„Die Legende vom christlichen Abendland“

gbs-Broschüre in deutscher und englischer Sprache erschienen. Deutsche Politiker (insbesondere der C-Parteien, aber auch der SPD und der Grünen) sprechen gerne von den sogenannten „christlichen Werten“, denen das heutige Europa angeblich so viel zu verdanken habe.

„Die Legende vom christlichen Abendland“

Tatsächlich jedoch steht die populäre Rede vom „christlichen Abendland“ (aktuell wieder strapaziert in der Debatte um die "Ehe für alle") im scharfen Kontrast zu den Fakten der europäischen Geschichte, wie eine unlängst in deutscher und englischer Sprache erschienene Broschüre der Giordano-Bruno-Stiftung aufzeigt.

Die 12-seitige, mit vielen Bildern illustrierte gbs-Broschüre „Die Legende vom christlichen Abendland“ / „The Legend of the Christian Western World“ nimmt die Leserinnen und Leser mit auf einen rasanten Parforceritt durch die Kulturgeschichte: Die Reise beginnt bei der griechischen und römischen Antike, die die Fundamente für die größten Errungenschaften unserer Zivilisation legt. Mit der Einführung der christlichen Staatskirche durch Theodosius im Jahr 380, der zweiten Station der Expedition, erfolgt eine gravierende Zäsur, die zu einem nahezu vollständigen politischen und kulturellen Zusammenbruch in West- und Mitteleuropa führt. An dem dramatischen gesellschaftlichen Niedergang (3. Station) ändert auch die Förderung der Klosterkultur unter Karl „dem Großen“ (4. Station) wenig, wohl aber der Einfluss der islamisch-arabischen Kultur (5. Station), die das antike Erbe über Jahrhunderte pflegt und weiterentwickelt.

Ab dem 13. Jahrhundert dringt das antik-arabische Wissen nach Mitteleuropa. Während der muslimische Kulturraum in der Folgezeit dogmatisch erstarrt, wird Europa zum Nutznießer der heidnischen Antike im arabischen Gewand und erblüht in der „Renaissance“. Das neue Denken befreit die Menschen allmählich aus der religiösen Umklammerung, was in der Aufklärungsbewegung des 18. Jahrhunderts (6. Station) deutlich zum Ausdruck kommt, vor allem aber in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – nach dem Niedergang der nationalistischen Wahnideen und zwei verheerenden Weltkriegen, in die die Deutschen noch unter dem Banner „Mit Gott und dem Kaiser!“ bzw. „Mit Gott und dem Führer!“ gezogen waren.

Verfasst wurde die gbs-Broschüre von Rolf Bergmeier (Althistoriker und gbs-Beirat), der die Rede vom „christlichen Abendland“ bereits in seinen Büchern „Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums“ (2010), „Schatten über Europa – Der Untergang der antiken Kultur“ (2012) und „Christlich-abendländische Kultur – Eine Legende“ (2013) ad absurdum geführt hat, in Zusammenarbeit mit gbs-Sprecher Michael Schmidt-Salomon, der der Frage nach den Quellen unserer Zivilisation insbesondere in den Büchern „Manifest des evolutionären Humanismus“ (2005) und „Hoffnung Mensch“ (2014) nachgegangen ist. Das Fazit, zu dem die beiden Verfasser nach der Durchmusterung der europäischen Geschichte gelangen, lässt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig (und sollte den Verteidigern des „christlichen Abendlandes“ ein Anreiz sein, noch einmal über ihren vernebelnden Sprachgebrauch nachzudenken):

 

» Sucht man nach den Ursprüngen der europäischen Kultur, stößt man auf drei wesentliche Quellen: die Antike, die vermittelnde islam-arabische Hochkultur und die Aufklärung. Gestützt auf die Prinzipien der Wissenschaft und der Vernunft, der Gleichheit der Menschen und der Freiheit des Individuums, hat unsere heutige Kultur wenige Wurzeln im religiösen Judentum, nur schwache im Christentum, aber mächtige Rezeptionsstränge zur Antike.

Unbestreitbar ist, dass das Christentum Europa als Spartenkultur (man denke etwa an die gotischen Dome) geprägt und die europäische Geschichte mehr als ein Jahrtausend lang bestimmt hat. Die wissenschaftlich-geistige und politisch-kulturelle Entwicklung wurde dadurch jedoch sehr viel stärker behindert als gefördert. Zwar haben ab dem 13. Jahrhundert auch christliche Theologen, etwa die Renaissance-Humanisten, an der „Wiedergeburt Europas“ mitgewirkt, doch ihre maßgebliche Leistung bestand darin, die europäische Kultur von einer Last zu befreien, die es ohne das Christentum gar nicht erst gegeben hätte.

Vom „christlichen Abendland“ lässt sich daher vernünftigerweise nur in der Vergangenheitsform sprechen, etwa im Hinblick auf die „Klosterkultur des Mittelalters“. Die geistige, wissenschaftliche und gesellschaftliche Weiterentwicklung Europas seit der Renaissance jedoch beruht nicht auf  „christlichen Werten“, sondern vielmehr auf der zunehmenden Befreiung von diesen Werten. Der vielfach befürchtete „Untergang des christlichen Abendlandes“ hat also längst stattgefunden – und das ist auch gut so! Denn nur so konnte der moderne Rechtsstaat entstehen, in dem jeder Einzelne über sein Leben selbst bestimmen kann, ohne dabei von „religiösen Autoritäten“ gemaßregelt zu werden. «

 

Die neue gbs-Broschüre kann ab sofort von der gbs-Website heruntergeladen werden (deutsche Fassung / englische Fassung). Printausgaben der Broschüre zum Weiterverteilen oder zur Behandlung im schulischen Unterricht können per Webformular kostenfrei bei der Giordano-Bruno-Stiftung angefordert werden.

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