Evolution rechtfertigt noch keine Selbstherrlichkeit

Beeindruckt sitze ich am Fenster. Das sieht schon toll aus, der Sternenhimmel und diese Weite. Da muss sich der liebe Gott ganz schön angestrengt haben! Ähm… der liebe Gott?

Evolution rechtfertigt noch keine Selbstherrlichkeit

Ich erwische mich nicht selten dabei, bei Naturphänomenen immer und immer wieder an eine Schöpferkraft zu denken. Auch, wenn ich meinen Körper betrachte. Wie dort die Zahnrädchen ineinander passen. Da hat die Evolution doch wirklich einiges geleistet! Ähm… Evolution? Aus reinem Zufall heraus, aus einem Anstoß entwickelt sich die Erde, das All, die Lebewesen immer weiter? Irgendwie ist das mindestens genauso schwer zu glauben, wie davon überzeugt zu sein, dass es einen Gott gibt.

In Büchern oder in Zeitschriften zum Thema „Atheismus“ holen mich immer wieder Erklärungen ein, die mich gleichsam mitreißen. Diese Regelmäßigkeit, diese Verlässlichkeit von Raum und Zeit, andererseits auch wieder die Überraschungen durch spontane Mutationen, plötzliche neue Wege, die das evolutionäre Geschehen nimmt. Doch irgendwie komme ich dann erneut an die Ausgangsfrage zurück: Aus dem Nichts soll sich diese Dynamik angestoßen haben? Und nun voranschreiten, ohne ein Zutun von außen? Wer hat sich denn das alles ausgedacht? Diese ganzen Aminosäuren, die chemischen Elemente, die Schwerkraft?

Ja, der Mensch hat eine eingeschränkte Vernunft. Sein Drang, alles nachvollziehen zu können, ist groß. Und plötzlich werde ich auf die Naturgesetze verwiesen. Doch beantworten sie meine Sehnsucht nach dem Wissen um das, was hinter Urknall und Evolution steckt? Nicht selten begegnen mir von im Zweifel stehenden Menschen, die mit ihrem Glauben ringen, die die Kirche eigentlich verlassen wollen, diese Vorhaltungen: „Ihr habt doch auch keine Antworten zu bieten, wo sind eure Inhalte?“. Tatsächlich scheint es etwas wenig, wenn wir auf wissenschaftliche Erkenntnisse verweisen, die für den Laien zunächst wie das große Zusammentreffen von vielen Zufälligkeiten wirken.

Und auch im Humanismus gibt es Defizite: Der Mensch steht im Mittelpunkt. Das mag für das alltägliche Leben auszureichen. Doch was ist, wenn wir uns über mehr erkundigen als das Hier und Jetzt? Müssen wir uns damit abfinden, dass wir vielleicht nicht begreifen können, was über unseren Horizont hinausgeht? Einstein hat Gesetzmäßigkeiten entdeckt, doch wer hat sie überhaupt erst aufgestellt? Dass es Vielen einfach ist, auf einen Evolutionsprozess verwiesen zu werden, dessen Kausalität und komplexe Ergebnisse daran erinnern, wonach sich dahinter vielleicht ein „Mehr“ verbirgt, verstehe ich gut. Und ich denke, die säkulare Szene sollte darauf eine Reaktion liefern, die über Selbstherrlichkeit hinausgeht.

Ein „Naturgesetze – Basta!“ ist nicht attraktiv, gerade nicht für suchende Menschen. Denn was soll dann schlussendlich diese „Natur“ sein? Vielleicht braucht es im Werben um Anhänger etwas mehr Demut vor der Vielfältigkeit an Erklärungen – und auch eine Offenheit für mehr Respekt vor dem Glauben eines Einzelnen. Wer kritisch gegenüber einer Vergesellschaftung von Überzeugungen ist, der kann dennoch individuelle Theorien und Denkmuster wertschätzen, wenngleich sie gottlastig sind und vielleicht die wissenschaftlichen Seelen nicht befriedigen können. Besonders am Übergang aus einer Religion, beim Kirchenaustritt, kann es helfen, auch einzugestehen, dass weder Atheismus, Humanismus oder Freidenkertum die letztgültige Antwort kennen.

Zur Ehrlichkeit in Weltanschauungsfragen gehört wohl das Eingeständnis, dass wir lediglich beschreiben, aber nicht erklären können. Ich meine, wir brauchen keine „Hardliner“ unter uns Säkularen. Von denen gibt es schon viele andere, vor allem in religiösen Kreisen. Machen wir nicht den Fehler, einen Absolutheitsanspruch zu erheben, den wir im Zweifel nicht bis ins Detail werden aufrecht erhalten können. Manchmal wirken Kollegen auch mich wie die Heilsversprecher, die mit Evolution den Sinn des Lebens aufdecken wollen. Ich bin dankbar, dass wir diese Theorie haben, um uns zumindest im Ansatz veranschaulichen zu können, worüber wir ansonsten nur staunen können. Doch ich will mir nicht anmaßen, damit Weisheit‘s letzten Schluss bewiesen zu haben.

