Eine Art, Kunst zu zensieren, Teil 3: Hosen für Michelangelo
Die drey Weiber haben trefliche Gewänder; besonders ist das Mädchen zur linken, von welchem man den bloßen linken Fuß sieht, ganz wollusterregend und göttlich, so zeigt sich das nackende, und die schöne Form des Unterleibs, der vollen Hüften und Schenkel; das Gewand macht eine ungekünstelte Falte zwischen den Schenkeln, und zieht sich im knien an; das lüsterne Auge des Meisters sah diesen Reiz der Natur ab.
Wilhelm Heinse: Ardinghello und die glückseeligen Inseln (1787). Bd. 2. Lemgo, p. 259.
Das Konzil von Trient, das in vier Tagungsperioden zwischen 1545 und 15631 abgehalten wurde, legte die theologische Position der katholischen Kirche gegenüber den Protestanten fest – die treffend benannte Gegenreformation nahm hier ihren Ausgang. Unter den Beschlüssen war jener zur Einführung des Index Librorum Prohibitorum, und auch ein Bilderdekret.
Es ging in erster Linie um die Frage der Bilderverehrung, wobei sich das Dekret demonstrativ an Argumenten orientierte, die Jahrhunderte zuvor gegen die byzantinischen Ikonoklasten ersonnen worden waren: Die Verehrung gilt nicht den Bildern, sondern den Abgebildeten; darüberhinaus sind Bilder nützlich für die Propagierung des Glaubens und zur Belehrung des Volkes.2 Und wer anderes behauptet, sei Anathema, das heißt der schweren Form der Exkommunikation unterworfen, die mit Verlust aller Rechte innerhalb der christlichen Gemeinschaft einhergeht.
Das Konzil von Trient diente allerdings nicht allein der Abgrenzung zur Reformation, sondern war ein Spagat zwischen Verurteilung der "Irrlehre" auf der einen Seite und eigener, interner Kirchenreform auf der anderen (durch seine Beschlüsse wurde zum Beispiel der Ablaßhandel abgeschafft, der Auslöser der Reformation). Auch in der Bilderfrage versuchte die Kirche, der protestantischen Kritik durch Eigenreform zu begegnen. So weist das Dekret die katholischen Bischöfe an:
Und wenn dort, wo es nützlich für das ungebildete Volk ist; die Geschehnisse und Erzählungen der heiligen Schrift abgebildet und dargestellt werden; soll das Volk gelehrt werden, daß hiermit nicht die Gottheit dargestellt ist, als könnte diese mit den Augen wahrgenommen werden, oder dargestellt durch Farben und Figuren. – Waterworth 1848, p. 235.3
Dieser Abschnitt ist eindeutig eine Reaktion auf den Vorwurf protestantischer Theologen, die katholischen Bildnisse seien Götzen. Ebenso sollen Bildnisse vermieden werden, welche "den Eindruck falscher Lehre vermitteln, und dem ungebildeten Volk Anlaß zu gefährlichen Irrtümern geben" – Waterworth 1848, p. 235.
Während jene Anweisungen theologischer Natur sind, bringt uns die folgende zu unserem eigentlichen Thema – sie zeigt, daß die Konzilsteilnehmer das Empfinden Wilhelm Heinses nur zu gut nachvollziehen konnten:
[…] zuletzt sei jede Lüsternheit vermieden; in solcher Art, daß keine Figur mit einer Schönheit gemalt oder verziert werde, die Anlaß zur Begierde gibt; – Waterworth 1848, p. 235 f.4
Wer das für vage formuliert hält, hat sicherlich recht – heute würde man von einem Gummiparagrafen sprechen, obwohl es vermutlich nicht als solcher gedacht war: Das Dekret wurde in aller Eile am vorletzten Tag der Sitzungen verabschiedet, da der Tod des Schirmherrn Papst Pius IV. bevorzustehen schien und man das Konzil schnell zum Abschluß bringen wollte. Daß es überhaupt noch in die Tagesordnung aufgenommen wurde, lag an den im vorigen Teil erwähnten bilderfeindlichen Ausschreitungen französischer Hugenotten um das Jahr 1562, die an den Ernst der Bilderfrage erinnerten.
Das Dekret stellte damit eine sehr oberflächliche Auseinandersetzung mit den Bildertheorien der Protestanten dar, und benötigte der Verteidigung und Auslegung. Die katholischen Theologen, die sich dieser Aufgabe annahmen, machten zum Teil äußerst repressive, über den Wortlaut des Dekrets hinausreichende Vorschläge: Etwa ein absolutes Verbot von Motiven aus der griechischen Mythologie.
Das Dekret und seine verschiedenen Interpretationen wurden allerdings nie mit echter Konsequenz durchgesetzt – andernfalls würde es viele heute berühmte Gemälde nicht geben.5 Doch einige Akte der Zensur gab es, und der vielleicht hervorstechendste betraf ironischerweise ein Werk Michelangelo Buonarrotis: Das jüngste Gericht, in der sixtinischen Kapelle. Ausgerechnet jener Künstler und jener Ort, der von Christen als Musterbeispiel ihrer kulturellen Leistungen angeführt wird, wurde ein Opfer religiöser Zensur.
