Der Einstein-Gutkind Brief

Wir präsentieren hier den Einstein-Gutkind Brief mit einem Transkript von Beat Weber und einer englischen Übersetzung.

Der Einstein-Gutkind Brief

Albert Einsteins Brief wurde auf Ebay für 3 Millionen US Dollar verkauft

Nach Angaben von Weber beruhen fast alle englischsprachigen Versionen auf einer schlechten (z. T. krass falschen) Übersetzung aus dem „Guardian“. Der entsprechende Wikipedia Eintrag konnte von ihm berichtigt werden.

Transkript

Princeton, 3.1. 54

Lieber Herr Gutkind!

Angefeuert durch wiederholte Anregung Brouwers habe ich in den letzten Tagen viel gelesen in Ihrem Buche, für dessen Sendung ich Ihnen sehr danke. Was mir dabei besonders auffiel war dies. Wir sind einander inbezug auf die faktische Einstellung zum Leben und zur menschlichen Gemeinschaft weitgehend ähnlich: über-persönliches Ideal mit dem Streben nach Befreiung von ich-zentrierten Wünschen, Streben nach Verschönerung und Veredelung des Daseins mit Betonung des rein Menschlichen, wobei das leblose Ding nur als Mittel anzusehen ist, dem keine beherrschende Funktion eingeräumt werden darf. (Diese Einstellung ist es besonders, die uns als ein echt "unamerican attitude" verbindet.)

Trotzdem hätte ich mich ohne Brouwers Ermunterung nie dazu gebracht, mich irgendwie eingehend mit Ihrem Buche zu befassen, weil es in einer für mich unzugänglichen Sprache geschrieben ist. Das Wort Gott ist für mich nichts als Ausdruck und Produkt menschlicher Schwächen, die Bibel eine Sammlung ehrwürdiger aber doch reichlich primitiver Legenden. Keine noch so feinsinnige Auslegung kann (für mich) etwas daran ändern. Diese verfeinerten Auslegungen sind naturgemäss höchst mannigfaltig und haben so gut wie nichts mit dem Urtext zu schaffen. Für mich ist die unverfälschte jüdische Religion wie alle anderen Religionen eine Incarnation des primitiven Aberglaubens. Und das jüdische Volk, zu dem ich gerne gehöre und mit dessen Mentalität ich tief verwachsen bin, hat für mich doch keine andersartige Dignität als alle anderen Völker. Soweit meine Erfahrung reicht ist es auch um nichts besser als andere menschliche Gruppen wenn es auch durch Mangel an Macht gegen die schlimmsten Auswüchse gesichert ist. Sonst kann ich nichts „Auserwähltes“ an ihm wahrnehmen.

Überhaupt empfinde ich es schmerzlich, dass Sie eine privilegierte Stellung beanspruchen und sie durch zwei Mauern des Stolzes zu verteidigen suchen, eine äussere als Mensch und eine innere als Jude. Als Mensch beanspruchen Sie gewissermassen einen Dispens von der sonst acceptierten Kausalität, als Jude ein Privileg für Monotheismus. Aber eine begrenzte Kausalität ist überhaupt keine Kausalität mehr, wie wohl zuerst unser wunderbarer Spinoza mit aller Schärfe erkannt hat. Und die animistische Auffassung der Naturreligionen wird im Prinzip durch Monopolisierung nicht aufgehoben. Durch solche Mauern können wir nur zu einer gewissen Selbsttäuschung gelangen; aber unsere moralischen Bemühungen werden durch sie nicht gefördert. Eher das Gegenteil.

Nachdem ich Ihnen nun ganz offen unsere Differenzen in den intellektuellen Überzeugungen ausgesprochen habe, ist es mir doch klar, dass wir uns im Wesentlichen ganz nahe stehen, nämlich in den Bewertungen menschlichen Verhaltens. Das Trennende ist nur intellektuelles Beiwerk oder die „Rationalisierung“ in Freud'scher Sprache. Deshalb denke ich, dass wir uns recht wohl verstehen würden, wenn wir uns über konkrete Dinge unterhielten.

