Gab es Jesus wirklich?

Über falsche Zeugen und Mystiker

Gab es Jesus wirklich?

Bild: Pexels.com / SevenStorm JUHASZIMRUS

Gab es Jesus wirklich?

Über falsche Zeugen und Mystiker

Komplexes Thema, und aus diesem Grund auch hochumstritten. Das hängt damit zusammen, dass jede geschichtliche Rekonstruktion kompliziert ist, weil man es mit nur teilweise bekannten Fakten zu tun hat.

Es ähnelt dem Versuch eines Detektivs, einen Mord zu rekonstruieren - bloß, dass man nicht vor Ort sein kann, und nicht kurz nach der Tat, und dass viele Spuren vollkommen ausgelöscht worden sind. Stattdessen hat man nur Berichte vom Hörensagen.

Das ist das Hauptproblem der Frage: Man hat nicht mehr als Geschichten dem Hörensagen nach, bei denen es unbekannt ist, wie lang die Kette der Überlieferungen ist (stille Post). Herausgekommen sind viele Geschichten, die sich zum Teil fundamental widersprechen. Was bedeutet, dass nicht alles wahr sein kann, es könnte aber auch alles falsch sein. Zudem finden wir Spuren späterer Überarbeitung, und selbst die ältesten Manuskripte (Codex Vaticanus, Anfang 4. Jahrhundert, und Codex Sinaiticus, Mitte 4. Jahrhundert) weisen auf jeder Seite Abweichungen voneinander auf. Um die modernen Bibeln steht es noch schlimmer, denn die beruhen in keinem Fall auf den frühesten Schriften, sondern auf Überlieferungen über Jahrhunderte, bei denen immer etwas verändert wurde. Man hat sogar sehr spät noch ganze Passagen in die Texte geschmuggelt, wie die Perikope mit der Ehebrecherin im Johannesevangelium, die in allen frühen Manuskripten fehlt, oder das lange Ende des Markusevangeliums, von dem sich in den frühen Texten auch nichts findet.

Von den Paulusbriefen sind sechs von dreizehn gefälscht, d. h., der Autor, der vorgibt, Paulus zu sein, war jemand anders. Praktisch alle Paulusbriefe wurden zudem später von einem katholischen Redakteur überarbeitet und ergänzt. In der Fachsprache redet man vom „pastoralen Stratum“, das sich inhaltlich und stilistisch vom ursprünglichen Autor abhebt. Der imitiert zwar Paulus, aber der Schreibstil ist wie ein Fingerabdruck schwer zu fälschen.

Alle Versuche, die ursprünglichen Texte zu rekonstruieren, müssen daher aus logischen Gründen fehlschlagen. Es gab vier Wellen, um zu rekonstruieren, was Jesus wirklich gesagt hat. Sie alle arbeiteten mit verschiedenen, teilweise sich widersprechenden Annahmen, und alle schlugen spektakulär fehl. Trotzdem meint fast jeder Theologe und Christ, man wüsste, was Jesus wirklich gesagt und getan hat.

Es kann keinen Zweifel daran geben, dass die frühen Christen keinerlei Skrupel hatten, Schriften zu manipulieren, zu erfinden, umzuschreiben, zu vernichten, weil diese erst viel später als heilig galten. Wer denkt, die Kirche hätte Schriften anerkannt, die nicht im Groben ihrer Lehre entsprachen, dessen Menschenkenntnis muss man als äußerst mangelhaft einstufen. Der Besitz nicht-kanonischer Schriften stand zudem unter Todesstrafe, sodass wir nicht einmal annähernd wissen, was alles an Informationen verloren ging, oder wie es verändert wurde. Denn von nichts besitzen wir ein Originalmanuskript.

Jesus ist daher eine rein literarische Figur, über die wir nur Berichte von Leuten mit einer theologischen Agenda haben, die über eine lange Kette von Hörensagen entstand.

