Gott: Die große Projektion

Die „intelligentes Design“ – Theorie, wobei ich das Wort „Theorie“ rein umgangssprachlich verwende, ist ein klassisches Argumentum ad ignorantiam (Fehlschluss aus Unwissenheit). Es beruht ausschließlich auf dem Unbekannten und möchte die fehlenden Beweise als positive wissenschaftliche Grundlage für die Theorie, dass ein intelligenter Designer das Universum erschaffen hat, darstellen. Aber, wie die meisten rationalen Menschen wissen, bezeugt Unwissenheit nur Unwissenheit und sonst nichts.

Gott: Die große Projektion

Oder logisch formuliert: Die Abwesenheit von Kenntnissen über X (Herkunft) legitimiert in keiner Weise Kenntnisse über Y (Gott). Bewanderten Atheisten ist dieser „Gott der Lücken“ als Grundlage der „intelligentes Design“ – Theorie hinreichend bekannt, also möchte ich den Angriff auf diese absurde Theorie durch eine Betrachtung aus psychologischer und neurologischer Perspektive ergänzen.

Als ich zum ersten Mal von der Pareidolie las, begann ich über ihre Verbindung zur Projektion nachzudenken, und dies brachte mich wiederum auf den Gedanken, mich mit dem psychologischen Fundament der „intelligentes Design“ – Theorie zu befassen. Aber, wie so oft, greife ich den Dingen vor – beginnen wir also beim Anfang.

Ich sollte wohl zuerst erklären, was die Pareidolie ist und in welcher Beziehung sie zur Projektion steht, und inwiefern diese Beziehung eine überzeugende Erklärung für das falsche Wesen der „intelligentes Design“ – Theorie bietet.

 

Pareidolie

Pareidolie ist das Phänomen, in wahllosen und bedeutungslosen Dingen oder Geräuschen vermeintlich kenntliche oder bedeutungsvolle Muster zu erkennen. Das angebliche „Marsgesicht“, das für die Fans von Außerirdischen und anderen Verschwörungstheoretikern ein gefundenes Fressen war, und das 28.000 Dollar-Käsesandwich, auf dem scheinbar das Gesicht der Jungfrau Maria zu sehen ist (das, wenn man mich fragt, eher wie Marilyn Manson aussieht), sind nur zwei Beispiele für visuelle Pareidolie. Dieses Phänomen existiert, weil unser Gehirn prädisponiert dafür ist, vertraute Muster zu suchen und zu finden; auch dort, wo es keine zu finden gibt. Wir tun das, indem wir den Informationen etwas hinzufügen, oder etwas abziehen, oder mittels Data-Mining, um inmitten all der zufälligen Reize auf erkennbare Muster zu kommen. Unser Gehirn ist nicht nur darauf programmiert, auf diese Art vorhandene und nicht vorhandene Muster zu entdecken, es ist auch darauf ausgerichtet, diese Muster mit emotionaler Bedeutung zu erfüllen, einer Bedeutung, die nur in unserem Verstand existiert. Dieser Bearbeitungsprozess hat mich darüber zum Nachdenken gebracht, wie Pareidolie und Projektion miteinander verbunden sind und in welcher Beziehung sie zur „intelligentes Design“ – Theorie stehen. Doch wieder greife ich den Dingen vor.

 

Projektion

Wie allgemein bekannt ist, bezeichnet Projektion in der Psychoanalyse das Übertragen persönlicher Attribute oder Eigenschaften auf andere Menschen und unsere Umgebung. Die Grundidee hinter diesem psychologischen Phänomen wäre etwa, dass ein wütender (oder unhöflicher) Mensch fälschlicherweise einer anderen Person vorwirft, wütend (oder unhöflich) zu sein. Dies ist ein grob vereinfachendes Beispiel, doch noch vor Freuds Formalisierung der Projektion beschrieb der antike griechische Schriftsteller Xenophanes (570 ~ 475 v.u.Z.) die für diesen Beitrag relevante Art der Projektion. Er schrieb wörtlich:

„…die Götter der Äthiopier waren zwangsläufig schwarz und hatten flache Nasen, während die der Thraker blond und blauäugig waren.“

Diese Art der Beobachtung spiegelte sich später in den Worten des berühmten sokratischen Philosophen Aristoteles wider, der bemerkte:

„Die Menschen schaffen sich Götter nach ihrem Ebenbild, nicht nur in Bezug auf ihre äußere Form, sondern auch in Bezug auf ihre Lebensweise.“

Erst im 19. Jahrhundert formalisierte der hegelianische Philosoph und Humanist Ludwig Feuerbach diese Form der Projektion zu einer systematischen kritischen Abhandlung über alle Religionen. In seinem Werk „Das Wesen des Christentums“ führte er an:

„Der Gegenstand des Subjekts ist nichts andres als das gegenständliche Wesen des Subjekts selbst. Wie der Mensch sich Gegenstand, so ist ihm Gott Gegenstand; wie er denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott. So viel Wert der Mensch hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott. Das Bewusstsein Gottes ist das Selbstbewusstsein des Menschen, die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des Menschen. Aus seinem Gotte erkennst du den Menschen, und hinwiederum aus dem Menschen seinen Gott.“

