Kann man alles so gut rhetorisch verpacken, dass es schlüssig wirkt?
JA. Es gibt ein Problem mit logischen Argumenten, dass viele Menschen nicht kennen:
Mit reiner Logik kann man alles beweisen, auch das Gegenteil.
Das hängt nur von der Wahl der Prämissen (Voraussetzungen) ab, die man wählt. Man muss dazu nur rückwärts arbeiten: Hier ist eine Schlussfolgerung, wie müssen die Voraussetzungen aussehen, aus denen ich logisch die Schlussfolgerung ableiten kann?
Je besser man tarnen kann, dass man sich die Prämissen einfach aus den Fingern gesogen hat, umso schwerer wird es, das Argument zu widerlegen — es sei denn, man hat zusätzlich die Logik falsch angewendet. Aber auch dann lässt sich das sehr gut tarnen, weil die meisten Menschen dazu tendieren, ein Argument nur dann für gut zu halten, wenn es ihre eigene Meinung bestätigt.
Noch wirksamer ist das, wenn man die Schlussfolgerung so gestaltet, dass sie den Wünschen und Hoffnungen desjenigen entgegenkommt, den man adressiert.
Wenn man das kombiniert, und ein richtig schlechtes Argument konstruiert, dessen Schlussfolgerung eine Bestätigung der Überzeugungen ist, die aus Hoffnungen und Wünschen bestehen, dann werden die meisten Menschen sogar sehr grobe Fehler in dem Argument schlicht übersehen.
Wenn man das zusätzlich darin einbettet, dass man eine Fülle von Argumenten äußert, und eine Fülle an (vorzugsweise nicht-nachprüfbaren) Behauptungen aufstellt, die das Argument tatsächlich oder vermeintlich stützen, kann man die kritische Instanz der Leute „überladen“, so dass diese nicht mehr in der Lage sind, Fehler zu finden oder falsche Behauptungen zu entlarven. Betrüger benützen diese Tricks fast die ganze Zeit.
Man bezeichnet dieses Gebiet als „schwarze Rhetorik“. Es hört hier aber noch lange nicht auf. Man kann noch Suggestionen einstreuen, Analogien verwenden statt Argumenten, und Fehler in Argumenten dadurch „tarnen“, dass man entscheidende Prämissen weglässt.
Ich demonstriere einen Teil dieser Methodik mal an einem religiösen Argument — Religion ist nun mal eines der Gebiete, auf das ich spezialisiert bin:
(P1) Alle komplexen Dinge in ungewöhnlicher Anordnung wurden hergestellt.
(P2) Das Universum ist komplex und ungewöhnlich angeordnet.
(S) Daraus folgt: Das Universum wurde hergestellt - von einem Schöpfer (Gott).
Um nun ein Argument wirklich zu verstehen, muss man eine Reihe von Kriterien anwenden, wobei die Reihenfolge keine Rolle spielt:
(1) Ist die Schlussfolgerung wirklich das, wofür man argumentiert?
Hier soll für Gott argumentiert werden. Aber, das ist nicht der Fall, denn aus dem Argument folgt nur, dass das Universum hergestellt wurde (sofern wir das komplette Argument erstmal akzeptieren, inklusive der Logik, der Prämissen etc.) Das könnte ein Gott sein, oder zwei Götter, oder drei, oder viele, oder Aliens etc. pp. Hier wird einem ein riesiger Sprung „untergejubelt“, nämlich von „Irgendwer hat das Universum hergestellt“ zu „und das war der Gott meiner Religion“. Bereits hier übersehen die meisten Menschen, speziell Gläubige, dass nicht einmal die Schlussfolgerung dafür taugt, einen Gott einer bestimmten Religion anzunehmen. Weil sich das Argument an ihre Überzeugungen und Wünsche richtet.
Kurz: Hier werden die Gläubigen über den Löffel balbiert. Atheisten sind nicht ganz so anfällig dafür, weil sie nicht an Gott glauben, das Argument also nicht ihre Wünsche oder Hoffnungen aufgreift.
(2) Folgt die Schlussfolgerung wirklich logisch aus den Prämissen?