Vor allem gibt es nicht einen einzigen Bericht eines Zeitgenossen über Jesus. Alles, was man anführt, kommt wie die Evangelien viel zu spät. Und da man weiß, wie wenig Christen davor zurückschreckten, Schriften zu fälschen, findet man auch in allen diesen so gerne angeführten Stellen Spuren solcher Fälschungen (siehe auch: Hermann Detering: Falsche Zeugen - Außerchristliche Jesuszeugnisse auf dem Prüfstand). Detering, ein Theologe, hält aus sehr guten Gründen sämtliche Stellen bei Flavius, Tacitus, Sueton und was sonst noch so angegeben wird, für Fälschungen.

Eigentlich spielt es keine Rolle, ob es Jesus gab: Unter diesen vielen Veränderungen kann sich niemand einbilden, er hätte irgendeine Information, die auch nur halbwegs gesichert ist. Im Grunde macht jeder Christ genau das, was die Evangelisten auch machten - sie erfinden sich aufgrund mangelnder Informationen ihren eigenen Jesus und bilden sich ein, sie wüssten etwas über einen realen Jesus.

Das wäre nicht so schlimm, wenn da nicht einiges auf dem Spiel stünde. Denn die katholische Kirche und alle ihre Abspaltungen wie die griechisch-orthodoxe Kirche, die protestantischen Kirchen, selbst die altkatholische Kirche, beziehen ihre Legitimation von einer ununterbrochenen Kette von Jesus hin zu ihren Bischöfen und Päpsten. Klar, kaum jemand weiß, dass diese „ununterbrochene Kette“ erst im elften Jahrhundert erfunden wurde, aber wenn es keinen Jesus gab, sind alle Lehren und Legitimationen aller Kirchen null und nichtig.

Deswegen kann man, wenn man etwa auf die Idee käme, es gäbe keinen Jesus, mit der machtvollen Opposition der Kirche rechnen. Innerhalb der Kirchen und ihrer beeinflussten und assoziierten Organisationen ist es daher ein „Todesurteil“, sich nur mit der Frage zu beschäftigen. Früher im wörtlichen Sinne, heute bedeutet es „nur“ den Tod der eigenen Karriere, zu viele kritische Fragen zu stellen. Die Existenz von Theologen wurde schon für viel weniger ruiniert oder vernichtet. Auch für Historiker gilt das, wer in Deutschland versuchen würde, eine Doktorarbeit über das Thema zu schreiben, der würde scheitern, wenn das Ergebnis nicht in kirchlich gewünschtem Sinne ausging. Danach wäre die akademische Karriere auch außerhalb der theologischen Fakultäten beendet. Es gibt dazu viele interessante Fallbeispiele von Menschen, die ihre akademische Existenz dadurch ruiniert haben.

Wer da eine unvoreingenommene Ansicht von Theologen oder Historikern erwartet, den kann man nicht einfach als naiv bezeichnen, abgrundtief dämlich träfe es noch zu höflich.

Es gibt zur Historizität von Jesus nur ganze zwei Peer Reviewed Studien von Historikern, die Fachleute für die Zeit und das Gebiet sind. Eine von Dr. Ralph Lataster, und eine von Dr. Richard Carrier. Beide kommen zu einem negativen Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen historischen Jesus gab, ist äußerst gering.

Jesus-Mystiker

Es gibt da eine nicht neue, sondern sehr alte Richtung, von Leuten, die man Jesus-Mystiker nennt. Diese bestreiten die Existenz eines historischen Jesus. Alt ist diese Richtung, weil sie sich in der Geschichte verliert, offensichtlich gab es von Anfang an eine kleine Gruppe von Leuten, die Jesus für eine mystische Person hielten.

