Irrationale Gleichgültigkeit: Versinken wir in Irrationalität, wenn es um Ethik geht?

In der Wissenschaft könnte Gleichgültigkeit der Schlüssel zur Irrationalität sein.

Ganz gleich wie brillant die Idee ist, wenn wir sie nicht erklären, ist sie wertlos. Egal welcher Art die Erklärung ist, wenn sie nicht demonstriert werden kann, ist sie sinnlos. Und egal wie wünschenswert die Idee ist, wenn sie nicht repliziert werden kann, oder die Möglichkeit besteht, sie zu widerlegen, ist sie Nonsens.

Es ist deshalb sinnvoll vorzuschlagen, dass eine gleichgültige Methode im diametralen Gegensatz  zum vernünftigen, rationalen Denken steht, da sie von uns verlangt, vor der guten fachlichen Praxis halt zu machen? Wäre es dann nicht auch irrational, der Gleichgültigkeit zu erlauben, unsere Urteile bezüglich der Moral zu trüben? Dieser Schluss basiert auf zwei Annahmen, die zunächst untermauert werden müssen.

Zunächst müssen wir voraussetzen können, dass Ethik auf irgendeine Art und Weise rational und objektiv ist. Ohne zu tief in die Meta-Ethik oder in das Thema meiner Theorie der Moralwissenschaft bzw. der von jemand anderem einzutauchen, können wir ein System der Ethik voraussetzen, das annehmbar und philosophisch solide ist. Diese Vorgehensweise würde darin bestehen, grob unser gegenwärtiges System, welches wir bereits benutzen, so zu erklären, dass es einer rationalen Erklärung entspricht. Das können wir recht einfach dadurch tun, indem wir sagen: „Wir haben eine Reihe grundlegender moralischer Werte, die sich im Kontext zueinander entwickeln, die aber mit der Zeit rational erweitert werden“. Mit anderen Worten, es gibt Werte, die wir höher einschätzen als andere, aber darunter sind auch welche, die wir immer beachten und andere, bei denen eine rationale Erweiterung der grundlegenden und wichtigen moralischen Werte möglich ist. Für den Zweck dieses Artikels reicht das, da ich nicht versuche, irgendeinen bestimmten Teil praktischer Ethik zu beweisen, oder zu widerlegen. Ich stelle schlicht eine generell annehmbare Beschreibung davon auf, wie wir moralische Entscheidungen rational begründen.

Die zweite Annahme ist die, dass Gleichgültigkeit in der Ethik dasselbe ist wie Gleichgültigkeit in der wissenschaftlichen Methode. Um diese Prämisse zu rechtfertigen, muss ich klarstellen, dass wir nicht von Gleichgültigkeit in der Moral als Ganzes sprechen – Gleichgültigkeit kann unter manchen Umständen als einfaches „nicht handeln“ definiert werden und so häufig eine gute moralische Idee sein (ich wiederhole, dies ist nichts, womit wir uns hier näher befassen). Vielmehr beziehe ich mich bei der Gleichgültigkeit in der Methode auf dieselbe Gleichgültigkeit,  auf die ich mich auch in der allgemeineren wissenschaftlichen Methode beziehe. Hier könnten direkte Vergleiche gezogen werden, wie z.B. die Konsequenzen einer Theorie oder einer Entscheidung nicht gründlich zu untersuchen (was damit vergleichbar wäre, dasselbe etwa in der Physik nicht zu tun). Es gibt jedoch auch einen weniger offensichtlichen Vergleich, der am besten mit Bezug zu dem Wissenschaftszweig erklärt wird, der uns sozial inakzeptable Antworten liefert.

Das vielleicht bekannteste Beispiel für eine Entdeckung, die die Gesellschaft mit Stirnrunzeln betrachtete, ist Darwin, und daher werde ich schamlos auf diesen Zug aufspringen, um so meinen Punkt leichter darlegen zu können. Darwin zeigte ganz klar Bestürzung über seine Entdeckungen zur natürlichen Auslese. Das aus wissenschaftlicher Sicht Falsche wäre gewesen, seine Ergebnisse zu ignorieren oder vor weiterer wissenschaftlicher Beobachtung zu verbergen. Das zu tun, hemmt unser Verständnis und die Fähigkeit zum Fortschritt: Es wäre eine Niederlage des Objekts der Wissenschaft, die Dinge zu verbergen, die den Status Quo dessen, wie und was wir denken, herausfordern.

