In der Psyche des Gläubigen: Teil 1 – Das Ego

Nun, ich erdreiste mich nicht, die genauen Wahrnehmungen jedes einzelnen Gläubigen zu kennen, oder gebe vor, über die Inhalte der Millionen von Individuen, die mit der Fülle an Religionen infiziert sind, welche unseren chaotischen Planeten heimsuchen, Bescheid zu wissen. Doch es gibt einige häufige psychologische und neurologische Phänomene, die uns genügend Grundlagen liefern, zu verallgemeinern, wenn auch vorsichtig.

In der Psyche des Gläubigen: Teil 1 – Das Ego

Religiöse Menschen gelangen auf vielerlei Arten in psychologische Sackgassen. Manche, möglicherweise die meisten, wurden von Kindheit an durch Vorbilder indoktriniert – und zwar noch weit vor dem Alter der Reife - , die zwar glauben, sie würden lehren, in Wahrheit jedoch den zerbrechlichen und beeinflussbaren Verstand ihrer Kinder beugen.

Andere wachsen mit einem bestimmten Glauben auf und werden dann durch das Eingreifen eines Missionars oder Freundes auf eine neue Religion umprogrammiert; andere wiederum werden von bestimmten Medien überzeugt, und so weiter. Trotz der zahlreichen Wege, auf denen Menschen ein religiöses Glaubenssystem übernehmen, verfügen wir bereits über eine solide Basis, auf der wir unsere erste Verallgemeinerung gründen können. Religion ist ein sozialer Virus, der – entweder direkt oder indirekt -  über soziale Interaktion zwischen menschlichen Gehirnen eingefangen und verbreitet wird.

Nachdem wir also die Möglichkeit zu bestimmten Verallgemeinerungen unter Beweis gestellt haben, werden wir am Punkt der Infektion fortfahren und einige der häufig vorkommenden psychologischen Strategien untersuchen, die von Gläubigen angewendet werden, um ihre naturwidrigen Glaubensinhalte mit der natürlichen Welt in Übereinstimmung zu bringen, sowie untersuchen, wie sie ihren Verstand vor den Beweisen abschirmen, die mit ihren sozial akzeptablen Täuschungen in Konflikt geraten.

„Religion ist ein System von Wunschillusionen mit Verleugnung der Wirklichkeit, wie wir es isoliert nur bei der Amentia, einer glückseligen halluzinatorischen Verworrenheit, finden.“
Sigmund Freud

 

Das Ego – ein Saal mit abwehrenden Spiegeln

Trotz Freuds zahlreicher Fehlschlüsse hinterließ er ein Erbe in Form von Konzepten wie dem Unbewussten und dem Ego. [1]  Doch Freud legte hauptsächlich nur den eindrucksvollen und reichen Grundstein für das Konzept des Egos. Seine Tochter, Anna Freud, war die wirkliche Handwerkerin, wenn es darum ging, unser Verständnis dieses psychologischen Spiegelsaals zu schärfen, auf den wir uns mit „Ego“ beziehen. Am Bedeutendsten ist, dass Anna die Arbeit ihres Vaters in ihrem Werk „Das Ich und die Abwehrmechanismen“ fortführte, um uns zu veranschaulichen, wie und warum ein Glaubender seine irrationalen Glaubensinhalte beschützt.

Ich sollte jedoch einen Moment innehalten, bevor ich mich zu weit hinauswage, und – wenn auch auf simple Weise - erkären, was das Ego ist, zumindest für unsere Zwecke.

Freud unterteilte die Psyche in drei primäre und symbolische Komponenten; das Es, das Ego und das Über-Ich. Obwohl diese Komponenten seit Freud wesentliche akademische Überarbeitungen hinter sich haben, sind sie bei der theoretischen Aufteilung der Psyche oder des Geistes immer noch gebräuchlich. Ich denke, der einfachste Weg, Überlegungen über das Ego anzustellen ist, es als einen Mittler zwischen dem unbewussten „Es“ und dem über-/selbstbewussten „Über-Ich“ zu sehen. [2] Noch immer verwirrt? Okay, denken Sie es sich so: Das Es versucht verzweifelt, einen Feuerwehrwagen zu entführen, um Mitglieder der Westboro Baptist Church mit Löschwasser zu bespritzen, während sie auf der Beerdigung eines Homosexuellen demonstrieren, und in der Folge will das Ego dies auch. Doch das Über-Ich wird es aufgrund des mannigfaltigen sozialen Drucks nicht zulassen, also wird das Ego „Gründe“ oder Rationalisierungen einsetzen, die seine Entscheidung gegen seinen Willen, sich dem Über-Ich zu fügen, verteidigen. Als Ergebnis seiner Angst, von der unbewussten Psyche überwältigt zu werden, und seines Wunsches, Leiden zu vermeiden, hat das Ego – wie oben erwähnt – Abwehrstrategien entwickelt und wurde deshalb zum Meister darin, das Irrationale zu rationalisieren. Ich denke, Sie merken, worauf ich damit hinauswill.

