Der genetische Code: ein „Wow!-Signal“?

Ein Wissenschaftler-Team sieht Anzeichen für Intelligent Design

Der genetische Code: ein „Wow!-Signal“?

Foto: Pixabay.com / TheDigitalArtist

Der Begriff „Wow!-Signal“ steht für ein Jahrzehnte währendes Rätsel der Astronomie: Im Jahr 1977 empfing der Astrophysiker Jerry EHMAN ein stark schmalbandiges Radiosignal auf der Frequenz der 21-cm-Linie des Wasserstoffs mit dem gewaltig anmutenden Big-Ear-Radioteleskop in Delaware im US-Bundesstaat Ohio. Für das 72 Sekunden andauernde Signal aus dem Sternbild des Schützen, das 30 Standardabweichungen über dem Hintergrundrauschen lag, schien es keine natürliche Erklärung zu geben. Der starke, schmalbandige Anstieg der Empfangsfeldstärke entspricht vom Profil her dem einer Kommunikationsantenne. Sein Entdecker kreiste die Abfolge von Buchstaben und Zahlen, die für das Signal codiert, mit einem roten Stift ein und versah es mit dem Ausdruck des Erstaunens: „Wow!“ In der darauffolgenden Zeit entspann sich in der Fachwelt eine rege Debatte darüber, ob es sich um ein künstlich erzeugtes oder um ein natürliches Signal handele. Obwohl auch Objekte wie Pulsare als Quelle infrage zu kommen scheinen, hält die Kontroverse bis heute an.

Nun präsentierte vor wenigen Jahren ein kasachisches Wissenschaftler-Team eine Arbeit, die den Anspruch erhebt, auch im genetischen Code der Lebewesen eine Art „Wow!-Signal“ entdeckt zu haben. Die Code-Struktur sei statistisch derart auffällig, dass seine Entstehung nur durch intelligente Akteure zu erklären sei. Das Besondere: Diese Arbeit schaffte es sogar in eine referierte Fachzeitschrift, die eigentlich nicht dafür bekannt ist, obskuren Sonderlingen ein Forum zu bieten. Seitdem wird sie von Anhängern der Prä-Astronautik und der Intelligent-Design-Bewegung gleichermaßen als Beleg für den außerirdischen Ursprung des genetischen Codes gefeiert. Was hat es damit auf sich?

Ominöser Teiler 37 als Design-Signal

Bei den Autoren der besagten Arbeit handelt es sich um den Mathematiker Vladimir SHCHERBAK von der Al-Farabi-Universität in Kasachstan und den Physiker Maxim MAKUKOV vom astrophysikalischen Institut Fessenkow. Erschienen ist ihr Werk in der englischsprachigen Fachzeitschrift Icarus (SHCHERBAK & MAKUKUV 2013). Der Herausgeber des referierten Journals ist die American Astronomical Society (AAS), eine Vereinigung US-amerikanischer Berufsastronomen. Die Zeitschrift widmet sich überwiegend wissenschaftlichen Erstveröffentlichungen auf dem Gebiet der Planetologie, ist also alles andere als eine Hauspostille zur metaphysischen Erbauung esoterisch angehauchter Naturromantiker. Umso mehr lohnt sich ein Blick auf das Paper und die Erörterung der Frage: Wie begründen die Autoren ihre Einschätzung?

Um das „Wow!-Signal“ aufzuspüren, teilten SHCHERBAK & MAKUKOV zunächst die 20 genetisch codierten Aminosäuren in zwei Gruppen ein: In der ersten Gruppe führten sie alle Aminosäuren, die durch die ersten beiden Nukleinbasen eines sogenannten Basentripletts („Codons“) bereits eindeutig definiert sind (Abb. 1). Als Basentriplett oder „Codon“ wird eine Abfolge von jeweils drei Nukleinbasen („Buchstaben“) auf dem Erbmolekül DNA (oder auf der RNA) bezeichnet, die für eine bestimmte Aminosäure codiert. Die übrigen Aminosäuren reihten sie in die zweite Gruppe ein. Dann bestimmten sie in beiden Gruppen die Nukleonen-Zahlen (Molekulargewichte) der Aminosäuren sowie die ihrer Grundgerüste und Seitenketten, ordneten die Zahlen und bildeten jeweils deren Summen.

