Holt euch eure Unabhängigkeit zurück

Wir werden in diese Welt geboren ohne jede Kenntnis von Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Unsere Fähigkeiten sind begrenzt, unser Potential jedoch ist enorm. Wir sind in der Lage, komplizierte Probleme zu lösen, in Krisenzeiten näher zueinander zu rücken und komplexe Modelle zu entwickeln, die uns dabei helfen, den Ursprung des Universums zu verstehen.

Holt euch eure Unabhängigkeit zurück

Wir sind in der Lage, empirisch zu forschen und vernünftig und objektiv zu denken. Wir verfügen über die Kraft, uns selbst und die Menschen um uns herum zu lieben, unabhängig von Rasse, Geschlecht und sexueller Ausrichtung, und über die Möglichkeiten, dies auf Wegen auszudrücken, die früher unvorstellbar waren. Wir verfügen über genug Wissen, um die Wirklichkeit, in der wir leben, hinreichend zu verstehen, was uns die Schönheit unseres scheinbar banalen und zwecklosen Lebens erkennen lässt. Wir entdecken Hoffnung in der Menschheit und nutzen unsere geistigen Fähigkeiten für das Gedeihen der Gesellschaft. Für mich bedeuten diese Dinge, dass das Menschsein etwas Einzigartiges und Wundervolles ist. Die Religion jedoch bedroht genau diese Dinge, indem sie uns falsche und irrationale Annahmen und Ängste einimpft; aus ebendiesem Grund ist für mich die Religion eine dunkle Macht.

Um erfolgreich zu sein, muss eine Religion – egal, um welche es sich handelt – einen Weg finden, um aus unseren Unzulänglichkeiten, Ängsten und Wünschen Kapital zu schlagen. Diese Vorstellung beunruhigt mich. Sie entzieht uns unsere Fähigkeit, das Wunder, das unsere Existenz darstellt, wirklich zu verstehen. Sie muss eine „Wir gegen den Rest“ – Mentalität in den Gedanken der Gläubigen erzeugen, um ihre Gemeinschaft zusammenzuhalten. Das Leugnen wissenschaftlicher Fakten, die Unterdrückung und Unterwerfung der Frauen, die soziale Ablehnung der Mitglieder der LGBT-Gemeinschaft und das Unterdrücken von Wissen sind nur einige der vielen Unrechtstaten, die die Religion begangen hat. Doch am meisten macht mir die Vorstellung Sorgen, dass die Religion einen Weg finden muss, um uns davon zu überzeugen, dass wir ohne sie nichts sind. Können wir als Atheisten und Humanisten einander nicht genügend lieben, Wissen erlangen, korrigierende Entscheidungen treffen und uns moralisch verhalten, nur weil wir ein Leben ohne  theistischen Glauben führen? Das denke ich nicht. Wir sind stark, zahlreich und werden immer mehr, entgegen jeder religiös motivierten Behauptung des Gegenteils. Doch um jene, die immer noch einem Glauben anhängen, mache ich mir die meisten Sorgen.

Das Christentum beispielsweise verlangt von uns, genau die Dinge zu opfern, die unsere Menschlichkeit zu etwas Lohnendem machen: Unsere Fähigkeit nachzudenken, Fragen zu stellen, und uns selbst trotz unserer Fehler zu lieben. Das Christentum befiehlt, dass wir uns selbst für elende, unwürdige Geschöpfe halten sollen, für die die Zukunft nur Bestrafung bereithält. Sobald wir dieser Vorstellung nachgeben, übermittelt uns das Christentum praktischerweise eine wichtige Nachricht: Was deine Unzulänglichkeiten betrifft, die können wir dir nur durch den Glauben an Jesus Christus nehmen. Um jedoch zu glauben, muss man seine Fähigkeit, objektiv zu denken, ablegen, während man gleichzeitig subjektiv nach Antworten sucht.Das hilft nach meiner Ansicht kein bisschen dabei, der Schönheit des Lebens auf die Spur zu kommen. Zweifellos trübt es unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, indem es uns dazu zwingt, falsche Informationen zu akzeptieren, um emotionale Zuwendung zu erhalten. So viel zu den Fakten, sagt das Christentum, lasst uns nur diese Kleinigkeit  hier glauben, damit unsere bereits akzeptierten Glaubensinhalte mit dieser fantastischen und erfundenen Realität im Einklang sind.

Es gibt viel bessere und realistischere Möglichkeiten, um dieselben Resultate zu erzielen wie jene, die von einem Glauben an einen Gott herrühren. Meiner Erfahrung nach klammern sich religiöse Menschen einfach deswegen an diese Gründe, weil sie nichts anderes gelernt haben. Es wurde ihnen – wahrscheinlich schon von jungen Jahren an – gesagt, dass religiöser Glaube rationalen Nachforschungen überlegen ist. Das liegt daran, dass Gott und das Christentum in der Vorstellung der Gläubigen auf einen Podest erhoben wurden, der die Menschheit überragt; wir werden als bösartige Geschöpfe dargestellt im Vergleich zu einem liebenden und fürsorglichen Gott; dies ist der schrecklichste Aspekt am Christentum. Aber wir sind besser als das.

Für die meisten Christen ist der Glaube an Gott etwas Wundervolles. Sie haben mit ihrem Schöpfer eine persönliche Beziehung. Er sorgt sich um sie und bewacht sie Minute für Minute. Gott inspiriert sie in hoffnungslosen Zeiten und fordert sie heraus, wenn ihre Demut nachlässt. Er lehrt sie, moralisch intakte menschliche Wesen zu sein. Er bietet ein Gemeinschaftsgefühl, das anderswo vielleicht nicht gefunden wurde. Und durch ihn verstehen sie alle Dinge im Leben. All diese Aussagen habe nur ein kleines Problem: Gott existiert nicht. Sie haben nicht erkannt, dass ihr mächtigster Verbündeter und Beschützer sie selbst sind. Aber noch ist nicht alle Hoffnung verloren.

Als ich den Atheismus für mich fand, überkam mich ein ernüchternder Trost. Ich fühlte mich nicht länger anderen Menschen überlegen; das führte zu vollkommener Demut. Ich fand heraus, wie ich die Schönheit in den Mitmenschen finden konnte, ohne nur auf unsere Unterschiede zu blicken. Letztlich lernte ich, meinen Platz in dieser oft hektischen und scheinbar unversöhnlichen Welt zu finden. Wenn du erst vor kurzem zum Atheismus gefunden hast, noch orientierungslos bist und verunsichert, denke daran: Du bist nicht allein, die Schönheit der Wirklichkeit ist noch viel erstaunlicher, als deine Religion dir weisgemacht hat, und wir lieben dich trotz deiner Unzulänglichkeiten. Die Religion hat mehr als genug Schaden angerichtet, aber es ist an der Zeit, dass wir unsere Spezies von dieser Plage, die die Menschheit seit ihren primitivsten Anfängen aufzehrt, befreien, und es muss geschehen, bevor wir vergessen, was es heißt, menschlich zu sein. Wir sind unabhängige, intelligente Wesen und haben mehr verdient, als uns bisher zugestanden wurde.

 

J. D. Brucker lebt in Chicago, Illinois. Es ist, atheistischer Autor (Improbable: Is There Any Reason To Believe In God?), säkularer Humanist und ausgesprochener Anti-Theist. Er bloggt u.a. auf Atheist Republic.


Übersetzung von: Daniela Bartl, Martin Uhlenbrock

 

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