Edgar Dahl: Gibt es Gott? - Eine Rezension

„Ob der liebe Gott alles sieht? Ob der liebe Gott hilft, wenn ich viel bete?“ So etwa wird manches Kind, mancher Jugendliche sich schon gefragt haben.

Edgar Dahl: Gibt es Gott? - Eine Rezension

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„Wie sag‘ ich’s meinem Kind?“ So wird mancher Vater, manche Mutter überlegt haben, als ihre Kinder sie mit Fragen dieser Art konfrontierten.

Im Vorwort sagt der Autor, dass sein Buch eine Anleitung zum Zweifel sein will. Er ruft seine jugendlichen Leser und Leserinnen dazu auf, nicht blind zu glauben, sondern den eigenen Verstand zu benutzen. Er will aber auch zeigen, dass die Überzeugung, dass es keinen Gott gibt, keineswegs so drastische Konsequenzen hat, wie gern behauptet wird. Auch in einer Welt ohne Gott ist das Leben lebenswert und gibt es Moral.

Dahl unterscheidet grob drei Arten von Gründen, die gegen Gott und einen religiösen Glauben sprechen. Er zählt Gründe auf, die auf der Ebene von einfachen Plausibilitätsüberlegungen liegen, also unmittelbar einleuchten. Er führt ferner moralische Argumente an, die gegen einen „allgütigen Gott“ sprechen und Religionen anhand ihres Umgangs mit Un- und Andersgläubigen kritisch bewerten. Und er nennt Gründe, die aus wissenschaftlichen Erkenntnissen folgen.

Er sät erste Zweifel, indem er gleich zu Beginn seine noch zur Schule gehenden Leser fragt, ob ihnen nicht schon aufgefallen ist, dass sich in ihrer Klasse Mitschüler befinden, die völlig unterschiedlichen Religionen angehören, und das offenbar nur deswegen, weil sie zufällig in verschiedenen Ländern geboren wurden. Auch die Gottesvorstellungen der jeweils anderen Religionen unterscheiden sich. Gleichzeitig sind aber die Anhänger der verschiedenen Religionen jeweils fest davon überzeugt, dass ihr Glaube der einzig wahre sei. Wer hat denn nun Recht, gibt er seinen Lesern zu bedenken, und könnte es nicht vielmehr so sein, so fragt er, dass alle Unrecht haben?

Ausführlich kommt der Autor auf das Leid zu sprechen, dass uns weltweit und überall begegnet. Das Thema führt auf die berühmte – bekanntlich nicht lösbare – Theodizee, deren Formulierung dem griechischen Philosophen Epikur zugeschrieben wird: Will Gott die Übel verhindern, aber kann es nicht? Dann ist er nicht allmächtig! Kann Gott die Übel verhindern, aber will es nicht? Dann ist er nicht allgütig! Kann er und will er die Übel verhindern? Warum gibt es sie dann? Der Autor illustriert die Problematik an eindrucksvollen Beispielen. Er richtet an den Leser die Frage, warum Gott nicht den Holocaust an den Juden verhindert habe, wo er doch „sein Volk“ seinerzeit auch aus der Knechtschaft der Ägypter befreit hat. Bei allen Überlegungen bleibt der Leser von theologischem Jargon, wie er bei Diskussionen dieser Art gang und gäbe wäre, wohltuend verschont.

Sodann führt der Autor seinen Lesern die sog. Gottesbeweise vor, die eigentlich keine Beweise für die Existenz Gottes darstellen, eher als Argumente bezeichnet werden sollten. Ausführlicher wird der teleologische Gottesbeweis behandelt, der ja auch heute noch ein beliebtes Argument für die Annahme eines Gottes darstellt, der – so die Behauptung – planvoll vorging, um letztlich uns als Menschen im Universum auftreten zu lassen. Es überrascht nicht, dass diese „Beweise“ sämtlich mit plausiblen und nachvollziehbaren Gründen als untauglich qualifiziert werden. Die Existenz eines höchsten Wesens kann eben nicht glaubhaft bewiesen werden.

Glaube wird zu einer Tugend erklärt

Im nächsten Kapitel mutet der Autor seinen Lesern eine diffizile Frage zu, die einst schon Sokrates formulierte: Ist eine Handlung moralisch richtig, wenn sie von Gott gebilligt, und moralisch falsch, wenn sie von Gott missbilligt worden ist. Oder anders formuliert: Ist die Barmherzigkeit gut, weil Gott sie gutheißt, oder heißt Gott die Barmherzigkeit gut, weil sie gut ist. Oder noch anders in den Worten des Autors ausgedrückt: Wer sagt, dass die Barmherzigkeit nur gut sei, weil Gott sie zufällig für gut befunden habe, würde das Urteil darüber, was Gut und Böse ist, offensichtlich zu einer göttlichen Willkür machen. So müsste er beispielsweise zugeben, dass wenn Gott statt der Barmherzigkeit die Grausamkeit für gut befunden hätte, Grausamkeit gut und Barmherzigkeit schlecht wäre!

