Gibt es christliche Werte & christliche Moral? (3)

(hpd) Auf der Habenseite der monotheistischen Religionen wird gerne verbucht, dass ohne sie keine Werte existieren würden oder zumindest kein Anreiz, sich an irgendwelchen Werten zu orientieren. Buchautor Alfred Binder setzt sich in einer vierteiligen Serie mit dieser Behauptung auseinander.

Gibt es christliche Werte & christliche Moral? (3)

Bisher wurde dargestellt, dass bei der Diskussion über Werte meist nicht zwischen Werten, Tugenden und Normen unterschieden wird. Es scheint keine spezifischen christlichen Werte zu geben, da Werte, Tugenden und Normen immer Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse sind. Das Christentum ist aber nur eine Variante eines feudalen Weltbildes, deshalb ist anzunehmen, dass sich die christlichen Werte auch in anderen feudalen Gesellschaften finden. Bei den "Werten" Demut, Gehorsam, Nächstenliebe und Familie ist das auch der Fall. Auch die moralischen Normen sind nicht spezifisch christlich. Die moralischen Kerngebote finden sich in allen Gesellschaften.

Warum Moral keine Götter braucht

Der Mensch ist ein Herdentier und auf die anderen Menschen angewiesen. Es ist für ihn überlebenswichtig, was die anderen von ihm denken. Die anderen, das sind zuerst einmal die Eltern, dann die Familie, dann der Stamm – im Grunde eine Großfamilie – und schließlich die Geister, von deren Wohl und Wehe das Überleben aller abzuhängen scheint. Der Mensch musste und muss sich immer vor den anderen rechtfertigen, auch innerlich. Unsere inneren Dialoge bestehen zu einem großen Teil in Rechtfertigungsreden gegenüber anderen. Die Angst vor einer moralischen Anarchie, sollten übernatürliche Wesen als Strafdrohung entfallen, ist deshalb völlig unbegründet: Ob er will oder nicht, der Mensch hat die anderen als Richter in sich. Es braucht keine Götter, die für das schlechte Gewissen bei Regelverstößen sorgen, es genügt der missbilligende Blick oder die Strafandrohungen der anderen.

Es brauchte Strafen, damit die moralischen Gebote zuverlässiger eingehalten wurden. Menschen, welche auch noch mit jenseitigen Strafen rechneten, verhielten sich vermutlich ein bisschen regelorientierter und kooperativer, hatten damit ein bisschen größere Überlebensvorteile als Menschen, die nicht mit solchen Strafen rechneten.

Allerdings wissen wir nur zu gut, dass Androhungen von Jenseitsstrafen nur sehr begrenzt abschrecken, die grausame Geschichte der Menschheit beweist das zur Genüge. Immer wenn die Gewinnaussichten zu gut sind oder der Bauch zu leer ist, "vergisst" der Mensch die Moral. Große Macht und großer Reichtum sind zu verlockend, nicht einmal die Androhung ewiger Folter schreckt die Menschen davon ab, diesen Verlockungen zu widerstehen.

Die Angaben über die Zahl der Kriege und ihrer Toten in der bisherigen Menschheitsgeschichte schwanken stark. Laut Wikipedia, Stichwort Krieg, haben "in der historisch belegten Menschheitsgeschichte knapp 14.000 Kriege stattgefunden, denen ungefähr 3,5 Milliarden Menschen zum Opfer gefallen sind". Die Wikipedia-Eintragung beruft sich auf eine Veröffentlichung der Universität Oxford aus dem Jahre 2008. Andere Zahlen nennen "nur" 1.200 Kriege mit "nur" 1,25 Milliarden Toten. Bis auf wenige Ausnahmen waren in der Geschichte der Menschheit alle Menschen religiös. Dass Religionen und ihre Werte und Normen, die Menschen vor unmoralischen, grausamen und leidbringenden Handlungen bewahrten, kann man also weiß Gott nicht sagen. Man könnte sogar vermuten, dass das Gegenteil der Fall ist. Heute ist in schwach religiösen Gesellschaften die Kriminalitätsrate niedriger als in stark religiösen. Das kann allerdings auch andere Gründe als die Religiosität haben.

Nach unserer Erklärung der Entstehung der Moral sollte es keine prinzipiellen Unterschiede zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen in Bezug auf die moralischen Kerneinstellungen geben. Und tatsächlich korreliert, so ergaben Untersuchungen, die Einhaltung der moralischen Gebote nicht mit dem weltanschaulichen Hintergrund (siehe Blume, Michael/Vaas, Rüdiger: Gott, Gene und Gehirn. München 2008).

Religiöse und nichtreligiöse Menschen haben allerdings in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die wir als moralische bezeichnen, unterschiedliche Einstellungen und Werte. So befürworten wesentlich mehr religiöse Menschen die Todesstrafe, sind häufiger gegen Empfängnisverhütung, Schwangerschaftsabbruch und gleichgeschlechtliche Liebe. Religiöse Menschen sind eher autoritärer und intoleranter. Sie befürworten deshalb auch härtere Sanktionen bei Verletzung der Kerngebote.

Auch moralische Gebote, die nicht zu den Kerngeboten zählen, finden sich wahrscheinlich in allen vormodernen Gesellschaften, so die, die eigenen Götter und Eltern zu achten, und das sexuelle Treuegebot.

Die Behauptung, Moral bedürfe der Religion, geht für viele Moralphilosophen auch an der Sache der Moral vorbei: Wer nur aus Angst vor Strafe, die moralischen Gebote befolgt, verhält sich, in den Augen dieser Philosophen, gerade nicht moralisch. Für sie steht die Moral über jeder Religion. Dass diese Meinung nicht so abwegig ist, können wir uns an folgender Überlegung klar machen: Was wäre, wenn Gott die moralischen Gebote ändern würde, wenn er uns etwa stehlen, lügen und morden befehlen würde? Für die genannten Moralphilosophen ist die Antwort klar: Dann dürften wir ihm nicht gehorchen. In diesem Sinne meint der zeitgenössische Philosoph Peter Fischer, "nicht der religiöse Mensch ist die Sittenregel, sondern die Vernunft gibt sie vor". Auch der Gläubige muss sich den "Moralgeboten der Vernunft unterwerfen" (Fischer, Peter: Philosophie der Religion. Göttingen 2007, S. 72).

Die Verbindlichkeit der Moral beruht auf Einsicht, nicht auf Gehorsam. Auf der Einsicht, dass ein Zusammenleben nach moralischen Regeln wesentlich besser ist als ein Zusammenleben ohne solche Regeln. Und wenn man will: Auf der Erfahrung, dass erst die Moral dem Menschen Würde verleiht.

Alfred Binder

Alfred Binder hat Bücher zum Zen-Buddhismus und zur Kritik der Religionen verfasst. Der vorliegende Essay fasst Ergebnisse seiner soeben erschienenen kurzen Kritik der monotheistischen Götter "Jahwe, Jesus und Allah" zusammen.

Alfred Binder: Jahwe, Jesus und Allah. Eine kurze Kritik der monotheistischen Götter. Reihe Kritikpunkt.e. Aschaffenburg 2013, Alibri; 165 Seiten, kartoniert, Euro 10.-, ISBN 978-3-86569-121-7

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