Aufschwung bekam diese Richtung vom Historiker Earl Doherty. Sein Werk wurde zunächst praktisch nicht zur Kenntnis genommen, denn er schrieb es als Student der Geschichtswissenschaft (inzwischen besitzt er einen Abschluss in Geschichtswissenschaften). Aber er brachte ein neues Argument ins Spiel, eines, das zuvor noch niemand so systematisch bedacht hatte. Wenn man nämlich alle Schriften der Christen bis zum Jahre 150 nimmt, mit Ausnahme der Evangelien, dann kann man nicht auf die Idee kommen, dass Jesus eine historische Person gewesen sei. Die Evangelien wurden erst etwa im Jahr 150 bekannt, davor wusste niemand von ihnen. Mit den Evangelien gab es einen Umschwung, und dafür gibt es sogar einen Kronzeugen: Justin der Märtyrer. In seiner Biografie, die er nach 150 schrieb, erzählt er über die Gründe, warum er zum Christentum konvertierte - und es sind rein philosophische Gründe, weil, so sagt er, er damals von einem sterbenden und wiederauferstehenden Jesus nichts gewusst habe. Erst mit dem Auftauchen der Evangelien um 150 ändert sich das.

Paulus schreibt an keiner Stelle von einem historischen Jesus. Die modernen Theologen schrecken nicht einmal davor zurück, bestimmte Textstellen falsch zu übersetzen, um den Eindruck zu erwecken, Paulus schriebe über einen irdischen Jesus. So wird die Stelle „Jesus wurde nach einer Frau gemacht“ überall als „Jesus wurde von einer Frau geboren“ falsch übersetzt. Man liest die Paulusbriefe, und alle anderen Schriften, mit den Evangelien im Hinterkopf! Man kann das griechische Verb „mit etwas gemacht oder hergestellt“ nicht mit „geboren“ übersetzen, dafür gibt es ein anderes Verb, das Paulus auch an diversen Stellen verwendet. An anderen Stellen wird dasselbe Verb aber korrekt mit „gemacht“ oder „hergestellt“ übersetzt. Wir sehen hier (wie überall) eine theologische Agenda am Werk, und das nicht nur heute, sondern seit 2000 Jahren.

Offenkundig gab es vor dem Jahr 150, als die Evangelien aus ihrer Versenkung auftauchten, kaum jemanden, der Jesus für eine historische Figur hielt. Jesus war fast anderthalb Jahrhunderte eine himmlische Figur, die im Himmel existierte, und dort von Dämonen gekreuzigt wurde, um damit die Menschen vom Joch eines bösen Gottes (Jahwe) zu erlösen. Paulus schreibt dies sogar explizit: Jesus wurde nicht von Römern gekreuzigt, oder von Juden, sondern von den „Fürsten des Zeitalters“, eine gebräuchliche Umschreibung für „Dämonen“. Die Gnostiker glaubten damals, es gäbe zwei Götter: Den bösen Gott Jahwe, den Demiurgen, der die Welt erschaffen hat, und einen guten Vatergott. Jesus war im Himmel gesandt worden, um den bösen Gott zu besänftigen und von ihm die Befreiung der Menschen zu erwirken.

Das macht mehr Sinn, als dass Gott sich selbst als Inkarnation seiner Selbst schickt, um sich umbringen zu lassen, um damit einen Blutfluch zu tilgen, den er selbst bewirkt hatte.

Die meisten apokryphen Evangelien wurden abgelehnt, weil sie gnostischer Natur waren. Die Kirche war gegen die Gnosis. Dabei gab es vor der katholischen Kirche die Kirche Marcions, die zu dessen Zeiten erheblich größer war als die katholische Kirche.

Inzwischen vermutet man, dass das ursprüngliche Johannesevangelium gnostischer Art war und später von einem katholischen Redakteur umgeschrieben wurde. Die Anzeichen einer Überarbeitung sind deutlich zu sehen, die sogenannten redaktionellen Nähte. Auf diesem basiert das Evangelium nach Markus, der auf die Idee kam, aus dem himmlischen Jesus einen irdischen zu machen. Von ihm schrieb Matthäus zu 90 % sein Evangelium ab, korrigiert um die zahlreichen historischen und geografischen Fehler, die der Markus-Evangelist gemacht hatte, weil er weder Land noch Leute kannte. Lukas wiederum schrieb große Teile seines Evangeliums von den „Evangelium nach Marcion“ ab, das von Marcion oder einem seiner Schüler verfasst worden war, nutzte aber auch Markus und Matthäus intensiv. Und Paulus wandelte ebenfalls ein katholischer Redakteur von einem Gnostiker in einen kreuzbraven Katholiken um, indem er die Briefe „ergänzte“.

