Experimentieren wir an Kindern?
Das Wichtigste zuerst: Was ist der Cass-Report?
Es handelt sich um einen Bericht aus England, der sich mit der Frage beschäftigt, wie junge Menschen, die unter Geschlechtsdysphorie leiden oder ihre Geschlechtsidentität in Frage stellen, am besten behandelt werden können (Cass 2024).
Die unabhängige Überprüfung war eine gründliche Analyse der verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse und Behandlungsstudien. Mit der Leitung der Untersuchung wurde Dr. Hilary Cass betraut, einer der führenden Kinderärzte Englands. Sie wurde vom Nationalen Gesundheitsdienst des Vereinigten Königreichs (National Health Service, NHS) in Auftrag gegeben, um die Organisation in diesen Fragen zu beraten.
Die Schlussfolgerungen der Studie warnen vor einer übereilten medizinischen Behandlung von Minderjährigen, die Probleme mit ihrer Geschlechtsidentität haben.
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Kliniken, Therapeuten und Ärzte oft zu schnell vorgehen und andere psychische Probleme nicht berücksichtigen. Im Allgemeinen waren die Ärzte nicht in der Lage, sicher zu erkennen, welche jungen Menschen ihre Transgender-Identität bis ins Erwachsenenalter beibehalten und welche sich auf natürliche Weise lösen werden, so der Bericht. Auch für den frühen Einsatz von Pubertätsblockern gibt es nur schwache Belege. Ihre positive Wirkung ist fraglich, und ihre langfristigen Folgen sind nur unzureichend bekannt.
Dies war nicht das, was die trans-aktivistische Gemeinschaft hören wollte. Es gab Denunziationen gegen den Cass-Report (WPATH und USPATH 2024), und besonders in den Vereinigten Staaten gab es dezidierte Versuche, ihn zu ignorieren.
Ich spreche der Meinungskolumnistin der New York Times, Pamela Paul, meine Anerkennung aus, da sie bereit war, auf das Thema aufmerksam zu machen. Ihr Artikel vom Juli mit dem Titel „Why Is the U.S. Still Pretending We Know Gender-Affirming Care Works?“ durchbrach die Funkstille der Mainstream-Medien, die dem Cass-Report in den Vereinigten Staaten seit seiner Veröffentlichung im April entgegenschlagen hatte.
Paul sagte, dass das Gesundheitsministerium (Health and Human Services, HHS) und die American Medical Association (AMA) nicht auf den wichtigen Bericht reagiert haben, und als sie diese Einrichtungen bedrängte, wollte das HHS nicht offiziell antworten, und die AMA verwies auf die American Academy of Pediatrics und die Endocrine Society, die im Grunde genommen sagten, dass es nichts Neues zu sagen gäbe.
Wie Paul hervorhebt, haben andere Länder zugehört und nachdrückliche Maßnahmen ergriffen. In England hat die Regierung Pubertätsblocker für Jugendliche unter achtzehn Jahren abgeschafft. Und in den skandinavischen Ländern, Frankreich, Deutschland und anderswo wird der Einsatz medizinischer Eingriffe vor der Volljährigkeit neu bewertet.
Die Vereinigten Staaten sind ein Ausreißer unter den westlichen Nationen, auch weil alles, was mit Transgender-Themen zu tun hat, so politisiert ist. Es ist schwer, Bedenken über frühzeitige Eingriffe zu äußern, weil dies den Anschein erweckt, als würde man gemeinsame Sache mit transsexuellen-feindlichen Fanatikern machen. Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Es ist nicht nur ein Akt des Mitgefühls, sich um die medizinische und psychologische Gesundheit von Kindern mit Geschlechtsidentitätsproblemen zu sorgen; es ist auch eine medizinische Verantwortung, festzustellen, welche Eingriffe in welchem Alter sicher und wirksam sind.
Meiner Meinung nach - und vielleicht erfasse ich die Stimmung im Raum nicht so gut, wie ich sollte - scheint es offensichtlich, dass die Verwendung von feminisierenden und maskulinisierenden Hormonen und jegliche chirurgischen Eingriffe - die beide nachweislich in dem einen oder anderen Maße dauerhaft sind - bis zur Volljährigkeit aufgeschoben werden sollten. Geschlechtsdysphorie ist ein reales Phänomen, und junge Menschen, die davon betroffen sind, verdienen unsere Unterstützung. Doch solange die Medizinwissenschaft nicht die Instrumente entwickelt hat, mit denen sich nahezu sicher feststellen lässt, wer geschlechtsdysphorisch ist und wer andere psychische oder psychosoziale Probleme hat, die sich als geschlechtsspezifische Beschwerden äußern, sollten nur Erwachsene diese lebensverändernden Entscheidungen für sich selbst treffen.
Das ist jedoch nicht der Fall.