Nach dieser Operation stießen SHCHERBAK & MAKUKOV auf Zahlenverhältnisse, in denen immer wieder der Teiler 37 auftaucht: In der ersten Gruppe beträgt die Nukleonen-Summe der Seitenketten 333 (= 37 x 3²), die der Grundgerüste 592 (= 37 x 4²) und die Gesamtsumme 925 = (37 x 5²). Auch in der zweiten Gruppe taucht die Zahl 37 auf; die Gesamt-Nukleonenzahl der Aminosäuren beläuft sich auf 1110 (= 30 x 37).

Abb. 1: Gruppe von acht Aminosäuren, die durch die ersten beiden Codon-Basen eindeutig definiert sind. Dargestellt sind ihre Seitenketten sowie die Nukleonenzahlen (Molekular-Gewichte) dieser Seitenketten in aufsteigender Reihenfolge. Die Summe ergibt 333; allerdings bedarf es dazu einer gezielten Manipulation (hier: beim Prolin). Nähere Erläuterung im Text.

SHCHERBAK & MAKUKOV führen noch diverse andere Beispiele an und bedienen sich dabei unterschiedlicher Sortier- und Austausch-Operationen. Ein weiteres erörtern wir in Abb. 2. In allen Fällen tritt prominent der Teiler 37 in Erscheinung.

Abb. 2: Es existieren 24 Codons mit jeweils drei ganz unterschiedlichen Nukleinbasen (A, T, G und C). SHCHERBAK & MAKUKOV ordnen diese Codons so an, dass sich ihre Nukleinbasen nach bestimmten Regeln vertauschen: Innerhalb jedes „3er-Blocks“ wird von einer Zeile zur nächsten die erste Nukleinbase an die dritte Position gerückt. Von Block zu Block wird jeweils A gegen G bzw. T gegen C ausgetauscht und umgekehrt. Auf der linken und rechten Seite wiederum werden die Codons spiegelbildlich angeordnet. Dann wird neben jedem Codon vermerkt, für welche Aminosäure es codiert und daneben die Nukleonenzahl der Seitenketten, Grundgerüste und der ganzen Moleküle notiert. In der Summe ergeben sich wieder „magische“ Zahlen, die restlos durch 37 teilbar sind.

Die Häufung der Zahl 37, so die Autoren, läge über der statistischen Signifikanz zufällig entstandener Muster und sei durch natürliche Prozesse nicht erklärbar, da sie für die biologische Funktion nicht relevant sei. Somit deute alles darauf hin, dass der Code von einer außerirdischen Intelligenz ausgedacht wurde. Auch die Zahl „Null“ ist (als Stopp-Codon) vertreten. Sie sei ebenfalls typisch für hochartifizielle Systeme, glauben die Autoren.

Anklänge an die Methode des „Bibel-Codes“

PROTHERO & CALLAHAN (2017, S. 127f.) bemerken, dass die Vorgehensweise der Autoren deutliche Übereinstimmungen mit der Methode des sogenannten „Bibelcodes“ aufweist, die als Equidistant Letter Spacing (abstandsgetreue Buchstabenfolge, kurz ELS) bezeichnet wird. Sie dient dazu, vermeintlich „versteckte Botschaften“ und Prophezeiungen in biblischen Texten aufzuspüren. Wie funktioniert diese Methode?

Um den „Code“ lesbar zu machen, wird ein rechteckiges Raster mit konstanter Spalten- und Zeilenzahl über den Text gelegt und von einem Startpunkt aus in horizontaler und vertikaler Richtung jeweils eine frei wählbare Anzahl von Buchstaben übersprungen. Dann wird „ausprobiert“, ob sich dadurch an irgendeiner Stelle sinnvolle Wortkonstellationen ergeben (Abb. 3). Nach dieser Methode sollen weltgeschichtliche Ereignisse wie der Holocaust oder 9/11 vorhergesagt worden sein.

Das Problem: Da die Abmessungen des Rasters sowie die Anzahl der beim Lesen übersprungenen Buchstaben frei definiert wurden, lasen die „Forscher“ nichts aus den Texten heraus, was sie nicht zuvor in das Raster hineingelesen hatten. Niemand las und verifizierte entsprechende Nachrichten, die nicht schon bekannt waren.

