Die Verteidigung der Wissenschaft

Gegen den Dogmatismus und Identitarismus der sozialen Gerechtigkeit

Die Verteidigung der Wissenschaft

Bild: Pexels.com / Anthony

Entwicklungsländer wie Bangladesch, Indien, die Philippinen und andere Länder, in denen Reis ein Hauptnahrungsmittel für arme Kinder ist, leiden unter einer besonderen Form der Mangelernährung. Eine Ernährung, die hauptsächlich aus ein paar Schalen Reis pro Tag besteht, wird zu einem Vitamin-A-Mangel führen. Dieser außerordentlich gefährliche Zustand ist jährlich für eine Million Todesfälle - meist Kinder - und eine weitere halbe Million Fälle von Blindheit - wiederum meist bei Kindern - verantwortlich (Regis 2019).

Ein wissenschaftlicher Durchbruch namens Goldener Reis, ein gentechnisch veränderter Organismus (GVO), brachte Hilfe. Dieser Reis, der vor mehr als zwanzig Jahren entwickelt wurde, ist bioangereichert, um Beta-Carotin zu produzieren, das sich nach der Verdauung in Vitamin A umwandelt. Reispflanzen enthalten von Natur aus Beta-Carotin in anderen Teilen der Pflanze - in den Stängeln und Blättern -, aber nicht in ihren Reiskörnern. Die Modifizierung der Pflanze zur Produktion von Beta-Carotin in den Körnern verhindert unglaubliches menschliches Leid und Elend.

Wie viele von Ihnen, die dies lesen, bereits wissen, wurde der Goldene Reis, der kostenlos und ohne Gewinnabsichten der Forscher verteilt werden sollte, leider durch die Anti-GVO-„Frankenfood“-Hysterie gestoppt. Die vermeintliche Gutmenschengemeinschaft - darunter bekanntlich auch Greenpeace - förderte regulatorische Hürden durch die Regierungen, die den Goldenen Reis fast im Keim erstickten. Schließlich wurde im Jahr 2022 auf den Philippinen Goldener Reis in großem Stil angebaut und an die gefährdete Bevölkerung des Landes verteilt. Zu guter Letzt!

Die meisten Einwände gegen Goldenen Reis hatten mit Sicherheit und Wirksamkeit zu tun. Obwohl sie in diesem Fall übertrieben sind, handelt es sich im Allgemeinen um berechtigte Bedenken. Aber es gab einen besonders ärgerlichen und schädlichen Einwand, der nichts damit zu tun hatte, ob der Goldene Reis seinen Ansprüchen gerecht wird: die Vorstellung, dass GVO von Natur aus rassistisch und kolonialistisch sind, weil sie das Produkt der „westlichen Wissenschaft“ sind.

Ein Artikel in der Zeitschrift Scientific American über Biotech-Pflanzen stellte unverblümt fest: „Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen haben ihre Wurzeln in einem kolonial-kapitalistischen Landwirtschaftsmodell, das auf dem Diebstahl von indigenem Land und der Ausbeutung der Arbeit von Bauern und Lebensmittelarbeitern, der Körper von Frauen, des indigenen Wissens und des Lebensnetzes selbst beruht“ (Aga und de Wit 2021). Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es das Kind, das dank des goldenen Reises sehen kann, wirklich interessiert, wo die gentechnisch veränderten Nutzpflanzen „verwurzelt“ sind.

In ähnlicher Weise schrieb Benjamin Cohen, Professor für Ingenieurwissenschaften am Lafayette College, in einem Artikel mit dem Titel „Decolonizing the GMO Debate“ in The Counter: „Die technokratische Version der Reform der GVO-Befürworter ist kolonial, da sie sich auf die Logik der Eroberung stützt und diese aufrechterhält. Sie stellt die Natur in die Position eines 'Anderen', einer separaten Sphäre, die nicht nur von Menschen, sondern von westlichen, marktorientierten Menschen repariert oder verbessert werden muss“ (Cohen 2021). Wollen wir wirklich die Quelle jedes wissenschaftlichen Fortschritts hinterfragen und diejenigen ablehnen, die von jemandem mit zu wenig Melanin, zu viel Testosteron, zu viel Bildung in der ersten Welt und zu viel privater Finanzierung stammen? Das ist definitiv keine Welt, in der ich leben möchte. Dogmatische soziale Gerechtigkeit/identitäre Betrachtungen sickern jedoch zunehmend in die Wissenschaft ein, was den Fortschritt in diesem Bereich behindert.