Was wir von Informanten in Gender-Kliniken erfahren haben, ist, dass es unter dem Deckmantel der „geschlechtsbestätigenden Behandlung“ einen aggressiven und gefährlichen Vorstoß gibt, jeden Minderjährigen medizinisch zu behandeln, der sein biologisches Geschlecht in Frage stellt. Herzzerreißende Berichte wie der von Jamie Reed (2023), einer Frau, die sich selbst als queer bezeichnet, mit einem Transgender-Mann verheiratet ist und im Washington University Transgender Center am St. Louis Children's Hospital gearbeitet hat, haben diesen beunruhigenden Vorhang gelüftet. „Viele Begegnungen mit Patienten machten mir deutlich, wie wenig diese jungen Menschen die tiefgreifenden Auswirkungen verstanden, die eine Geschlechtsumwandlung auf ihren Körper und ihren Geist haben würde“, schrieb Reed im Jahr 2023. „Aber das Zentrum spielte die negativen Folgen herunter und betonte die Notwendigkeit der Transition.“
In den Vereinigten Staaten ergab ein Bericht über eine aktuelle Analyse der nationalen Versicherungsansprüche von 2017 bis 2023, dass es mindestens 5.288 (und möglicherweise noch viel mehr) „geschlechtsangleichende“ doppelte Mastektomien für Mädchen gab, die noch minderjährig waren (Sapir 2024). Die Analyse ergab schockierenderweise, dass der Eingriff bei fünfzig bis 179 Mädchen, die zwölfeinhalb Jahre alt oder jünger waren, vorgenommen wurde.
Tavistock-Klinik geschlossen
Die Tavistock-Klinik in Großbritannien, die junge Menschen mit Problemen der Geschlechtsidentität behandelte, wurde vor kurzem geschlossen, nachdem mehrere Insiderberichte darauf hinwiesen, dass Kinder mit einer Reihe von psychischen und anderen Problemen, wie z. B. Mobbing, weil sie schwul sind, lebensverändernde geschlechtsübergreifende medizinische Eingriffe erhielten, anstatt eine ganzheitliche und individuelle Betreuung zu erhalten (Barnes 2024).
Dieser Ansatz ist offensichtlich falsch. Kinder sollten keine so folgenschweren Entscheidungen treffen, wenn sie so wenig wissen, was sie aufgeben oder worauf sie sich einlassen. Der Kommentator Andrew Sullivan (2024) befürchtet zu Recht, dass im heutigen politischen Klima ein burschikoses Mädchen oder ein unmännlicher Junge in die Transgender-Richtung gedrängt wird, obwohl sie in Wirklichkeit vielleicht nur schwul sind.
Also nochmal, ich bin der Meinung, dass es bis zur Volljährigkeit keine geschlechtsumwandelnden Hormone oder Operationen geben sollte, was nicht das ist, was die medizinischen Einrichtungen in Amerika sagen. Sie drängen auf eine „geschlechtsbestätigende Behandlung“ für Kinder, einschließlich Cross-Sex-Hormone ab dem „frühen Jugendalter“ (Office of Population Affairs 2023).
Die größere und schwierigere Frage ist jedoch, ob der Einsatz von Pubertätsblockern sinnvoll ist. Da die Pubertät vor dem Erreichen der Volljährigkeit einsetzt - bei Mädchen ist das Durchschnittsalter elf, bei Jungen zwölf -, muss der Einsatz dieser Medikamente weit vor dem achtzehnten Lebensjahr erfolgen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Idee ist, dass diese Medikamente die Pubertät vorübergehend aufhalten können, so dass ein junger Mensch Zeit hat, zu entscheiden, wie es weitergehen soll. In der Presse wird behauptet, dass Pubertätsblocker völlig sicher und reversibel sind und keinen Schaden anrichten.
Nun, die Wissenschaft legt nahe, dass die Geschichte komplexer ist.
Zunächst einmal stellt sich die Frage, warum wir die Pubertät von Kindern, die später einmal transsexuelle Erwachsene sein werden, aufhalten müssen. Es wird behauptet, dass dieser Eingriff die psychische Gesundheit junger Menschen mit Geschlechtsidentität-Problemen fördert und das Selbstmordrisiko verringert. Laut Cass-Report gibt es dafür jedoch nur wenige Belege, und die Qualität der bisherigen Studien ist schlecht.
Ein weiterer Grund ist, dass durch die Verzögerung der Pubertät und schließlich die Behandlung mit Cross-Sex-Hormonen, das zukünftige erwachsene Ich einer Transgender-Person leichter als das dem biologischen Geschlecht entgegengesetzte Geschlecht durchgehen kann.