PROTHERO & CALLAHAN kritisieren, dass die Autoren beim „Aufspüren“ der mutmaßlichen Design-Signale im genetischen Code nach der gleichen subjektiven Methode verfahren. So haben SHCHERBAK & MAKUKOV die logischen Kriterien zur Einteilung der Aminosäuren in bestimmte Gruppen sowie die Transformations- bzw. Austausch-Regeln, nach denen sich die „magischen“ Summen ergeben, ebenfalls frei (das heißt willkürlich) definiert.

Würde man zum Beispiel in Abb. 2 von Block zu Block nicht A gegen G bzw. T gegen C, sondern A gegen T und G gegen C austauschen, ergäben sich völlig andere Summen und Teiler. Anders gesagt, die Autoren erhalten kein Ergebnis, welches sie nicht durch ihre eigens aufgestellten Regeln bzw. mathematischen Operationen vorfabrizierten. In gleichem Maße willkürlich erfolgt die Interpretation des Stopp-Signals als numerische „Null“.

Auch die Wahl der Molekulargewichte (Nukleonenzahlen) von Seitenketten und Grundgerüsten als Untersuchungsobjekt erfolgt willkürlich. Sie ist so beliebig wie die Festlegung auf eine bestimmte Zahl der im „Bibelcode“ zu überspringenden Buchstaben, die es braucht, um sinnvolle Wortkombinationen zu finden.

Design-Signale durch zweckmäßige Manipulation

Gegen SHCHERBAK & MAKUKOVs Methode spricht noch ein schwerwiegenderer Einwand, den PROTHERO & CALLAHAN nicht erwähnen: Sie funktioniert über weite Strecken nur mithilfe eines Tricks. Die Aminosäure Prolin passt nämlich nicht ins Schema, also wird sie modifiziert. Dazu entfernen die Autoren der Seitenkette des Prolins formal ein H-Atom und schlagen es der sekundären Aminogruppe zu (vgl. Abb. 4). Dadurch wird das Prolin zur primären Aminosäure. Der Zweck dieser Operation bestehe darin, die Grundstrukturen aller Aminosäuren formal zu „vereinheitlichen“, wie es heißt. Prolin ist nämlich die einzige sekundäre Aminosäure im genetischen Code.

Vereinheitlichung aber bedeutet hier nichts anderes, als den Teiler 37 durch die Hintertür einzuführen: Im Gegensatz zu den übrigen Aminosäuren ist das Molekular-Gewicht des Prolin-Grundgerüsts (73) nämlich nicht durch 37 teilbar. Analoges gilt, wie in Abb. 1 erörtert, für die Nukleonen-Summe der Seitenketten. Das ändert sich erst durch die zweckmäßige Zahlen-Manipulation. Ohne sie würden die Autoren gar nicht auf die „magischen“ Zahlen 333 bzw. 592 kommen. Streng genommen funktioniert keines der Beispiele, in denen die Aminosäure Prolin vorkommt, „glatt“ im Sinne der Autoren.

Erschwerend kommt hinzu, dass dieser formale „H-Transfer“ zu einem unmöglichen Molekül führen würde (vgl. Abb. 4). Das räumen die Autoren sogar implizit ein, indem sie erklären, dass der H-Übertrag beim Prolin nur gedanklich vollzogen werden könne. Künstliche (formale) Operationen wie diese seien ausdrücklich das Ziel, denn sie schützten das „Muster“ vor jedweder natürlichen Erklärung (S. 3). Mit anderen Worten, durch passende Manipulationen werden Artefakte generiert, deren Entstehung sich logischerweise einer natürlichen Erklärung entzieht. Wenn das kein Zirkelschluss ist, was dann?

