Wann findet es ein Ende?
Es macht keinen Spaß, als Freidenker einem sich immer stärker zuspitzenden innerwestlichen Kulturkampf gegenüberzustehen. Mit jeder Positionierung zu irgendeinem Thema wird man einem von zwei verfeindeten Lagern zugeordnet, „Woke“ oder „Neuen Rechten“. Aber ich gehöre keinem Lager an, sondern versuche herauszufinden, was wahr und was gut ist. Und was überhaupt los ist.
Hier die kuriose Mischung einiger meiner aktuellen politischen Auffassungen:
Ich bin:
- für Gleichberechtigung und Inklusion von LGBT inklusive Transpersonen und Genderqueers und allen anderen.
- für den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen.
- für Tierwohl, man sollte möglichst kein Fleisch mehr unter Biostandards essen.
- für die staatliche Entlohnung von Personen, die ihre Karriere unterbrechen, um zu Hause Kinder oder Angehörige zu erziehen/pflegen (eine radikale feministische Position).
- für eine stärkere Besteuerung der höchsten Einkommen.
Bis zu der Stelle bin ich eine Art linksgrünversiffter sozialistischer Ökospinner. Ich bin aber auch:
- gegen Gendern in bestimmten Kontexten
- für Atomkraft (ergänzend zu Wind und Solar)
- für freie Debatten, inklusive zwischen den extremen Lagern
Leute, die nur die letzten drei Positionen gehört haben, ordneten mich gerne ohne Zögern in AfD-Nähe ein. Übrigens denke ich, dass die AfD verboten werde sollte.
Dabei bin ich nur aus zwei Gründen in bestimmten Kontexten gegen Gendern (in anderen Kontexten kann es durchaus sinnvoll sein, zu gendern):
1. Aus denselben sprachbezogenen Gründen, die der Rat für deutsche Rechtschreibung darlegt (nein, der ist nicht „rechts“, das sind Sprachwissenschaftler, die die amtliche Schreibung festlegen): „Sonderzeichen innerhalb von Wörtern beeinträchtigen die Verständlichkeit, die Lesbarkeit, die Vorlesbarkeit und die automatische Übersetzbarkeit sowie die Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten.“
2. Weil ein sehr großer Teil der deutschen Bevölkerung nach wie vor das Gendern schlichtweg ablehnt. Und Texte nicht liest und sich Vorträge nicht anhört und sich Videos nicht ansieht, in denen gegendert wird. Das ist einfach so, und man muss es akzeptieren, wenn man mit einem großen Teil der Bevölkerung kommunizieren möchte. Auch muss einen Demokraten dies einfach interessieren. Ob er diese Meinung dumm oder richtig findet.
Aus Sicht der Inklusion von Frauen und LGBT verstehe ich das Anliegen hinter Gendern und manchmal mache ich das auch. Kurioserweise habe ich den Sprachgebrauch der trans Personen übernommen (nämlich „trans“ als Adjektiv zu verwenden), bin aber weiterhin skeptisch gegenüber dem Gendern.
Man könnte also differenziert über allerlei Dinge reden und differenzierte Meinungen entwickeln.
Den Feinden des Westens nicht in die Falle gehen
Ich hoffe, dass der Kulturkampf rasch ein Ende findet. Das ist ein Phänomen, das von Putins Russland sowie von China angefacht wird durch manipulative Maßnahmen in den sozialen Medien und durch ihre eigenen Medien. Ihr Ziel ist es, den Westen zu destabilisieren. Wer pro-westlich ist, und so stilisiert sich ein Teil der Kulturkämpfer, der darf diesem dualistischen Lagerdenken nicht auf den Leim gehen und muss jede Beteiligung am Kulturkampf einstellen.
Der Kulturkampf dreht sich um einen konstruierten Konflikt zwischen „Woken“ und „Neuen Rechten“. Ich weiß nicht, ob es richtige „Woke“ überhaupt gibt, wobei einige Akteure Sprache und Forderungen, die nach „linker Identitätspolitik“ klingen, füre ihre eigenen Zwecke missbrauchen. Es gibt Neue Rechte, nur sind die eine winzige Minderheit, die alleine keine Möglichkeit hätte, einen großen Kulturkampf zu führen.
