Das Recht, über Gott zu lachen

Darf man Religion verspotten?

Das Recht, über Gott zu lachen

Bild: Alibri Verlag

Ja, unbedingt, sagt Richard Malka. In Frankreich lebt er deshalb unter Polizeischutz. Als Anwalt hat er Charlie Hebdo erfolgreich gegen Rassismusvorwürfe verteidigt, nachdem das Magazin Mohammad-Karikaturen veröffentlichte. Jetzt ist sein Plädoyer vor Gericht als Buch erschienen - eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit.

Ein bärtiger Mann mit Turban hält seinen Kopf zwischen den Händen. Er ist sehr verärgert. In der Sprechblase steht: „Schon hart, wenn einen Idioten lieben…!“ Die Zeilen über der Zeichnung erläutern: „Mohammad beklagt sich. Er wird von Fundamentalisten überrollt!“ Der Prophet beklagt sich also über die Haltung seiner fanatischen Anhänger. Eine Titelseite von Charlie Hebdo, dem französischen Satiremagazin: provokant, schrill, bunt. Nicht jeder muss über diese Karikatur schmunzeln, jeder darf sich beleidigt fühlen. In einer aufgeklärten, freien Gesellschaft nennt man so etwas politische Karikatur.

Seit 1992 macht Charlie Hebdo macht davon Woche für Woche Gebrauch: Gegen selbstgefällige Politiker, korrupte Wirtschaftsbosse, bigotte Moralwächter - vor allem aber gegen religiöse Fanatiker. So auch auf der zitierten Titelseite aus dem Jahr 2006, die dem Zeichner Kurt Westergaard gewidmet war, der wegen seiner Karikaturen in der dänischen Tageszeitung Jyllands-Posten von moslemischen Fundamentalisten mit dem Tod bedroht worden war. Damals waren er und die Zeitung beschuldigt worden, den „öffentlichen Frieden“ zu gefährden. Eine skandalöse Umkehrung des Täter-Opfer-Prinzips. Denn nicht Westergaard und die Jyllands-Posten -Redaktion gefährdeten den öffentlichen Frieden, sondern religiöse Fanatiker, die in ihrem Wahn Menschen drohten und töteten, weil sie unfähig waren, satirische Kunst, wie sie in einer offenen Gesellschaft legitim ist, zu akzeptieren.

Neun Jahre später, am 7. Januar 2015, springen zwei mit Kalaschnikows bewaffnete moslemische Terroristen vor dem Pariser Redaktionsgebäude von Charlie Hebdo aus dem Auto, zwingen die Zeichnerin Coco zur Herausgabe des Sicherheitscodes und stürmen in den zweiten Stock. Dort erschießen sie einen Leibwächter, den Chefredaktor Stéphane Charbonnier und mehrere Mitarbeiter. Die Bilder, wie sie unter „Allahu akbar“- und „Wir haben den Propheten gerächt“-Rufen in einen schwarzen Citroën steigen und auf der Flucht einen Polizisten aus nächster Nähe exekutieren, gehen um die Welt. Zwölf Menschen werden aus dem Leben gerissen. Eine barbarische Tat. Frankreich steht unter Schock.

Und doch: Schon damals wurden Stimmen laut, die die „Verantwortungslosigkeit“ des Satiremagazins beklagten. Sie machten Charlie Hebdo letztlich selbst für das mörderische Inferno verantwortlich, weil es unter dem „Deckmantel der Meinungsfreiheit“ die Gefühle von Gläubigen verletze, sich über Religionen lächerlich mache. Solche Einwürfe kamen nicht allein konservativen Glaubensverwaltern und der politischen Rechten. Auch von linken Intellektuellen und Medien wurde das Recht auf Kritik an Gott und anderen „heiligen“ Autoritäten infrage gestellt. Sie warfen Charlie Hebdo vor, rassistisch zu sein und den Glauben der Schwächsten zu verhöhnen - und damit vor allem viele moslemischen Einwanderer zu erniedrigen. An diesem Bild wird bis heute festgehalten: Weltweit rechtfertigt ein erheblicher Teil der Islamisten Gewalt und Terror wegen angeblicher Herabwürdigung des Korans oder des islamischen Propheten Mohammad.

Diese Argumentation, die häufig für die Rechtfertigung strapaziert werde, sei der beschämende Versuch einer Täter-Opfer-Umkehr, sagt Richard Malka, der als Anwalt seit 1992 die Interessen von Charlie Hebdo vertritt - und deshalb seit Jahren unter Polizeischutz steht. Wo aber kämen wir hin, fragt er, wenn wir es vom Einverständnis religiöser Fanatiker abhängig machen würden, ob ein Kunstwerk, ein Theaterstück, ein Film gezeigt werden darf oder nicht, weil er angeblich den Propheten Mohammad herabstuft, beleidigt oder der Lächerlichkeit preisgibt?

