Gefahr für Jugendliche und Frauen
Das neue Selbstbestimmungsgesetz soll Minderjährige ab 14 Jahren auch ohne Erlaubnis der Eltern mit Hilfe des Familiengerichts dazu befähigen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen zu ändern. Mit dem Gesetz glaubt man Adultismus und identitäre Fremdbestimmung zu bekämpfen, wird in vielen Fällen aber großes Leid schaffen. Ungeachtet seiner Konsequenzen schafft die Regierung verantwortungslos Regelungen, die den Jugendlichen zur ideologischen Knetmasse und Opfer seiner kindlichen Entscheidungen macht. Fortan jedes Jahr sein Geschlecht wechseln zu können, ist außerdem eine antifeministische Gefahr, die Frauen um ihre Schutzräume bringt.
1. Unzureichende jugendliche Entscheidungsfähigkeit
Minderjährige können die Konsequenzen ihres Handelns in den meisten Fällen nicht absehen und auch laut Bundesgerichtshof kann ein Minderjähriger erst in medizinische Eingriffe einwilligen, wenn er „nach seiner geistigen und sittlichen Reife die Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestattung zu ermessen vermag“.[1] Diese Regelung speist sich aus der unstrittigen Tatsache, dass Minderjährige aufgrund ihrer bis zum 25. Lebensjahr fortdauernden Gehirnentwicklung und der fehlenden Lebenserfahrung (im Durchschnitt) oft weniger rationale Entscheidungen treffen. Auch die psychosoziale Reife steckt mit 14 noch in den Kinderschuhen (vgl. Grafik 1[2]).
Hinzu kommen in dem Alter die ausgeprägte Risikobereitschaft und Impulsivität, eine Anfälligkeit für Peer Pressure, mangelnde Emotionsregulierung und eine fehlende Zukunftsorientierung. Insbesondere die Zukunftsorientierung – für die Frage nach der eigenen geschlechtlichen Identität nicht unerheblich – erreicht mit ungefähr 14 Jahren ihren Tiefpunkt (vgl. Grafik 2[3]).
Die Tragweite des Geschlechtswechsels kann in den meisten Fällen also von 14-Jährigen nicht erkannt werden. Identität ist in diesem Alter erst im Auf- und Umbruch begriffen, über prägnante Lebensentscheidungen zur zukünftigen Familien- und Lebensplanung sind sich Jugendliche noch nicht im Klaren. Insbesondere junge Männer beginnen beispielsweise erst vergleichsweise spät, sich mit der Frage des Kinderwunsches auseinanderzusetzen. Unter den 14- und 15-Jährigen hat fast die Hälfte noch keine klare Haltung zu dem Thema (vgl. Grafik 3[4])
2. Vorschnelle Geschlechtsumwandlungen
Eine Geschlechtsumwandlung (Transition), die durch die neuen Gesetze stark vereinfacht wird und oft als logische Folge mit dem Geschlechtswechsel auf dem Papier einhergeht, verunmöglicht das Kinderkriegen in vielen Fällen. Zu den bekannten Nebenwirkungen von im Vorfeld eingenommenen Pubertätsblockern gehören Unfruchtbarkeit, defizitäres Knochenwachstum, Schäden der Gehirnentwicklung sowie psychische Störungen. In Großbritannien wurden sie deshalb für Kinder verboten. Transitionen sind im Nachgang ebenfalls nicht nebenwirkungsfrei, sondern kosten die Patienten neueren Daten zufolge z. B. oft ihre Orgasmusfähigkeit[5], wobei männliche Transpersonen mit Neo-Vagina oft bessere Chancen als weibliche Transpersonen mit einem Neo-Penis haben.
