Frank Sinatras Ansichten über organisierte Religion waren seiner Zeit um Jahrzehnte voraus

Wir sind kürzlich auf dieses alte Interview mit Frank Sinatra gestoßen und waren, gelinde gesagt, erstaunt. Das Interview ist ursprünglich 1963 im Playboy erschienen und verdeutlicht die ungemein
tiefgründigen und hochentwickelten Gedanken dieses zeitlosen Künstlers zu organisierter Religion.
Gedanken, die denen heutiger Kritiker in nichts nachstehen. Schauen Sie sich einmal diesen Auszug an:
 

Frank Sinatras Ansichten über organisierte Religion waren seiner Zeit um Jahrzehnte voraus

Playboy: Sind Sie ein religiöser Mensch?

Sinatra: Nun ja, das reicht ja als Einleitung. Ich denke, ich kann meine religiösen Gefühle in wenigen Absätzen zusammenfassen. Erstens: Ich glaube an Sie und an mich. Ich bin wie Albert  Schweitzer und Bertrand Russell und Albert Einstein - dahingehend, dass ich Respekt vor dem Leben habe, in jedweder Form. Ich glaube an die Natur, an Vögel, das Meer, den (physischen, Anm. d. Übers.) Himmel, an alles, das ich sehen kann oder für das es tatsächliche Beweise gibt. Wenn es diese Dinge sind, die Sie meinen, wenn Sie von Gott sprechen, dann glaube ich an Gott. Aber ich glaube nicht an einen persönlichen Gott, an den ich mich wende, wenn ich Trost suche, oder wenn ich einen 'natural' erhalten möchte, wenn die Würfel das nächste mal fallen (Anm. d. Übers., es gibt ein Würfelspiel, bei dem mit zwei Würfeln alle Zahlen zwischen 2 und 12 gewürfelt werden können, wobei die Zahlen 7 und 11, die als 'naturals' bezeichnet werden, günstig für den Spieler sind.). Ich bin mir des scheinbaren Bedürfnisses der Menschen nach Glauben durchaus gewahr; ich bin für alles, das einen durch die Nacht bringt, sei es ein Gebet, Beruhigungsmittel oder eine Flasche Jack Daniel's. Aber für mich ist Religion etwas zutiefst Persönliches, das Mensch und Gott unter sich ausmachen, ohne den Medizinmann als Vermittler. Der Medizinmann versucht uns zu überzeugen, dass wir Gott um Hilfe bitten müssen, dass wir ihm vorbuchstabieren müssen, was wir benötigen oder ihn sogar mit Gebeten oder Geld bestechen müssen, wenn wir auf der Zielgeraden sind (im Sinne von „wenn man stirbt“, Anm. d. Übers.). Nun, ich denke, dass Gott weiß, was ein jeder von uns will und braucht. Es ist nicht notwendig, dass wir uns jedes Wochenende auf den Weg in die Kirche machen, um ihm nahe zu sein. Man kann ihn überall finden. Und wenn das häretisch klingt, dann ist meine Quelle ziemlich gut: Matthäus, fünf bis sieben, die Bergpredigt.

Playboy: Sie haben also für sich keinerlei Antworten in organisierter Religion gefunden?

Sinatra: Es gibt Dinge an organisierter Religion, die ich ablehne. Christus wird als 'Friedensfürst' verehrt, aber in seinem Namen wurde mehr Blut vergossen, denn in irgendjemandes anderen Namen in der Menschheitsgeschichte. Sie zeigen mir einen Schritt vorwärts im Namen der Religion und ich zeige Ihnen 100 Rückschritte. Erinnern Sie sich, es waren Männer Gottes, die die Bildungsschätze von Alexandria zerstört haben, die die Spanische Inquisition verbrochen haben, die für die Hexenverbrennungen von Salem verantwortlich zeichnen. Mehr als 25.000 Religionen gedeihen auf unserem Planeten, aber die Anhänger jeder einzelnen von ihnen denken, dass alle anderen erbärmlich fehlgeleitet und möglicherweise sogar bösartig sind. In Indien verehren sie weiße Kühe, Affen und ein Bad im Ganges. Die Moslems akzeptieren Sklaverei und bereiten sich auf Allah vor, der ihnen Wein und Jungfrauen verspricht. Und Medizinmänner finden sich nicht nur in Afrika. Schauen Sie nur in die Sonntagszeitungen in Los Angeles und Sie werden die hiesige Variante kennenlernen, wie sie ihre Waren bewirbt wie Anzüge mit zwei Paar Hosen.

Playboy: Hat denn religiöser Glaube nicht auch ebenso oft einen zivilisierenden Einfluss gehabt?

