Die Vermischung von Neandertaler und Homo sapiens in Europa vor 80.000 bis 30.000 Jahren hat deutliche Spuren in unserem Erbmaterial hinterlassen.
Es ist keine zehn Jahre her, dass die meisten Anthropologen die Neandertaler als Angehörige einer ganz eigenen Menschenart sahen, die nicht nur plumper und weniger gescheit waren als unsere Homo-sapiens-Vorfahren, sondern sich mit diesen auch nicht sexuell vermischt haben.
Damit hätten diese Produkte der Anpassung an raue, kalte Gegenden keine Spur in unseren Genen hinterlassen, sondern seien einfach vor rund 30.000 Jahren ausgestorben, von unseren flinkeren, klügeren Ahnen besiegt und/oder verdrängt worden.
Das hat sich radikal geändert. Am Anfang des Jahrtausends wurde Erik Trinkaus noch belächelt, als er ein Kinderskelett aus Portugal als „Mischlingskind“ von Neandertaler und Homo sapiens bezeichnete. Heute ist die gängige Lehrmeinung: Ja, Homo sapiens und Homo neanderthalensis haben sich zwar gewiss bekämpft, aber eben auch gepaart, und zwar so erfolgreich, dass wir heute noch Gene von Neandertalern in unseren Zellkernen haben.
Nicht wir alle, zumindest nicht alle im gleichen Maß: Da die Neandertaler nur in Europa und Asien lebten, fand in Afrika keine Vermischung mit ihnen statt. „Die Nichtafrikaner von heute sind die Produkte dieser Vermischung“, schreiben Genetiker um David Reich (Harvard Medical School, Boston) und Svante Pääbo (Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig) in Nature (29. 1.). Sie haben systematisch in den Genomen von 1004 heutigen Menschen nach Neandertaler-Genen gesucht.
Gene für Haut und HaareZeitgleich erscheint in der zweiten großen Wissenschaftszeitschrift, Science, früher als geplant die Publikation eines anderen Forscherteams zum selben Thema: Benjamin Vernot und Joshua Akey (University of Washington, Seattle) haben 665 Genome von Europäern und Asiaten durchkämmt. Sie schätzen, dass 20 Prozent des Neandertaler-Genoms in heutigen Menschen weiterleben; in Ostasiaten sei der Neandertaler-Anteil deutlich größer, das schreiben auch die Kollegen aus Boston.
400.000 bis 800.000 Jahre lang (so wenig genau weiß man Bescheid!) haben sich die Neandertaler, die ursprünglich natürlich wie alle Menschen aus Afrika stammen, in Europa und Asien separat vom Homo sapiens entwickelt. Dann, als dieser auch nach Europa kam, sind, um es poetisch zu sagen, nach Jahrhunderttausenden der Trennung die beiden Genpools wieder zusammengeflossen. Welche Gene haben die Neandertaler den späteren Ankömmlingen in Europa und Asien vererbt? Besonders solche, die Haut und Haar beeinflussen, zum Beispiel die Bildung von Keratinfasern. Das ist einsichtig: In diesem Bereich war gewiss Anpassung an kältere und lichtärmere Regionen gefragt, und die Haut spielt als Barriere auch in der Anfälligkeit für Krankheiten eine Rolle. Dass das oft beschworene „Ginger Gene“, das für rote Haare verantwortlich ist, ein Neandertaler-Erbe ist, konnte allerdings nicht bestätigt werden.
Doch das Neandertaler-Erbe beeinflusst noch immer unser Leben. So stammen etliche Genvarianten, die mit Anfälligkeit für Krankheiten (z. B. die Autoimmunkrankheiten Lupus, Morbus Crohn, biliäre Zirrhose) verbunden werden, von Neandertalern. Eines dieser Gene beeinflusst auch das Rauchverhalten. Daraus zu schließen, dass die Neandertaler dem Nikotin verfallen waren, wäre verfehlt, schon weil sie keinen Tabak hatten, aber es ist für Raucher wohl reizvoll, ihre Sucht mit den Worten „Ja, das ist halt der Neandertaler in mir“ zu rechtfertigen . . .
Verminderte FruchtbarkeitEs gibt aber auch Bereiche im Genom, in denen fast gar keine Neandertaler-DNA zu finden ist, und just in diesen „Wüsten“ ist der Anteil an Genen besonders hoch: Daraus schließen die Genetiker, dass etliche Genvarianten, die sich bei Neandertalern entwickelt hatten, für Homo sapiens eher schädlich waren, also einer negativen Selektion unterlagen. Vor allem Gene, die in den Hoden aktiv sind, sind betroffen: Das spricht dafür, dass die Söhne eines Neandertalers und einer Homo-sapiens-Frau (oder umgekehrt) herabgesetzte Fruchtbarkeit hatten.
„Als die beiden Arten einander trafen und sich vermischten, waren sie knapp daran, nicht mehr kompatibel zu sein“, sagt Reich: Es sei „faszinierend“, dass solche Probleme schon nach einer relativ kurzen Zeit der getrennten Entwicklung auftreten können.
Signifikant wenig Neandertaler-DNA findet sich auch in dem Bereich des siebten Chromosoms, in dem FOXP2 liegt, ein Gen, das für die Sprachfähigkeit wichtig ist. Das könnte darauf hindeuten, dass die Neandertaler in der Sprachentwicklung doch Homo sapiens unterlegen waren.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.01.2014)
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