Das vielleicht schlimmste Beispiel passiert in Neuseeland, wo die Regierung beschlossen hat, dass Schülern der staatlichen Schulen im naturwissenschaftlichen Unterricht beigebracht werden soll, dass Mātauranga Māori, also die „Wege des Wissens“ der Maori, der westlichen Wissenschaft gleichwertig sind (Coyne 2023). Diese indigenen Traditionen und Überzeugungen sind durchdrungen von Mythologie, Götterglauben und Aberglauben. Es ist, als würden die Vereinigten Staaten verlangen, dass der Kreationismus neben der Evolutionstheorie als gleichwertige Erklärungen für die Vielfalt des Lebens gelehrt wird. Dieser Ansatz wird die wissenschaftliche Bildung in diesem Land, das im Vergleich zu anderen Industrienationen bereits erheblich an Ansehen eingebüßt hat, nur weiter behindern.

Identitarismus, ein Begriff, der einst für rechtsextreme Ideologie reserviert war, dringt nun von links in die MINT-Publikationen ein, und zwar auf eine Art und Weise, die wissenschaftliche Leistung verschleiert, indem sie den Anschein erweckt, als ob der Hintergrund und die demografische Herkunft eines Menschen die wissenschaftlichen Ergebnisse übermäßig beeinflussen. Diese „Positionserklärungen“ werden jetzt von einigen Wissenschaftszeitschriften gefördert (Zamzow 2023). Anstatt also einfach nur über ihre Daten und Ergebnisse zu berichten, werden die Autoren von zur Veröffentlichung eingereichten Arbeiten aufgefordert, ihre Rasse, ethnische Zugehörigkeit, ihr Geschlecht, ihre sexuelle Orientierung sowie Behinderungen oder Vorteile anzugeben.

Das beste Mittel der Gesellschaft

Die Wissenschaft ist das beste Mittel der Gesellschaft, um den menschlichen Fortschritt voranzutreiben, gerade weil sie sich auf nachweisbare Leistungen und evidenzbasierte Ergebnisse konzentriert und nicht darauf, wer die Forschung durchgeführt hat oder woher sie stammt. Die Aufgabe dieses wesentlichen Neutralitätsprinzips oder die Annahme, dass sich die Wissenschaft zwangsläufig nach dem Hintergrund des Forschers unterscheidet, schadet dem gesamten Vorhaben.

Außerdem wüsste ich nicht, wie man in der grausamen Hierarchie der amerikanischen High School noch mehr benachteiligt, ausgegrenzt oder schikaniert werden könnte, als ein totaler Wissenschaftsfreak zu sein - die unterste Sprosse. Die Punkte für die Opferpyramide sollten überlaufen.

Es gibt ein ähnliches Projekt für soziale Gerechtigkeit, das sich „Zitiergerechtigkeit“ nennt und das Wissenschaftler dazu anhält, ihre Forschungsarbeiten mit Zitaten von Farbigen, Frauen, Ureinwohnern usw. anzureichern. Dies soll die Karriere der zitierten Personen fördern. Auch hier wird die Identität als höherer Wert angesehen als die reine Leistung - der richtige Maßstab dafür, wann eine Erwähnung gerechtfertigt ist.