Abb. 4: Der Trick zur „Harmonisierung“ der Nukleonenzahl der Aminosäure Prolin: Die Autoren übertragen formal ein H-Atom von der Seitenkette auf die sekundäre Aminogruppe (A). Das Molekül wird dadurch zur primären Aminosäure mit einer Grundstruktur, deren Molekulargewicht (74) restlos durch 37 teilbar ist. Auch die Seitenkette ist geöffnet und weist das „gewünschte“ Molekulargewicht 41 auf (B). Doch das Molekül befände sich jetzt in einem chemisch unmöglichen Zustand mit einem Elektronen-Sextett am terminalen C-Atom (verdeutlicht durch die zwei Punkte). Nur unter Zugrundelegung dieses äußerst instabilen Carbens sind die Nukleonen-Summen restlos durch 37 teilbar (Abb. 1). Korrekterweise hätten die Autoren der Seitenkette entweder zwei H-Atome addieren oder sie belassen müssen, wie sie ist. Übrigens: Genauso gut hätten sie das H-Atom auch am Alpha-C-Atom des Grundgerüsts entfernen können (C, D). In keinem dieser Fälle hätte ihre Methode funktioniert. Das zeigt, dass das vermeintliche „Wow!-Signal“ nur ein Artefakt der Autoren ist. Sie haben schlicht „gemogelt": Ohne ihre Manipulation gäbe es keine „magischen“ Zahlen.

Die Macht der Zahlenmystik

Im Übrigen ist es nicht überraschend, dass sich im (Zahlen-) Kosmos, der nach gewissen Regeln und Gesetzen funktioniert, auch bestimmte „Ordnungs-Muster“ finden lassen, die als facta bruta weder eine Erklärung zulassen noch überhaupt nach einer solchen verlangen.

Betrachten wir etwa die natürlichen dreistelligen Zahlen mit identischen Ziffern und bilden ihre Quersummen (111=3, 222=6, 333=9 usw.). Dividieren wir die Zahlen durch die Quersummen, so lautet in allen Fällen das Ergebnis… ebenfalls 37! Ein anders Beispiel: Auf der Erde existieren 81 stabile chemische Elemente. 81 lässt sich formal als „Primzahlenkreuz“ 3 x 3³ darstellen. Der Kehrwert der Zahl 81 wiederum lässt sich durch den Dezimalbruch 0,0123456789(10)(11)(12) … annähern.

Warum sollen diese hübschen Muster, deren sich beliebig viele konstruieren lassen, ausgerechnet Design-Signale darstellen? Ist es gar sinnvoll zu fragen, wie wahrscheinlich deren „zufällige“ Emergenz sei (aber in Bezug auf welche alternativen Gesetzlichkeiten überhaupt)? Und welche Botschaft sollen sie vermitteln – etwa, dass es einem Schöpfer gefiel, die Welt nach der Zahl drei auszurichten und in den Zahlenkosmos bestimmte Ordnungsprinzipien einzuführen? Derlei metaphysische Interpretationen können nicht ernsthaft als empirische Argumente durchgehen. Es lassen sich beliebig viele Gegenbeispiele konstruieren. Einen objektiv erkennbaren Sinn (oder semantischen Inhalt) haben diese „Muster“ so wenig wie die „Muster“ im genetischen Code.

Mit einem Wort, der Ansatz von SHCHERBAK & MAKUKOV ist reine Zahlenmystik. Ein intelligentes „Muster“ konnten sie erst aus den Zahlen herauslesen, nachdem sie es durch geeignete logische Operationen, passende Manipulationen sowie in Form gewagter Interpretationen in den genetischen Code hineinsteckten. Somit ist PROTHERO & CALLAHAN (2017, S. 128) zuzustimmen, die zusammenfassend feststellen:

„Das Ergebnis ist eine Arbeit, die trotz der beeindruckenden Referenzen ihrer Autoren und der Seriosität der Fachzeitschrift, in der sie erschien, im Wesentlichen substanzlos ist“ (ins Deutsche MN).

Der Mathematiker Underwood DUDLEY stellt in seinem Buch „Die Macht der Zahl“ übrigens unterhaltsam dar, welcher Unfug sich mit solchen Zahlenspielereien anstellen lässt.

Literatur

DUDLEY, U. (1999) Die Macht der Zahl: Was die Numerologie uns weismachen will. Birkhäuser-Verlag, Basel.

PROTHERO, D. R. & CALLAHAN, T. D. (2017) Ufos, chemtrails, and aliens. What science says. Indiana University Press. S. 127-128.

SHCHERBAK, V. & MAKUKOV, M. A. (2013) The „Wow! Signal” of the terrestrial genetic code. Icarus 224, S. 228–242. www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0019103513000791

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