Problematisch ist, dass Transitionen mittlerweile ohne gründliche und vor allem kritische Anamnese ermöglicht werden (müssen). 2020 hat der Bundestag sogenannte „Konversionsbehandlungen“ verboten. Dem grundsätzlich richtigen Gedanken zum Trotz bedroht das Gesetz allerdings auch jene Therapeuten, die die Motive des „Transitionswunsches“ eines Kindes oder Jugendlichen mit ihnen gemeinsam erforschen wollen. „Ins Gesetz wurde de facto hineingeschrieben, dass alle Therapeuten jetzt ‚transaffirmativ‘ behandeln müssen“, erklärt Alexander Korte, Kinder- und Jugendpsychiater an der Uniklinik München. „Bisher galt der Grundsatz, dass die therapeutische Begleitung ausgangsoffen sein sollte. Und das bringt uns Therapeuten jetzt in eine äußerst bedrohliche Lage. Was passiert denn, wenn man den Transitionswunsch des Menschen hinterfragt?“[6]
Unabhängig von den rechtlichen Zwängen werden auch moralische Zwänge die medizinisch neutrale Anamnese erschweren. Dem oft großen Leidensdruck von Menschen mit Genderinkongruenz darf nicht vorschnell und ohne große Hürden mit einer Transition begegnet werden, die retrospektiv ggf. als großer und nur schwer umkehrbarer Fehler erkannt wird.
3. Jährlicher Geschlechtswechsel als Gefahr für Frauen
Gesetzlich verankert wird fortan auch, jedes Jahr sein Geschlecht wechseln zu können. In der postmodernen Welt ist Sprache nicht nur Kommunikationsmittel, sondern auch konstruktivistische Magie. In Anlehnung an den sprachlichen Idealismus und der Sprechakttheorie geht man davon aus, dass Sprache Wirklichkeit schafft. Auszusprechen, dass man „weiblich“, „männlich“ oder etwas anderes sein will, reicht fortan in Ablösung von einer biologischen Definition von Geschlechtlichkeit dafür aus, um mit dem neuen Namen und Geschlecht angesprochen werden zu müssen. Bei Missachtung drohen Geldstrafen.
Die Extensionen der Begriffe „Mann“ und „Frau“ werden dadurch beliebig, eine genaue Zuordnung schwierig. Der Versuch großer Teile der Transbewegung, Geschlechterrollen als Geschlecht umzudefinieren und (wieder) an äußerliche Marker wie Röcke, lange Haare oder Genderlekte zu koppeln (Pinkes Kleid, lange Haare und pipsige Stimme? Frau!) ist reaktionär und vor allem dort problematisch, wo Frauen Schutzräume brauchen. In Frauenumkleiden, -toiletten, -häusern und -gefängnissen können sich Männer, die sich als Transfrauen definieren, in Zukunft einfach reinidentifizieren. Die Kategorie „Frau“ wird bedeutungslos, der Schutz von Mädchen und Frauen untergraben. Erfolge von Frauen im Sport, bei Stipendien und sonstigen Errungenschaften werden zunichte gemacht durch „weiblich gelesene“ Männer. Das ist mindestens antifeministisch, in manchen Fällen auch gefährlich.
4. Gefühl über Fakten
Leider wird neben diesen Bestrebungen auch die wissenschaftliche und faktengestützte Betrachtungsweise der Debatte um Geschlechtlichkeit korrumpiert. Das Leugnen der Zweigeschlechtlichkeit z. B. wird zum Abgrenzungsmerkmal der Toleranten von den Transphoben und Sexisten. Wer die Postulate der Queer Theory nicht mitgeht, ist neuerdings rechts und moralisch kompromittiert. Bezeichnenderweise hat im vorauseilenden Gehorsam am 2. Juli 2022 die Berliner Humboldt Universität einen Vortrag mit dem Titel „Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht, Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt“[7] der studierten Biologin Marie Vollbrecht gecancelt, weil von einer studentischen Gruppe im Vorfeld zum Protestaufgerufen wurde. Bei Twitter wird mittlerweile schon die Frage, ob ein im Wald ausgesetztes Kind, dem niemand ein Geschlecht zugewiesen hat, trotzdem ein Geschlecht hat, mit Verweis auf die Twitter-Regeln und deutsche Gesetze gelöscht.[8]
Der Diskurs um Geschlechtlichkeit ist folglich hochgradig vermint und moralisiert. Hierbei ist es grundsätzlich so, dass das, was wir richtig und falsch finden, auf moralischen Intuitionen basiert. Rationale Argumente sollen diese Intuitionen im Nachgang nur bestätigen (Confirmation Bias). Erst fühlen wir also, ob wir für oder gegen etwas sind, dann kommen Sachargumente ins Spiel.