Wenig überraschend übrigens, dass die meisten apokryphen Evangelien, die wir kennen, deutlich gnostisch sind, mit ein paar Ausnahmen von Evangelien, die erheblich später verfasst wurden.

Die meisten Theologen beschäftigen sich nicht mit den Jesus Mystikern, verbreiten aber gerne die Lüge, man habe deren Thesen schon längst widerlegt. Der Professor für neutestamentarische Theologie, Price, fragt daher: Wann soll das denn geschehen sein?

Inzwischen gibt es ein einziges Buch eines kritischen Theologen, der sich mit der Theorie beschäftigt, es hätte keinen historischen Jesus. Ein einziges Werk. Dieses hier: Bart D Ehrman: Did Jesus exist?. Ehrman ist an sich bekannt für seine hervorragenden Werke zu Jesus und den Evangelien, aber dieses Buch ist so grottenschlecht, dass seine Kritiker argwöhnten, er habe es an einem Wochenende von ein paar Studenten zusammenschreiben lassen. Ehrman bestreitet diesen Vorwurf, wir müssen uns also vorläufig damit begnügen, dass ein Experte auf dem Gebiet keine wirklich guten Gründe weiß, die für einen historischen Jesus sprechen. Das Buch behandelt die vielen Argumente nur sehr oberflächlich, und ignoriert einige, andere werden falsch dargestellt. Die Verteidigung eines historischen Jesus besteht zum großen Teil nur daraus, dass viele Theologen und Historiker annehmen, einen solchen habe es gegeben. Ein Drittel des Buches von Ehrman besteht alleine auf dem logischen Fehlschluss der Berufung auf Autoritäten, und der Behauptung, wer dem nicht zustimmt, sei keine Autorität!

Das erbärmlich zu nennen wäre noch euphemistisch.

Man darf auch nicht übersehen, dass Ehrman an anderen Stellen leichtes Spiel hat, weil es viele abstruse Theorien von dubiosen Jesus-Mystikern gibt, die von zweifelhaftem Gehalt sind. Auf die schießt sich Ehrman ein, aber das haben andere Jesus-Mystiker vor ihm auch schon getan, wie beispielsweise Dr. Richard Carrier.

Das Gebiet ist inzwischen in Bewegung geraten. Es reicht nicht mehr, sich hinter der schieren Masse der Autoritäten zu verbergen, sondern man muss fragen, welche Argumente gibt es, und wie wägt man sie gegeneinander ab? Man sollte nicht vergessen, als der akademische Außenseiter Albert Einstein seine Theorien veröffentlichte, hat er die absolute Mehrheit aller Physiker weltweit gegen sich. Niemand hätte so leicht voraussehen können, dass diese Auseinandersetzung komplett zugunsten von Einstein ausging.

Ich denke, dass wir am Anfang eines Paradigmenshifts stehen, ähnlich der Relativitätstheorie. Wie es ausgeht, ist schwer vorauszusehen. Nachdem, was ich von beiden Seiten weiß, tippe ich jedoch darauf, dass langfristig sich die Erkenntnis durchsetzen wird, dass es nie einen historischen Jesus gab.

Wir hatten eine ähnliche Auseinandersetzung innerhalb der Archäologie über die biblischen Patriarchen: Abraham, Isaaak, Jakob, Moses, David, Salomon etc. Heute besteht der überwältigende Konsens der Archäologen darin, dass es eventuell vielleicht möglicherweise doch wenigstens einen davon gegeben haben könnte, nämlich David. Die anderen sind jedoch alle reine Erfindungen, es hat sie nie gegeben. David hängt an einem seidenen Faden, der stark verwitterten Inschrift einer Stele, die sich kaum entziffern lässt, und vermutlich von David handelt. Bei allen anderen ist es längst klar, dass sie nie existiert haben, obwohl gerade Theologen das ungerne zugeben.

Volker Dittmars Webseite: Religionskritik: Leben, Glauben, Religion, Gott.

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