Das jüngste Gericht hatte bei seiner Enthüllung im Jahr 1541 einen kleinen Skandal verursacht: Es widersprach nicht nur den damaligen Sehgewohnheiten, es wimmelte auch geradezu von schwellender Nacktheit, die viele als unpassend empfanden (so hatte sich der päpstliche Zeremonienmeister, Biagio da Cesena, noch vor der Fertigstellung über die schamlose Nacktheit an diesem zentralen Ort der Christenheit beklagt; der erzürnte Michelangelo wählte ihn daraufhin als Modell für den Teufel, dargestellt mit Eselsohren und einer sich um seine Hüften windenden Schlange, die ihm in den Penis beißt).
Am 21. Januar 1564 wurde ein Beschluß des Konzils zu Trient herausgegeben, die anstößigen Partien des Freskos zu übermalen. Beauftragt wurde Daniele da Volterra, ein Schüler und lebenslanger Freund Michelangelos, welcher das Ergebnis nicht mehr sehen mußte: Er starb am 18. Februar desselben Jahres.
Da Volterra verpaßte einer Reihe Figuren züchtige Lendentücher; eine besonders zweideutige Gruppe – eine nackte, vornübergebeugte Heilige mit einem dicht hinter ihr stehenden, wenn auch bekleideten Heiligen – wurde von ihm ausgemeißelt und neu gemalt. Da Volterra und seine Nachfolger, die in den kommenden Jahrzehnten immer wieder weitere Figuren bedeckten, wurden im Volksmund als "Braghettone", Hosenmacher, verspottet.
Auch wenn dieser frevelhafte Akt der Religion anzulasten ist, sei fairerweise erwähnt: Damals herrschte generell ein sehr nachlässiger Umgang mit der Kunst, und Michelangelo selbst hat, um die Fläche für Das jüngste Gericht vorzubereiten, mehrere schon vorhandene Fresken zerstört, darunter zwei seiner eigenen. Moralische Empörung ist damit fehl am Platz, aber der Vorgang illustriert wieder einmal sehr gut, daß die Religion oft Probleme mit Kunst hat, die nicht – oder nicht mehr – ihren Dogmen entspricht.
Womit sich die Kirche außerdem nicht brüsten kann ist, daß sie dieses Meisterwerk von Anfang an als solches respektierte. Und wenn sie heute mit Michelangelo renommieren geht, sollte sie vielleicht auch erwähnen, ihn einmal verschandelt zu haben.
Quellen:
Catholic Encyclopedia: Anathema, Excommunication.
Feld, H.: Der Ikonoklasmus des Westens. Leiden, E. J. Brill, 1990.
Mancinelli, F.: The Painting of the Last Judgment: History, Technique, and Restauration. In: Chierici, S. & Stainton, E. B. (eds.): Michelangelo The Last Judgment – A Glorious Restauration. New York, Abradale Press Harry N. Abrams, Inc., 2000.
Waterworth, J. (ed.): The canons and decrees of the sacred and oecumenical Council of Trent. London, Dolman, 1848. (Übersetzungen durch den Autor.)
1 1545-1547, 1547-1549, 1551-1552 und 1562-1563; die lange Unterbrechung kam durch das Pontifikat Paul IV. (1555-1559) zustande, der die Verhandlung mit Protestanten, die zum Konzil zugelassen waren, ablehnte, und darum eine neue Sitzung verweigerte.
2 "Moreover, that the images of Christ, of the Virgin Mother of God, and of the other saints, are to be had and retained particularly in temples, and that due honour and veneration are to be given them; not that any divinity, or virtue, is believed to be in them, on account of which they are to be worshipped; or that anything is to be asked of them; or, that trust is to be reposed in images, as was of old done by the Gentiles who placed their hope in idols; but because the honour which is shown them is referred to the prototypes which those images represent; in such wise that by the images which we kiss, and before which we uncover the head, and prostrate ourselves, we adore Christ; and we venerate the saints, whose similitude they bear: as, by the decrees of Councils, and especially of the second Synod of Nicaea, has been defined against the opponents of images. [...]; as also that great profit is derived from all sacred images, not only because the people are thereby admonished of the benefits and gifts bestowed upon them by Christ, but also because the miracles which God has performed by means of the saints, and their salutary examples, are set before the eyes of the faithful;" – Waterworth 1848, p. 234 f.
3 "And if at times, when expedient for the unlettered people; it happen that the facts and narratives of sacred Scripture are portrayed and represented; the people shall be taught, that not thereby is the Divinity represented, as though it could be seen by the eyes of the body, or be portrayed by colours or figures."
4 "[…] finally, all lasciviousness [shall] be avoided; in such wise that figures shall not be painted or adorned with a beauty exciting to lust;"
5 Man denke etwa an Caravaggios Amor als Sieger (1602), das sowohl Nacktheit als auch ein Thema der griechischen Mythologie zeigt.
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