Verbunden mit seiner Rolle als Mittler zwischen Es und Über-Ich handelt das Ego wie ein (bewusstes) Lagerhaus für unsere Vorstellungen über die Welt, die uns umgibt, unsere Wahrnehmung, wer wir als Individuen sind, unser Selbstwertgefühl, doch zugleich ist es vollbewaffnet mit realitätsentstellenden Abwehrmechanismen. [3] Der bedeutendste Abwehrmechanismus zum Zweck unserer Untersuchung der Psyche der Gläubigen ist die „Rationalisierung“.

 

Rationalisierungen

Obwohl Anna Freud den Begriff ursprünglich benutzte, um “einen Abwehrmechanismus, der die Bereitstellung einer vernünftig klingenden Erklärung für inakzeptable Gefühle und Verhaltensweisen beinhaltet, um die eigentlichen Motive oder Gefühle (meist vor sich selbst) zu verbergen,“ [4] beschreibt er auch die kreative Konstruktion von vernünftig klingenden Erklärungen für einen unbegründeten oder entlarvten Glauben. Wenn Sie jemals Dr. William Lane Craig während einer Debatte beobachtet haben, werden Sie genau wissen, wovon ich spreche. Doch ich denke, dass sich anhand zweier vergleichsweise ähnlicher Fallstudien am besten erklären läßt, was eine Rationalisierung ist und wie sie funktioniert.


Die Seekers – Ein entlarvter Endzeitkult

Die Seekers waren ein Endzeitkult; dessen Anhänger glaubten, dass die USA in einer von Außerirdischen herbeigeführten Flut zerstört werden würde. Die Leiterin der Gruppe, Marion Keech, behauptete - und glaubte womöglich auch selbst daran -, in der Lage zu sein, mit Außerirdischen telepathisch zu kommunizieren, die sie davor warnten, dass die USA an einem bestimmten Tag untergehen würde, Mrs. Keech und ihre Anhänger ausgenommen, da sie von den Außerirdischen mit ihrer intergalaktischen Arche Noah gerettet werden würden.[5]

Natürlich kam und ging das Endzeitdatum ohne einen einzigen Regentropfen, und während einige Mitglieder der Gruppe ihre Zelte abbrachen und nach Hause gingen, blieben viele andere und folgten Frau Keech weiterhin. Also, wie konnten diese Leute, deren Glauben sich als falsch herausgestellt hatte, noch weiter glauben? Das ist genau das, was Sozialpsychologen, inklusive dem Vater der Kognitiven Dissonanz-Theorie, Leon Festinger, der diese Gruppe untersuchte, herausfinden wollten. Die bleibenden Mitglieder der Gruppe wandten eine Form der Rationalisierung an, die Psychologen als “Anpassungsstrategie“ bekannt ist, was bedeutet, dass sie in dem Versuch, ihren Kernglauben (dass Marion Keech telepathisch mi t Außerirdischen kommuniziert) zu schützen, periphere Glaubenslehren änderten, um auf diese Art ihren Kernglauben mit  dem neuen Szenario, dem sie sich gegenübersahen und welches kognitive Dissonanz erzeugte (der Misserfolg der Endzeit Prophezeiung), in Einklang zu bringen. Sie rationalisierten, dass die Außerirdischen aufgrund des Glaubens ihrer Gruppe die USA verschont hatten.[6]  Diese neue Anpassung erlaubte ihnen, ihren Kernglauben intakt zu halten, und ihre Egos vor dem zu bewahren, was Carl Jung „legitimes Leiden“ nannte.

 

Geologie vs. Genesis

Als die Wissenschaft der Geologie zuerst im Westen explodierte, und ich sage explodierte, weil sie die Kirche beinahe genauso hart traf wie Darwins Evolutionstheorie, wurden Theologen mit neuen und unangenehmen Fakten konfrontiert, sodass ihre Egos bald damit anfangen mussten zu rationalisieren. Wie kann die Erde 6000 Jahre alt sein, wie es James Usshers, Bedes und sogar Isaac Newtons Zeitmessungen anhand der genauesten Exegese der Bibel deutlich machten, und dennoch Millionen von Jahren alt sein, wie diese neue und kognitive Dissonanz erzeugende Wissenschaft unmissverständlich aufzeigte? Unterschiedliche psychologische Strategien begannen sich verzweifelt aus den Reihen der Gläubigen herauszubilden, da ihre Egos sich wanden und in der Hölle dieser entsetzlichen Angst vor dem Leiden brannten, unter welcher diese höchst egozentrischen Wesen litten. Manche dieser Strategien waren von Natur aus angepasst, wie die Lückentheorie zum Beispiel, die eine riesige Zeitlücke und zwei getrennte Schöpfungen zwischen Genesis 1:1 und Genesis 1:2 vorschlug. Es gab die Tageszeitalter-Theorie, die ähnlich dem Hinduismus geltend machte, dass ein „Tag Gottes“ für Menschen viele Jahrtausende lang dauerte, was auch die Uneinigkeit zwischen der gutgläubigen kirchlichen Kosmologie und dieser neuen und verheerenden Wissenschaft erklären konnte.

