Es muss weiter diskutiert werden

BERLIN. (hpd) Genau heute vor einem Jahr wurde vom Deutschen Bundestag das "Gesetz über den Umfang der Personensorge bei einer Beschneidung des männlichen Kindes" beschlossen. Heute trafen sich im Haus des Bundespresseamtes Journalisten mit Kritikern des Gesetzes.

Es muss weiter diskutiert werden

Christian Bahls von MOGIS e.V. erklärte gleich zu Beginn der Pressekonferenz, dass die Diskussionen über eine nichtmedizinisch indizierte Knabenbeschneidung noch nicht beendet sind. Gerade auch die Einstellung des Strafverfahrens gegen einen Mohel (Beschneider), der das Blut von der Wunde mit dem Mund abgesaugt haben soll (Metzitzah B’peh), durch die Berliner Staatsanwaltschaft, zeigt auf, dass hier noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss.

Auch andere der Podiumsgäste bezeichneten die Begründung der Staatsanwaltschaft als "fadenscheinig" und einen eklatanten "Rechtsbruch". MOGIS e.V. fordert ein Ende jeder Beschneidung aus nichtmedizinischen Gründen und bei den medizinisch notwendigen eine bessere Prüfung, ob nicht durch andere Möglichkeiten als einer Vorhautampuation Hilfe gewährt werden kann.

Die Mediziner auf dem Podium vertraten die Auffassung, dass es ihnen nicht um ein Verbot der Beschneidung an sich gehen würde - "aus den religiösen Fragen halten wir uns heraus" hieß es dabei - sondern sie legten vielmehr Gewicht darauf, dass es zur ärztlichen Sorgfaltspflicht gehöre, eine Operation schmerzfrei zu gestalten. "Niemand operiert einen Blinddarm ohne Narkose. Aber bei der Zirkumzision wird mit untauglichen Mitteln der Anschein erweckt, als könne man damit den Schmerz lindern oder ganz verhüten." Dabei wies vor allem der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie, Prof. Dr. med. Bernd Tillig, darauf hin, dass die Wirkung von Emla - der Salbe, die zur Betäubung genutzt wird - nicht ausreichend sei bei der Beschneidung Neugeborener. Dieses Medikament sei für die Anwendung auf Schleimhäuten so wenig zugelassen wie überhaupt bei Kindern unter 12 Jahren.

Victor Schiering (MOGIS e.V.) forderte, dass Urologen mit erwachsenen Männern, die beschnitten wurden, mit der notwendigen Sensibilität umgehen. Diese würden - so Schiering - oft nicht helfen, sondern die Probleme der Betroffenen nicht ernst nehmen. Dem stimmte Andreas Bergen von pro familia Niedersachsen e.V. zu und forderte, dass Männer, die aufgrund ihrer Beschneidung sexuelle oder psychiche Probleme haben, endlich als eigene Patientengruppe anerkannt werden müssen.

Bergen kritisierte das Gesetz als "schlampig gemacht" und zu schwammig in seiner Ausgestaltung. So sei zum Beispiel nicht definiert, was die "Regeln der ärztlichen Kunst" bedeuten würden. Und zwar deshalb, weil diese laut Gesetz nur bei einer nicht medizinisch indizierten Beschneidung gelten würden.

Die Vorsitzende von Terre des Femmes, Irmingard Schewe-Gerigk, wies darauf hin, dass es bereits 1995 eine ähnliche Diskussion gab, als es um die Beschneidung von Mädchen ging. Auch in diesem Falle hat es Jahre gedauert, bis das Problem im Bewusstsein der Gesellschaft angekommen war. Andererseits wies sie aber auch darauf hin, dass es sowohl von der EU als auch vom Bundestag Beschlüsse gibt, die die weibliche Beschneidung als Verstoß gegen die Menschenrechte einordnen. Und so zeigt sie sich optimistisch, dass es beim Thema der männlichen Beschneidung nicht so lange Zeit dauern wird, bis sich die Logik durchsetzt, dass schon allein die Ungleichbehandlung männlicher und weiblicher Kinder ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist.

Sie wies darauf hin, dass eine Studie aufzeigte, dass muslimische Frauen - allerdings von der "anderen Seite" her - nicht verstehen würden, dass sie ihre Söhne beschneiden dürften, die Beschneidung der Töchter jedoch unter Strafe stehe.

Prof. Dr. Manfred Gahr, der Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder und Jugendmedizin e.V. berichtete, dass die Akademie auch für das vergangene Jahr eine Erhebung gemacht habe über die Anzahl der Komplikationen nach der Beschneidung. Dabei erhielt die Akademie Rückmeldungen von rund 500 Ärzten, nach denen es etwa 2.000 Komplikationen gab; dabei wurden etwa 1.200 Infektionen genannt. Hier fiel die Hälfte der Nennungen auf reine (örtliche) Wundinfektionen; aber immerhin 50 Prozent betrafen Infektionen, die die Gesundheit der Patienten gefährlich beeinträchtigten.

Vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sprach dessen Bundessprecher Dr. Ulrich Fegeler über das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die - auch von Deutschland unterzeichnete - UN-Menschenrechtskonvention. Diese sieht er mit der Gesetzgebung vor einem Jahr ausgehebelt. Er lehnt eine religiös begründete Beschneidung grundsätzlich ab und verwies darauf, dass eine große Mehrheit von Ärzten von der Entscheidung des Berliner Staatsanwaltes entsetzt ist. Denn schon allein die Art und Weise, wie beschnitten wird, entspricht nicht dem ärztlichen Ethos. Aus einer bisher noch kaum beleuchteten Perspektive stellte er klar, dass es nicht angehe, dass die Beschneidung per Gesetz auch außerhalb des deutschen Gesundheitssystems zulässig gemacht wurde, "wobei die Gesundheitssysteme dann die Nachsorgekosten tragen müssen."

Prof. Dr. med. Bernd Tillig kündigte innerhalb des Pressegespräches eine Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinderchirurgie an, mit der erreicht werden soll, die häufig noch uninformierten Ärzte-Kollegen aufzuklären. Dieser Prozess soll - so hofft er - innerhalb eines Jahres abgeschlossen sein.

Auf die Frage eines Journalisten von der Jüdischen Allgemeinen berichtete Christian Bahls über Erhebungen, nach denen "nur etwa ein Viertel der männlichen Kinder der jüdischen Gemeinden in Deutschland beschnitten werden." Darüber haben vor allem die jüdischen Verbände in den Diskussionen im Vorfeld der Gesetzgebung geschwiegen und die Beschneidung als unbedingte Voraussetzung für die Mitgliedschaft in der jüdischen Gemeinde genannt.

Mehrfach wurde nachgefragt, ob es denn nach der Verabschiedung des Gesetzes einen Dialog zwischen jüdischen oder muslimischen Gemeinden auf der einen und MOGIS oder den Ärzteverbänden auf der anderen gab. Nur einige muslimische Kollegen haben innerhalb der Ärzteschaft Bereitschaft gezeigt, gemeinsam einen Weg zu finden, der für alle Seiten gangbar ist. Doch gerade von Seiten der jüdischen Verbände gibt es noch immer nur Schweigen, hieß es.

Im Anschluss an die Pressekonferenz fand auf dem Pariser Platz in Berlin eine Performance statt, die ebenfalls an den Jahrestag des Gesetzes erinnerte.

F.N.

Pressemitteilung von MOGIS e.V. zur Pressekonferenz am 12. Dezember 2013 zum Jahrestag des Beschneidungsgesetzes

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