So werden sich die meisten kaum mit den biologischen Fakten zu Geschlechtlichkeit – darunter der Tatsache der Zweigeschlechtlichkeit (Anisogamie) und der Frage nach eventuell einschränkenden Ausnahmen durch (vermeintliche) Mehrgeschlechtlichkeit (Hermaphroditismus verus) – auseinandergesetzt haben, voller Überzeugung aber dem medial kolportierten Vielfaltsgedanken folgen und biologische Intersexualität allein deshalb als Faktum annehmen, da diese Annahme den Betroffenen hilft, in ihrem Anderssein toleriert zu werden. Moral Dumbfounding[9], also bei seinen Überzeugungen zu bleiben, ohne Gründe für dieselbe vorweisen zu können, gehört bei der richtigen Sache sogar zum guten Ton, um Haltung zu zeigen (Virtue Signalling). Dabei tritt die biologische Einschätzung zu dieser Frage in den Hintergrund. Dem Ansinnen, Geschlechterrollen in ihrer Vielfalt zu akzeptieren und Toleranz gegenüber identitärem Anderssein zu kultivieren, tut auch eine biologische Betrachtungsweise von Geschlecht keinen Abbruch, sofern man liberales und aufgeklärtes Denken kultiviert. Der Debatte täte mehr Wissenschaftlichkeit und weniger Moral gut.
5. Innehalten
Insbesondere dann, wenn die Zukunft und das Glück von schutzbedürftigen Jugendlichen auf dem Spiel stehen, dürfen moralisierte Trends und blauäugige Vielfaltslobhudelei den langfristigen Blick auf die Leidtragenden nicht versperren. Es gilt, innezuhalten, die Sachlage zu sichten, mit den Betroffenen zu sprechen und einen für alle gangbaren Weg zu wählen, der das Leid insgesamt mindert. Dabei muss das oft große Leid berücksichtigt werden, das Betroffene empfinden, die sich im falschen Körper geboren fühlen. Kindern aber ein volles Entscheidungsrecht zuzubilligen, dem sie qua Entwicklung oft noch nicht rational entsprechen können, ist neben den ohnehin in diesem Alter fragwürdigen Pubertätsblockern der falsche Weg. Oft verhindert die Einnahme von Pubertätsblockern auch eine pubertätsbedingt notwendige Aussöhnung mit dem Geburtsgeschlecht oder befördert die Intensivierung einer Geschlechtsdysphorie, dem starken und anhaltenden Gefühl also, dass das eigene anatomische Geschlecht nicht dem gefühlten entspricht, hin zur tatsächlichen Transsexualität. Es gibt eine Vielzahl an Studien, die belegen, dass Minderjährige, die nicht affirmativ mit Pubertätsblockern versorgt werden, aus ihrer Genderdysphorie, die heute ungleich häufiger junge Mädchen betrifft, herauswachsen.[10]
Entgegen der Queertheorie ist das biologische Geschlecht nicht nur eine historisch bedingte Konstruktion und damit fluid, sondern eine Tatsache, die in der Pubertät identitäre und integrative Herausforderungen birgt, denen man zuvorderst nicht mit Hormonblockern, sondern sozialem Beistand, elterlicher Fürsorge, freundschaftlicher und ggf. therapeutischer Hilfe begegnet.