Es gab die sanfte Lückentheorie, welche die nun entlarvte Lückentheorie ersetzte und Lücken in der Zeit zwischen jedem nachfolgenden einzelnen Vers postulierte, bis jede davon von Theologen und Wissenschaftlern widerlegt worden war. Und schließlich tauchten diese großartigen Verleugner auf, die Christen, die wir alle heute kennen und lieben: Die Junge Erde-Kreationisten, die die Gültigkeit der etablierten Wissenschaft der Geologie leugnen.

Die beiden obigen sind nur zwei Beispiele, um zu illustrieren, wie und warum das Ego des Gläubigen die Realität verbiegen kann, um sich vor dem legitimen Leiden zu schützen, das durch einen Frontalzusammenstoß mit der Realität verursacht worden war. Wenn Sie also das nächste Mal gegen einen Theisten antreten, denken Sie daran, und  bevor sie sich selbst verrückt machen, erinnern Sie sich an die weisen Worte Thomas Paines:

„Mit einem Menschen zu diskutieren, der auf die Benutzung und die Kompetenz seiner Vernunft verzichtet hat, und dessen Weltbild aus Verachtung für die Menschheit besteht, ist wie die Verabreichung von Medizin an einen Toten...“

 

Quellen:

1. Tom Butler-Bowden. 50 Psychology Classics. Nicholas Brealey Publishing. p. 2.
2. Donna S. Bender and Andrew E. Skodol. Character Pathology. New York State Psychiatric Institute/Columbia University; cited in – Michael Hersen, William Sledge, Alan M. Gross, Jerald Kay, Bruce Rounsaville & Warren W. Tryon. Encyclopaedia of Psychotherapy. Academic Press. (2002). p. 375.
3. Tom Butler-Bowden. 50 Psychology Classics. Nicholas Brealey Publishing. p. 106.
4. Daniel L. Schacter, Daniel T. Gilbert & Daniel M. Wegner. Psychology. Worth Publishers. (2009). p. 466.
5. Festinger, L., Riecken, H. W., & Schachter, S. When Prophecy fails. University of Minnesota Press. (1956).
6. Lorne L. Dawson. When Prophecy Fails and Faith Persists: A theoretical Overview. University of California Press. (1999). p. 65.

 

Übersetzung: Elisabeth Mathes, Daniela Bartl

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Kommentare

  1. userpic
    Joseph Wolsing

    Ich denke, dass der psychologische Ansatz zur Erklärung des Phänomens der Religionsgläubigkeit bestimmte Aspekte des menschlichen Verstandes auslässt, die auf der Entwicklung des Menschen über einen Zeitraum von mehreren Millionen Jahren basieren. Auch die Psyche des modernen Menschen hat sich schließlich entwickelt und ist nicht in der heutigen Form aus dem Nichts entstanden.

    Michael Shermer beschreibt so schön die Tatsache, weshalb wir eher dazu tendieren, Fehler 1. Art auch α-Fehler genannt, zu machen (siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=DmXlEvum6PQ). Da die Menge an Information, die wir aufnehmen wesentlich größer ist, als unser Vermögen, diese vollständig zu verarbeiten liegt ein Dilemma vor. Mehr noch, das Gehirn ist nicht nur in der Lage Information zu verarbeiten, sondern es kann und muss auch mögliche Zukunftsszenarien extrapolieren. Um uns vor einem unendlichen Wust an möglichen Szenarien und mit diesem vor der Handlungsunfähigkeit zu schützen verwenden wir - quasi unbewusst - ganz selbstverständlich Ockhams Rasierklinge, aber unter der Prämisse eher Fehler der 1. Art zu machen, als Fehler der 2. Art, die u. U. verheerende Folgen für uns hätten.