Die Wissenschaft weist darauf hin, dass sich Transgender-Männer mit Testosteron zu jedem Zeitpunkt ihrer Entwicklung leicht vermännlichen, so dass es keinen medizinischen Grund gibt, früh mit Pubertätsblockern zu beginnen. Bei Transgender-Frauen können Pubertätsblocker jedoch dazu beitragen, einige irreversible Veränderungen zu verhindern, die dem Körper die Männlichkeit einprägen, so dass es nachweisbare Vorteile gibt.
Der Cass-Report schließt seine Empfehlungen zu Pubertätsblockern folgendermaßen ab: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es offenbar eine sehr enge Indikation für die Verwendung von Pubertätsblockern bei von Geburt an männlichen Jugendlichen gibt, und zwar als Beginn eines medizinischen Übergangsprozesses, um irreversible pubertäre Veränderungen zu verhindern. Andere Indikationen sind zum jetzigen Zeitpunkt nicht belegt.“
Die Überprüfung entdecke auch mehrere Studien zu Pubertätsblockern, die darauf hindeuten, dass die Knochendichte beeinträchtigt wird und der Höhenzuwachs negativ beeinflusst werden kann. Es sind jedoch weitere Längsschnittstudien erforderlich, um festzustellen, ob sich diese Auswirkungen später im Erwachsenenalter auflösen. Es gibt auch Fragen zu den Auswirkungen von Pubertätsblockern auf die neurokognitive Entwicklung. Auch hier sind weitere und bessere Untersuchungen erforderlich, um festzustellen, ob diese Beeinträchtigung der psychischen Funktionen dauerhaft ist.
Dies sind ungeheuer schwierige medizinische Fragen, bei denen noch vieles ungelöst ist. Es ist offensichtlich, dass die medizinischen Einrichtungen der Vereinigten Staaten ihrer Pflicht nicht nachkommen, sich der Komplexität der Transgender-Versorgung zu stellen, und zuzugeben, dass es Unbekanntes gibt. Nur die American Society of Plastic Surgeons hat sich zurückhaltend zu chirurgischen Eingriffen bei Minderjährigen mit Geschlechtsproblemen geäußert - und das erst im Juli 2024 (Sapir 2024).
Im Gegensatz zu ihren europäischen Kollegen zeigt die Weigerung amerikanischer medizinischer Gruppen und staatlicher Gesundheitsbehörden mit Verbindungen zu den Demokraten, den Cass-Report überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, dass wir uns in eine Arena der Ideologie statt der Wissenschaft begeben haben.
Dies gilt insbesondere deshalb, weil die Interessengruppe in den Vereinigten Staaten, die großen Einfluss auf die Standards der geschlechtsspezifischen Versorgung hierzulande hat, die World Professional Association for Transgender Health (WPATH), glaubwürdig beschuldigt wurde, die Wissenschaft zu manipulieren und über Bord zu werfen, als die Forscher am Johns Hopkins nicht zu den von ihnen bevorzugten Schlussfolgerungen über den Wert der geschlechtsbestätigenden Behandlung kamen („Research into Trans Medicine“ 2024).
Die Verlierer bei all dem sind Kinder, die dauerhaft verändert und sogar behindert werden durch die Hände derer, denen sie vertrauen, dass sie „Erstens nicht schaden“. Was die amerikanischen Ärzte selbst nicht in Ordnung bringen können, wird zweifellos das amerikanische Rechtssystem übernehmen (Schlott 2023). Ich hoffe, dass ihre Versicherung gegen Kunstfehler bezahlt ist. Sie werden sie brauchen.
Dieser Artikel erschien zuert im Skeptical Inquirer Volume 48, No. 6.
Robyn E. Blumner ist Präsidentin und CEO des Center for Inquiry und Geschäftsführerin der Richard Dawkins Foundation for Reason & Science. Sie ist Juristin und war zuvor als Kolumnistin und Redakteurin bei der Tampa Bay Times sowie als Geschäftsführerin der ACLU of Florida und der ACLU of Utah (American Civil Liberties Union) tätig.
Übersetzung: Jörg Elbe
Quellenangaben
Barnes, Hannah. 2024. Why the Tavistock gender identity clinic was forced to shut … and what happens next. The Guardian (March 31).
Cass, Hilary. 2024. The Cass-Report: Independent Review of Gender Identity Services for Children and Young People: Final Report.
Office of Population Affairs. 2023. Gender-Affirming Care and Young People.
Reed, Jamie. 2023. I thought I was saving trans kids. Now I’m blowing the whistle. The Free Press (February 9).
Research into trans medicine has been manipulated. 2024. The Economist (June 27).
Sapir, Leor. 2024. A consensus no longer. City Journal (August 12).
Schlott, Rikki. 2023. Detransitioner suing American Academy of Pediatrics: ‘I don’t want this to happen to other young girls.’ New York Post (December 13).
Sullivan, Andrew. 2024. Will big trans be held to account? The Weekly Dish (April 12).
WPATH and USPATH. 2024. WPATH and USPATH comment on the Cass-Report.
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