Die Evolution des Tierschutzes

Jahrhundertelang trugen Religionen viel zum unnötigen Leid von Tieren bei. Die Werke der religiösen Gelehrten und Philosophen – am Denkwürdigsten ist hier Descartes – lehrten die Menschheit, dass Tiere nichts weiter als seelenlose Automaten seien; erneuerbare Ressourcen, mit denen wir nach Belieben tun können, was wir wollen.

Die Evolution des Tierschutzes

Tatsächlich bezeichnen wir diese Einstellung heute als „kartesianisch“, und gestehen ihr auf diese Art eine intellektuelle Kraft zu, die sie, wie uns die Wissenschaft lehrt, nicht verdient. In Wahrheit ist diese Einstellung nichts anderes als religiöser Unsinn, den die Wissenschaft mittlerweile widerlegt hat – vergleichbar mit der Schöpfungsgeschichte. Sie trägt nur deswegen die Bezeichnung „kartesianisch“, weil ihr bekanntester Vertreter eben Descartes war.

Das Leid, das Tieren folglich viele Jahrhunderte lang angetan wurde, fällt unter den Sammelbegriff „Speziesismus“: Ein vom britischen Psychologen Richard Ryder erdachtes Konzept, um jene willkürlichen Vorurteile zu identifizieren, die sich auf die physischen oder geistigen Merkmale anderer Spezies beziehen. Zu ihrer Verteidigung sei gesagt, dass die Theologen und Philosophen, die glaubten, Tiere seien seelenlose Maschinen, ihr eigenes Handeln nicht als auf Vorurteilen basierend betrachteten. Stattdessen gingen sie davon aus, dass auf Tiere notwendigerweise die die relevante Eigenschaft, „gefühllos“ und daher ohne Bewusstsein zu sein, zutrifft, und glaubten daher, es sei angemessen, ihnen keine Bedeutung zuzumessen. Nichtsdestotrotz ignorierten sie willkürlich Beweise, um diesen Glauben aufrecht zu erhalten – und dies entspricht der Definition von „Vorurteil“.

Historisch gesprochen fanden auch Philosophen, die sich mehr der Vernunft verschrieben hatten, besonders Immanuel Kant, ihre Wege, um das, was wir heute „Speziesismus“ nennen würden, zu mildern. Er ging davon aus, dass Tiere aufgrund mangelnder Vernunft unfähig waren, an Moralität teilzuhaben. Sein Argument dafür, warum wir Tiere gut behandeln sollten, beruhte einzig auf den Auswirkungen unseres Handelns darauf, wie wir mit anderen Menschen umgehen. Eine solche Sichtweise kann den heutigen wissenschaftlichen Konsens darüber, dass Tiere Leid empfinden können, implizit akzeptieren, und doch postulieren, dass diese Tatsache nur ein hilfreiches Werkzeug für den Zweck darstellt, anderen Mitgliedern unserer eigenen Spezies zu helfen. Wiederum gestattet uns das logische Denken, den Fehler in dieser Argumentation zu erkennen, der von der willkürlichen und evolutionär gelernten Grenzziehung herrührt, durch die wir uns von jenen, die uns ähneln, separieren.

Der Gegenseite zu Kant im 18. Jahrhundert schien wahrhafte rationale Integrität zu fehlen. Geistreiche Philosophen wie Voltaire ergriffen sicherlich Partei für die Tiere, hatten jedoch keine akademische Rückendeckung. Denker von heute haben diese Lücke geschlossen. Leute wie Peter Singer, Tom Regan und Gary Francione haben nicht  nur den Begriff Speziesismus seit den 1970ern bekannt gemacht (Singer und Regan), sondern auch einen Großteil der grundlegenden Argumentation geliefert und verbreitet, wozu Denker wie Voltaire entweder nicht willens oder nicht fähig waren. Sie alle sind Verfechter des Konzepts des „Speziesismus“, obwohl sie sehr unterschiedliche philosophische Hintergründe haben (Singer ist Rationalist und Utilitarist, Regan folgt der Tradition Kants, und Francione ist ein Rechtsprofessor).

Für sich genommen finden sich in  jeder Theorie dieser heutigen „Anti-Speziesismus“-Philosophen Lücken; an dieser Stelle reicht der Hinweis, dass diese Lücken bei Singer mit dem utilitaristischen Dogma zusammenhängen, bei Regan und Francione mit unbegründeten philosophischen Annahmen. Aber sie alle bieten weitere Theorien dafür, die Idee des Speziesismus als stichhaltiges Konzept zu betrachten, und bezwingen dabei die drei großen gegnerischen Theorien: Die kantische, die kartesische, und die religiöse Theorie.