    Betrachtet man nun die Entwicklung der Religionen soweit wir Zugriff darauf haben, so fällt auf, dass die Natur, das Wesen der Religionen mit ansteigendem Wissensgrad abstrakter geworden ist. Aus den Animismen der Urzeit wurden die Polythesimen der Antike, die sich in Monotheismen höchst Abstrakter Natur verwandelt haben, wie sie heute vorliegen. Schon die Beschreibung des christlichen Gottes, als ursachenloser Verursacher zeigt den immensen Widerspruch in dem sich eine Glaubensform heute befindet, deren Basis 2000 Jahre alt ist. Unser Wissen bezüglich des uns umgebenden Universums (wir wissen erst seit E. Hubble, dass das Universum aus mehr als der Milchstraße besteht - aus enorm viel mehr!) und der Natur der Stofflichkeit in einem Maße, dass wir Erklärungen finden, die wir zwar nicht völlig verstehen können, aber deren Wahrheitsgehalt sich tatsächlich in Experimenten und später auch in der Technologie belegen lassen (z. B. Quantenmechanik), hat den Raum für Erklärungen auf der Basis von Göttern extrem eingeschränkt (God of the gaps). Das sollte eigentlich zu einem massiven Einbruch bezüglich der Bereitschaft, solchen Erklärungen Glauben zu schenken, nach sich ziehen.

    Jedoch haben wir es hierbei mit einer sehr alten Form der Menschlichen Wahrheitsauffassung zu tun, die über diesen immensen Zeitraum vermutlich auch Spuren in der Struktur des menschlichen Gehirns hinterlassen hat und darüber hinaus auch mit einem extrem wirksamen „viralen Mem“ auf gesellschaftlicher Ebene zu tun. Wenn man die Gesellschaften untereinander und die verschiedenen Variationen des gesellschaftlichen Lebens innerhalb einzelner Gesellschaften vergleicht, kann man zu dem Schluss kommen, dass ein Rückgang der Ursprünglichkeit der Lebensform (rurale vs. industrielle Gesellschaften, Land vs. Stadt) auch einen Rückgang der Gläubigkeit insbesondere der, an die von den etablierten Religionen angeführten Götter, mit sich bringt. Die Tatsache, dass sich in unserer Zeit und in den industrialisierten und durch einen relativ hohen Bildungsgrad gekennzeichneten Gesellschaften viele Menschen eine Art selbstkonstruierte „Ersatzreligion“ zurecht legen, unterstützt sowohl die Hypothese, dass wir dabei sind die überkommenen Vorstellungen von Götter ablegen,als auch die, dass wir grundsätzlich aber über eine Art „Hardwiring“ verfügen, eine neuronale Struktur besitzen, die Aberglauben unterstützt, wenn nicht sogar erzeugt.

    Der letzte Abschnitt des Textes erscheint mir besonders bedenkenswert. Grundsätzlich stimme ich mit dem Autor darin überein, dass die Unterhaltung mit einem Vertreter fundamentalen Glaubens Zeitverschwendung ist. Neil deGrasse Tyson ging sogar soweit im Rahmen seiner Reaktion auf die Kritik durch US Amerikanische Kreationisten auf seine Sendung „Cosm“ die Hypothese zu formulieren, dass eventuell die Debatte zwischen Bille Nye und Ken Ham letzterem überhaupt erst die Aufmerksamkeit verschafft hat, die es ihm ermöglicht in der Öffentlichkeit, namentlich in den Medien, seinen Wissenschaftsskeptizismus bezüglich der Cosm-Reihe zu artikulieren. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage: Wenn Religiosität ein Problem darstellt (die Aktivitäten der fundamentalen Gläubigen zwingt zu diesem Schluss), wie soll dieses Problem angegangen werden? Es nur zu ignorieren ist keine Lösung. Auf die von diesen ausgeübte Gewalt unterschiedlichen Grades mit Gegengewalt zu reagieren auch nicht. Bleibt also nur der Diskurs, die Debatte – kurz Kommunikation, ganz gleich wie aufreibend diese auch sein mag und wie verschwendet die Energie in Anbetracht der marginalen Fortschritte auch erscheinen mag.

    Ich halte es daher eher mit Bill Nye, der – meiner Ansicht nach folgerichtig – argumentiert, dass wenn auch nur einer der Zuhörer solcher Debatten (vermutlich einer der jüngeren – es ist das Privileg der Jugend Veränderungen besser verarbeiten zu können, als das Alter) in Folge der Debatte seinen unbelegten Glauben zu hinterfragen beginnt, der Aufwand sich bereits gelohnt hat. Und ich bin mir sicher, dass die hilflose Antwort Ken Hams auf die Frage, was denn nötig wäre seine Ansichten zu ändern (es gibt nichts - ich bin Christ) im Vergleich zu Bill Nyes postwendend erfolgter Antwort (Evidenz!), genau diesen Effekt gehabt hat.

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