Mit freundlichem Dank und besten Wünschen,

Ihr A. Einstein

Übersetzung

Princeton, 3. 1. 1954

Dear Mr Gutkind!

Spurred by Brouwer’s repeated suggestion, I’ve been reading quite a bit of your book over the past few days, so thank you very much for sending it to me. The following struck me most.  Regarding the factual attitude towards life and the human community we have a great deal in common: super-personal ideal with its striving for freedom from ego-centred desires, the striving for improvement and ennoblement of life, with an emphasis on the purely human element whereby inanimate things are only considered a means which may not be attributed a dominant function. (It is particularly this stance that unites us by being a genuinely “unamerican attitude”.)

Still, without Brouwer’s encouragement I would never have gotten myself to engage in any way intensively with your book because it is written in a language inaccessible to me. The word God is for me nothing more than the expression and product of human weaknesses, the Bible a collection of honourable but still largely primitive legends. No interpretation, however subtle, can change this (for me). These refined interpretations are by nature highly diverse and have hardly anything to do with the original text. For me the unaltered Jewish religion is, like all other religions, an incarnation of primitive superstition. And yet the Jewish people - to whom I gladly belong and with whose mentality I am deeply connected - have no different dignity for me than any other peoples. As far as my experience goes, they aren’t any better than other human groups, although they are protected from the worst excesses by their lack of power. Other than that, I cannot see anything „chosen” about them.

If anything, I find it painful that you claim a privileged position and try to defend it by two walls of pride, an external one as a human being and an internal one as a Jew. As a human being you claim, in a sense, a dispensation from the otherwise accepted causality - as a Jew a privilege of monotheism. But a limited causality is no longer a causality at all, as our wonderful Spinoza was the first to recognise with all rigorousness. And on principle, the animist view of the natural religions is in no way nullified by monopolisation. By building these kinds of walls, we can only arrive at a certain self-deception; but our moral efforts will not be advanced by them. Rather the contrary.

Now that I have stated our differences in intellectual convictions quite openly, it is still clear to me that we are very close to each other in essential things, namely in our evaluation of human behaviour. What separates us are just intellectual props, or the “rationalisation“ in Freud’s language. I, therefore, think we would understand each other quite well if we talked about specific things.

With friendly thanks and best wishes,

Yours, A. Einstein

Kommentare

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    Beat Weber

    Antwort auf #5 von lux rationis:
    Du hast recht. Danke!

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      lux rationis

      "über-persönlich" wurde leider in der Kommentar-Ansicht getrennt und mein Bindestrich sieht aus wie ein Trennstrich.

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        lux rationis

        Lieber Beat. Ich meine, dass es in der 6. Zeile nicht "ihr persönliches Ideal", sondern "über-persönliches Ideal" heißt. Das Zeichen hinter dem "über" ist dasselbe - wenn auch etwas kürzer - wie in der Zeile darunter bei "ich-zentrierten". Innerhaltlich passt es auch besser zu der Aufzählung, in der sonst Gutkind auch nicht direkt angesprochen wird. Alles andere hab ich auch so entziffert. Vielen Dank für deine Arbeit.

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        1. userpic
          Beat Weber

          Antwort auf #2 von DB:

          > Diese Übersetzung ist meines Erachtens nach sehr akkurat und dennoch flüssig lesbar und verständlich. Albert Einstein hat seine Worte hier achtsam gewählt, da ist eine hochqualitative Übersetzung doch ein Muss!

          Danke für die Blumen! Einstein gebührt allerdings ein grösseres Kompliment, wenn auch nicht für seine Handschrift.

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            Dr L. Margula

            ... Einsteins Handschrift ... ein Jahr vor seinem Tod, im Alter von 75 ... war noch sehr gut. Doch der Blumen würdig.

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          2. userpic
            DB

            Diese Übersetzung ist meines Erachtens nach sehr akkurat und dennoch flüssig lesbar und verständlich. Albert Einstein hat seine Worte hier achtsam gewählt, da ist eine hochqualitative Übersetzung doch ein Muss!

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              calippus

              Gut den Brief mal richtig zu lesen.

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