Einige mutige Wissenschaftler fangen an, all dies zurückzudrängen, weil sie zu Recht besorgt sind, dass die Leistung unter all dem identitären Ballast leidet. Im November 2023 veröffentlichten neununddreißig Wissenschaftler eine Abhandlung und einen Aufruf, in dem sie darauf hinwiesen, dass es in der Wissenschaft eine Zensurkrise gibt, die von Wissenschaftszeitschriften und -organisationen veranlasst wurde, um Schaden von der sozialen Gerechtigkeit abwenden zu wollen - und dabei die akademische Freiheit untergraben (Alonso 2023). Die Veröffentlichung legitimer und potenziell wichtiger Forschungsarbeiten wird unterdrückt, um die Würde bestimmter Gruppen nicht zu verletzen. Hunderte von Wissenschaftlern wurden für kontroverse Aussagen und Erkenntnisse abgestraft, berichten die Wissenschaftler.

Im April 2023 veröffentlichte das Journal of Controversial Ideas ein von neunundzwanzig Wissenschaftlern unterzeichneten Aufsatz mit dem Titel „In Defense of Merit in Science“ (Abbot et al. 2023). Die Kolumnistin der New York Times, Pamela Paul (2023), berichtete darüber, dass der Aufsatz von den gängigen Wissenschaftszeitschriften abgelehnt worden war. Offenbar ist das Eintreten für Verdienste in der Wissenschaft eine äußerst kontroverse Ansicht.

Die Autoren der Abhandlung dokumentieren, wie „ideologische Bedenken die Unabhängigkeit und Sorgfalt in Wissenschaft, Technik, Ingenieurwesen, Mathematik und Medizin bedrohen“, schreibt Paul. Sie umschreibt die Grundthese der Autoren: „Die Erweiterung der Möglichkeiten für vielfältigere Forscher in den Wissenschaften ist zwar lobenswert, sollte aber nicht auf Kosten grundlegender wissenschaftlicher Konzepte wie objektive Wahrheit, Verdienste und Beweise gehen“. Aber genau das geschieht derzeit. (Übrigens informiert niemand besser über diese Themen als Jerry Coyne, emeritierter Professor für Evolutionsbiologie an der Universität von Chicago. Ich empfehle jedem, den Newsletter unter Why Evolution Is True zu abonnieren, um seine täglichen Beiträge zu sehen.)

Es gibt noch viele andere Weisen, wie wissenschaftliche Leistungen durch den Dogmatismus und Identitarismus der sozialen Gerechtigkeit angegriffen werden, einschließlich der Verpflichtung von Wissenschaftlern, Erklärungen zu Vielfalt, Gleichstellung und Integration (Diversity, Equity, and Inclusion, DEI) zu verfassen, bevor sie für Stellen an Universitäten in Frage kommen. Hier ein Hinweis: Die Ermahnung von Martin Luther King Jr., alle Menschen ohne Rücksicht auf ihre Hautfarbe mit Würde und Respekt zu behandeln, wird von der DEI-Bürokratie als Riesenfehler betrachtet.

Wir sind Individuen, nicht eine Ansammlung von demografischen Merkmalen und unveränderlichen Eigenschaften. Es ist an der Zeit, damit aufzuhören, Menschen, die sich in gewisser Weise ähnlichsehen, in Zugehörigkeitsgruppen zusammenzufassen und pauschale Verallgemeinerungen darüber zu machen, wer sie sind, was sie erlebt haben, was ihnen wichtig ist und wie sie denken. Meistens ist es nur anmaßend und man liegt falsch.

Diese Vereinnahmung der Wissenschaft durch die gegenwärtige Ideologie ist ein gefährlicher Trend. Er ist nicht nur schlecht für die Wissenschaft, sondern auch für die Gesellschaft: spaltend, antimeritokratisch und führt dazu, dass Wissenschaftler sich selbst zensieren und ihre Ergebnisse an vorgegebene Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit anpassen. Die Wissenschaft ist darauf angewiesen, dass wir dies überwinden. Die Kinder auf der ganzen Welt, die von Goldenem Reis und anderen GVO-Fortschritten profitieren würden, sind darauf angewiesen, dass wir dies überwinden. Ich hoffe, dass dies bald der Fall sein wird.

