Eric Weinstein könnte die Antwort auf die größten Probleme der Physik entdeckt haben

Redaktionelles Vorwort:
Der vorliegende Artikel behauptet nicht weniger, als dass Eric Weinstein den "heiligen Gral der Physik" - die Theorie von Allem - gefunden habe. Damit seien so gut wie alle offenen Probleme gelöst - von der Existenz der drei Familien von Elementarteilchen, über die dunkle Materie, bis hin zur dunklen Energie. Das tönt einfach zu gut um wahr zu sein.
Auf der anderen Seite wurde seine Theorie von Marcus du Sautoy, einem renommierten Mathematiker, über einen Zeitraum von zwei Jahren auf mathematische Konsistenz geprüft.
Es wäre ebenso gut möglich, dass es sich um ein geniales Stück Mathematik handelt, das aber nicht die reale Welt beschreibt.
Die Naturwissenschaft ist ein selbst-korrigierender Prozess. Erst wenn Weinstein sein Paper verfasst hat, dieses von der wissenschaftlichen Gemeinschaft geprüft wurde und sich die Vorhersagen experimentell bestätigen lassen, kann man den Champagner entkorken.
 

Eric Weinstein könnte die Antwort auf die größten Probleme der Physik entdeckt haben

Eric Weinsteins Theorie fordert erstmals die Gültigkeit von Albert Einsteins Feldgleichungen heraus. Foto: Keystone/Getty Images

Ein Physiker hat eine mathematische Theorie entwickelt, die behauptet, erklären zu können, warum das Universum so funktioniert, wie es das tut – und man hat das Gefühl, sie könnte „die Antwort“ sein.

Vor zwei Jahren lud mich ein Mathematiker und Physiker, den ich schon 20 Jahre kenne, in eine New Yorker Bar ein. Er erklärte mir, er wolle mir etwas zeigen, woran er in den letzten 20 Jahren gearbeitet hatte. Während er mich durch die Gleichungen führte, die seine Theorie beinhaltet, schien es mir, als würden mir die Lösungen für die größten Probleme der Physik präsentiert. Die Theorie war wagemutig und aufregend, doch mathematisch so natürlich, dass man gar nicht anders konnte als zu glauben, dass sie richtig war.

In den letzten zwei Jahren führte er mich durch viele Feinheiten seiner Theorie, und mein anfängliches Gefühl, dass es sich um „die Lösung“ handeln könnte, hat nicht abgenommen. Am Donnerstag wird er seine Ideen in Oxford Mathematikern und Physikern vorstellen. Wenn er Recht hat, so wird man sich seinen Namen leicht merken können: Eric Weinstein.

Eine Sache, die mir an seiner Theorie besonders gefällt, ist, dass Symmetrien, mit denen ich mich im Rahmen meiner Forschungen beschäftige, eine Schlüsselrolle spielen. Natürlich ist die Idee, dass die elementaren Teilchen des Universums durch gewisse Symmetrien bestimmt werden, nicht neu. Aber obwohl das Standard-Modell der Elementarteilchen große Erfolge gebracht hat, sind sehr merkwürdige Fragen übriggeblieben, die die Physiker schon seit einigen Jahren beschäftigen.

Die Partikel des Standard-Modells, welches von Teilchenbeschleunigern wie etwa dem Large Hadron Collider bestätigt wurde, lassen sich in drei „Generationen“ einteilen. In der ersten Generation befinden sich das Elektron, das Elektron-Neutrino und sechs Quarks, und zudem gibt es zu jedem Teilchen ein Antiteilchen; also gibt es in der ersten Generation insgesamt 16 Teilchen. Doch bizarrerweise gibt es in der zweiten Generation genau dieselbe Anordnung von Teilchen, nur jeweils schwerer als die der ersten Generation.

Die Entsprechung des Elektrons in der zweiten Generation heißt „Myon“. Der Physiker Isodor Rabi bemerkte, als er von der Entdeckung des Myons erfuhr: „Wer hat denn das bestellt?“ Es schien nicht logisch, dass es von allen Partikeln der ersten Generation noch einmal eine zweite, schwerere Version gab. Erst recht unlogisch schien es, dass sogar noch eine dritte, noch schwerere Generation existiert. Die dritte und somit schwerste Version des Elektrons heißt „Tau-Lepton“.

Eine der Herausforderungen moderner Physik war es, für diese drei Generationen eine natürliche Erklärung anzugeben. Dies ist eines der Dinge, welche Weinsteins Theorie leistet; sie enthält eine neue geometrische Struktur, die eine wesentlich größere Symmetrie aufweist. Die Symmetrie des Standard-Modells ist ein Bestandteil dieser Symmetrie. Und die Geometrie, welche eine größere Symmetrie beinhaltet, erklärt, warum man zwei Kopien von 16 Teilchen erhält, aber auch warum die dritte Generation eine Art Ausreisser ist. Die Theorie sagt nämlich auch voraus, dass sich die dritte Generation der Teilchen bei hohen Energien anders verhält als die anderen zwei.

