Eine Art, Kunst zu zensieren, Teil 2: Der protestantische Bildersturm
Die Protestanten mochten ebenfalls keine Bilder, besonders die Calvinisten nicht. Im 16. und 17. Jahrhundert kam es unter anderem in Frankreich, Deutschland, der Schweiz, England und den Niederlanden zu bilderfeindlichen Ausschreitungen von protestantischer Seite, denen viele herausragende Kunstwerke des Mittelalters zum Opfer fielen.
Protestanten lehnten die Rituale der katholischen Kirche, wie Messe, Wallfahrten, Sakramente und eben die Verehrung von Christus- oder Heiligenbildnissen ab.1 Ihr Motiv für die Bildzerstörungen ähnelte in vielerlei Hinsicht dem der byzantinischen Ikonoklasten gut achthundert Jahre zuvor: Besinnung auf ein wahres, den Grundlehren treues Christentum, und damit auch auf das biblische Bilderverbot. Weitere Faktoren mögen eine Rolle gespielt haben, etwa daß der in den Kunstwerken zur Schau gestellte Reichtum als ungebührlich empfunden wurde, für den Bildersturm ausschlaggebend aber war die Wahrnehmung jener Bilder als Götzen, die die Kirchen spirituell verunreinigten.
Die schweizer Reformatoren Calvin und Zwingli waren stark durch Erasmus von Rotterdam beeinflußt, vor allem seine 1511 erschienene Schrift "Encomion Moriae", worin er die Bedeutung des geistigen Christentums, wie es aus den Evangelien spricht, gegenüber äußerlichen und materiellen Erscheinungen wie dem katholischen Bilder- und Reliquienkult betont.2 Die Evangelien geben seiner Ansicht nach den lebendigen Geist Jesus Christus' wieder, Bilder dagegen allenfalls seine körperliche Gestalt (Erasmus forderte keine Abschaffung der Bilder, betrachtete sie allerdings als unnütz).
Gerade die vom humanistischen Denken geprägten Reformatoren zeigten daher eine besondere Bilderfeindlichkeit und legten das biblische Gebot streng aus, während der vergleichsweise mittelalterlich denkende Luther ihnen eher gleichgültig gegenüberstand und ihre Zerstörung sogar ablehnte, auch wenn er ihrer kultischen Verehrung entgegentrat ("Wer da will, der mags lassen, Wie wol bilder aus der Schrift und von guten Historien ich fast nützlich, doch frei und wilkörig halte. Denn ichs mit den bildestürmen nicht halte." – Weimarer Lutherausgabe 26, 509). Die Bilderstürme fanden somit vorwiegend, doch beileibe nicht ausschließlich, in den calvinistischen und zwinglianischen Gebieten statt.
Es gab auch eine politische Dimension: Bilderstürme konnten einerseits als sichtbarer Schlußstrich dienen, der eine schwankende Obrigkeit dazu brachte, sich mit der Lage abzufinden und auf die Seite der Reformatoren zu treten; andererseits wurden sie von der Obrigkeit als Ventil eingesetzt, um den Volkszorn in eine kontrollierte Bahn zu lenken und noch radikaleren Forderungen mit biblischer Grundlage (etwa dem Zinsverbot) entgegenzuwirken.
Der Ablauf unterschied sich damit von Fall zu Fall: Es gab Bilderstürme in Form plötzlicher Tumulte, die durch den kleinsten Anlaß entstehen konnten (einige, wenn besorgte Stifter von ihnen geschenkte Kunstwerke vorsichtshalber aus den Kirchen holten und so den Anschein eines beginnenden Bildersturms erweckten); und es gab von der Obrigkeit organisierte, durch Handwerker ausgeführt. Manchmal wurde Stiftern gestattet, ihre Bildnisse abzuholen; manchmal mußten auch Bildnisse in Privatbesitz abgegeben werden, damit in Zukunft nicht erneut Kirchen mit ihnen ausgestattet werden konnten.