Lassen wir durchaus auch zu, dass in Fragen manchen Ursprungs Freiheit und Offenheit für Positionen bleibt, die strittig sind und die Kritik vertragen können. Sie sind legitim, auch wenn wir meinen, für uns persönlich bereits eine Antwort gefunden zu haben. Ich weiß nicht, wie die Evolution das erbringen konnte, was ich jeden Tag genießen kann. Dennoch leugne ich sie nicht. Aber für mich ist mit dem Belegen eines physikalischen Gesetzes noch keinesfalls nachvollziehbar geworden, wer sich denn diese Genialität schlussendlich überlegt hat. Ich zwinge mich auch nicht, den Urheber zu entlarven. Ich kann Faszination auch ohne eine Quellenangabe bewundern. Aber ich wünsche mir, dass wir als Säkulare niemanden ausschließen, der weiterhin dem Drang nach Gewissheit nachfolgt – aber feststellt, dass auch wir noch nicht alles gefunden haben…

Web:
www.humanisten-bodensee.de

Kommentare

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    Patrick Kormann

    So lange Gott nicht die Frage beantwortet, wer denn Gott gemacht hat, löst ein Gott keines dieser Probleme. Dass das Universium einfach so existiert kann man nicht existieren, dass ein Gott einfach so existiert und irgendwann auf die Idee kam, das Universium zu schaffen (von wo aus eigentlich?) aber schon?

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      Jakob Michailsen

      Wieder ein Beitrag ohne Sinn und Verstand!
      Vielleicht verstehe ich ihn aber auch falsch...

      Sollen wir nun Gott als Begründung oder Urheber wieder akzeptieren, weil wir auch keine stichfeste Antwort auf viele Fragen geben können?

      Sollte dem so sein, werden wir wieder vor dem Problem stehen, dass die tatsächliche Antwort nicht mehr gesucht wird, weil wir ja Gott als Antwort haben.

      Das ist wieder so ein Bericht, bei dem ich mich fragen muss, wieviel die deutsche Richard Dawkins Seite noch mit Richard Dawkins gemein hat. Denn ich bezweifele stark, dass er die ganze feministischen und social jusitce Berichte auf der Deutschen Seite gut finden würde.
      Es entsteht ja langsam der Eindruck, dass die Deutsche Seite bewußt von Feministen und Social Justice Warriors unterlaufen wäre. (Siehe z.B. Bericht von Misha Anouk).

      Dieser Bericht zeigt es wieder ganz deutlich!
      Denn Richard Dawkins verkauft selber T-Shirts mit der Aufschrifft:
      "If you don´t understand how something works never mind! Just give up and say god did it!"
      Dieser ironische gemeinte Aufdruck spiegelt genau das Gegenteil dieses Berichtes wieder, wo gesagt wird wir sollen Gott doch wieder als Antwort, Begründung und Urheber akzeptieren.

      Kleiner Tipp @ Dennis Riehle.
      Vielleicht solltest du dich mehr mit aktueller Physik beschäftigen, wenn du dich für diese Fragen interessierst. Denn für einige deiner Fragen gibt es zumindest schon sehr gute und logische Lösungsansätze. Ob diese jemals bewiesen werden können, steht in Frage. Es gibt natürlich auch eine Erkenntnisgrenze des menschlichen Verstandes. Etwas was vor dem Urknall passierte oder zu diesem geführt hat, kann nicht durch "Physical Evidence" bewiesen werden. Jedoch kann man Vermutungen durch "Reasoned Logic" aufführen. Diese "Reasoned Logic" kann dann sogar auf Erkenntnissen ("Physical Evidence") aus unserem Universum begründet werden. Jedoch leider nicht bewiesen werden.

      Hier mal die 2015 aktuelle Sicht auf die Urknall-Hypothese inkl. dem wahrscheinlichsten Auslöser des Urknalls:
      https://www.youtube.com/watch?v=hrJViSH6Klo

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        Norbert Schönecker

        @ Jakob Michailsen: Ich habe diesen Beitrag ganz anders verstanden als Sie, sogar konträr.

        Sie befürchten anscheinend, dass dieser Beitrag zu einer Weltanschauung führt, in der Fragen billig mit "Gott war´s" abgeschmettert werden.
        Ich verstehe diesen Beitrag so, dass auch Humanisten fragen dürfen, ob hinter den Naturgesetzen noch etwas (oder vielleicht sogar jemand) ist, ohne dass diese Frage mit einem billigen "Die Evolution war´s" abgeschmettert wird.