Nicht nur das: Die Theorie von Weinstein sagt sogar ein neues Set von Partikeln voraus, nach denen wir in unseren Beschleunigern Ausschau halten können. Die Partikel des Standard-Modells haben eine Eigenschaft, die „Spin“ heißt. Die Partikel, die wir in den ersten drei Generationen des Standard-Modells beobachten können, haben alle einen Spin von 1/2. Weinsteins Symmetrie jedoch sagt voraus, dass Teilchen mit Spin 3/2 existieren, welche mit den nichtgravitativen Kräften normal interagieren. Mehr noch: Es sollen außerdem exotische Teilchen mit vertrautem Spin existieren, die ungewöhnlich auf nichtgravitativen Kräfte (die Kräfte des Standard-Modells) reagieren.

Das Kennzeichen einer guten Theorie ist es, dass sie Dinge voraussagt, die man testen kann. Wenn die Vorhersagen falsch sind, kann man die Theorie aus dem Fenster schmeißen verwerfen. Sypersymmetrie beispielsweise – einer der derzeitigen Vorschläge, das Standard-Modell zu erweitern – scheint inzwischen auf wackligen Beinen zu stehen, weil wir ihre Vorhersagen nicht beobachten können. Wenn Weinsteins Theorie zutrifft, wird man die vorhergesagten Teilchen in der Datenflut des LHC nicht leicht finden. Allerdings können die Teilchenphysiker nur wissen, wo sie suchen sollten, wenn sie die Theorie kennen.

Die Geometrie um Weinsteins Symmetriegruppe gibt uns auch eine Erklärung für ein weiteres bedeutendes physikalisches Rätsel: Nämlich was ist dunkle Materie und warum können wir sie nicht sehen? Die gegenwärtige Theorie der Gravitation sagt wesentlich mehr Materie voraus, als wir überhaupt sehen können. Diese versteckte Materie wird „dunkle Materie“ genannt, da abgesehen von der Gravitation keine andere der vier Kräfte mit ihr zu interagieren scheint.

An dem Punkt, an dem die Symmetrie in Weinsteins Modell zerbricht, wird ein Teil der Materie von den Teilchen getrennt, welche wir sehen können. Jene Teilchen können zwar über Gravitation mit uns interagieren, jedoch nicht über die anderen Kräfte, wie z. B. Elektromagnetismus. Darum sind solche Teilchen „dunkel“.

Für mich ist besonders wundervoll, dass die Weinsteinsche Symmetriegruppe nicht aus dem Nichts erscheint. Stattdessen entsteht sie recht natürlich aus seinem Ziel, Einsteins Feldgleichungen mit den Yang-Mills-Gleichungen und den Dirac-Gleichungen in Einklang zu bringen. Die Einsteinschen Feldgleichungen beschreiben die Krümmung der Raumzeit und repräsentieren die Theorie der Gravitation, während die Yang-Mills- und Dirac-Gleichungen die Theorie der Interaktion der Partikel im Quantenmaßstab repräsentieren.

Beide Theorien waren sehr erfolgreich darin, die physikalische Welt zu beschreiben, aber sie sind nicht miteinander kompatibel. Die bisherigen Versuche, die Theorien zu vereinen, liefen darauf hinaus, eine „Quantisierung der Geometrie“ zu versuchen; mit anderen Worten die Geometrie Einsteins in die Quantenwelt zu übertragen. Weinsteins Ideen hingegen sind im Gegensatz dazu aufgebaut; sie entsprechen eher Einsteins Glauben an die Macht der mathematischen Geometrie. Einstein sagte einmal, dass das Universum aus Marmor geschaffen sei, nicht aus Holz. Weinsteins Theorie, welche selbiger „geometrische Einheit“ genannt hat, erfüllt Einsteins Traum.

Obwohl Weinstein ein Fan von Einstein ist, stellt seine Theorie erstmalig die Gültigkeit der Einsteinschen Feldgleichungen in Frage. Es braucht wohl Mut, Einstein in Frage zu stellen, aber Weinsteins Theorie sagt vorher, dass Einsteins genau wie Newtons Gleichungen die Natur näherungsweise beschreiben. Damit nicht genug, erklärt die Mathematik von Weinsteins Theorie sogar noch ein anderes Mysterium der Physik: Dunkle Energie und die kosmologische Konstante.

Als Einstein seine Feldgleichungen formulierte, ging man davon aus, dass das Universum stationär war, sich also weder ausdehnte noch zusammenzog. Damit dies mit seiner Theorie vereinbar war, musste Einstein einen Extra-Term in seine Gleichungen anfügen, die sog. „kosmologische Konstante“. Schließlich wurde die Expansion des Universums entdeckt, und Einstein entfernte die kosmologische Konstante aus seinem Modell und nannte sie seine „größte Eselei“.