Diese letzten Zeilen zeigen, dass der Autor es sich nicht leicht macht, sondern seine jugend­lichen Leser an schwierigere Fragen heranführt und sie an deren schlüssiger Beantwortung teilhaben lässt. Anhand von Bibelzitaten wird vorgeführt, dass der „Gott der Liebe“ Hand­lungen gutheißt, die nach unserem heutigen Moralempfinden strikt abzulehnen sind. Insofern macht der Autor deutlich, dass die Orientierung allein am Gott der Bibel in Widerspruch geraten kann zu unseren heutigen Vorstellungen von Gut und Böse. Dabei wird offenbar, dass die Kriterien, nach denen selbst Christen heute die Steinigung von Ehebrecherinnen, das Töten von Homosexuellen oder das Kaufen und Halten von Sklaven ablehnen, gerade nicht aus der Bibel stammen, obwohl diese Gebote bzw. Aufforderungen biblisch legitimiert sind. Unsere heutigen Kriterien sind ein Ergebnis der auf Vernunft gründenden Aufklärung.

Jesus predigt: „Selig sind, die nicht sehen und dennoch glauben!“ Der Glaube wird also zu einer Tugend erklärt, der Zweifel zu einer Untugend. Der „ungläubige Thomas“ wird verlacht, wer blind glaubt, ist würdig, von Jesus gerettet zu werden. Der blinde Glaube an das in der Bibel Geschriebene kostete jedoch Millionen Menschen das Leben. Man spricht daher zu Recht von der „Kriminalgeschichte des Christentums“. Die Gefahren des blinden Glaubens werden auch anhand unserer jüngsten Geschichte demonstriert und Parallelen zu den „Religionen“ Faschismus und Kommunismus gezogen.

Das Buch endet mit einem überzeugenden Plädoyer für eine religionslose Gesellschaft. Dahl zitiert zum Schluss überraschenderweise einen britischen Theologen, für den an Gott zu glauben nicht bedeutet, an einen Richter zu glauben, der die Gläubigen mit dem Himmel belohnt und die Ungläubigen mit der Hölle. An Gott zu glauben bedeute vielmehr, so zu leben, als ob man unter dem Auge Gottes lebte und als ob man sich und die Welt vom Standpunkt der Ewigkeit aus bewerte. Dahl beschließt sein Buch mit einer bemerkenswerten Formulierung. Er schreibt: „In dieser Religion ohne Dogma ist Gott ein Symbol für alles, was gut ist. Er ist ein Ausdruck für Dankbarkeit, Barmherzigkeit und Vergebung – für Liebe, Vertrauen und Frieden.“ Dahl stellt fest, dass sehr viele sog. Gläubige ohnehin kaum noch an Opfertod, Auferstehung, Himmel und Hölle glauben, der Kern ihres Glaubens besteht meist nur noch im Streben nach einem möglichst moralisch ausgerichteten Leben.

Der Text belegt, dass die Argumente gegen die Annahme eines höchsten Wesens jenseits aller theologischen Winkelzüge schon von einem Jugendlichen allein mit gesundem, nicht durch frühkindliche Verführung eingeengtem Menschenverstand nachvollzogen werden können. Anders als in vergleichbaren theologischen Büchern wird hier nicht mit vagen Begriffskonstruktionen hantiert, mit Bedeutung vortäuschenden Phrasen, mit Definitionen, die als Wahrheiten verkauft werden und vernebelnden Interpretationen. Theologie ver-klärt bekanntlich, sie er-klärt nicht. Die Sprache des vorliegenden Buches dagegen ist einfach und verständlich, die Argumentation schlüssig und nachvollziehbar. Von daher überzeugt dieses aufklärende Werk. Und obwohl eigentlich an die Adresse von jungen, erwachsen werdenden Menschen gerichtet, ist es gleichermaßen eine hilfreiche Lektüre für deren Eltern.

Dem Text von Edgar Dahl folgt ein instruktives Nachwort in Form eines Briefes von Richard Dawkins, dem bekannten Wissenschaftler und Religionskritiker, an seine 10-jährige Tochter (Anm. der Redaktion: Eine Übersetzung aus dem noch nicht in deutscher Sprache erschienenen Buch „A Devil´s Chaplain“).

Es handelt sich um ein Taschenbuch in schöner Ausstattung, mit optisch ansprechend gestalteten Seiten, gewürzt mit eingestreuten Aphorismen und kleinen Cartoons und – durchaus erwähnenswert – auf edlem Papier gedruckt. Kauf und Lektüre werden daher in jeder Hinsicht sehr empfohlen.

Univ.-Prof. Dr. Uwe Lehnert ist emeritierter Professor für Bildungsinformatik und Bildungsorganisation, der an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie tätig war. Bekannt geworden ist er vor allem durch sein Buch „Warum ich kein Christ sein will“. welches im Januar 2015 in 6., erweiterter Auflage erschien.

Webseite: http://warum-ich-kein-christ-sein-will.de/
Facebook: https://www.facebook.com/uwe.lehnert.14

Edgar Dahl: Gibt es Gott?
ISBN-13: 978-3981836608,
NIBE-Verlag, Alsdorf, 2016
124 S., 9,95 Euro

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