Der Allah-Wahn

Auf dem Denkfest, welches im September 2014 in Zürich stattfand, hatte der marokkanische säkulare Aktivist Kacem El Ghazzali die Gelegenheit sich mit Richard Dawkins zu unterhalten. Dabei erfuhr Prof. Dawkins zu seinem Erstaunen, dass es eine inoffizielle arabische Übersetzung von "Der Gotteswahn" gibt, die im arabischen Raum eine hohe Resonanz erfahren hat.

Der Allah-Wahn

Titelseite der arabischen Ausgabe von "Der Gotteswahn"

Es kam Richard Dawkins vermutlich nie in den Sinn, dass sein Buch “Der Gotteswahn” das arabische Publikum in seiner eigenen Sprache erreichen würde. Als ich ihn während des Denkfests in der Schweiz traf, eine Veranstaltung, die von der Freidenker-Vereinigung der Schweiz organisiert wurde, war er überrascht, als ich erwähnte, dass ich sein Buch „Der Gotteswahn“ auf arabisch gelesen habe. Er erzählte mir, dass ihm nicht bewusst war, dass es eine solche übersetzte Version gibt, noch gab es eine offizielle Anfrage für eine arabische Übersetzung. Ich informierte ihn darüber, dass diese durch das persönliche Engagement eines irakischen Freundes namens Bassam Al-Baghdadi erfolgt war, der momentan in Schweden lebt.

Seitdem wurde das Buch positiv aufgenommen und zum sofortigen Erfolg. Die PDF Version wurde 10 Millionen Mal heruntergeladen, hauptsächlich aus Saudi-Arabien (30 %). Al-Baghdadi merkte an, dass nach dem Upload am ersten Tag über 1000 Downloads stattfanden, und danach die Anzahl expotentiell anstieg, besonders nachdem sich bekannte arabische Atheisten - Webseiten, Foren und Blogs an der Unterstützung und Weitergabe des Buches im World Wide Web beteiligten.

Seitdem hat das Buch eine beispiellose Aufmerksamkeit, Kontroverse und Debatte in der arabischen und islamischen Welt ausgelöst. Der Übersetzer hat zahlreiche Todesdrohungen und Anschuldigungen erhalten, sich mit den Zionisten zusammen getan zu haben, um die Jugend zu verderben. Er musste infolgedessen seine Online-Konten schließen und seine Beiträge für eine Zeit stoppen. Seitdem kamen vergebliche Versuche auf, die beispiellose Welle der Vernunft, die die arabischen Ufer erreichte, mit mittelmäßigen apologetischen Artikeln und Büchern zu vereiteln. Ein Beispiel dafür ist ein Buch mit dem Titel „Der Atheismus-Wahn“, welches von der Al-Azhar Universität in Ägypten veröffentlicht wurde.

In der arabischen Version schrieb der Übersetzer unter den Buchtitel „Dieses Buch ist in islamischen Ländern verboten“ in fetten und großen Buchstaben. Glücklicherweise ist im Informationszeitalter, das durch das Internet möglich wurde, ein Verbot von Büchern in der arabischen und islamischen Welt nicht mehr länger durchführbar. Ich persönlich konnte mir das Buch beschaffen und lesen, während ich noch in Marokko war, ein anderer atheistischer Freund hat es sogar geschafft, sich das Buch in Saudi-Arabien zu beschaffen und zu lesen. Die dunklen Zeiten der Zensur, in denen das öffentliche Wissen auf sorgsam kuratierte Bücher beschränkt war, sind lange vorbei und werden nie wieder zurück kehren.

Interessanterweise kam ich mit Richard Dawkins Arbeit Jahre zuvor in Berührung, als ich zufällig auf eine offizielle französische Übersetzung von „Das egoistische Gen“ stieß, welche ich in der Bibliothek meines Onkels fand, der sich sehr für Biologie interessierte. Ich wusste zu der Zeit nichts über den Hintergrund des Autors, noch verstand ich das genaue Thema des Buches. Mein Onkel war zu der Zeit nicht da, um es mir zu erklären, daher nahm ich das Buch mit in meine Biologie Klasse und fragte meinen Lehrer, um mir über bestimmte Aspekte Klarheit zu verschaffen. Sein umgehende Reaktion war, das Buch nervös an sich zu nehmen und zu brüllen: Bringe diesen Dreck nicht noch einmal mit! Es ist einfach Bockmist!“ Glaubte der Lehrer tatsächlich, dass das Buch so schlecht war? Oder gab es einen anderen Grund für seine Reaktion? Vielleicht war er verängstigt. Ich weiß, dass es in Marokko atheistische Professoren gibt, die sich gegenüber ihren Studenten genötigt sehen, vorzugeben, sie seien Muslime. Aber ich bezweifele, dass dies hier der Fall war, weil seine Reaktion dann ruhiger und gelassener ausgefallen wäre.