Als empfindungsfähige und soziale Wesen beherrschen wir die Projektion hervorragend. Wir projizieren auf unsere Angehörigen, auf Prominente und Politiker ebenso wie auf unbelebte und, wie Feuerbach und unsere zwei griechischen Zeugen bemerkten, auf nicht-existierende Wesen. Das meiste von dem, was wir über jemanden zu wissen glauben, ist nur eine fahle Reflektion der Realität dieser Person, ein Schatten, der an die Wände unserer Höhle geworfen wird, wie Plato es vielleicht formuliert hätte. Der Großteil dessen, was wir über jemanden zu wissen glauben, ist nur die Projektion unseres eigenen internen Modells dieser Person, eine nachbearbeitete Realität, erschaffen von einer Reihe neurologischer und psychologischer Mechanismen. Wie bereits erwähnt, trifft dies auch auf die Götter zu; dies führt uns nicht nur zu der Verbindung zwischen Pareidolie und Projektion, sondern auch zur psychologischen Grundlage der „intelligentes Design“ – Theorie.

Soweit mir bekannt ist, gibt es keine einzige wissenschaftliche Veröffentlichung eines einzigen Befürworters der „intelligentes Design“ – Theorie, die die Existenz eines Schöpfers behauptet, der die Welt auf dem Panzer einer Schildkröte geschaffen hat, oder eines Schöpfers, der wie Marduk in der antiken babylonischen Sage die wütende Göttin erschlug, zweiteilte, und mit ihrem zerlegten Kadaver den Himmel und die Erde schuf. Nein; die meisten – wenn nicht alle – der Befürworter der „intelligentes Design“ – Theorie treten für die biblische Version der Schöpfung ein, das vertraute Modell der Realität, das präsent ist in ihrer eigenen Kultur, in ihrer eigenen Religion und, was am aufschlussreichsten ist, in ihren eigenen Köpfen. Ihre wissenschaftliche Theorie ist bloß die subjektive Projektion eines egozentrischen religiösen Weltbilds bezüglich der eigenen Religion des Befürworters. Aufgrund dieser Tatsache müssen wir zu dem Schluss kommen, dass intelligentes Design und der Schöpfer, der auf diese Art aus den Untiefen des nicht falsifizierbaren Aberglaubens emporgehoben werden und inmitten des Weißen Rauschens zufälliger Informationen (oder auch in Ermangelung solcher) zusammengesetzt werden soll, ein sehr teures Käsesandwich ist, eine hervorragende Projektion.

 

Michael Sherlock hat Sozialanthropologie und Soziologie an der University of Tasmania studiert, ist Autor mehrerer Bücher und Blogger auf Atheist Republic.

Übersetzung von: Daniela Bartl, Adrian Fellhauer

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Kommentare

  1. userpic
    Bernd Kammermeier

    Antwort auf #1 von FrankSpecht:
    > Warum versteift sich der Autor auf das Intelligent Design?
    > Intelligent Design ist nur eine Strömung unter vielen bei den Christen. Was ist mit Gott / den Göttern anderer Strömungen und Religionen? Sind das keine Projektionen?
    >
    > Es liegt nahe, dass der Autor die Religionen per se bloß nicht angreifen wollte, sondern nur die Strömung, die sich einen wissenschaftlichen Faktor anmaßt - eben das Intelligent Design.

    Genau so ist es! Und genau deshalb ist es richtig. ID ist die einzige Bewegung, die einen Schulterschluss zwischen Glauben und Realität anstrebt. Wer die "Korrektheit" von Religion, bzw. den Inhalten sogenannter "heiliger" Bücher beweisen will, muss deren Inhalte irgendwie in wissenschaftliche Methodik einbauen, auf Biegen und Brechen. Allen "spirituellen" Religionen oder Religionsauslegungen mangelt es an ausreichend viel Kontakt zur Wirklichkeit, um noch ernstgenommen zu werden. Daher braucht man sich mit diesen Varianten nicht mehr auf argumentativer Basis auseinandersetzen. Sie haben vor der Wissenschaft längst kapituliert.

    > Außerdem ist der Begriff Pareidolie im Zusammenhang mit dem Gottesbegriff zu weit gegriffen. Pareidolie bezieht sich ganz konkret auf das Erkennen von Formen in realen Naturerscheinungen (Marsgesicht, Gesichter in Toastbroten oder Pflanzen, Figuren in Wolken, Hitlers Gesicht). Das Erkennen von Mustern in natürlichen Formationen ist untrennbar mit dem Überleben nicht nur der Spezies Mensch (Stichwort Mimikry) verbunden. Wir sind evolutionär noch nicht abgekoppelt von den natürlichen Abläufen! Pareidolie hat mit dem Gottesbegriff selbst nichts zu tun.

