Steht es wirklich in der Bibel?
Weil doch Galileo von der Kirche gezwungen wurde seine Erkenntnis zurückzunehmen, dass die Sonne im Mittelpunkt steht.
Die biblische Kosmologie sieht grob gesehen so aus:
Die Erde steht im Zentrum von allem, was es gibt. Sie ist flach. Die Sonne und die Planeten, die sich um die Erde drehen, sind umgeben von einem eisernen Dom, an dem Lampen hängen, die wir als Sterne bezeichnen. Das war es, wie man es damals verstanden hatte (geozentrisches Weltbild).
Die katholische Kirche ebenso wie die Juden haben nie vertreten, dass die Bibel buchstäblich wahr ist. Diese Idee kam erst sehr spät mit der Entwicklung des radikalen Evangelismus im 18. Jahrhundert auf. Es gab vorher vereinzelte Vertreter dieser Ansicht auch unter Katholiken, die von der Kirche geduldet, aber nicht ermutigt wurden.
Im Streit mit Galileo Galilei ging es nicht um das geozentrische versus dem heliozentrischen Weltbild. Denn ob die Erde im Mittelpunkt stand oder die Sonne war der Kirche vollkommen gleichgültig. Es war, wie es ist, unabhängig davon, was in der Bibel stand. Man wusste seit der Antike, dass die Erde annähernd kugelförmig war. Euristarch war der erste, der vermutete, dass sich die Planeten um die Sonne und nicht die Erde drehte. Man konnte es nicht beweisen, auch Galileo Galilei konnte das nicht. Einen Beweis dafür fand man erst später, als man die Parallaxenverschiebung der Sterne messen konnte. Es wurde aber schon vorher vermutet, weil mit der Annahme einer feststehenden Erde man beobachten konnte, dass der Mars sich auf seiner Bahn rückwärts bewegen musste. Das geschieht, weil die Erde ihn auf ihrer inneren, schnelleren Bahn überholt, dann sieht es so aus, als ob der Mars sich plötzlich zeitweise rückwärts bewegt.
Worum ging es eigentlich?
Galileo Galilei propagierte einen Naturalismus, eine Idee, die schon im vorchristlichen Heidentum vertreten worden war. D. h., auf der Erde geht alles nach natürlichen, festen Regeln vor sich. Das stand im Widerspruch zum christlichen Supernaturalismus, nachdem Gott auf der Erde permanent eingreift und letztlich für alles die Ursache ist. Oder wie Jesus es ausdrückte, es fällt kein Spatz vom Himmel, ohne dass Gott dies gewollt hat.
Galilei konnte seine Auffassung so wenig beweisen wie die katholische Kirche ihre, aber er forderte damit die Autorität der Kirche heraus. Giordano Bruno, der dies ebenfalls gemacht hat, wurde von der Kirche bei lebendigem Leibe durch die Inquisition verbrannt, nur für den Frevel, der Autorität der Kirche in weltlichen Angelegenheiten widersprochen zu haben.
Galilei wusste das, und er hatte Vorsorge getroffen: Er war stets darauf bedacht, anders als Bruno, populär und anerkannt zu sein. Bruno konnte die Kirche ohne viel Aufsehen beseitigen, Galilei jedoch nicht. Galilei war zu weit akzeptiert, hatte er doch auch so beeindruckende Erfindungen wie das Teleskop gemacht. Während Papst Bellarmino anfänglich noch Sympathien für Galilei hegte, wandelte sich das, weil Galilei es wagte, öffentlich der Kirche zu widersprechen. Streitpunkt war hauptsächlich die Auseinandersetzung Supernaturalismus versus Naturalismus, denn die Kirche verfocht auch eine Oberhoheit über die Welt.
Galilei war so frech, zu sagen: Wissenschaft beschäftigt sich damit, wie der Himmel funktioniert, und Theologie, wie man in den Himmel kommt. Er grenzte damit die Wissenschaft von der Theologie ab, und wurde dafür mit lebenslangem Hausarrest bestraft. Vorher hatte schon die Philosophie angefangen, sich von der Theologie erneut abzuspalten. Der Kirche entglitt auch politisch allmählich die Macht über die Welt. Aber man arrangierte sich mit der beginnenden Wissenschaft und erkannte zähneknirschend an, dass man ihre eine Eigenständigkeit gegenüber der Theologie einräumen musste. Nur in einer Hinsicht machte man seinen vorher allumfassenden Anspruch geltend: Die Wissenschaft habe, so verfügte man, über Ethik und Moral nichts zu sagen. Es steht ihr nicht zu, zu sagen, wie es sein soll, sondern nur, wie es ist. Später ging dies, mit dem Verlust der politischen Macht der Kirche, auf die Gesellschaft und ihre Politiker über.
So ist es noch heute: Die Wissenschaft sagt nichts zu Ethik und Moral, weitgehend, und überlässt vor allem die Entscheidungen darüber der Gesellschaft bzw. der Politik. So eigenständig die Wissenschaft ist, wie man ethische Wissenschaft betreibt, oder Wissenschaft mit Ethik vereinbart, ist Sache der Gesellschaft. Somit hat man die Zuständigkeiten klar abgegrenzt.