Studien zufolge ist das Geschlecht der zentrale Baustein für persönliche Identität. Kein anderer Aspekt ist so unauflösbar mit unserem Menschsein verknüpft.[11] Der mediale und politische Zeitgeist allerdings, das biologische Geschlecht nur als lästiges und beliebig formbares Anhängsel auf dem Weg zur Realisierung seines wahren Ichs zu betrachten, ist nicht nur die Verabschiedung von evidenzbasierter Identitätsentwicklung, sondern in Konsequenz auch reaktionär und folgenschwer für die erkämpften feministischen Meilensteine und Schutzräume.
Die moralisch und ideologisch angestrebte Vermischung von sozialem und biologischem Geschlecht als vermeintliche Emanzipationsleistung und Instrument der identitären Selbstverwirklichung verkennt und befördert in ihrem Toleranzglanz durch die Entrechtung der Eltern und Ärzte einerseits folglich blind das Leid von Jugendlichen, denen man glaubt, damit geholfen zu haben, und andererseits von Frauen, die durch den Fokus auf Transidentitäten um ihre emanzipatorischen Errungenschaften und Schutzräume betrogen werden.
Eigentlich müssten Eltern, Pädagogen und Frauen gegen das Gesetz aufbegehren. Sie tun es nicht, weil sie moralisch gefesselt sind, das Gesetz mit Buzzwords wie „Würde“, „Toleranz“ und eben „Selbstbestimmung“ geframt wurde und man die Folgen desselben mangels Informiertheit und kritischer Berichte nicht absieht. Fraglich ist, ob man mit der Kritik daran warten sollte, bis es sich im Rückblick als schädlich erwiesen hat, obwohl es sich so gut anhörte.
Fußnoten
[1] https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb5/prof/BRZIPR/urt/bgbat/bgbat80.pdf
[2] https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037/a0014763
[3] https://srcd.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1467-8624.2008.01244.x
[4]https://publikationen.sexualaufklaerung.de/fileadmin/redakteur/publikationen/dokumente/Jugendsexualitaet/Faktenblaetter_Redesign/13316315.pdf
[5] Überblick über die Gesundheitsrisiken bei Abigail Shrier, Irreversible Damage: The Transgender Craze Seducing Our Daughters (Washingtion, DC: Regenery Publishing, 2020), Kap. 9 und 10.
[6] https://www.emma.de/artikel/trans-das-gesetz-ist-ein-desaster-337751
[7] Hier der gecancelte Vortrag an anderer Stelle in ganzer Länge: https://www.youtube.com/watch?v=Umqo5yoiHsY
[8]https://twitter.com/titiatscriptor/status/1543559850013204481?s=20&t=QHjiwHS76cKw8_MFikDrhg
[9] https://www.heise.de/tp/features/Moral-aus-dem-Gehirnscanner-3390081.html
[10] https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/138-001l_S3_Geschlechtsdysphorie-Diagnostik-Beratung-Behandlung_2019-02.pdf
[11] https://psycnet.apa.org/doiLanding?doi=10.1037%2Fpspa0000293
Kommentare
Immer mehr wird die Politik zu einem Bereich, der von moralischen Vorgaben bestimmt wird, für die dann die rationalen Gründe nachzuliefern sind. Ein derzeit maßgebender Teil der Politiker verwechseln offensichtlich dabei das Feld der Politik mit der der Forschung. In der fälschlichen Annahme, dass Selbstbestimmung grundsätzliche keine Grenzen haben dürfe, erklären sie Teile der Gesellschaft faktisch zu Forschungsfeldern. Dabei spielen sie mit den Vorgaben der Natur, ohne deren Hintergründe wirklich zu durchschauen und die Konsequenzen der gesetzlichen Möglichkeiten hinreichend beurteilen zu können. Es ist der Versuch maßgebender Politiker, sich als Vorreiter einer Art »Befreiungstheologie« zu verstehen. Der Beitrag von Felix Kruppa beschreibt in bemerkenswerter Genauigkeit und Nahvollziehbarkeit die Problematik und die Hintergründe ihrer Ursachen und Konsequenzen.
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