Religiöse Gemeinden sollen ihren Mitgliedern evolutiv mehr zu bieten haben als säkulare Gruppen. Die Selektion des Lebens greife an der Gruppe an und hier haben Mitglieder mit angeborener Religiosität Vorteile. So ist neuerdings wieder von der guten, alten Gruppenselektion die Rede.
In der Biologie konnte in den letzten 150 Jahren kein einziges Beispiel für eine Gruppenselektion gefunden werden und kein vernünftiger Biologe verschwendet seine Energie darauf, wenn er fünf Minuten sein Vordiplomwissen aktiviert. Dies hindert heutige Religionswissenschaftler nicht daran, diesen etwas veralteten Begriff neu zu beleben [Blume 2008] und religiöse Gemeinden als Paradebeispiele für Gruppenselektionen zu präsentieren. Haben Religiöse nicht mehr Kinder und ist dies nicht schon der Beweis, dass ihre Gemeinden der Selektion besser trotzen?
Gruppenselektion?Was soll Gruppenselektion überhaupt sein? In der Gruppenselektion soll ein Selektionsfaktor an der Einheit Gruppe angreifen, so dass alle Individuen einzeln oder im Durchschnitt mehr Nachwuchs realisieren können als vergleichbare Nachbargruppen.
Kann es so eine Art der Selektion überhaupt geben? Selektion ist in der Biologie als die Wahrscheinlichkeit definiert, seine Gene in die nächste Generation zu bringen. In der Biologie wird von einer Individualselektion ausgegangen, bei der jedes Lebenwesen einzeln betroffen ist, sowie von einer Verwandtenselektion, bei der sich eng verwandte Gene über ihren Phänotyp helfen. Um einen neuen Begriff, wie den der Gruppenselektion, zu rechtfertigen, sollte sich diese Bezeichnung daher auf Gruppen von nicht-verwandten Individuen beziehen.
Zudem werden zwei Marker benötigt, um die Gruppen- von der Individualselektion zu unterscheiden. Einen, der die Gruppe definiert, sowie einen, der den biologischen Vorteil repräsentiert, der sich in einer höheren Wahrscheinlichkeit für überlebenden Nachwuchs auszeichnet. Um das Untersuchungsfeld etwas weiter zu fassen, nehmen wir als Beispiele für Marker eine Idee sowie ein Gen an. Folglich gibt es bei zwei Markern vier Kombinationsmöglichkeiten, in denen sie auftreten können: Gen/Gen, Gen/Idee, Idee/Gen sowie Idee/Idee.
Kann es nun eine Gruppenselektion laut Definition geben? Liegt die Kombination Idee/Idee vor, kann nicht von Selektion im biologischen Sinne gesprochen werden, da hier keine Gene in die nächste Generation transferiert werden. Biologen sprechen hier von Tradierung bzw. Detradierung. Liegt die Kombination Gen/Gen vor, so ist eine Verwandtenselektion gegeben, da sich Verwandtschaft über gemeinsame Gene definiert. Dies widerspricht jedoch der Grundannahme, dass sich der Begriff Gruppenselektion auf Gruppen von nicht-verwandten Individuen beziehen soll. In den Kombination Gen/Idee und Idee/Gen gilt gleiches. Folglich ist jede Gruppenselektion gleichzeitig eine Verwandtenselektion oder gar keine Selektion. Der Begriff ist somit in der Biologie überflüssig.
Noch deutlicher wird es, wenn über die Fortpflanzung in Gemeinden nachgedacht wird. Eine Gruppe ist meistens ein partiell offenes System, bei dem zur Inzuchtvermeidung Partner ein- und auswandern. Die angeblichen Vorteilsgene breiten sich mit dem Nachwuchs folglich auch in andere Gruppen aus, womit der vermeintliche Vorteil "der" einen Gemeinde ziemlich schnell dahin ist.
Lediglich einige Experten, wie der US-Amerikaner Edward O. Wilson, kokettieren mit ihrer Interpretation des Begriffes Gruppenselektion für ihre Haustiere, da die Individuen einiger Insektenarten sowohl sehr eng mit einander verwandt sind als auch extrem große Staaten bilden, die spezifische Gruppendynamiken zeigen.
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