In einem seinem Schluss-Plädoyer, das er 2020 im Prozess gegen die Komplizen der Attentäter vor dem Sonderstrafgerichtshof in Paris gehalten hat, forderte er die Ideologen und dienstbaren Geister des Terrors auf, mit ihren Bemühungen aufzuhören, für den Islam Sonderrechte zu beanspruchen. „Die Kunst- und Meinungsfreiheit kann in einer offenen, demokratischen Gesellschaft nicht aus Rücksicht auf religiöse Fanatiker einschränkt werden, dies kommt einer Belohnung gleich”. Nicht Religionskritik störe den öffentlichen Frieden, sondern Glaubensfanatiker, die „unsere Freiheiten verachten, die alle Ungläubigen und Andersgläubigen hassen, vor allem die, die sich erlauben, über ihren Propheten zu lachen, ihn zu karikieren”, so Malka.

Sein Plädoyer ist jetzt in deutscher Übersetzung als Buch erschienen. Ein schmales Bändchen von großer rhetorischer Wucht. Eine Chronologie des Grauens und der politischen Ignoranz. Malka benennt Namen und Interessen aus Politik und Medien, die über Jahre eifrig Legenden- und Lügengeschichten verbreiteten, wonach Charlie Hebdo „Feind aller Muslime“ sei. Sie alle nimmt er in Mit-Haftung: Opportunisten, Wegseher und Verdränger, die für die brennende Lunte, die sie mit entfacht haben, Verantwortung tragen. Sein Plädoyer ist - im Sinne des Wortes - eine „wahrhaftige“ empathische Anklage gegen Gleichmut und Gleichgültigkeit. Vor allem aber eine fulminante Verteidigung der Meinungsfreiheit und des Rechts, sich über Gott lächerlich zu machen - falls es ihn gibt.

Helmut Ortner, Jahrgang 1950, hat bislang mehr als zwanzig Bücher, überwiegend politische Sachbücher und Biografien veröffentlicht, u.a. Der Hinrichter - Roland Freisler, Mörder im Dienste Hitlers, Der einsame Attentäter - Georg Elser und EXIT: Warum wir weniger Religion brauchen - Eine Abrechnung. Zuletzt erschienen: Widerstreit: Über Macht, Wahn und Widerstand und Volk im Wahn - Hitlers Deutsche oder Die Gegenwart der Vergangenheit (April 2022).

Seine Bücher wurden bislang in 14 Sprachen übersetzt. Helmut Ortner ist Mitglied bei Amnesty International und im Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung.

Richard Malka: Das Recht, Gott lächerlich zu machen
Alibri Verlag, 95 Seiten, 10 Euro

Kommentare

  1. userpic
    Is doch egal

    Kritik sollte immer begründet sein. Ich kann auch bestimmten ethnischen Gruppen vorwerfen nicht so intelligent zu sein wie die Europäer. Dies begründet ich damit das Europäer mehr Nobelpreise bekommen haben und mehr entscheidende Erfindungen gemacht haben. Dies ist, zu Recht nicht, gewollt.
    Eine Kritik ohne Begründung geht nicht über eine bloße Verächtlichmachung hinaus.

    Schade das man dass, einigen Leuten sagen muss.

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      Uwe Lehnert

      Ja, ein Recht, Gott lächerlich zu machen, besteht. Niemand sollte deshalb bestraft werden dürfen. Dennoch frage ich mich: Warum sollte ich ein Wesen, das für ungezählt viele Menschen von lebensbestimmender Bedeutung ist, lächerlich machen? Warum – so möchte ich fragen? Was habe ich davon, was bringt es mir und anderen an Aufklärung? Genügt es nicht, mit überzeugenden Argumenten dazulegen, dass es sich bei einem Glauben an ein jenseitiges göttliches Wesen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit um eine Illusion handelt? Gibt es nicht eine Fülle sachlicher Gründe für seine Nicht-Existenz aufzuzählen? Gewinne ich nicht vielmehr interessiertes Zuhören, wenn ich so weit wie möglich einsichtige Argumente aufliste, statt mit provokativem und höhnischem Gelärme mich mit meiner Ansicht darstelle? Mag sein, dass es dem eigenen Vergnügen dient, andere Menschen zu provozieren. Aber bin ich denn nicht eigentlich interessiert daran, den anderen mit guten Gründen von seinen Illusionen zu befreien, als ihn durch Lächerlichmachen zu provozieren?

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        Norbert Schönecker

        Danke!

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