Ein Beispiel für einen manipulativen Akteur gab es auf Twitter. Ein Account versuchte, die Kritik an Greta Thunbergs „Israelkritik“ seitens Volksverpetzer als „Mansplaining“ durch privilegierte Weiße zu verunglimpfen. Ich habe diese Manipulation transparent gemacht, dafür gab es einen Like von Volksverpetzer.
Hier haben wir also Volksverpetzer (der selbst als „woke“ gilt) und Feuerbringer (ja, ich rede von mir in der dritten Person), die beide einen manipulativen Gebrauch von Woke-Phrasen kritisieren. Aber gibt es auch einen nicht-manipulativen Gebrauch von Woke? Was ist Woke überhaupt? Ist linke Identitätspolitik fundamental anders als herkömmliche linke Anliegen? Ist Woke eine neurechte Konstruktion, die einige Linke ernsthaft vertreten? Gibt es Woke eigentlich nicht und es ist nur ein Kampfbegriff?
Beim Thema Nahostkonflikt hat sich die Linke in den meisten Ländern stark gegen Israel positioniert, in Deutschland allerdings nicht. Hier stehen SPD, Grüne und auch Teile der Linkspartei an der Seite Israels und alle verurteilen die Hamas. Manchmal wird die antisemitische Kritik an Israel seitens Linker den „Woken“ zugeschrieben, doch wie kann das sein, wenn die Grünen angeblich die personifizierten Woken sind, diese jedoch zu Israel stehen?
Es ist kaum begreifbar, was im Kulturkampf zwischen „Woke“ und „Neuen Rechten“ überhaupt vor sich geht, was davon real ist und was nicht, wer was konkret vertritt, wer nur manipulativ bei einer Seite mitmischt, inwiefern die Seiten konstruiert wurden, um dem Westen zu schaden. Ich gebe es auf.
Versuch einer Differenzierung
Man könnte auch konstruktiv über politische Belange reden. Hier habe ich versucht, Israelkritik von Antisemitismus zu unterscheiden:
Der Account der Bornplatz-Synagoge empfand meine obigen Ausführungen als guten Beitrag:
Es handelt sich um eine Synagoge in Hamburg, die zusammen mit einer Stiftung (die diesen Account betreibt) in der Nähe meines Wohnorts wieder neu errichtet wird. Die ursprüngliche Bornplatzsynagoge war von den Nazis geplündert und zerstört worden.
Es ist schön, dass mir am Ende zumindest noch ein differenzierter politischer Beitrag gelungen ist, der nicht in den Kulturkampf hineingezogen wurde.
Ausstieg aus der Politik
Da ich etwas pro Atomkraft und gegen Gendern gesagt habe, werde ich wohl für immer für manche „rechts“ sein. Und angesichts meines Engagements für die Inklusion von trans Personen für andere für immer ein „woker Transaktivist“. Dass es nicht konstruktiv ist, in solchen dualistischen Konzepten zu denken, lässt sich kaum noch vermitteln.
Ich habe Twitter von meinem Smartphone deinstalliert und schaue nur noch gelegentlich auf dem Laptop auf die App. Auch in anderen sozialen Medien tue ich fast nichts mehr. Der Kulturkampf widerspricht fundamental meiner Art zu denken, er ist dort jedoch kaum noch zu vermeiden.
Stattdessen investiere ich den intellektuellen Teil meiner freien Zeit nur noch in meine Vorträge für die GKP und die Humanistische Vereinigung. Es ist schade, aber leider eine Tatsache, dass es einfach nicht mehr möglich ist, öffentlich konstruktiv über gesellschaftliche Belange zu diskutieren. Ich ziehe mich aus der Politik zurück und befasse mich öffentlich nur noch mit Geschichte, Philosophie und Kunst.
Jeder muss wissen, welche Schlachten es wert sind, geschlagen zu werden.
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