Das Lesen der arabischen Übersetzung von „Der Gotteswahn“ war der eigentliche Anfang meines Respekts und meiner Bewunderung für Richard Dawkins, und ich begann, seine Artikel zu lesen und seine Dokumentationen auf Youtube anzuschauen. Ich erinnere mich, dass ich mich beim Lesen von „Der Gotteswahn“ zu Beginn und während des weiteren Voranschreitens unbehaglich fühlte. Es war nicht die Art von Lektüre, die einen Abschweifen oder in Langeweile abgleiten lässt. Je mehr ich durch die Seiten blätterte, desto mehr fühlte ich eine tiefe Übereinstimmung, fast eine persönliche Verbindung zum Autor, wie zu einem guten Bekannten. Es war, als spräche er meine tiefsten Gedanken und Zweifel aus. Ich kann mich auch erinnern, wie es einen energisch zum Denken herausfordert, erbarmungslos alle vorherigen falschen Vorstellungen und fehlerhaften Argumente zerschmettert. Und obwohl ich zu der Zeit schon zum Freidenker geworden und weit weg vom religiösen Dogma war, berührte mich das Buch nichtsdestotrotz tief und hatte einen starken Einfluss auf die Ausbildung meiner Gedanken und Ideen. Es war ein wichtiger Meilenstein auf meinem Weg zu religiöser Freiheit und so groß wie andere Meilensteine in meinem bisherigen Leben. Ein Leben, welches voll von großen Anstrengungen war, besonders da ich aus einer sehr konservativen religiösen Familie komme. Mein Vater nahm mich sogar für ein Jahr aus der Schule, damit ich islamische Rechtssprechung lernen und den Koran auswendig lernen konnte, um den Wunsch meines Großvaters zu erfüllen, dass ich ein Iman (ein religiöser Gelehrter) werden sollte. Paradoxerweise endete es damit, dass ich meinen Glauben und meine Überzeugungen aufgab.
Ich las „Der Gotteswahn“, als ich in der High School war. Seitdem sind für mich der Name „Richard Dawkins“ und der anderer großer Denker zu einem Synonym für die Gedankenfreiheit und Rationalität geworden. Ich bewundere das Konzept der Freiheit und des Ausdrucks von Gedanken, das westliche Schriftsteller und ihre Leserschaft als selbstverständlich ansehen, während es in meinen Teil der Welt ein großes Tabu und sogar ein Verbrechen ist. Das Gefühl sitzt so tief, dass selbst heute der Name Richard Dawkins und seine Bücher bei mir ein Gefühl der Angst erzeugen, obwohl ich die arabische Welt schon lange hinter mir gelassen habe. Dies ist fast wie Verfolgungswahn oder eine posttraumatische Belastungsstörung. Ich nehme an, dass es einigen von denen, die nie unter ähnlichen Verhältnissen gelebt haben, schwer fallen dürfte, diese Gefühle zu verstehen oder zu begreifen. Versuche dir vorzustellen, ein verbotenes Buch im Geheimen zu lesen, um dann auf die Strasse zu gehen oder mit deiner Familie Tee zu schlürfen, mit einer schleichenden Angst, dass diese „kriminellen“ Gedanken, die du gerade gelesen hast, von alleine herauskommen und deine „Bösartigkeit“ und „Heimtücke“ gegenüber jedem enthüllt werden. Ich konnte diese „kriminellen“ Gedanken nicht länger für mich behalten und ich musste für meine Ehrlichkeit und meine Liebe für die Freiheit den Preis bezahlen. Daher schreibe ich diese Worte heute nicht aus meinem Heimatland, Marokko, sondern aus der Schweiz. Und ich bin Richard Dawkins und den anderen, die mich auf meiner Reise aus der Hölle der religiösen Dogmen zur Oase des Freidenkens und der Aufklärung geführt haben, zu großer Dankbarkeit verpflichtet.

Kacem El Ghazzali ist ein liberaler säkularer Aktivist aus Marokko, der in der Schweiz studiert hat und lebt. Er ist ein Repräsentant der "International Humanist and Ethical Union" (IHEU) am "UN-Menschenrechtsrat" in Genf.

https://en.wikipedia.org/wiki/Kacem_El_Ghazzali
http://de.wikipedia.org/wiki/Kacem_El_Ghazzali
https://www.facebook.com/KacemOfficialPage
http://iheu.org/

Übersetzung: Jörg Elbe, Daniela Bartl

 

Kommentare

  1. userpic
    Sciencefictionfan

    Wow, da fällt mir nur ein Kommentar ein:

    Chapeau an den arabischen Übersetzer dieses wichtigen Werks und auch an Kacem El Ghazzali, so für die eigenen Überzeugungen einzutreten! Es macht Hoffnung, dass in Zukunft in den islamisch geprägten Ländern verkrustete Strukturen aufgebrochen werden und irgendwann auch dort Säkularismus einziehen kann. Das Beispiel Tunesien (siehe die letzte Wahl) macht weitere Hoffnung.

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