Was natürlich die Fraktion der Antiwissenschaftler nicht davon abhält, „die Wissenschaft“ pauschal moralisch dafür verantwortlich zu machen, dass Wissenschaftler staatlich gefördert und initiiert, die Möglichkeiten des Baus einer Atombombe zu erforschten. Im staatlichen Auftrag wurden die ersten beiden Atombomben von Ingenieuren gebaut, und dann von Militärs aufgrund rein militärischer Überlegungen im Krieg gegen Japan eingesetzt. Die Wissenschaftler schufen die Möglichkeit, aber ihre Nutzung lag nie in ihren Händen, und trotzdem machte man sie dafür verantwortlich, für eine Entscheidung, die sie weder treffen konnten noch durften, noch wollten noch ausführten.
Inzwischen wird dieser ausgehandelte Burgfrieden zwischen Wissenschaft und Theologie durch die Kreationisten gefährdet, die gerne einen Kernpunkt der Wissenschaft, die wissenschaftliche Bildung, in Teilen für ihre kruden theologischen Ansichten zu missbrauchen. Siehe da, sie stoßen dabei auf Widerstand von Christen, Atheisten und der katholischen Kirche. Denn die Trennung von Wissenschaft und Religion gilt als abgemachte Sache. Denn umgekehrt schützt man sich damit auch vor wissenschaftlicher Kritik der Religion.
Der ausgehandelte Kompromiss
Das war der Kompromiss, den man mit Galileo Galilei anfangend, ausgehandelt hatte. Deswegen wurde Galilei auch später von der Kirche vollständig rehabilitiert, die Kirche sah tatsächlich nur 400 Jahre später ihren Irrtum ein. Man hatte die Auseinandersetzung um Geozentrismus versus Heliozentrismus nur später in den Mittelpunkt gerückt, weil man auf dem Gebiet Supernaturalismus versus Naturalismus nichts riskieren wollte. Denn mit dem Supernaturalismus steht und fällt das Christentum.
Nachdem die Kreationisten versucht hatten, diese mühsam etablierte Balance zu stören, gab es einen Rückschlag. Das Imperium der Wissenschaftler schlug zurück. Nicht alle, aber eine kleine Gruppe Unbeugsamer, namentlich Richard Dawkins als Biologe, Sam Harris als Neurowissenschaftler, Christopher Hitchens als Journalist, und Daniel Dennet, die vier apokalyptischen Reiter, begannen mit einer öffentlich wirksamen wissenschaftlichen Kritik an der Religion. Ziel war es, den Kreationismus zurückzudrängen. Selbst viele Atheisten haben nie verstanden, dass das Buch „Der Gotteswahn“ so etwas wie ein Gegenangriff auf den Kreationismus war, der wissenschaftliche Bildung zu theologischer Indoktrination umwandeln wollte.
Aber man machte auch keine Gefangenen, man griff die Kreationisten dort an, wo es weh tat, nämlich auf dem Gebiet der Religion selbst, und dort vor allem an der Wurzel allen Übels: Gott. Damit zog man sich den Zorn auch der Religionen zu, die den Burgfrieden zwischen Religion und Wissenschaft vollständig anerkannten, anders als die Kreationisten, die wie Vandalen in die geheiligten Hallen der wissenschaftlichen Bildung eingefallen waren und damit im Begriff waren, immensen Flurschaden anzurichten. Man versuchte von beiden Seiten, Schadensbegrenzung zu betreiben, sowohl von Seiten vieler Wissenschaftler aus, als auch von religiöser Seite. Aber die atheistische Bewegung hatte Fahrt aufgenommen, seitdem steigt die Zahl der Atheisten in den industrialisierten Ländern fast unaufhörlich.
Das alles wäre ohne die Attacke der Kreationisten auf einen Kernpunkt der Wissenschaften nie passiert, und ich bin ihnen beinahe dankbar dafür. Der zweite Auslösepunkt war natürlich der islamische Jihad, der seinen Höhepunkt in 9/11 fand. Denn der kennt keinen Frieden, weder mit der Wissenschaft noch anderen, nicht einmal mit den Muslimen, die darunter noch mehr leiden, abgesehen von den Israelis, die vom Westen gerade so schmählich im Stich gelassen werden gegen eine Gruppe äußerst brutaler Jihadisten, die jeden ermorden, der ihnen im Weg steht — auch Muslime, auch die eigene Bevölkerung, und die keine Kompromisse kennen. Letzteres sind wir im Westen nicht mehr gewöhnt, seit dem Ende des Dreißigjährigen Religionskrieges, der auch der katholischen Kirche politische Kompromisse aufnötigte. Denn im Verlauf dieses Krieges war ein Drittel der europäischen Bevölkerung ums Leben gekommen, prozentual weit mehr als in den beiden Weltkriegen.
Es geht um weit mehr, als es oberflächlich erscheinen mag.
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