Doch das letzte Wort war noch nicht gesprochen. Es wurde entdeckt, dass das Universum sich sogar mit zunehmender Geschwindigkeit ausdehnt, angetrieben von einer Kraft, die „dunkle Energie“ genannt wird (AdÜ.: Nicht mit „dunkle Materie“ verwechseln!). Diese Entdeckung machte es nötig, die kosmologische Konstante wieder in Einsteins Gleichungen einzufügen, um ihre Gültigkeit zu bewahren, ohne das Modell stark zu modifizieren. Aber dieses Wiedereinfügen der kosmologischen Konstante schien wie ein willkürlicher, nachträglicher Flicken zu sein.

Weinsteins neue Theorie enthält Gleichungen, die mathematisch rechtfertigen, warum dieser Extra-Term dort stehen sollte. Aber: Es handelt sich nicht um eine Konstante! Der Term hängt von der Krümmung der Raumzeit ab. Dass unsere kosmologische Konstante so klein ist, liegt daran, dass wir in einem sehr wenig gekrümmten Bereich des Universums leben.

Auch zum Standard-Modell der Elementarteilchen wurde nachträglich ein Term hinzugefügt: Das Higgs-Feld. Ohne den Higgs-Mechanismus hätten einige Teilchen des Standard-Modells überhaupt keine Masse. Der Term wurde eingefügt, da das Experiment zeigte, dass Teilchen wie das W- und Z-Boson, die die schwache Wechselwirkung vermitteln, eben doch Masse haben. Und hier kommt erneut Weinsteins Theorie ins Spiel: Sie zeigt, dass diese Terme nicht künstlich hinzugefügt werden müssen, sondern auf natürliche Weise aus der Theorie hervorgehen.

Einige Physiker haben bereits vermutet, dass das Higgs-Teilchen nicht das ist, was wir momentan denken, dass es ist. Weinsteins Theorie könnte uns helfen zu verstehen, worum es sich in Wirklichkeit handelt.

Es war ein großes Privileg, einer der ersten zu sein, diese Theorie inspizieren zu dürfen. Jedoch überspannt Weinsteins Projekt so viele Teilbereiche der Mathematik und Physik, dass es lange dauern wird, bis seine Implikationen vollständig geklärt sind. Genau wie bei Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie wird es eine lange Modifizierungs- und Stabilisierungsphase geben müssen, in der alle Details geklärt und richtiggestellt werden können. Trotzdem verliert Weinsteins Theorie für mich dadurch nichts an Eleganz und Natürlichkeit, die dadurch entsteht, dass die Theorie keine künstlichen Extra-Terme einfügt, damit sie zu empirischen Resultaten passt, sondern stattdessen alles vom grundlegenden mathematischen Modell herleitbar ist.

Das Paper von Weinstein, welches seine Theorie beinhaltet, beginnt mit einem Zitat von Einstein: „Was mich wirklich interessiert, ist, ob Gott eine Wahl hatte, auf welche Weise er das Universum erschaffen konnte.“
Weinsteins Theorie beantwortet diese Frage ausführlich. Sehr wenig in unserem Universum scheint beliebig zu sein; die Mathematik beschreibt, warum alles so funktioniert, wie es funktioniert. Wenn dies keine Beschreibung davon ist, wie unser Universum funktioniert, würde ich offen gesagt lieber in ein Universum ziehen, wo es dies ist.


Übersetzung von: Adrian Fellhauer, Beat Weber

Hier geht's zum Originalartikel...

Kommentare

  1. userpic
    Adrian Fellhauer

    Es könnte sogar sein, dass selbst Weinsteins Formeln nur eine Annäherung an die Realität sind und wir Abweichungen finden, sobald wir es schaffen, den aktuellen Sichtradius der Erde (13,7 Milliarden Lichtjahre) zu überwinden. Vielleicht wird Weinsteins Theorie auch erst im Kontext eines eventuellen Multiversums eine Revision benötigen. Aber bis dahin sollte in jedem Fall noch aureichend Zeit sein, diese Theorien schon zu entwerfen, sodass wir zum Zeitpunkt lediglich die richtige wählen müssen.

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    1. userpic
      Mario Gruber

      Absolut großartig! Einfach nur faszinierend! Dass Einsteins Formeln nur eine Annäherung wie Newtons Formeln sein könnten und die Diskrepanz zwischen Relativität und Quantenphysik somit überbrückt werden können, und generell alle Implikationen für das Standard Modell und Dunkle Materie. Ein Genuss das zu lesen, großes Lob an Adrian, Beat und Daniela!!!

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