Auch das Ausmaß war verschieden: Mal waren nur einzelne Kunstwerke oder gewisse, als besonders problematisch angesehene Bestandteile der Einrichtung betroffen, mal ganze Kirchen. Eine Beschreibung aller oder auch nur der wichtigsten Vorfälle würde Bände füllen, aber bereits ihre teilweise Aufzählung in der Frühphase der Reformation wirkt beeindruckend:
Wittenberg 1521-1522
Augsburg 1524
Königsberg 1524
Magdeburg 1524
Reval 1524
Riga 1524-1525
Straßburg 1524
Zürich 1524-1526
Stralsund 1525
Basel 1528-1529
Bern 1528
Braunschweig 1528
Goslar 1528
Konstanz 1529
Nürnberg 1529
St. Gallen 1529
Ulm 1531
Genf 1534-1535
Münster 1534-1535
Lausanne 1536-1537
Stuttgart 1536
In den calvinistischen Niederlanden kam es 1566 zu einem landesweiten Bildersturm, bei dem allein in Flandern das Innere von 400 Kirchen zerstört wurde; in Frankreich zu Zerstörungen durch Hugenotten, die ihren Höhepunkt im Jahr 1562 erreichten; 1525 in Zürich zur Auflösung oder Vernichtung der mittelalterlichen Bibliotheken; in Wittenberg wären um ein Haar drei Gemälde Albrecht Dürers zerstört worden.
Die symbolische "Auskehrung" der Kirchen trieb zum Teil eigentümliche Blüten: So wurden Statuen ausgepeitscht, Bilder in Schweineställe oder Aborte geworfen (in einem Fall sogar ein Abort daraus errichtet), in Taufbecken geschissen, und ähnliches mehr – eine Verspottung der katholischen Götzen. In den Jahren 1570 bis 1618 kam es auch zu Stürmen von Calvinisten gegen Lutheraner.
Ähnlich wie die Ikonoklasten waren die Bilderstürmer nicht unbedingt aller Kunst feindlich: Calvin schätzte sie in profaner Form. Ähnlich wie in der Zeit des byzantinischen Bilderstreits kam es zu einem Ausweichen von der geistlichen auf weltliche Kunst; doch in diesem Fall war die Gesamtwirkung auf die Kunst vermutlich nicht positiv. Und auch hier läßt sich wieder anmerken, daß eine Förderung der Kunst durch die Religion kein Naturgesetz ist, sondern vom religiösen Diskurs abhängt.
Quellen:
Feld, H.: Der Ikonoklasmus des Westens. Leiden, E. J. Brill, 1990.
Scribner, B. (ed.): Wolfenbütteler Forschungen Band 46, Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit. Wiesbaden, Otto Harrassowitz, 1990.
1 Exemplarisch z. B. Luther: "Sihe, das [ein gottesfürchtiges Leben nach den Evangelien] ist der echte gottis dienst, datzu man keyner glocken, keyner kirchen, keyneß gefeß noch tzyerd, keyner lichte noch kertzen, keyner orgelln noch gesang, keyniß gemelds noch bildiß, keyner taffelln noch altar, keyner blatten noch kappen, keyniß reuchernn noch besprengen, keyner proceß noch creutzgangß, keiniß ablaß noch brieffs bedarff. Denn das sind alliß menschen fundle und auffsetz, die gott nit acht, und den rechten gottisdienst mit yhrem gleyssen vordunckeln." – Weimarer Lutherausgabe, 10 1,38/39.
2 "Erasmus vertritt in diesem Werk […], daß die vita christiana das Entscheidende in der christlichen Religion sei, das heißt: der praktische Vollzug der von Jesus und Paulus gegebenen ethischen Prinzipien im individuellen Leben. Darin und in der Nachahmung der Tugenden der Heiligen besteht der wahre Kult, nicht in der Ausübung rein äußerlicher religiöser Praktiken und Zeremonien." – Feld 1990, p. 112.
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