Zum Teil: Das Universum wurde hergestellt. Hier hätte man den Satz beenden müssen — und nicht noch etwas hinzufügen dürfen, was sich nicht aus dem Argument ergibt. Manchmal schreibt man das nicht in das Argument, sondern spricht das später an, um den Sprung besser zu tarnen.
(3) Sind die Prämissen sinnvoll, relevant, und scheinen sie vernünftig zu sein?
(P1) ist zweifelhaft, weil wir auch zufällige Prozesse kennen, die in einer spezifischen Anordnung enden, wie beispielsweise Kristalle, etwa Diamanten. Man kann Diamanten herstellen, aber nicht alle Diamanten wurden hergestellt.
Man kann jetzt sagen: Aber ein Diamant ist doch nicht komplex! Aber dann müsste man den Grad nennen, ab dem man etwas als komplex bezeichnet. Ist eine Sonne komplex? Oder eine Galaxie? Wir wissen, dass diese durch natürliche Prozesse entstehen können. Wenn man die Evolution nimmt, dann ist sie ein Beispiel dafür, wie etwas Hochkomplexes entstehen kann, ohne dass es hergestellt wurde.
(P2) ist falsch, weil der größte Teil des Universums — über 98% — bestehen einfach nur aus reinem Chaos. Wobei auch Chaos nach bestimmten Regeln folgt. Das Universum mag wegen der ungeheuren Menge an Materie aus vielen Teilen bestehen, aber das Meiste davon ist nicht komplex angeordnet.
Richtig, aber auch vollkommen falsch
4) Widerspricht eine der Prämissen der Schlussfolgerung?
Wenn dies der Fall ist, dann ist die Logik des Arguments garantiert falsch. Hier ist es so, dass (P1) der Schlussfolgerung widerspricht. Gott ist sicher, wenn er personal ist, ein Bewusstsein hat, handeln kann etc. hochkomplex (dagegen dürfte ein Mensch vergleichsweise ultra-einfach und aus wenigen Teilen bestehen). Wenn er viel weiß, dann sind es viele Teile, und die Gedanken sind komplex angeordnet. Wäre die Prämisse korrekt, dann müsste Gott ebenso hergestellt worden sein.
Entweder bestreitet man nun, dass Gott komplex ist — dann müsste man aber auch die Eigenschaft personal, hat Bewusstsein, hat einen Plan und handelt nach seinem Willen streichen, wenn das ernst meint — oder man bestreitet (P1), dann zerbricht aber das Argument, und die Schlussfolgerung folgt nicht mehr.
(5) Widersprechen sich Prämissen untereinander?
Das ist der einzige Fehler, der in dem Argument nicht gemacht wird.
(6) Gibt es versteckte Prämissen, und was besagen diese?
In diesem Fall: Ja. Was Menschen herstellen, ist oft (nicht immer) ungewöhnlich angeordnet und komplex. Man kann aber auch einfache Dinge herstellen. Andererseits kann man einen Organismus nicht einfach herstellen, und wir haben auch nicht beobachtet, dass er hergestellt wird. Wir wissen dies nur von menschlichen hergestellten Objekten, dass sie hergestellt wurden. Ob etwas einfach oder komplex ist, lässt nicht unbedingt auf Herstellung schließen.
Normalerweise können wir sehr leicht zwischen von Menschen hergestellten (künstlichen) und natürlichen Objekten unterscheiden. Nur dort, wo der Mensch sich bemüht, die Natur zu imitieren, kann man das bei sorgfältiger Herstellung nicht sofort sehen. Künstliche Blumen können verblüffend echt aussehen. Aber man muss sie nur anfassen, dann weiß man, ob sie natürlich oder künstlich sind.
D. h., die versteckte Prämisse lautet:
(P2') Das Universum wurde künstlich hergestellt.
Jetzt hat man einen logischen Zirkel im Argument, die versteckte Prämisse ist die Schlussfolgerung. Zirkuläre Argumente können übrigens logisch valide formuliert werden, und der Zirkel ist oft nicht zu sehen.
(7) Ist das Argument logisch zirkulär?
In diesem Fall ja, was aber erst auffällt, wenn man die versteckte Prämisse enttarnt.
(8) Bestehen die Prämissen aus beobachtbaren Fakten oder bewiesenen Schlussfolgerungen?