        Sie haben aber völlig recht damit, dass dieser Zugang nicht dawkinsistisch ist. Dawkins hält z.B. die Frage nach dem Sinn des Lebens für blöd; sie sollte seiner Meinung nach nicht gestellt werden. Begründung: Es gebe keinen Sinn des Lebens, somit sei die Suche danach Zeitverschwendung.
        Der Humanismus in Deutschland ist diesbezüglich traditionell nicht so rigoros. Hier ist man für solche Fragen offener und mit endgültigen Antworten zurückhaltender. Mir persönlich gefällt das besser als Dawkins´ etwas doktrinärer Zugang.

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          Axel Hildebrandt

          Dem Artikel stimme ich insofern zu als dass mir ein toleranter Umgang mit anderen Ansichten erstrebenswert ist. Ich verstehe die Aussage so, dass der Autor zwar Atheist ist, jedoch auch anerkennt, dass die Naturwissenschaften ebenfalls keine abschließende Erklärung für die Fragen liefert die uns Menschen schon seit jeher beschäftigen.
          Ich behaupte es ist möglich ohne jegliche naturwissenschaftliche Bildung, jeden noch so gebildeten Menschen, durch einfache Fragen an einen Punkt zu bringen, an dem keine Erklärung mehr geliefert werden kann. Das sind ganz banale Fragen danach in welchem Raum sich das Universum befindet und in welchem Raum sich der Raum befindet in dem sich das Universum befindet u.s.w. oder in der anderen Richtung woraus Atome bestehen, woraus Neutron und Elektronen bestehen, woraus Quarks bestehen und wie man sich einen Stoff vorzustellen hat der nurnoch aus sich selbst besteht. Was hat eigentlich beim Urknall geknallt und wie ist es entstanden. Kann die Zeit stehen bleiben u.s.w. Und das ist meiner Ansicht nach der große Fehler aller Religionen, sich auf diese Fragen Antworten
          auszudenken und, da sie nicht bewiesen werden können, als unumstößliche Tatsache niederzuschreiben. Daher folge ich auch dem naturwissenschaflichen Ansatz, der sich keine Fantasiegeschichte ausdenkt sondern nach beweisbaren Erklärungen sucht und diese im Rahmen der Möglichkeiten des menschlichen Geistes ja auch findet. Dennoch, es bleiben große und banale Fragen unbeantwortet und das muss man einem Religiösen Menschen zugestehen, das er sagt "ihr habt doch auch keine Antwort". Meine persönliche Grundeinstellung lautet " Es gibt eine Erklärung" aber vielleicht ist unser Geist nicht im der Lage sie zu begreifen, ausgeschlossen ist es aber nicht und da vertraue ich der Wissenschaft. Gott ist für mich eine Erfindung zur Beantwortung dieser Fragen und logischerweise eine Erfindung vom Fragesteller selbst, was dann ja ein abgeschlossenes System ist. Nun ja, ich habe die Befürchtung dass wir zur Beantwortung aller Fragen nicht in der Lage sind, ist aber auch egal, die Dinosaurier sind ausgestorben und wir werden es auch.

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            Klaus Steiner

            Hallo Herr Riehle,

            Ihr Zitat: "Zur Ehrlichkeit in Weltanschauungsfragen gehört wohl das Eingeständnis, dass wir lediglich beschreiben, aber nicht erklären können."

            Ich weiss nicht genau, was Sie damit meinen, wenn Sie schreiben "dass wir lediglich beschreiben, aber nicht erklären können". Sollte es sich dabei um Naturgesetzte handeln, dann kann ich darauf folgende Antwort geben:
            Zuerst einmal gibt es gute Gründe dafür, warum uns Naturgesetze die Welt „nur“ beschreiben und nicht erklären. Erklärungen enthalten weitere Elemente, i. d. R. Anfangsbedingungen, idealisierende, oft sogar kontrafaktische Annahmen und - ausdrücklich oder implizit - eine ceteris-paribus-Klausel, also die Annahme, dass keine weiteren Faktoren berücksichtigt werden müssen. Bei der Suche nach einer Kausalerklärung für die Naturgesetze müssten wir Zeitpunkte ins Auge fassen, die zeitlich vor allen Naturgesetzen liegen. Außerdem hindert uns der Zufall daran, eine echte Erklärung zu finden. Da Gott als „letztgültige Erklärung“ den infiniten Regress abbricht, bietet er zwar ein stabiles Fundament, der Preis dafür ist allerdings die Begründung durch Rekurs auf ein Dogma. Daher entkommen die meisten Atheisten dem „Sumpf der Letztbegründung“ dadurch, dass normalerweise bindende, rationale Begründungszwänge (zeitweilig) aufhoben werde.

            Quelle: https://de.richarddawkins.net/articles/gott-im-fadenkreuz-eine-rezension

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