Wir haben dasselbe Problem beim Thema Moralität. Menschen lassen sich ebenso leicht durch moralische Werte leiten wie durch religiöse Werte: Nicht immer, aber meistens teilen Menschen die moralischen Werte derer, die sie groß gezogen haben oder in deren Gegenwart sie aufgewachsen sind. Während die zunehmende Säkularisierung zu einem weniger furchteinflößenden Umfeld geführt hat, in dem man wissenschaftlich tätig sein kann, müssen wir heute in der Moral erst noch diese „traditionellen Normen“ loswerden. Der Respekt, den wir z.B. Wissenschaftlern entgegen bringen, die über Quantenmechanik theoretisieren, wird nicht auf die gleiche Art und Weise denen entgegengebracht, die über die wachsende moralische Notwendigkeit von Alternativen für fossile Brennstoffe, oder über das starke ethische Argument dafür, keine tierischen Produkte zu konsumieren, theoretisieren.

So wie die Neigung zur Gleichgültigkeit in der Wissenschaft zum großem Nutzen für uns alle zurückgegangen ist, muss sie dies in der Ethik erst noch tun.

Das bringt uns zurück zum Inhalt der Überschrift: Ist diese Gleichgültigkeit in moralischen Dingen nicht genauso irrational wie in der Wissenschaft? Die Argumente sind sicherlich überzeugend.

Wenn wir uns die beiden Beispiele ansehen, die ich zuvor angeführt habe, ist es vielleicht einfacher, zu analysieren. Der wachsende Bedarf an fossilen Brennstoffen ist sicherlich eine moralische Angelegenheit; der Physik selbst ist es kein Anliegen, für unsere benötigte Elektrizität oder unsere Raketen zu sorgen. Die Wissenschaft ist dazu da, uns dabei zu helfen, unser Verständnis weiterzuentwickeln, indem wir diese Dinge benutzen, aber sie ist neutral gegenüber der Frage, ob wir unsere Aufmerksamkeit ausschließlich auf diese Gebiete richten wollen. Es ist die Moralität (oder die Wissenschaft von der Moral), die uns sagt, dass wir diese Dinge brauchen, um uns weiterzuentwickeln oder ein besseres Leben zu leben. Der Vergleich besteht darin, ob unser Unwillen, die Notwendigkeit erneuerbarer Energien zu akzeptieren, dem komfortablen Unwillen entspricht, die Evolutionstheorie zu akzeptieren.

Da Alternativen zu fossilen Brennstoffen einen starken wissenschaftlichen Rückhalt haben, ist es vielleicht das andere Beispiel – tierische Produkte –, welches unsere Resonanz auf Gleichgültigkeit am meisten auf die Probe stellt. Indem man ethischen Veganismus in der modernen Welt unterstützt, zieht man einen Spott auf sich, der auf derselben Ebene steht wie damals die Zeichnungen von Darwin als Affe. Am ironischsten ist dabei vielleicht die Ausrede, die viele Menschen haben: „Welchen Unterschied macht es, wenn nur ich aufhöre, diese Dinge zu essen?“ Das ist eine Ausrede, die auf Gleichgültigkeit basiert, und wäre es die Meinung der Menschen früherer Generationen, würden wir möglicherweise immer noch in Lehmhäusern wohnen oder der Hexerei Beschuldigte ertränken.

Wie ich zuvor schon gesagt habe, ist diese Schrift nicht als Verteidigung der erneuerbaren Energie oder des ethischen Veganismus gedacht. Sie wurde jedoch von jemandem geschrieben, der sich gezwungen sieht, dem Umstand zuzustimmen, dass Gleichgültigkeit in ethischen Belangen ebenso irrational ist wie die Gleichgültigkeit, die einigen der größten wissenschaftlichen Leistungen der Geschichte entgegengebracht wurde. Solange wir darin übereinstimmen, dass moralischer und wissenschaftlicher Fortschritt untrennbar mit einander verbunden sind, ist dies ein Punkt, dem man schwerlich widersprechen kann. Es mag ein simpler Punkt sein, dem relativ einfach zugestimmt werden kann, aber unsere Zustimmung nimmt uns folgerichtig den überwältigen Anteil unserer Ausreden, wenn es um die Umwelt oder das Essen tierischer Produkte geht (egal, ob es nun banale Aussagen über den Geschmack oder die Bequemlichkeit sind oder etwa der Hinweis auf die, die in der Arktis leben oder einen Flugzeugabsturz überlebt haben).

 

Robert Johnson ist angewandter Ethiker und Wissenschaftsphilosoph. Er beschäftigt sich mit der Schnittstelle von Vernunft und Ethik und ist Autor des Buches „Rational Morality: A Science of Right and Wrong“ http://www.robertjohnson.org.uk/.

 

Übersetzung von: Joseph Wolsing, Daniela Bartl

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