Dieser Artikel erschien zuert im Skeptical Inquirer Volume 48, No. 2.

Robyn E. Blumner ist Präsidentin und CEO des Center for Inquiry und Geschäftsführerin der Richard Dawkins Foundation for Reason & Science. Sie ist Juristin und war zuvor als Kolumnistin und Redakteurin bei der Tampa Bay Times sowie als Geschäftsführerin der ACLU of Florida und der ACLU of Utah (American Civil Liberties Union) tätig.

Übersetzung: Jörg Elbe

Quellenangaben

Abbot, D., A. Bikfalvi, A.L. Bleske-Rechek, et al. 2023. In defense of merit in science. Controversial Ideas 3(1).

Aga, A., and M. Montenegro de Wit. 2021. How biotech crops can crash—and still never fail. Scientific American (December 27).

Alonso, J. 2023. Worries of harm lead to scientific censorship. Inside Higher Education (November 29).

Cohen, B.R. 2021. Decolonizing the GMO debate. The Counter (December 16).

Coyne, J. 2023. Indigenous spirituality sneaking into New Zealand’s science curriculum, pretending to be “science.” Why Evolution Is True (May 26).

Paul, P. 2023. A paper that says science should be impartial was rejected by major journals. You can’t make this up. New York Times (May 4).

Regis, Ed. 2019. The true story of the genetically modified superfood that almost saved millions. Foreign Policy (October 17).

Zamzow, R. 2023. Should scientists include their race, gender, or other personal details in papers? Science (November 1).

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Kommentare

  1. userpic
    Viktualia

    Ich dachte immer, bei der "Richard Dawkins Foundation" würde es darum gehen, dass Religionen verdummen.
    Und jetzt muss ich feststellen, dass "Wissenschaft" hier anscheinend nicht als eine Methode verstanden wird, sondern als ein "Etwas", dass gefährdet sein kann und also gerettet werden müsse; hier verteidigt wird gegen vermeintliche Angriffe, bzw. Angreifer.

    Wissenschaft als die neue Religion? Das wird nicht funktionieren, da fehlt das Teufelchen: die Freiheit des Willens zu zweifeln oder zu glauben.

    Wenn der Autor des obigen Artikels den goldenen Reis wirklich für "die Lösung" hält, verwechselt er dann nicht den Kolonialismus mit einer Art "Schöpfungsmythos"?
    Gab es kein "davor", für dessen Änderung eine Verantwortung zu übernehmen ist?
    "Macht euch die Erde untertan" ist o.k., wenn es auf "unserem" Wissen beruht?

    Der Vitaminmangel beruhte auf der Umstellung der Landwirtschaft im Zuge der Kolonialisierung.
    Und die Kritik am goldenen Reis hat mehr damit zu tun, dieses Problem nicht zu lösen, sondern weiter daran Geld zu verdienen.
    (Was soll bitte diese "Wer denkt an die Kinder"- Argumentation?)

    Es geht doch gar nicht darum, "Weiße" zu verurteilen, sondern das Leugnen natürlicher Zusammenhänge (in dem Falle: der Landwirtschaft) zu beenden oder wenigstens zu verringern.

    Wissenschaft als Methode ist immer nur so "gut", wie es die Anwendenden objektiv sind.
    Egal, welche Hautfarbe sie haben, entweder sie Überprüfen ihre Prämissen/ihren Glauben - oder sie tun es nicht.
    Sie sind auch keine Politiker; Wissenschaftler treffen nicht die Entscheidungen, das geschieht woanders.

    Und ob das Ergebnis einer Frage "richtig oder falsch" ist, kann doch bitte nicht damit gleichgesetzt werden, ob es "gut oder schlecht " ist.
    Es ist von haarsträubender Unterkomplexität, "richtig = gut" zu postulieren.
    Aber anscheinend ist das bei dieser Art Kulturkampf inzwischen ausreichend.

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