    Doch, hat es. Wenn man weiß, dass der monotheistische Gott eine Machtballung vieler/aller polytheistischer Götter darstellt, und diese wiederum Kondensate animistischer Geister und Dämonen sind, dann wird deutlich, dass es ohne Animismus keinen Monotheismus gegeben hätte. Und die Geister/Dämonen des Animismus sind direkte Ableitungen natürlicher Phänomene, die durch Mustererkennung als "belebt" angesehen wurden.

    > Einzig die Indoktrination des Götterglaubens hat es geschafft, dass auch reale, wie irreale, Erscheinungen göttlichen Prozessen unterworfen werden. Das ist einzig das Verdienst derjenigen, die die Macht innerhalb einer Gruppe beizubehalten pflegten. Dieser Prozess dürfte mit den ersten Schamanen oder Medizinmännern, oder wie sie hießen, die einen Machtanspruch für sich behaupteten, begonnen haben.

    Jein. Die Indoktrination setzte ein, lange nachdem der Animismus als völlig logisches Welterklärungsmodell etabliert war. Die Schamanen selbst hatten nie besondere Machtpositionen. Das hat erst später das Berufspriestertum erfunden. Und da entstand die Indoktrination als wesentliches, psychologisches Moment, um den Laden am Laufen zu halten.

    > Das bringt mich wieder zu dem Artikel. Es wird erklärt, wie bestimmte Kulturen ihren Gott / ihre Götter sehen, aka "projizieren". Das ist so logisch, dass es eigentlich gar nicht erklärt werden muss.

    > Der Artikel erklärt aber nicht, Projektion hin oder her, woher der Gottesbegriff überhaupt stammt und, in der Folge, warum für manche Menschen ein Gott überhaupt notwendig ist.

    Der Gottesbegriff ist natürlich das Ergebnis einer theologischen Evolution, die in der Revolution des Monotheismus gipfelte. Solange die "heiligen" Bücher wörtlich geglaubt wurden, waren Kreationismus und ID unnötig. Doch die Aufklärung hat uns auch den großen Designer geschenkt. Denn die Wissenschaft war dank ihrer unbestreitbaren Erfolge ein ernstzunehmender Gegner.

    > Fazit: Der Artikel ist betitelt mit "Gott: Die große Projektion". Im Artikel selbst lese ich aber nur die "kleine Projektion" der Anhänger des Intelligent Design.

    Die Projektion Gottes in die Welt der Wissenschaft beschreibt den einzig verbliebenen Gott. Alle anderen haben sich im Spiritismus aufgelöst und haben entweder Privatcharakter angenommen oder sind zu diffus, um in einem naturalistischen Sinne ernstgenommen zu werden.

    Antworten

    1. userpic
      FrankSpecht

      Warum versteift sich der Autor auf das Intelligent Design?
      Intelligent Design ist nur eine Strömung unter vielen bei den Christen. Was ist mit Gott / den Göttern anderer Strömungen und Religionen? Sind das keine Projektionen?

      Es liegt nahe, dass der Autor die Religionen per se bloß nicht angreifen wollte, sondern nur die Strömung, die sich einen wissenschaftlichen Faktor anmaßt - eben das Intelligent Design.

      Außerdem ist der Begriff Pareidolie im Zusammenhang mit dem Gottesbegriff zu weit gegriffen. Pareidolie bezieht sich ganz konkret auf das Erkennen von Formen in realen Naturerscheinungen (Marsgesicht, Gesichter in Toastbroten oder Pflanzen, Figuren in Wolken, Hitlers Gesicht). Das Erkennen von Mustern in natürlichen Formationen ist untrennbar mit dem Überleben nicht nur der Spezies Mensch (Stichwort Mimikry) verbunden. Wir sind evolutionär noch nicht abgekoppelt von den natürlichen Abläufen! Pareidolie hat mit dem Gottesbegriff selbst nichts zu tun.

      Einzig die Indoktrination des Götterglaubens hat es geschafft, dass auch reale, wie irreale, Erscheinungen göttlichen Prozessen unterworfen werden. Das ist einzig das Verdienst derjenigen, die die Macht innerhalb einer Gruppe beizubehalten pflegten. Dieser Prozess dürfte mit den ersten Schamanen oder Medizinmännern, oder wie sie hießen, die einen Machtanspruch für sich behaupteten, begonnen haben.

      Das bringt mich wieder zu dem Artikel.
      Es wird erklärt, wie bestimmte Kulturen ihren Gott / ihre Götter sehen, aka "projizieren". Das ist so logisch, dass es eigentlich gar nicht erklärt werden muss.

      Der Artikel erklärt aber nicht, Projektion hin oder her, woher der Gottesbegriff überhaupt stammt und, in der Folge, warum für manche Menschen ein Gott überhaupt notwendig ist.

      Fazit: Der Artikel ist betitelt mit "Gott: Die große Projektion". Im Artikel selbst lese ich aber nur die "kleine Projektion" der Anhänger des Intelligent Design.

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