Die philosophische Schlacht verlässt nun die diversen Elfenbeintürme; das Konzept des Speziesismus hat in den letzten hundert Jahren damit begonnen, in das öffentliche Bewusstsein durchzusickern. Wir haben schrittweise die streng kartesische oder religiöse Einstellung zu Tieren überwunden, der gemäß wir uns fast dazu verpflichtet fühlten, Tiere einzig als erneuerbare Ressource zu behandeln, und sind zu einer progressiveren Version der kantischen Philosophie übergegangen. Wir gestehen den Interessen von Tieren nun einen gewissen Stellenwert zu; wir glauben, dass sie in erster Linie nach wie vor unser Eigentum sind und von uns verwendet werden dürfen, und doch glauben wir, dass es uns schlechttut, dieses lebende, atmende Eigentum sinnlos zu beschädigen, und handeln daher in Übereinstimmung mit dieser Annahme, indem wir ihnen in ihrer Rolle als Objekte ein wenig rechtlichen und sozialen Schutz zukommen lassen.
So wie unsere soziale Wanderung von der kartesischen Einstellung zu Tieren zur kantischen erst einige Zeit nach der akademischen Wanderung vorstatten ging, beginnen wir jetzt erst den Übergang von der kantischen Sicht zum Anti-Speziesismus zu erkennen – lange, nachdem Leute wie Singer die Bewegung mit Logik untermauerten. Erzeuger von Tierprodukten konzentrieren ihr Marketing nicht mehr nur auf den Geschmack, sondern fügen den Hinweis auf ihre Tierschutz-Standards hinzu, um besorgte Konsumenten zu beruhigen, während Tierschutzvereine wie RSPCA und die „Humane Society“ Seite an Seite mit auf Menschen gerichteten wohltätigen Organisationen wie Oxfam oder „Cancer Research“ dem Mainstream beigetreten sind. Auch Akademiker im Rampenlicht wie zum Beispiel Richard Dawkins schreiben oft über die Probleme mit „diskontinuierlichen“ Ansichten wie etwa dem Speziesismus; bei Dawkins geschah dies sogar bereits im Vorwort seines Buches „Das egoistische Gen“. Das Zeitalter der Tierrechte bricht gerade erst an, und die Belange der Tiere sind oftmals nur Lippenbekenntnisse, aber eine Änderung der öffentlichen Meinung ist im Gange; und die akademische Gemeinschaft stellt die Speerspitze des Angriffs dar.

Jene unter uns, die wissen wollen, wohin sich die Dinge entwickeln werden, sollten sich wieder auf die Elfenbeintürme konzentrieren: Die interessante akademische Debatte zur Tierethik kreist heute anscheinend selten um die Frage „Sind Tiere gefühllos oder gänzlich unwichtig?“, sondern beginnt mit der Planung des nächsten logischen Wandels, noch bevor wir den gegenwärtigen vollzogen haben. Peter Singer scheint den herannahenden Status Quo zu befürworten; nämlich, dass wir möglicherweise Tiere menschenwürdig züchten können. Francione widerspricht dem aus sowohl wirtschaftlichen als auch rechtlichen Gründen und liefert Begründungen und Beweise gegen Singers offenbare Position des „gesunden Menschenverstands“.

Die Debatte wird weitergehen und sich verschärfen, um Pläne für unseren nächsten Schritt als Gesellschaft zu schmieden, aber die Aufmerksamen unter Ihnen werden zur Kenntnis nehmen, dass Speziesismus bereits ein ernstzunehmender und verfestigter Ausdruck in der säkularen Ethik ist. Die gegenwärtigen Belange des Anti-Speziesismus waren genau darauf beschränkt, da Betriebe mit geschicktem Marketing eine Fassade errichten und doch nur zu billigen, industriellen Änderungen bereit sind; die wenigen biologisch betriebenen Bauernhöfe sind nur zu leicht mit den Fabriken zu verwechseln, deren Verbesserung sie eigentlich darstellen sollten. Das könnten wir zumindest, wenn wir sie hinsichtlich wirklichen Tierleids vergleichen würden und nicht hinsichtlich der Frage, wie sauber oder für menschliche Augen gut beleuchtet die Betriebe sind. Unglücklicherweise werden andererseits diejenigen, die gänzlich auf den Kauf von Tierprodukten verzichten, als übersensible, der Vernunft nicht fähige Freaks etikettiert. Das Schicksal des Anti-Speziesismus liegt in den Händen seiner natürlichen Verbündeten: Jene unter uns, die die Vernunft fördern. Es mag keine leichte Aufgabe sein, aber wir sind die intellektuellen Vorfahren von Darwin. Der Anti-Speziesismus ist unsere Evolution.

 

Robert Johnson ist angewandter Ethiker und Wissenschaftsphilosoph. Er beschäftigt sich mit der Schnittstelle von Vernunft und Ethik und ist Autor des Buches „Rational Morality: A Science of Right and Wrong“. http://www.robertjohnson.org.uk/

Übersetzung von: Daniela Bartl

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