Sinatra: Erinnern Sie sich an den heimtückischen, Flüche ausstoßenden Mob in Little Rock, die ein schüchternes, unschuldiges kleines zwölfjähriges schwarzes Mädchen beschimpften, als sie versuchte, sich an einer öffentlichen Schule anzumelden? Waren sie - zumindest die meisten von ihnen - nicht fromme Kirchgänger? Ich verachte die Heuchler, die vorgeben liberal zu sein, die aber in Wahrheit in ihren eigenen fiesen kleinen Kreisen bigott sind. Ich habe meiner Tochter nicht vorgeschrieben, wen sie zu heiraten hat, aber ich hätte ihr eigenhändig den Garaus gemacht, wenn sie einem Bigotten schöne Augen gemacht hätte. So wie ich es sehe, sind Menschen Produkte ihrer Konditionierung; und die gesellschaftlichen Kräfte, die ihre Moral und ihr Verhalten prägen - Rassismus eingeschlossen - werden wohl mehr durch materielle Dinge wie Nahrung und wirtschaftliche Notwendigkeit beeinflusst als durch die Angst, die Ehrfurcht und die Bigotterie, die von den Hohepriestern kommerzialisierten Aberglaubens generiert werden. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin für Anständigkeit - Punkt. Ich bin für alles, das für meine Mitmenschen Liebe und Rücksichtnahme bedeutet. Aber wenn das Ablegen von Lippenbekenntnissen gegenüber einer mysteriösen Gottheit Grausamkeit am Mittwoch gutheißt und Absolution am Sonntag beinhaltet, dann müssen Sie die Rechnung ohne mich machen!

Playboy: Aber sind diese spirituellen Heuchler nicht in der Minderzahl? Steht nicht das Verhalten der meisten Amerikaner eher in Übereinstimmung mit den Grundprinzipien ihrer religiösen Lehre?

Sinatra: Ich habe kein Problem mit anständigen Menschen auf jeder Ebene. Aber ich kann nicht  glauben, dass Anstand nur in Religion wurzelt. Und ich kann nicht umhin, mich darüber zu wundern, dass allerlei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Bekenntnisse über ihren Glauben ablegen, um eine Aura der Achtbarkeit zu aufrechtzuerhalten. Unsere Zivilisation wurde durch Religion geprägt, und diejenigen, die irgendwo in der freien Welt nach öffentlichen Ämtern streben, müssen ihre Gottesfürchtigkeit unter Beweis stellen, um nicht umgehende Diskreditierung zu riskieren. Unsere Presse spiegelt präzise das religiöse Wesen unserer Gesellschaft wider, aber Sie werden bemerken, dass sie auch für Astrologie wirbt oder für sentimentale Erweckungsprediger wie Elmer Gantry. Wir in Amerika sind stolz auf unsere Pressefreiheit, aber jeden Tag sehe ich - und das trifft auch auf Sie zu - eine Art von Unaufrichtigkeit und Tatsachenverzerrung auch in der Berichterstattung; zum Beispiel über Typen wie mich, was natürlich unbedeutend ist, außer für mich; aber auch in der Berichterstattung von Nachrichten aus aller Welt. Wie kann ein freies Volk Entscheidungen ohne Fakten treffen? Wenn die Presse über Nachrichten von globaler Bedeutung so berichtet wie über mich, dann haben wir ein Problem.

Playboy: Wollen Sie damit sagen...

Sinatra: Nein, lassen Sie mich bitte ausreden. Haben Sie mal darüber nachgedacht, was für ein Risiko ich eingehe, indem ich mich so frei äußere? Können Sie sich die Flut an Schmähbriefen, Verwünschungen, Drohungen und Obszönitäten vorstellen, die ich nach der Veröffentlichung dieser Äußerungen erhalten werde? Schlimmer noch, den Boykott meiner Platten, meiner Filme, möglicherweise eine Bestreikung meiner Premiere im Sands. Warum? Weil ich es gewagt habe zu sagen, dass Liebe und Anstand nicht notwendigerweise mit religiösem Eifer einhergehen.

Playboy: Wenn Sie denken, dass Sie hier möglicherweise eine Grenze überschreiten, ihr Publikum beleidigen oder womöglich finanziellen Selbstmord begehen, sollen wir dieses Gespräch dann hier beenden, den Mitschnitt löschen und noch einmal mit weniger Verfänglichem beginnen?

Sinatra: Nein, lassen Sie das Band laufen. Ich habe über all dies jahrelang nachgedacht, mich danach gesehnt, diese Dinge auszusprechen. Wen habe ich denn verletzt mit meinen Worten? Welche moralische Verfehlung habe ich begangen? Nein, ich will jetzt nicht den Schwanz einziehen. Los, mein Freund, die Zeit läuft.


Übersetzung: Manuela Lindkamp, Joseph Wolsing

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Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    Das ist wirklich ein erstaunliches Interview. Danke für die gelungene Übersetzung!

    Frank Sinatra hätte ich jetzt nicht in erster Linie in die Reihe der Religionskritiker eingeordnet. Hochachtung vor seiner scharfsinnigen Analyse speziell der amerikanischen Gläubigen-Szene. Ich kann und will dem nichts hinzufügen, außer: "That was your way!" In den 60er-Jahren mutig, fast selbstmörderisch, ihn zu beschreiten. Meinen Applaus dafür! Das Schlimme ist nur: Die Zeit läuft noch immer...

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