivstation landen würde, um sich dort an das Leben zu klammern und, manchmal, zu sterben.
Die Gruppe hatte versucht, die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit in etlichen Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Ein Einwand, wie Dr. Davis sagte, war gewesen, dass die Forscher nicht zeigen hatten können, dass dieselbe Genreaktion auch in Mäusen vorkam.
„Sie waren so an Mäusestudien gewöhnt, dass sie glaubten, dies sei die Art und Weise, wie man Ergebnisse für gültig erklärt“, sagte er. „Sie haben das Bemühen, Mäuse zu heilen, dermaßen verinnerlicht, dass sie vergessen, dass wir versuchen, Menschen zu heilen."
"Daher begannen wir nachzudenken“, fuhr er fort. „Ist es bei der Maus genauso oder anders?“
Darüber hinaus berichtet der Zeitungsartikel, dass diese wissenschaftliche Arbeit unter anderem von den Fachjournalen Science und Nature abgelehnt wurde. Einer der Hauptautoren sagte, dass die Gutachter in erster Linie die Meinung vertraten, die Arbeit müsse mangelhaft sein. Sie konnten nicht sagen, worin der Fehler lag, aber eine wissenschaftliche Arbeit, die zu dem Schluss kommt, dass das Mausmodell gänzlich ungeeignet ist, musste einfach falsch sein.
Wir müssen damit aufhören, uns vor dem Offensichtlichen zu fürchten - wenn wir das können. Eine klarere Aussage als „Mäuse sind keine Menschen“ kann man kaum machen, aber die Einschränkungen von Tiermodellen werden als so selbstverständlich betrachtet, dass wir einfach nicht hören wollen, dass sie sogar schlimmer sind als befürchtet. Wir versuchen nicht, Mäuse zu heilen. Wir versuchen nicht, perfekte Krankheitsmodelle oder schöne Screeningkaskaden zu entwickeln. Wir versuchen nicht, Zielmoleküle perfekt auf Krankheiten abzustimmen. Zumindest nicht ständig. Wir versuchen, funktionierende Therapien zu entwickeln, und dieses Ziel geht nicht immer mit den anderen konform. Auch wenn es schmerzhaft ist, dies einzugestehen.
Derek Lowe, Doktor der organischen Chemie (Duke University), Autor des Blogs „In the Pipeline“ zu Themen der Wirkstoffforschung. Dieser Beitrag erschien am 13.2.2014
Übersetzung von: Daniela Bartl
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