(P1) beruht auf Alltagserfahrung und ist falsch, und (P2) beruht darauf, dass wir Zufall und Chaos nicht direkt sehen können, weil wir überall nach Mustern suchen. (P2) ist auch faktisch falsch, es ignoriert 98% des beobachtbaren Universums.
Ein Argument, das nicht auf Fakten beruht, mag richtig sein, aber es kann auch vollkommen falsch sein. Deswegen braucht es eigentlich Fakten, um ein Argument gut zu machen, Prämissen kann man sich beliebige ausdenken. Man kann argumentieren, dass dies bereits in meinem Kriterium (3) mit drinsteckt. (3) meint aber: nach erstem Augenschein.
Wie wir sehen, muss man das nicht einmal besonders rhetorisch verpacken, um ein Argument zu haben, das scheinbar für Gott argumentiert — aber nur, wenn der Boden bereitet ist, um darauf hereinzufallen (man muss bereits an Gott glauben, d. h., fest überzeugt sein, dass es ihn gibt, und man muss den starken Wunsch hegen, dass Gott existiert). Dann wird man blind für die Fehler.
Übrigens: Ein Argument, das von acht Tests sieben nicht besteht, das ist wirklich richtig schlecht. Trotzdem gibt es viele, die das ernsthaft für richtig halten. Sie wurden Opfer einer geschickten Täuschung. Manchmal reicht ein Test aus, um ein Argument zu widerlegen. In diesem Fall wäre es vollkommen ausreichend, zu sagen: Die Schlussfolgerung auf Gott folgt nicht logisch aus den Prämissen. Was ich gemacht habe, ist Overkill — ein totes Pferd noch einige weitere Male erschossen.
Das kann in allen Zusammenhängen ausgenutzt werden. Religion ist bei weitem nicht das einzige Gebiet. Wir finden das auch in der Politik, in der Ethik, sogar in der Wissenschaft, wenn auch letzteres etwas seltener. Wir finden das auch beispielsweise bei den meisten Impfgegnern, bei Verschwörungstheoretikern, bei Psychosekten etc. pp.
Ein Argument ist umso besser, je mehr von den Tests es besteht. Jeder nicht bestandene Test schwächt das Argument. Um über ein Gebiet wirklich urteilen zu können, sollte man wenigstens die relevanten Argumente für als auch die dagegen kennen. Wenn man nämlich nur die Argumente für eine Sache berücksichtigt und den Rest ignoriert, dann kann man auch an die absurdesten Sachen glauben. Zur Rhetorik gehört es daher auch, nur die Argumente dafür zu präsentieren und die dagegen zu vernachlässigen. Vor Gericht versucht man das zu vermeiden, indem man das auf zwei Parteien aufteilt: Der Ankläger ist für die Schuld zuständig, der Verteidiger dagegen. Trotzdem kann es passieren, dass die bessere Rhetorik siegt.
Ein Urteil basiert auf dem Abwägen der relevanten Argumente für und gegen eine Sache. Ohne eine Kenntnis der relevanten Argumente handelt es sich schlicht nur um ein Vorurteil oder eine unverbindliche Meinung.
Urteile ändern sich, wenn neue Argumente auftauchen, die gegen das Urteil sprechen. Vorurteile bleiben bestehen, ganz gleich, wie sich die Faktenlage ändert.
OK, ich habe wieder zu viel beantwortet — nicht nur, dass Rhetorik das kann, wonach gefragt wird, sondern auch, wie man sich dagegen wehrt. Ich bedaure das jedoch nicht, weil hier unser Schulsystem zu wenig tut, damit Menschen auf schlechte oder schwarze Rhetorik nicht hereinfallen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Quora.
Kommentare
Klasse argumentiert! Wieder mal wieder ein echter Volker Dittmar.
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Dem kann ich nur zustimmen , wie überhaupt seine Seite über den Atheismus exzellent ist Ein Kapitel vermisse ich in dieser Seite allerdings noch : Wie überwindet man die Angst vor dem "Danach" , weil man Restzweifel hat , obwohl man überzeugter Atheist (oder zumindest Agnostiker) ist ? Darauf hätte ich sehr gerne eine Antwort !
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